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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Jubilate, 03.05.2009

Predigt zu Johannes 16:16-22, verfasst von Peter Nejsum

Wir wissen es, er hat keine Wirkung, und er hat auch hier keine Wirkung. Ja, es ist befreiend, dass er für Jesus keine Wirkung hat: nämlich der Trost, der besagt: Nur ruhig, es ist gleich vorbei! Es ist ein billiger Trost, der so ungeheuer nahe liegt, wenn wir es mit jemandem zu tun haben, der es schwer hat, und wir uns so ohnmächtig fühlen, wenn wir helfen wollen, es aber nicht können. "Du wirst schon eine neue Arbeit finden". Oder "Warte nur ab, eines Tages wirst auch du ein liebes Mädchen finden." "Du wirst schon wieder gesund werden, du musst nur Geduld haben." Men teilt großzügig von seinen eigenen Erfahrungen aus, vielleicht weil man ahnt, dass Worte allein nichts vermögen. "Ich habe es selbst durchgemacht..." Oder: "Ich erinnere mich, wie es war, als meine Frau starb. Man kommt darüber hinweg." Aber es ist, wie wenn man eben nicht weiterkommt. Und man kann sogar erleben, dass man es verinnerlicht, so dass der Trauernde gleich die ihm Nahestehenden beruhigt und sagt: "Jetzt muss ich nur sehen, dass ich da durchkomme."

            Aber was ist daran eigentlich verkehrt? Sehr oft stimmt es doch! Man wird wieder gesund. Man findet eine neue Arbeit. Die Trauer verschwindet tatsächlich. Ja, das Verkehrte ist, dass man nicht hören kann, wenn es einem am allerschlimmsten geht. Wenn man es könnte, wenn man wirklich überzeugt werden könnte, dann wäre man ja nicht verzweifelt. Dann wäre es ja nur eine ärgerliche Unterbrechung dessen, womit man beschäftigt war, aber eben keine Katastrophe. Die meisten Menschen würden gut mit dem fertig werden können, was wehtut, wenn man wirklich wüsste, dass es nur von kurzer Dauer wäre, ein Übergang - "es ist nur ein kleiner Stich", wie der Arzt zu uns Kindern sagte, als wir geimpft wurden.

            Aber wenn es so wehtut, dann doch deshalb, weil man in der Situation ganz und gar nicht sehen kann, dass es ein Ende haben wird. Man ist sicher, dass es niemals aufhört. Das Leben geht eben doch nicht weiter. Die Verzweiflung rührt doch daher, dass die Finsternis, die einen jetzt zudeckt, nie verschwinden wird. Man könnte sagen, dass die Zukunft für einen außerhalb des Horizonts liegt. Oder dass sie nur durch dasjenige bestimmt ist, worauf man künftig verzichten muss: seine Bewegungsfähigkeit, einen geliebten Ehepartner, oder was man sonst verloren haben mag.

            In dem Text, den ich vorgelesen habe, versucht Jesus seine Jünger zu beruhigen. Die Worte stammen aus dem, was man die "Abschiedsreden" nennt, in denen Jesus am Tage vor seiner Kreuzigung zu seinen Jüngern spricht. Und im Johannesevangelium spricht er als derjenige, der sich völlig im Klaren ist, was geschehen wird. Nicht nur, dass er gekreuzigt werden wird - das ahnt er auch in den anderen Evangelien - sondern, und das ist das Entscheidende: dass er auferstehen wird. Er spricht sozusagen als derjenige, der bereits auferstanden ist. Leiden und Tod, das ist etwas, durch das er hindurchmuss, aber er ist sich völlig im Klaren, dass es vorübergehen wird - drei Tage wird es dauern, um genau zu sein. Deshalb erhält das Leiden Jesu im Johannesevangelium auch einen anderen Charakter, ja man kann tatsächlich diskutieren, wie sehr er letzten Endes leidet. Er spricht auch in gewisser Weise wie der, der bereits auferstanden ist, oder doch mit der Autorität des Auferstandenen.

