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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 10.05.2009

Predigt zu Matthäus 11:25-30, verfasst von Martin Schewe

 

[Vorbemerkung: Es empfiehlt sich, die beiden Texte, die in der Predigt vorkommen, Joseph von Eichendorffs Gedicht „Die zwei Gesellen" und Matthäus 11,25-30 (hier in der Luther-Übersetzung) abzudrucken und der Gemeinde in die Hand zu geben.]

„Es zogen zwei rüstge Gesellen / Zum erstenmal von Haus, / So jubelnd recht in die
hellen, / Klingenden, singenden Wellen / Des vollen Frühlings hinaus. // Die strebten
nach hohen Dingen, / Die wollten, trotz Lust und Schmerz, / Was Rechts in der Welt
vollbringen, / Und wem sie vorüber gingen, / Dem lachten Sinnen und Herz."

Das passt, liebe Gemeinde - zur Jahreszeit und besonders zu euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Das Gedicht, von dem ich den Anfang vorgelesen habe, ist zwar schon fast zweihundert Jahre alt. Aber ihr versteht es, glaube ich, immer noch ganz gut. Frühling, junge Leute, Aufbruchstimmung. Abenteuergeschichten fangen so an.

Die beiden im Gedicht haben sich viel vorgenommen. Was, erfahren wir nicht genau. Genau wissen sie es wahrscheinlich selber noch nicht. Es kommt auch nicht darauf an. Hauptsache, unabhängig sein und etwas erleben, sich für eine Sache einsetzen, die sich lohnt, und sein Ziel aus eigener Kraft erreichen. Die beiden wollen erwachsen werden - nur ganz anders als die Erwachsenen, viel interessanter. Das kommt euch bekannt vor? Ich kann euch versichern: Die Erwachsenen wünschen sich auch, mit großen Erwartungen aufzubrechen. Vielleicht erlaubt ihr uns, heute mitzugehen - nicht damit wir Älteren uns einmischen und alles besser wissen, sondern damit wir gemeinsam herausfinden, wie wir richtig aufbrechen und wie die großen Erwartungen wahr werden.

Dazu begleiten wir erstens die abenteuerlustigen Gesellen weiter durch das Gedicht. Danach werden wir zweitens hören, wie die großen Erwartungen nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen werden. Und zum Schluss der Predigt machen wir uns drittens noch einmal auf den Weg, jetzt erst recht. Doch eins nach dem anderen. Zunächst also: wie die großen Erwartungen wahr werden.

1. Im Gedicht werden sie leider nicht wahr. Die Pläne der beiden jungen Männer gehen schief. So muss es natürlich nicht kommen. Bei euch Konfirmandinnen und Konfirmanden kommt es hoffentlich ganz anders. Trotzdem lohnt es sich weiterzulesen. Denn wenn ihr euch klar gemacht habt, woran die zwei Gesellen scheitern, könnt ihr es besser machen als sie.

„Der erste, der fand ein Liebchen, / Die Schwieger kauft' Hof und Haus; / Der wiegte gar bald ein Bübchen, / Und sah aus heimlichem Stübchen / Behaglich ins Feld hinaus. // Dem zweiten sangen und logen / Die tausend Stimmen im Grund, / Verlockend' Sirenen, und zogen / Ihn in der buhlenden Wogen / Farbig klingenden Schlund. // Und wie er auftaucht' vom Schlunde, / Da war er müde und alt, / Sein Schifflein das lag im Grunde, / So still wars rings in die Runde, / Und über die Wasser wehts kalt."

Die beiden haben sich viel vorgenommen, der zweite zu viel. Immer noch erfahren wir nicht genau, was; auch nicht im Einzelnen, warum es schief geht - was die „tausend Stimmen im Grund" versprechen und nicht halten. Nur, dass dieser Lebensentwurf faszinierend sein muss. Dafür riskiert der zweite Geselle alles - und erleidet Schiffbruch. Am Anfang des Gedichts jung und tatendurstig, am Ende „müde und alt". Am Anfang Frühling; am Ende: „Über die Wasser wehts kalt."

