Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Jubilate, 03.05.2009

Predigt zu Johannes 15:1-8, verfasst von Güntzel Schmidt

Jesus sprach zu seinen Jüngern: "Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.
Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger."


Liebe Gemeinde,

lange ist Jürgen Klinsmann nicht geblieben. Zehn Monate war er Trainer des FC Bayern München; nun muss er gehen. Das war, neben der Schweinegrippe, der Aufmacher der Tageszeitungen am Anfang der Woche.

Jürgen Klinsmann muss gehen und wollte es doch nicht. Er sei von dem sofortigen Ende der Zusammenarbeit überrascht gewesen, heißt es. Offenbar wäre er gern noch geblieben - trotz allem, was gegen das Dableiben sprach: Die Niederlagen. Die Pfiffe der Fans. Die Rebellion der Mannschaft gegen ihn. Die Schwierigkeit, seine neuen Ideen durchzusetzen. Die Häme der Presse.
Vielleicht wollte er gern noch beweisen, dass sein Konzept funktioniert, vielleicht meinte er, mit der Mannschaft trotz allem noch Meister werden zu können - wer weiß?

Der Verein und die Mannschaft standen offenbar nicht mehr hinter ihm. Um mit dem Bild des Predigttextes zu sprechen: Die Reben verließen den Weinstock. Doch beim Fußball ist es umgekehrt: da wird der Weinstock - der Trainer - ausgerodet, und man behält die Reben. Ob die Spieler als Reben mit dem neuen Trainer Frucht bringen, oder ob sie verdorren, wird sich in vier Wochen zeigen, am Ende der Saison.

I

Wenn es nicht mehr weitergeht, wenn es nicht mehr auszuhalten ist, muss einer gehen.

Jürgen Klinsmann ist da nur einer von vielen.

Viele Menschen halten es in Deutschland nicht mehr aus. Rund 150.000 gehen jedes Jahr ins Ausland; es gibt Fernsehserien, die über die Auswanderer berichten.

Und auch in unserem Land verlassen Menschen ihre Heimat, ziehen vom Osten in den Westen, vom Norden in den Süden, der Arbeit hinterher.

Wenn Beziehungen nicht mehr stimmen, wenn Ehen kriseln, dann geht einer, zieht aus. Manchmal gehen sogar beide, und nur noch die Kinder bleiben in der gemeinsamen Wohnung zurück.

Irgendwann gehen auch die Kinder aus dem Elternhaus, um zu studieren oder um eine eigene Familie zu gründen, ihr eigenes Haus zu bauen.

Aber wer geht, lässt jemanden zurück.

Beim FC Bayern ist es der Trainer, der zurückbleibt, obwohl er doch gehen musste - aber vielleicht bleibt auch der Verein zurück, jedenfalls in dieser Saison.

Bei den Auswanderern sind es die Nachbarn und Freunde, die zurückbleiben. Die Gemeinden, die - gerade im Osten Deutschlands - geradezu entvölkert werden und sich nicht mehr entwickeln können.

In den gescheiterten Beziehungen und Ehen bleibt eine oder einer zurück mit der Verantwortung für die Kinder, mit dem Gefühl, in den Scherben sitzen zu bleiben. Bleiben Kinder zurück, die einen Vater oder eine Mutter verlieren, mit Fremden zusammenleben müssen.

Und wenn die Kinder ausgezogen sind, sitzen die Eltern in dem nun stillen Haus und spüren mit einem Mal, wie alt sie geworden sind.

II

Auch Jesus befürchtet, dass seine Jünger gehen könnten. Der ganze Predigttext hört sich an wie ein Werben ums Dableiben. So, als seien die Jünger schon auf dem Sprung und müssten auf alle nur erdenkliche Weise vom Bleiben überzeugt werden. Darum spricht Jesus vom Weinstock und seinen Reben: Ein Stamm und seine Zweige - enger kann man nicht verbunden sein. Ohne Verbindung zum Stamm muss der Zweig vertrocknen. Ohne den Weinstock kann die Rebe nicht existieren.

Jesus wirbt für's Bleiben - dabei ist er es, der geht.

