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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 21.05.2009

Predigt zu Lukas 24:50-53, verfasst von Rudolf Rengstorf

Liebe Gemeinde!

Was ist das eigentlich für ein Leben, das Christen nach Ostern zugemutet wird?  Gewiss, der Karfreitag, der Tod ist nicht  das Letzte, was sie von Jesus zu sagen haben.  Auf vielfache Weise werden wir bis heute Zeugen davon, dass  er nicht im Tode geblieben ist, dass er lebendig wird in seinem Worten, seinen Geschichten, dem Abendmahl und nicht zuletzt in der Begegnung mit hilfsbedürtigen Mitmenschen, die uns herausfordern,  ihm nachzufolgen. Auf der anderen Seite aber ist er nicht mehr da, begegnet uns nicht mehr als einmaliger und unverwechselbarer Mensch. Er hat keine Stimme, keine Gestalt, an der wir ihn  zweifelsfrei erkennen könnten. Wie kann  dieser Zustand, der seit Ostern auf Dauer gestellt ist, beschreiben? Das ist die Frage, auf die die geschichte von der Himmelfahrt Jesu eine Antwort geben will.

"Jesus führte seine Jünger hinaus", so beginnt sie. Denn Himmelfahrt ist zunächst nichts anderes als ein Abschied. Und Abschied bringt in Bewegung - nicht nur den, der geht. In Bewegung kommen auch die Zurückbleibenden. So bringt man den Besucher,der mal eben kurz reingeschaut hat, zumindest noch bis an die Haustür.

Und wer mehrere Tage zu Besuch gewesen ist, wird natürlich an die Bahn oder bis ans Auto gebracht und abgewunken. Damit zeigen wir dem Abreisenden: Scheiden tut weh - es berührt mich, dass die gemeinsame Zeit zu Ende ist. Und wenn ich gleich ins Haus zurück komme, wird es eigentümlich leer sein, weil du da nicht mehr bist, und die Stille nach den intensiven Tagen miteinander - mit all dem Erzählen, Lachen und den Unternehmungen - an diese Stille muss ich mich erst wieder gewöhnen.

Der Abschied von Jesus war noch ungleich schmerzlicher: Seine Leute mussten sich trennen von einem Mann, der sie erst zu dem gemacht hatte, was sie jetzt waren: Jüngerinnen und Jünger, also Menschen, die davon lebten, dass sie einen Älteren, Erfahreren vor sich hatten, einen Meister oder Lehrer, wie sie ihn nannten. Von den Lebensjahren her waren die meisten von ihnen älter als er - in jedem Fall alles Leute, die schon ihren Mann und ihre Frau gestanden hatten, bevor sie ihm begegnet waren. Wenn auch in nicht gerade angesehenen, bisweilen sogar sehr zweifelhaften Berufen. Jedenfalls so geprägt vom Leben, dass keiner ih-

nen mehr etwas vormachen konnte, wenn es darum ging, sich durchzuschlagen - egal ob man dabei als Zöllner den Buckel krumm machen musste vor den Römern oder ob man als Partisan im Kampf gegen sie ständig auf der Hut sein musste, um nicht von ihnen entdeckt oder gar von den eigenen Leuten verraten zu werden; ob man sich als Fischer oder als Dirne die Nächte um die Ohren schlagen musste, um über die Runden zu kommen.

Doch dann waren sie Jesus begegnet, der auf eine ganz andere Weise das Leben meisterte: der nichts hatte und sich dennoch mehr am Leben freute als die, die aus dem Vollen schöpfen - einer, dem Leben als Kampf offenbar völlig unbekannt war und der deshalb auch keine Angst hatte, der frei war von Hass und Verbitterung und in dessen Nähe das von einem abfiel, was einen anderen Menschen gegenüber bisher hart und unzugänglich gemacht hatte, bei dem einem das Herz aufging und ebenso die Taschen. Und der vor allem die Fähigkeit hatte, die Kleinen und Unscheinbaren, die Zukurzgekommenen und vom Schicksal Geschlagenen, die armen Teufel und die Verrückten aus ihren Ecken heraus zu holen, ihnen ihren Glauben

und ihr Selbstwertgefühl zurück zu geben, sodass sie heilwerden konnten.

