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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 10.05.2009

Predigt zu Matthäus 11:25-30, verfasst von Wilhelm v. der Recke

 Bild des segnenden Christus - hier klicken!

I.         Der segnende Christus von Thorvaldsen - aus weißem Marmor und überlebensgroß steht er hinter dem Altar der Domkirche von Kopenhagen.[1] Mit ausgebreiteten Armen lädt er die Mühseligen und Beladenen ein. Wie ein griechischer Gott, mit langem Gewand und dem typischen Jesusbart - sehr schön und sehr ausdruckslos. So haben sich unsere Großeltern den Heiland vorgestellt. Uns dagegen berührt die Figur kaum noch, sie hat uns nichts zu sagen, ja sie stößt uns eher ab.

Kein Zweifel: die Mühseligen und Beladenen sind die Ehrengäste im Reiche Gottes. Doch an was für Menschen denkt Jesus? Für unsere Ohren klingen diese Bezeichnungen eher mitleidig, ja geringschätzig: All diese unglückseligen Leute, die in unserer Gesellschaft nicht mitkommen und für die wir Christen deshalb zuständig sein sollen. Solche Worte unterstützen das Vorurteil, als sei die Kirche der Lazarettwagen am Ende des Zuges, der all die Fußlahmen und Gescheiterten unserer Zeit einsammelt, während ganz andere Leute vorne in der Lokomotive für Fahrt sorgen und die Richtung bestimmen.

Die Redewendung von den Mühseligen und Beladenen löst gemischte Gefühle aus. Ähnlich geht es vielen mit der Rede von den Unmündigen, denen es offenbart sei, während es den Weisen und Klugen verborgen bliebe. Das klingt leicht so, als sei das Evangelium eine Sache für Hinterwäldler und Geistig-Zurückgebliebene und nicht für mündige und selbstdenkende Menschen. Das klingt so, als ob man in Glaubensdingen besser auf der Stufe von Grundschulkindern stehen bleibe; als ob man sich alle gedankliche Arbeit und Auseinandersetzung besser ersparen solle, weil sie einen doch nur auf falsche Wege brächte.

Die Worte Jesu sind durch langen Gebrauch und auch Missbrauch so undeutlich geworden wie eine abgegriffene Münze, auf der man weder Zahl noch Adler klar erkennen kann: Die Klugen und Starken verstehen sie so, als ob diese Worte nur für Dumme und Schwache bestimmt seien. Und die Denkfaulen und Schwächlinge so, als ob sie bei Jesus alles zum Nulltarif bekämen.

II.        Was aber sagt Jesus tatsächlich? - „Ich preise dich, Vater, ... weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart." - Es geht schon um Weisheit, um die entscheidende Weisheit für ein gelingendes Leben. Aber diese Weisheit ist den Weisen verschlossen. Wir Weltklugen sind dafür verbildet. Denn bei dieser Weisheit handelt es sich nicht um eine kindlich-primitive Vorstufe, sondern um eine ganz andersartige Weisheit. Eine Weisheit des Herzens für Menschen, die verstanden haben, dass sich die Welt nicht um sie dreht. Menschen, die wissen, wo oben und wo unten ist; wer Gott und wer der Mensch ist; wo der Mensch seinen Platz hat und worin seine einzige Chance im Leben und Sterben besteht.

Diese Weisheit allein führt zur Gotteserkenntnis und damit auch zur Selbsterkenntnis. Sie wird geschenkt, keiner kann sie von sich aus erreichen. Man muss sie sich schenken lassen. Im Grunde läuft sie auf das Erste Gebot hinaus: „Du sollst keine andere Götter haben neben dem einen. Du sollst Dich nicht selbst auf den Platz Gottes setzen. Du sollst Dir kein Wunschbild von Gott zurechtlegen." Denn das Wesentliche über Gott erfahren wir durch Jesus Christus. Daran denkt Martin Luther, wenn er die Weisen und Klugen so beschreibt: „Alles, was Gott tut, das müssen sie verbessern, so dass kein ärmerer, geringerer, verächtlicher Schüler auf Erden ist als Gott ... Jedermann will sein Schulmeister sein."

