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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 21.05.2009

Predigt zu Lukas 24:50-53, verfasst von Wolfgang Vögele

Der Predigttext für den Himmelfahrtstag steht in Lk 24,50-53:

„Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muß alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, so daß sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht's geschrieben, daß Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und daß gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem,und seid dafür Zeugen. Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.

Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott."

 

                   1.Himmelfahrt als Zeitungsnotiz

Liebe Gemeinde,

einer ganz nüchternen, schnörkellosen Berichtssprache bedient sich der Evangelist Lukas in dieser wunderbaren Himmelfahrtsgeschichte. So könnte auch ein unbeteiligter abgebrühter Journalist über das Geschehen berichtet und die Zeilen als Agenturmeldung über den Ticker gejagt haben. Die jubelnde Begeisterung des Glaubens fehlt. Und diese reportagehafte Nüchternheit steht in einem merkwürdigen Kontrast zu den Bildern von Himmelfahrt, die sich im kulturellen Gedächtnis Europas durch Jahrhunderte der Kunst- und Kirchengeschichte gespeichert haben.

Ich denke an die barocken Maler, die aus der Himmelfahrt Jesu ein glorioses kosmisches Ereignis gemacht haben. Ich denke an riesige Altartafeln, auf denen Jesus, die Hände zum Segnen erhoben, feierlich und elegant in die Wolken schwebt. Die Jünger bleiben überrascht und entsetzt am Boden, ihre Augen suchen nach dem, der sie gerade noch gesegnet hat. Manche haben ihn schon oben entdeckt, und ihnen steht vor Überraschung der Mund offen. Der Wolkenhimmel hat sich geöffnet, und aus dieser kreisrunden Öffnung blicken Heerscharen von Engeln auf den Christus, der ihnen ins himmlische Licht entgegen schwebt. Andere Engel haben sich zum himmlischen Orchester vereinigt: Einige schlagen die Harfe oder die Laute, andere streichen mit einem Bogen Geigen und Gamben. Bei der Himmelfahrt in der barocken Malerei gerät der gesamte Kosmos in Bewegung, Himmel und Erde kommen einander so nahe, daß der auferstandene Christus schwebend von dieser in jene Welt wechseln kann. Zur Bewegung kommt himmlische Musik. So wunderbar ist das auf diesen Bildern gestaltet, daß die Jünger und Begleiterinnen Jesu vor Überraschung und Erstaunen die Szene gar nicht erfassen können. Das bleibt dem Betrachter überlassen, der sich vor dem Altar meditativ in das Geschehen versenken kann.

Dem Evangelisten Lukas ist die Himmelfahrt nur eine kurze, nicht mehr als einen Satz lange Notiz wert, während die barocken Maler daraus eine kosmische überbordende Vision gemacht haben: Diese Vision verleiht der Herrschaft des Auferstandenen im Himmel und auf der Erde sinnlich und farblich größtmögliche Anschaulichkeit. In der Himmelfahrt berühren sich danach Himmel und Erde.

Ich nehme nun Abstand von der Vielfalt der Farben und den überbordenden Formen der Barockmaler und folge dem nüchternen Reporter Lukas, der aus der Himmelfahrt ohne große Worte eine Abschiedsszene macht.

                   2.Sag beim Abschied leise Servus

Wer Himmelfahrt verstehen will, muß verstehen, was es heißt, Abschied zu nehmen. Bei Lukas ist dieser Abschied theologisch aufgeladen. Ich rede trotzdem zunächst vom Abschied zwischen Menschen. Denken Sie an einen Bahnhof, stellen Sie sich vor, Sie warten auf Gleis Vier auf den Intercity nach Hannover und sehen ein knutschendes Liebespaar: Der junge Mann verabschiedet sich küssend und umarmend von seiner Liebsten, weil er unter der Woche in Hannover studiert. Man kann das kitschig finden, und oft ist es in Filmen auch so dargestellt worden. Jeder kennt seine eigenen Abschiedsszenen und die Gefühle, die sich damit verbinden. Abschiede sind uns allen vertraut - und sie sind uns angenehm oder unangenehm.

Der Abschied ist die letzte Begegnung für eine längere Zeit, also wird sie besonders innig gestaltet: das letzte Wort, die letzte Berührung, der letzte Gedanke. Auf die Umarmung folgt die Trennung. Der Mann besteigt den Zug, setzt sich an einen Fensterplatz und winkt von dort nochmals der Geliebten zu. Der Abschied ist ein schwieriger Moment: Die abzusehende Trennung geht manchmal in Tränen über, denn Abschied ist zunächst einmal Verlust. Aber dieser Verlust wird in der Erinnerung überbrückt. Die Verlassene und der Verlassende wissen beide, daß sie trotz Trennung miteinander in Kontakt bleiben können. Sie haben verabredet, daß der Mann eine SMS schreibt, wenn er an seinem Studienort angekommen ist. Sie werden telefonieren. Und was ihnen beiden am meisten Hoffnung gibt: Sie wissen genau, daß sie sich nach einer Woche wieder sehen werden. Abschied weckt auch die Hoffnung auf das Wiedersehen. Das ist nicht nur bei verliebten Paaren so, sondern auch bei Familien, die den Vater zum Bahnhof bringen, weil dessen Arbeitsstelle weiter entfernt liegt. Abschiede kann man nicht nur im Bahnhof beobachten, sondern auch auf der Straße am Bordsteinparkplatz oder auf dem Flughafen vor der Sicherheitskontrolle.

