Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht und Ostersonntag, 12.04.2009

Predigt zu Markus 16:1-8, verfasst von Alfred Buß

Eben noch ist unser österlicher Jubelgesang erklungen und nun dies: das Verstummen der Frauen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich. Die Frauen sind Matthaei am Letzten, genauer Marci am Letzten, denn Markus ist es, der die Ostergeschichte, ja sein ganzes Evangelium so abrupt ausklingen lässt. Die Frauen rennen davon, nur weg von diesem Ort. Der Osterschrecken hat sie gepackt. Ein Entsetzen nicht vor dem Tod, sondern vor der Auferstehung.

Ist das nachvollziehbar? Unser Osterfest ist verplant, die Ostereier sind gefärbt, Jahr für Jahr folgt auf Karfreitag Ostern. Gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tage auferstanden von den Toten - so bekennen wir es seit Menschengedenken. Warum also verwundert, erschrocken oder gar entsetzt sein?

Ein Erschrecken kann uns dennoch widerfahren. Bei einer Beerdigung trug es sich zu. Die Kirche füllte sich. Die Ehefrau war schon ein halbes Jahr tot. Jetzt war er gestorben. Plötzlich ging eine Frau durch den Mittelgang nach vorne. Das ist doch - die verstorbene Ehefrau - der Gang, die Erscheinung, die Kopfhaltung! Ein tiefes Erschrecken durchzuckte uns. Das kann doch nicht wahr sein! - Es war die Zwillingsschwester, von der viele nichts wussten. Doch dieser eine Moment hatte für unser Entsetzen genügt. Wer tot ist, muss doch tot bleiben. Alles andere ist ungeheuerlich. Bitte keine Erscheinung!

Das war keine Auferstehungserfahrung, beileibe nicht! Wir sahen ja nur Gespenster. Tief erschüttert wurde für einen Moment unser Verständnis der Wirklichkeit. Die besingt schon das Studentenlied von der Schlacht im Teutoburger Wald: Denn wer einmal todt daliegt, der wird nicht mehr lebendig. In der Welt soll alles beim alten bleiben: ein Toter ist tot - und ein Leichnam soll bitte im Grabe bleiben.

Genau damit rechneten auch die Frauen am Ostermorgen. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh... Die Frauen hatten standgehalten unter dem Kreuz, sich nicht verkrochen wie die Jünger, hatten Jesus nicht verleugnet bis der Hahn krähte. Das Böse hatte triumphiert, wie so oft. Sie aber hatten dem qualvollen Sterben, dem entsetzlichen Tod Jesu ins Auge geschaut bis zuletzt. Acht hatten sie noch gegeben, wohin der Leichnam gelegt wurde. Und dann war es Sabbat geworden; Durststrecke für ihre aufgescheuchten Seelen. Nun waren sie aufgebrochen, schon im Zwielicht der Dämmerung hatten sie wohlriechende Öle gekauft, um seinen Leichnam zu salben.

Was jetzt noch geht, ist Nachsorge, dem Leichnam Gutes tun. Die Trauer braucht ihren Ort. Blumen niederlegen, wo der Tod gesiegt hat, den Duft des Lebens aussenden, wenigstens ein Mal noch. Immer wieder mitten im Entsetzlichen, wie zuletzt in Winnenden oder in den Abruzzen nach dem Erdbeben, jetzt in der Karwoche.

Beide Marias und Salome, - Frauen - lassen ihren Gefühlen Raum, sind schützend und pflegend zur Stelle. Wo es nichts mehr zu retten gibt, sorgen sie sich doch um Leib und Leben.

Aber merkwürdig - ganz früh aufgebrochen, kommen sie doch zu spät. Kommen zu spät mit ihrer Absicht und mit ihrer Einsicht. Osterlachen, klingt an. Die Frauen laufen noch immer dem Tod hinterher. Auferstehung ist angesagt und die Frauen kommen mit Salben. Lasst die Toten ihre Toten begraben, hatte Jesus gesagt. Hier hat der Satz seinen richtigen Ort. Eine stärkere Kraft ist erschienen als der Sensenmann.