Wer will schon zugeben, dass er zu diesen Besserwissern gehört. Doch vieles, was wir tun und denken, läuft darauf hinaus: Etwa wenn wir meinen, wir wüssten schon ganz gut von uns alleine, was gut und erstrebenswert ist. Gott brauche es nur noch abzusegnen, er brauche nur sein Ja und Amen dazugeben. (Häufig finden wir in der Bibel dann den passenden Vers dazu, der uns bestätigt.) Gott als Erfüllungshelfer? Nein, da ist wohl die Reihenfolge, die Rangordnung vertauscht. Dein Wille geschehe heißt die wohl schwerste Bitte des Vaterunsers.

Trotzdem muss festgehalten werden, dass Klugheit und Weisheit nicht an sich schädlich sind. Ja, sie neigen dazu, sich selbst zu überschätzen. Doch deshalb sind diese Gaben nicht schlecht. Sie sind Gottesgeschenke, die allerdings sachgemäß eingesetzt werden wollen. Sie sollen in den Dienst Gottes gestellt werden.

Es ist schlimm, wenn denkende Menschen ihren Verstand abschalten, sobald es um Bibel und Glauben geht. Von ihnen wird eher mehr erwartet als von anderen. Zum Beispiel, dass sie alle Fragen und Zweifel in Sachen Glauben durchbuchstabieren. Man kann unser kritisch prüfendes, von den Naturwissenschaften geprägtes Weltbild nicht einfach überspringen. Sonst würde man schizophren. Das auszuhalten kostet viel Geduld und Mühe. Aber vielleicht wird man am Ende zu der befreienden Erkenntnis kommen, dass sich Glaube und Vernunft nicht widersprechen, sondern dass sie von unterschiedlichen Dimensionen unserer Wirklichkeit reden.

Im Grunde geht es gar nicht um Klugheit oder Dummheit. Es geht vielmehr darum, ob wir bereit sind, Gott auch wirklich Gott sein zu lassen. Selbst dort, wo er sich ganz ungöttlich, ganz unstandesgemäß verhält - wie wir meinen - und sich in einem einfach galiläischen Prediger zu erkennen gibt, in seinen Worten und Taten, in seinem Leben und Sterben. So wie es Jesus zu Petrus sagt, als dieser ihn als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes bekennt. „Selig bist du, denn Fleisch oder Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel." (Matth.16,16f)

III.      Das sagt Jesus von den Klugen und Weisen. Aber wen meint er, wenn er von den Mühseligen und Beladenen spricht? Sind es dieselben, die wir so gerne mit diesen Worten bezeichnen, oft ein bisschen mitleidig und von oben herab? - „Hierher! Zu mir Geknechtete: eingespannt in das Joch und erschöpft von der Last! Ich will euch ausruhen lassen." [2] Aber Jesus fährt nicht fort: „Ich nehme euch eure Last ab. Nun könnt ihr auf Kosten der christlichen Wohlfahrt sorglos durchs Leben schlendern." Vielmehr sagt er: „Euer Joch nehme ich euch ab. Nehmt dafür  mein  Joch auf euch und lernt von mir, es zu tragen."

Das schwere, unerträgliche Joch wird ausgetauscht gegen ein leichteres - aber eben ein Joch! Eine beklemmende Vorstellung. Von dem Joch auf den Schultern niedergedrückt mussten früher die Mägde ihre schweren Milchkannen tragen. Ochsen wurden paarweise durch ein Joch verbunden und so gelenkt. Das Bild vom Joch lässt sich schwer mit unseren Idealen verbinden, schon gar nicht mit der Selbstbestimmung. Dabei dachte Jesus gar nicht an all die unerträglichen Lasten, die uns das Leben aufbürdet. Die Rabbinen sprachen zu seiner Zeit schon von dem Joch der Tora. Er aber meint mit Joch den religiösen und moralischen Perfektionismus, dem sich die Pharisäer verschrieben und den sie auch anderen vorschreiben wollten. Der war gar nicht zu leisten - ganz abgesehen davon, dass er in die Irre führte.