Dass auch der andere scheitert, ist nicht sofort zu erkennen. Immerhin bringt er es zu Frau und Kind und dank einer reichen Schwiegermutter zu Hof und Haus. Eine gutbürgerliche Existenz. Zu gutbürgerlich, deutet das Gedicht an. Während sich der zweite Geselle zu viel vornimmt, gibt sich der erste mit zu wenig zufrieden. Der eine wird nie erwachsen, nur „müde und alt". Der andere wird viel zu schnell erwachsen, und zwar genauso, wie er es eigentlich nicht wollte: Wir müssen uns seine beschauliche Lebensweise ein bisschen langweilig vorstellen.

Gedichte sind nicht dazu da, dass man etwas aus ihnen lernt. Es genügt, dass sie schön sind. Oder spannend. Oder rätselhaft. Aber wenn sie das sind: schön, spannend und rätselhaft wie das Gedicht von Joseph von Eichendorff, dann lässt es sich kaum vermeiden, dass wir außerdem etwas lernen. In unserem Fall: dass die großen Erwartungen vielleicht wahr werden, wenn wir Träumer und Realisten zugleich sind - abenteuerlustig, aber nicht tollkühn; vernünftig, aber nicht altklug.

Die beiden Gesellen aus dem Gedicht sind jeder nur das eine: Träumer oder Realist. Das macht den einen Gesellen zum Spinner, den anderen zum Spießbürger. Beides wünsche ich euch nicht, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Mir selber auch nicht. Wenn ich mich allerdings entscheiden müsste zwischen Spießer und Spinner, dann würde ich mich hoffentlich für den Spinner entscheiden. Wenn er scheitert, dann wenigstens für eine Sache, die sich lohnt. Auch die Sympathien des Dichters gehören offensichtlich dem zweiten Gesellen, dem Schiffbrüchigen. Halten wir deshalb, als Zwischenergebnis, einen Rat fest, der für euch Jugendliche genauso wie für uns Erwachsene gilt; nämlich: Wir sollen unsere Ziele nicht zu bescheiden wählen.

2. Damit sind wir beim zweiten Teil: wie eure großen Erwartungen nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen werden. Dazu lese ich euch einen zweiten Text vor, diesmal aus der Bibel, dem Matthäusevangelium.

„Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht."

Wollten wir nicht eigentlich erwachsen werden, aber richtig? Unabhängig sein und etwas erreichen? Keine Spinner, aber auch nicht zu bescheiden? Jesus scheint von ganz anderen Leuten zu sprechen. „Unmündige" nennt er sie, „mühselig und beladen". Diese Leute ruft Jesus zu sich; auf den ersten Blick also gerade solche, zu denen wir nicht gehören möchten. Blicken wir lieber noch einmal hin, diesmal genauer. Dann merken wir: Auch wir dürfen uns angesprochen fühlen, und das ist keine Kleinigkeit. Denn das Erste, was Jesus uns dann zu sagen hat, ist, wie wir Gott finden.

Wir finden ihn gar nicht, lautet die Antwort, die Jesus uns auf diese Frage gibt. Gott findet uns. Er hat uns schon gefunden. In Jesus Christus ist er selber da, der Herr des Himmels und der Erde. Nicht weil wir ihn gerufen haben, nicht weil wir so gute Menschen sind - oder auch nicht so gute, die Gott besonders nötig hätten -, nicht weil er muss, kommt Gott zu uns, sondern weil er will; nicht in unseren frommen Gedanken und Gefühlen, sondern in einem Menschen - diesem einen Menschen, der von sich sagt: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will."

Von allein wären wir darauf nicht gekommen, auch nicht die Klügsten und Erwachsensten unter uns. Der Gott, der ein Mensch geworden ist, macht uns alle, Junge und Alte, zu unmündigen Kindern. Diesmal können wir froh darüber sein. Denn was ist das für ein Gott, der uns findet und zu seinen Kindern macht? Das ist das Zweite, was wir von Jesus erfahren: wie viel wir von ihm erwarten können. Darauf wären wir wieder nicht gekommen.