Und mit diesen unglaublichen Fähigkeiten grenzte er sich nicht von anderen ab, ließ sich nicht zum Idol oder gar zum Halbgott machen. Im Gegenteil: Möglichst viel abgeben wollte er davon, andere anstiften, es ihm nachzutun. Deshalb hatte er sie in seine Nähe geholt, zu Jüngerinnen und Jüngern gemacht, damit auch sie lebten, als stehe der Himmel offen  und als sei Gott ihnen so nahe wie Vater und Mutter ihren Kindern nahe sind. Und wenn Jesus dabei war, dann ging das auch, da war die Sache mit Gott berhaupt kein Problem, alles ordnete sich nach seinem heilsamen Willen. Und was die Menschen böse machte und ängstlich, hatte bei ihm ausgespielt. Doch wehe, wenn er nicht dabei war, dann kriegten sie nichts mehr auf die Reihe.

Doch nun führt Jesus sie heraus, heraus aus der Zeit, in der sie Jüngerinnen und Jünger waren, heraus aus der Zeit, in der sie hinter ihm zurücktreten, sich von ihm helfen und korrigieren lassen konnten, führte sie hinein in die Zeit, in der sie auf sich selbst gestellt waren, in der sie ihre Entscheidungen allein treffen mussten. Das tut weh - viel mehr weh als andere Abschiede. Ist höchstens mit dem Schmerz zu vergleichen, der uns mit dem endgültigen Abschied, also mit dem Tod eines Menschen zugemutet wird, bei dem wir zu Hause sind.

Und in der Tat schließt sich hier am Ende des Lukasevangeliums der Kreis, der am Anfang begonnen hatte mit dem: "Es begab sich aber". Genau diese Worte "Es begab sich" tauchen hier am Ende wieder auf. So wie es sich damals unter dem Kaiser Augustus begab, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde, in Zeit und Raum wie alle anderen Menschen auch. so begab es sich, dass er sich unter dem Kaiser Tiberius in Bethanien bei Jerusalem wieder von dieser Erde verabschiedete. Und damit ist auch das Leben des Christus eingeordnet in Zeit und Geschichte, und die, die nach ihm kommen, bleiben dem über sie hinweggehenden Fortlaufen der Zeit verwaist ausgesetzt. Entsprechend traurig, bedrückt, deprimiert zogen die Jünger nach Jerusalem zurück.

Bloß -  so steht das nicht da, sondern da kommt eine ganz überraschende Wende im Text:  Hören Sie noch einmal:

"Jesus führte seine Jünger hinaus bis nach Bethanien
und hob die Hände auf und segnete sie.
Und es geschah - wörtlich es begab sich - , als er sie segnete,
schied er von ihnen und fuhr auf gen    Himmel."

Der Segen, der den vom Leben verunsicherten Menschen gilt und wie hier verwaisten Erwachsenen, der  ihnen wie Kindern die Hand auflegt, sie über den Kopf gestreicht  und sagt: Es ist alles gut, du kannst ganz ruhig sein und bist gut aufgehoben. Dieser Segen wird im wahrsten Sinn des Wortes aufgehoben - dem Wechsel der Zeiten, den Zufällen des Lebens

entnommen, dem garstigen Graben der Geschichte und den Tiefen des Vergessens enthoben, aufgehoben in Ewigkeit. Durch Jesus ist dieser Segen an den Himmel geschrieben - und es gibt nun keinen Ort und keine Zeit mehr, wo du nicht unter dem Segen Gottes lebst. Gott ist nicht fertig mit uns, sondern hält seine Hand über uns. Eine Wahrheit, die über die einsam machende Wirklichkeit des Lebens hinausgeht so wie es schon in einem Psalm ausgedrückt ist: "Mein Vater und meine Mutter verlassen mich - das ist die Wirklichkeit dieser Welt - , aber der Herr nimmt mich auf." 

Das ist die Wahrheit, die mit diesem Fest zur Geltung kommen will. Und deshalb kehrten die Jünger nicht traurig nach Jerusalem zurück, sondern  - das ist das Ende dieser Geschichte -:

"sie  beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem
mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott."

In der Tat, hier schließt sich etwas - nicht der Kreis von Geburt und Tod - der wird aufgesprengt - sondern der Bogen Gottes, der die ganze Welt umfasst. Himmel und Erde und auch unser Leben darin einschließt:

Siehe ich verkündige euch großáe Freude - so sangen am Anfang nur die Engel - und hier ganz am Ende des Lukasevangeliums ist sie voll auf der Erde angekommen, die große Freude, bei sehr irdischen Menschen, die äußerlich gesehen nicht viel zu lachen hatten und dennoch Gott priesen, Großes redeten von ihm, weil sie sich unter seinem Segen wussten. Ein Segen - so groß, so umfassend, so haltbar, dass auch wir uns darunter stellen und mitsingen und preisen können. Amen.



Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf
Hildesheim
E-Mail: Rudolf.Rengstorf@online.de

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