            So versucht er, sie mit den Worten zu beruhigen: "Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen, und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen." Aber sie hören es nicht. Oder sie verstehen es nicht. Eine kleine Weile? Was meint er eigentlich? Aber die Worte verwirren sie nur noch mehr. Und wenn es die Worte an sich bewirken könnten, wäre es dann nötig, das alles durchzumachen, was er durchmachen musste?

Aber man beachte, was hier geschieht. Jesus nennt ihre Verwirrung und Unruhe Trauer.

            Dass etwas Trauer genannt wird, kann an sich schon erlösend sein. Trauer handelt doch von etwas, was man verloren hat. Von einem Menschen, den man geliebt hat und der nun nicht mehr ist. Jemand hat einmal gesagt: Trauer ist der Widerstand des Herzens gegen das Unwiderrufliche, und zugleich die Erkenntnis des Verlustes als unwiderruflich. Das ist gut gesagt, denn Trauer ist ja gerade dies, dass man sich zu dem Unwiderruflichen verhält.

            Wie aber kann das erlösend sein? Ja, es ist möglich, eben weil es sich zu den Unwiderruflichen verhält. Bei einem Todesfall ist es sehr konkret. Der Tod ist unwiderrruflich, das ist nahezu ein Teil der Definition des Todes. Aber Trauer kann von vielen anderen Dingen gesagt werden, und ein gutes Beispiel findet man in dem Verhältnis zwischen Kindern und ihren Eltern. Eine verlorene Kindheit z.B. Im Verhältnis zu einem Vater oder zu einer Mutter, die versagt haben und nicht die Eltern gewesen sind, die sie hätten sein sollen. Dass man nicht die Liebe oder die Aufmerksamkeit bekommen hat, die man eigentlich mit Recht hätte erwarten können, ja dass man es vielleicht in entscheidenden Situationen als Versagen erlebt hat. Oder man hat empfunden, dass man in den Augen seines eigenen Vaters nie gut genug gewesen ist, dass man sich nie seine Anerkennung und Liebe verdienen kann, und man sich desto mehr danach gesehnt hat, und alles Erdenkliche tut, um sie zu erlangen. Es kann sich als eine ewige Unzufriedenheit mit sich selbst und den eigenen Leistungen fortpflanzen, als Rastlosigkeit und beständiges Verlangen nach Bestätigung. Zu diesem Thema gibt es zahllose Variationen.

            Meine Erfahrung ist, dass es erlösend sein kann, wenn man das Trauer nennen darf. Warum? Ja, eben deshalb, weil es einem erlaubt ist, was geschehen ist - oder nicht geschehen ist - als unwiderruflich zu betrachten. Als etwas, was verloren ist und was nicht wieder kommt. Manche Verzweiflung rührt doch daher, dass man fortgesetzt nach dem strebt, was man nicht bekommen hat, was nicht zu dem wurde, was es werden sollte. Dass man immer wieder enttäuscht wird. Es mag vielleicht schwierig sein, weil der Vater oder die Mutter, um die es geht, noch am Leben est, und man u.a. deshalb nicht sehen kann, dass das, was geschehen ist, unabwendbar und nicht wieder gut zu machen ist. Dass man anfangen kann, darüber Trauer zu empfinden, bedeutet nicht, dass man dann damit fertig wäre. Denn man wehrt sich fortgesetzt gegen das Unwiderrufliche, aber man erkennt auch, dass es unwiderruflich ist. Dass eine Tür hinter einem geschlossen ist. Und das ist doch schon ein Fortschritt.