Der Herr des Himmels und der Erde ist „sanftmütig und von Herzen demütig", hören wir. Der Herr - dabei bleibt es. Doch das Joch, das er uns auflegt, drückt nicht. Es macht uns nicht zu Ochsen. Die Last, die er uns tragen lässt, ist leicht. Also überhaupt keine Last. Im Gegenteil: Die Last nimmt er auf sich. Verkehrte Welt: Nicht wir dienen Gott - der menschgewordene Gott dient uns. Er stirbt, damit wir anderen Menschen mit ihm leben.

Die Mühseligen und Beladenen ruft Jesus zu sich. Das liegt immer schon hinter uns. Weil er uns ruft, sind wir eben nicht mehr mühselig und beladen. Wir können leichten Herzens aufbrechen. Bei Jesus Christus sind wir am Ziel, bevor wir auch nur einen Schritt vor die Tür gesetzt haben.

3. Ich bin euch noch die letzte Strophe des Gedichts von Joseph von Eichendorff schuldig, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Sie lautet: „Es singen und klingen die Wellen / Des Frühlings wohl über mir; / Und seh ich so kecke Gesellen, / Die Tränen im Auge mir schwellen - / Ach Gott, führ uns liebreich zu Dir!"

Im Frühling haben wir begonnen. Im Frühling spielt auch die letzte Strophe. Nur dass dem Dichter unterdessen die Abenteuerlust vergangen ist. Am Anfang hieß es von seinen beiden Helden: „Und wem sie vorüber gingen, / Dem lachten Sinnen und Herz." Jetzt: „Und seh ich so kecke Gesellen, / Die Tränen im Auge mir schwellen." Damit sind nicht etwa Freudentränen gemeint. Der Dichter hat schließlich miterlebt, was aus den großen Erwartungen werden kann. Ich sage nur: Spießer oder Spinner. Wie können wir den traurigen Dichter trösten? Wie ihm neuen Mut machen? Wie uns selbst neuen Mut machen, wenn wir feststellen müssen, wir sind in eine Sackgasse gelaufen und wissen nicht mehr weiter? Spießer oder Spinner, so muss es zum Glück nicht kommen. So muss es selbst in der Sackgasse nicht bleiben.

Wer etwas riskiert, macht Fehler. Auch ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden werdet Fehler machen. Nichts zu riskieren, wäre jedoch erst recht ein Fehler. Wer zu Hause sitzen bleibt, verpasst etwas. Denkt an die beiden Gesellen aus dem Gedicht und an den Rat: Wir sollen unsere Ziele nicht zu bescheiden wählen. Wenn ihr Jugendlichen euch daran haltet und wenn wir Erwachsenen uns daran halten: Träumer und Realisten zugleich; ein bisschen von beiden Gesellen, aber vom zweiten bitte ein bisschen mehr, vom Spinner und Schiffbrüchigen -, wenn wir das schaffen, dann schaffen wir es sogar in der Krise weiterzukommen; vielleicht gerade dann. Auch aus einer Krise können wir lernen. Denn wir dürfen immer neu aufbrechen und sind dabei nicht allein. Ihr Jugendlichen werdet von euren Eltern und Familien, Freundinnen und Freunden begleitet und unterstützt. Wir Älteren haben hoffentlich auch jemanden, der zu uns hält. Um so jemanden zu finden, sind wir ja seinerzeit aufgebrochen.

Übertroffen sind unsere großen Erwartungen immer schon: durch den Gott, der Mensch geworden ist; den wir nicht finden, der vielmehr uns findet und längst gefunden hat; dem wir so sehr am Herzen liegen, dass er für uns stirbt und aufersteht. Fühlen wir uns also angesprochen, wenn er ruft: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken."

Machen wir uns auf den Weg. Jetzt erst recht.



Pfarrer Dr. Martin Schewe
Evangelisch Stiftisches Gymnasium Gütersloh
E-Mail: marschewe@yahoo.de

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