Und sie kamen zum Grab... sehr früh, als die Sonne aufging. Die Sonne ist aufgegangen, der Sonntag ist geboren, der Tag aller Tage, der Tag der Auferstehung, Domenica im Italienischen, Domingo im Spanischen - der Tag des Herrn.  Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ, das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist (EG 351,13).

Doch die Frauen sehen die Sonne gar nicht; ihr Blick geht auf die Erde, tiefer noch, ins Grab. Es ist, als liefen zwei Programme nebeneinanderher, ja ineinander: die Sorge um den Toten und die Freude über den Auferstandenen. Seltsam gebrochen die Szene. Aber so muss es wohl sein, so kann es wohl nur sein, wenn Tod und Leben aufeinanderstoßen.

Der Tunnelblick der Frauen geht auf den schweren Stein. Er mauert das Leben ein. Alles, was Jesus getan, an Hoffnung geweckt und an Leben eröffnet hat, wurde kalt liquidiert. Steintot ist er; steintot ist alle Hoffnung. Nichts geht mehr.

Der Stein liegt nicht nur vor des Grabes Tür. Mindestens so schwer liegt er auf der Seele - mit dem ganzen Gewicht enttäuschter Hoffnung, vergeblicher Liebe, bindender Schuld, lähmender Gewalt.

Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war, denn er war sehr groß. Als der Stein weg ist, spüren sie erst richtig, wie groß er war.

Nun könnte doch endlich Erleichterung Platz greifen, Osterfreude aufkommen. Die Zentnerlast könnte endlich ganz von ihnen abfallen.

Doch statt des Toten im Grab die Gestalt eines Boten! Statt der Begegnung mit dem Tod die Kunde vom Leben. Und sie entsetzten sich, heißt es knapp. Die kalte Haut des Toten berühren, das hätten sie ertragen. Aber im Grab ein quicklebendiger junger Mann in weißem Gewand - das geht über ihre Kraft. Auf dem Berg der Verklärung wäre dafür vielleicht der Ort gewesen, aber hier!? Bitte nicht in der kalten Gruft - das geht durch Mark und Bein.

Welten stoßen aufeinander, Kern der Auferstehung. Christus hat sich von den Toten erhoben. Da wird nicht einer fleischlich wiederhergestellt zu einem Leben in Neuauflage, auch wird nicht Seelenwanderung vollzogen. Auferstehung ist Neuschöpfung. Gott ist am Werk, er ruft den Gekreuzigten aus dem Tod.

Aber das alles erschließt sich den Frauen nicht. Wie die Frauen sind wir blind für die Welt Gottes, es sei denn, uns werden die Augen dafür geöffnet.

Schon auf dem Hirtenfeld von Bethlehem musste der Engel ansagen, wer in der Krippe liegt. So braucht es auch hier der Ansage des Boten: Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Er ist nicht mehr irdisch greifbar, ist auferweckt in ein neues, unser sterbliches Ende überwindendes Leben. Ewigkeit fällt in die Zeit.

Wer will das begreifen? Ginge es Markus um eine erfolgreiche Werbestrategie, dann hätte er Ostern anders erzählen müssen. Weibergeschwätz hatte damals geringe Beweiskraft. Und Wegrennen in Furcht und Zittern lädt nicht eben zum Glauben ein. Der Evangelist Markus malt Ostern mit spärlichen Pinselstrichen.

In Kajaani, einer Stadt in der Mitte Finnlands, befindet sich in der Stadtkirche ein ungewöhnliches Altarbild. Es ist vermutlich kein wirklich bedeutendes Kunstwerk; aber es ist in seiner Art beeindruckend. Es zeigt ein Kreuz, das Kreuz von Golgatha. Scheinbar achtlos hingeworfen hängt an diesem Kreuz ein großes weißes Leinentuch - offensichtlich jenes Tuch, in das der Leichnam Jesu gewickelt worden war. Niemand ist auf dem Bild zu sehen - es gibt nur dieses leere Kreuz und darüber das Leichentuch. Der Maler hat ein Osterbild gemalt. „Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier" - das ist die Botschaft dieses an sich so einfachen Bildes. Besser kann die Osterbotschaft des Markusevangeliums kaum sichtbar gemacht werden als in diesem Bild. (Andreas Lindemann: Auferstehung; Göttingen 2009 S.71)