Nun, das ist nicht unser Problem, jedenfalls nicht für die meisten von uns. Wir wollen nicht perfekt vor Gott dastehen. Wir wollen uns nicht vor Gott rechtfertigen. Wir leiden nicht - wie der junge Luther - unter der Zwangsvorstellung, seinen Erwartungen nicht Genüge leisten zu können. Wenn schon, dann wollen wir vor uns selbst perfekt dastehen; wollen wir uns vor den anderen rechtfertigen können; wollen wir dem Genüge leisten, was der Zeitgeist von uns erwartet. Nicht unbedingt als gut wollen wir vor den anderen dastehen, sondern als solche, die cool ihr Leben meistern, die glücklich sind. Es gibt heute so etwas wie die moralische Pflicht, glücklich zu sein. Man kann auch sagen: den Zwang, glücklich zu sein.

Aus dem Traum vom großen Glück ist ein ungeschriebenes Gesetz geworden, das uns zutiefst durchdringt: „Möglichst viel aus dem Leben herausholen! - So glücklich sein wie die anderen, ja noch glücklicher!" Es gibt einen Wettbewerb um's Glücklichsein, und wir machen dabei mit! Wir brauchen uns nur im eigenen Alltag umzuschauen, um das zu erkennen: Wovon träumen wir? Was lesen wir nicht alles und sehen uns im Fernsehen mit begehrlichen Augen an? Wie viel tun und kaufen wir für unsere irdische Seligkeit?

Der Zwang, glücklich sein zu müssen, macht die meisten Menschen unglücklich. Dieser Zwang ist wie ein Joch, das uns - ungeachtet unserer gesellschaftlichen Stellung - zu Mühseligen und Beladenen macht, die sich nach Ausspannung sehnen. „Kommt zu mir, sagt Jesus, tauscht dieses selbstverordnete Joch ein gegen das leichtere von mir. Ich zeige euch, wie man es unbeschwert tragen kann."

Und dann charakterisiert Jesus seine eigene Lebensart mit den unzeitgemäßen Worten: „Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig." Das klingt nicht gerade einladend. Mit demütig ist der Gegensatz zu hochmütig, überheblich gemeint: Dass man seinen Platz im Leben kennt und ihn einnimmt. Mehr Sein als Scheinen heißt es in der sprichwörtlichen Redewendung.

Demut ist eine grundsätzliche Lebenshaltung. Sanftmut ist das Verhalten, das daraus folgt. Sanftmut hat mit dem zu tun, was man heute Respekt anderen gegenüber nennt, aber auch mit Höflichkeit, vor allem mit Freundlichkeit. Doch es geht um mehr als um Umgangsformen. Sanftmut speist sich aus tieferen Quellen. Sie kommt aus dem Herzen, sagt Jesus, sie ist Ausdruck tiefer Dankbarkeit: „Ich bin so wie ich bin von Gott akzeptiert. Deshalb kann ich auch andere Menschen so nehmen wie sie sind - mit Geduld, mit Verständnis, ja mit Liebe." Dass dafür manchmal auch Deutlichkeit und Härte nötig sind, kann man ebenfalls von Jesus lernen.

„Lernt von mir, sagt Jesus, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele" - jetzt schon, in diesem Leben. Er lebt es vor: er trägt seine Last. Und das heißt nichts anderes, als dass er unsere Last trägt. Er ist unser Lehrer und zeigt uns, wie auch wir unsere Lasten tragen können. - Das lässt die schöne Christusfigur von Thorvaldsen nicht vermuten. Ganz so harmonisch und unverbindlich geht es beim wirklichen Glauben nicht zu. Das alte Kirchenlied trifft es da besser: „Der Gott, der Lasten auf uns legt, doch uns mit unsern Lasten trägt."[3]

                                                                                            



[1] Aus Wikipedia: Bertil Thorvaldsen, Werke

[2] Übersetzung nach Walter Jens

[3] EG 281, 3



Pfarrer Wilhelm v. der Recke
Cuxhaven
E-Mail: Wilhelm.v.der.Recke@t-online.de

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