            Trauer kann also erlösend sein. Was war es denn, was die Jünger verloren? Ja, sie verloren in gewissem Sinne Jesus. Und dennoch war es nicht er, den sie verloren. Denn seine eigentliche Mission war zu leiden, zu sterben und aufzuerstehen, und den Jesus hatten sie noch zugute. Nein, was sie verloren, war ihr Bild von ihm als dem Erlöser, die Sehnsüchte und Träume, die sie gehabt haben mögen, dass er natürlich nicht leiden und sterben sollte, sondern auf eine andere Weise seine göttliche Macht durchsetzen würde, so dass alles besser würde. Sie hatten wohl auch davon geträumt, dass ihre Treue und ihr Mut in gewissem Maße glorreicher sein würden, als es dann tatsächlich der Fall war. Sie verloren also auch Selbstachtung, und ihr Selbstbild nahm Schaden, denn ließen sie ihn nicht einer nach dem Anderen im Stich?

            Die Verkündigung der Auferstehung ist vielleicht gar nicht die Verkündigung eines "Das geht vorüber". Dass es sicherlich gut enden wird. Und all das Andere, worüber selbst Jesus vor tauben Ohren sprechen muss. Vielleicht ist es gar nicht auf die Zukunft gerichtet, sondern rückwärts, auf das, was gewesen ist, auf das, was nicht zu dem wurde, was es hätte werden sollen. Dann ist die Auferstehung eine Verkündigung dessen, dass man Türen zumachen kann. Dass man das Alte verlassen kann. Dass man sein eigenes Selbstbild aufgeben kann, einschließlich des Versagens und der Feigheit. Dass man ihm als unabwendbar in die Augen sehen kann, als etwas, das nie wieder kommt.

            Es tut vielleicht fortgesetzt hin und wieder weh. Unser Herz wehrt sich fortgesetzt gegen das Unabwendbare, wir wollen gern am Alten festhalten, es wieder haben. Aber wir müssen uns von ihm verabschieden, von all dem, was nicht zu dem geworden ist, was wir erhofft haben.

            Jesus verwendet das Bild von einer gebärenden Frau, und man kann das Bild leicht missverstehen, weil es heute etwas völlig Anderes ist, ein Kind zur Welt zu bringen, als zu der Zeit, als Jesus das Bild gebrauchte. Heute sind die meisten Kinder Wunschkinder. Damals kamen sie einfach. Heute ist eine Geburt, wenn auch nicht ungefährlich, so doch ein schmerzhafter Prozess, der in den weitaus meisten Fällen gut ausgeht und die Erfahrung vermittelt, dass die Wehen und Schmerzen nur "Arbeit" sind (ein Ausdruck, von dem alle Hebammen sehr viel halten), also ein notwendiger Übergang zu dem fertigen Ergebnis, einem herrlichen Kind. Damals aber ging es um Leben oder Tod. Damals war das Egebnis ganz und gar nicht von vornherein gegeben - es konnte ebenso gut mit dem Tod der Mutter enden. Das Bild von der gebärenden Mutter ist also ein Bild dafür, dass das, was Tod hätte bedeuten können, zu Leben geworden ist. Das ist das eigentliche Wunder. Ein Wunder ist nicht notwendig das Übernatürliche, sondern das Wunder besteht darin, dass man fehlging. Dass es nicht so geschah, wie man fürchtete. Dass die Tatsache, dass man Türen hinter sich zumachen, sein Selbstverständnis, seine Lieben, seine Träume aufgeben konnte, nicht Tod bedeutet.

            Darum können wir die Tur zu dem, was gewesen ist, schließen. Weil es eben nicht bedeutet, dass man die Finsternis noch dichter und unwegsamer macht, sondern im Gegenteil dass man den Weg bahnt für das, was kommt und dem widerspricht.  Was Leben bringt anstatt Tod. Licht, wo zuvor Finsternis geherrscht hat. Neues Leben, wo zuvor Unfruchtbarkeit war. Es wird als Erfahrung kommen, nicht nur als Worte und Versprechen, genauso wie die Jünger es erleben sollten, als der Auferstandene mitten unter ihnen stand mit den blutenden Wunden und sagte: Friede sei mit euch. Genauso konkret, wie wenn wir am Altar das Brot empfangen und es essen und den Wein und ihn trinken. Amen.



Pastor Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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