Was Jesus seinen Jüngern von sich als dem Weinstock und ihnen als den Reben sagt, steht in den "Abschiedsreden" des Johannesevangeliums: Vier lange Kapitel, die Johannes vor den Beginn der Leidensgeschichte gestellt hat, vor den langen Abschied, der durch die Tiefe des Todes in himmlische Höhen führt. Ein Abschied, der Jesus endgültig von seinen Jüngern trennt - um ihn so für immer mit ihnen zu verbinden.
Und zu dem Wissen um die nahende Trennung von den Jüngern kommt die Ahnung, dass die Jünger sich von ihm trennen könnten, wenn er erst nicht mehr da ist.

Denn es ist nicht leicht, mit jemandem verbunden zu bleiben, den man nicht mehr sieht.

Davon können alle ein Lied singen, die versuchen, eine Wochenendbeziehung zu führen. Die eine Freundschaft zu jemandem aufrecht erhalten wollen, der oder die in eine andere Stadt, ein anderes Land gezogen ist. Die die Verbindung zu den Eltern, den Großeltern oder den Verwandten halten wollen, nachdem man eine eigene Familie gegründet hat.

III

Jesus will, dass seine Jünger bleiben. Dass sie "in ihm" bleiben, wie die Rebzweige am Weinstock. Und dass sie seine Jünger bleiben.
"Bleib doch noch " - so bitten Eltern ihre Kinder, bittet die Oma den Enkel. Aber es drängt sie hinaus, die Kinder, die Enkel, den Partner, sie wollen nicht bleiben.

Jetzt könnte man auch klagen über die, die nicht in der Gemeinde bleiben wollten, nicht in der Kirche; die irgendetwas - oder irgendwer - hinausgedrängt hat.

Wer zurückbleibt, bittet, klagt. Und droht vielleicht auch manchmal unverhohlen, wie Jesus den Zweigen droht, die sich partout vom Weinstock trennen wollen: "Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen."
Ob seine Drohung Erfolg hatte? Oder provoziert sie nicht dazu, jetzt erst recht den Schnitt zu machen?
Wer zurückbleibt, hat nicht viel mehr als Worte, um den aufzuhalten, der davonziehen will.

IV

Wer zurückbleibt, hat nicht viel mehr als Worte.
Was vermögen Worte gegen den Reiz des Neuen, gegen die Verlockungen des Aufbruchs, gegen ein neues Leben?
Worte haben keine Kraft; sie können einen Menschen, der gehen will, nicht aufhalten.
Und zugleich haben Worte alle Macht der Welt.

Worte können, wie Jesus sagt, "rein" machen: Sie können reinen Tisch machen und Fehler und Schuld vergeben; sie können einen Menschen anders da stehen lassen, als andere ihn sehen; sie können ein neues Leben schenken mitten im Alten.
Worte können den abwesenden Menschen ganz nah sein lassen - auch ohne SMS und eMail.
Worte können Sehnsüchte und Träume wecken, Worte können Dinge, Menschen, die Welt verändern. Worte können am altbekannten Ort alles neu erscheinen lassen.

Jesus kommt zu uns durch das Wort, und wir bleiben durch das Wort mit ihm verbunden, ob wir gehen oder bleiben. Auch wenn wir gehen, wird die Verbindung nicht zerreißen. Aber wir müssen nicht gehen, um neue Dinge, neue Welten zu entdecken.
Jesus, das eine Wort Gottes, macht uns frei zu entscheiden, ob wir gehen wollen oder bleiben. Wir müssen nicht. Wir können uns entscheiden.
Auch dafür, zu bleiben.
Und die Erfahrung zu machen, von der ein altes Lied singt (EG 406, 1+4):

"Bei dir, Jesu, will ich bleiben,
stets in deinem Dienste stehn;
nichts soll mich von dir vertreiben,
will auf deinen Wegen gehn.
Du bist meines Lebens Leben,
meiner Seele Trieb und Kraft,
wie der Weinstock seinen Reben
zuströmt Kraft und Lebenssaft.

Ja, Herr Jesu, bei dir bleib ich
so in Freude wie in Leid;
bei dir bleib ich, dir verschreib ich
mich für Zeit und Ewigkeit.
Deines Winks bin ich gewärtig,
auch des Rufs aus dieser Welt;
denn der ist zum Sterben fertig,
der sich lebend zu dir hält."



Pfarrer Güntzel Schmidt
Klosterkirche Riddagshausen
E-Mail: guentzel.schmidt(at)lk-bs.de

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