Doch - wer kann das begreifen? Die unglaublichste Geschichte der Welt, titelt in dieser Woche DIE ZEIT und fragt: Warum feiern Milliarden Christen trotzdem Ostern? Die Auferstehungsbotschaft erscheint verstaubt für aufgeklärte Zeitgenossen. Doch nicht nur wir Heutigen sind überfordert - schon die ersten Osterzeugen konnten sie nicht fassen. Die Auferstehungsbotschaft ist nicht Zumutung, weil sie so alt, sondern weil sie so neu ist.

Die Frauen rennen weg, und doch gibt es für die Osterbotschaft kein Halten mehr. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er gesagt hat. Sie sollen sich aufmachen, erzählen, was ihnen widerfahren ist. Statt der Rückkehr zum Grab - Aufbruch ins Leben. Statt der Reise in die Vergangenheit - der Weg in die Zukunft. Die Frauen haben den Weg mit Jesus nicht hinter sich - sie haben das Leben mit Christus vor sich.

Und wir?

Warum feiern Milliarden Christen trotzdem Ostern? fragt DIE ZEIT und Sabine Rückert antwortet in der Titelgeschichte so:

Fürchtet euch sehr - lautet die Botschaft in den Zeitungen. Ein kleines bisschen Sicherheit herzustellen ist unser täglich Brot. Ganz besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise. Der Mensch ist mit seiner ängstlichen Absicherung ... beschäftigt... Durch die schiere Angst vor der Verarmung, der Erkrankung, dem Verlassenwerden und dem Untergang...hat sich der Tod in mein Leben geschlichen. Eine Art geistiger Tod, der mitten in der Geschäftigkeit von mir Besitz ergreift und der mich verfaulen lässt, während ich noch atme....

Wenn ich sage, ich glaube an die Auferstehung der Toten...meine ich nicht das physische Für-real-Halten eines widernatürlichen Vorgangs. Diese Frage stellt sich mir ebenso wenig wie die nach dem Jüngsten Tag. Und was meine eigene Auferweckung angeht - da lasse ich mich überraschen. Jetzt und hier will ich mir bloß den Himmel ein bisschen offen halten. Und in dem hellen Strahl, der durch den Spalt herausfällt, ändert sich für mich die Welt. Nicht im Großen, aber im Ganzen. Der Schund, das Läppische, Erwartbare lauert im Konkreten. Das Unfassbare, Transzendente, Immerwährende wohnt im Glauben. Und das eine gehört zum anderen wie ein ungleicher Zwilling. Aus dem Blick, den ich auf meine Umgebung werfe, sickert die mich durchströmende Transzendenz in meinen schuldbeladenen Alltag und verleiht ihm Würde und Dynamik.

Und was ist dynamischer als das christliche Bild von der Auferstehung? Von der Auferstehung gegen das höchste und böseste Naturgesetz. An Ostern hallt die Kirche wider vom befreiten Gelächter der Gläubigen, die diese letzte Erwartbarkeit durchbrochen haben...

Christen sind Protestleute gegen den Tod in all seinen Varianten: Sie bieten der Bedeutungslosigkeit, der Depression, der Feindseligkeit, der Feigheit, der Inhumanität, der Selbstsucht die Stirn. Gegen alles anzustürmen, was klein, hässlich und verzagt macht, das ist ihre Aufgabe.

Von Wolf Biemann stammt der Satz: Die Auferstehung ist die härteste Währung auf dem Markt, wo Hoffnung gehandelt wird.

Vom Evangelisten Markus hören wir heute: Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Und: sie kamen zum Grab... sehr früh, als die Sonne aufging. In dem hellen Strahl der Ostersonne ändert sich die Welt,  nicht im Großen, aber im Ganzen

So können wir mit Gerhard Tersteegen beten und singen:

Du durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten, lass mich so still und froh deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem auferstandenen Herrn. Amen



Präses Alfred Buß
Evangelische Kirche von Westfalen
E-Mail: Sekretariat_Praeses@lka.ekvw.de

(zurück zum Seitenanfang)