Abschiede bedeuten Verlust und Hoffnung zugleich. Der Verabschiedende verliert eine Person für einen bestimmten Zeitraum, und diese Trennung empfinden wir als schmerzlich, je tiefer, inniger und intensiver die Beziehung zu der Person sich gestaltet, die wir loslassen müssen. Der Verabschiedende gewinnt aber zugleich die Hoffnung auf das Wiedersehen. Der Verlust der Trennung zieht den verheißenen Gewinn der erneuten Begegnung nach sich.

Und auf diese Weise verabschiedet sich auch der auferstandene Jesus von den Jüngern. Da geht es um Anwesenheit und Abwesenheit, um Sehnsucht und Wiedersehen, um Verlust und Schmerz.

                   3.Abschied des Segens

Himmelfahrt ist ein Abschied, der in den Bereich des Glaubens übertragen worden ist. Jesus verabschiedet sich von den Jüngern. Und es wird einiges deutlich, wenn wir Auferstehung und Himmelfahrt vergleichen. Vor der Auferstehungsfreude der Jünger standen Furcht und Angst nach der Kreuzigung. Die Jünger waren nach Galiläa geflohen, weil sie die Sache Jesu aufgegeben hatten. Umso größer war ihre Überraschung, als sie von den Frauen die Botschaft hörten: Wir haben den Auferstandenen gesehen. Er ist uns erschienen. Da konnte sich die Todesangst nach der Kreuzigung langsam in Freude  über den besiegten Tod verwandeln.

Von der Himmelfahrt erzählt Lukas ganz anderes: Der auferstandene Jesus führt die Jünger nach Betanien. Dort will er sich von ihnen verabschieden. Dieser Abschied geschieht, in dem der Auferstandene die Jünger segnet. Und beim Segnen, so Lukas, wird der Auferstandene in den Himmel entrückt, er wechselt seinen Ort.

Segen und Furcht, dabei will ich für einen Moment verweilen.

Das Liebespaar am Bahnsteig verabschiedet sich durch Umarmung und Kuß, im kitschigen Fall durch Winken mit dem Taschentuch. Jesus verabschiedet sich von den Jüngern durch einen Segen. Vielleicht hat er ihnen die Hände aufgelegt und die Jünger so etwas von der Kraft der Auferstehung spüren lassen. Im Segen geht etwas vom Auferstandenen auf die bedürftigen Menschen über. In der aufgelegten Hand des Heilands spüren die ängstlichen Menschen etwas von der nie versiegenden Kraft Gottes. Wir sind darauf angewiesen, diese Vertrauen stiftende Kraft Gottes zu spüren. Sie stärkt unsere eigene Kraft, dem Leben in Glaube, Liebe und Hoffnung zu begegnen.

Das zweite Moment: Dieser Abschied Jesu löst bei den Jüngern keine Angst aus. Bei den Liebenden am Bahnsteig ist der Abschied immer von leisen Befürchtungen begleitet, die sich bis zum Verfolgungswahn oder zur Eifersucht steigern können. Davon ist bei Jesus und den Jüngern nicht die Rede. Ein Grund dafür mag die Geste des Segnens sein. Aber der zweite Grund liegt darin, daß der Auferstandene, der in den Himmel entrückt wird, gar nicht wirklich abwesend ist.

Das führt uns zu der nächsten Frage: In welchen Himmel schwebt der Auferstandene eigentlich?

                   4.Wo liegt der Himmel Gottes?

Viele Maler des Barock waren ja bekanntlich Meister darin, den Himmel ins Gewölbe oder an die Decke eines Schlosses oder einer Basilika zu malen, was eine malerische Kunst für sich ist, denn wer mit dem Kopf im Nacken die Decke betrachtet, wird mit perspektivischen Verzerrungen konfrontiert, die der Maler schon bei der Planung berücksichtigen muß. Wer das meisterhaft beherrschte, war zum Beispiel Giovanni Tiepolo, der die Decke über dem berühmten Treppenhaus der Würzburger Residenz in jahrelanger Arbeit gestaltete.

Erkennbar hat aber schon Lukas nicht den blauen Wolkenhimmel gemeint, den wir an schönen Frühsommertagen bei Spaziergängen und Fahrradausflügen genießen. Schon die in dieser Predigt häufiger strapazierten Barockmaler stellten den Himmel der Himmelfahrt meist so dar, daß sich der Wolkenhimmel öffnete und dahinter der Himmel Gottes sichtbar wurde. Zwischen beiden Himmeln besteht also ein Unterschied, der in der englischen Sprache durch die beiden Worte „sky" für Wolkenhimmel und „heaven" für Gottes Himmel markiert wird. Für Lukas, der die modernen Erkenntnisse von Astronomie und Kosmologie nicht besaß, war dieser Himmel Gottes ein bestimmter Ort, an den Jesus „verrückt" wurde. Das können wir heute so nicht mehr nachvollziehen, und deswegen finden wir die barocken Bilder zwar noch ästhetisch ansprechend, aber es fehlt ihnen für den „Himmel" der Wirklichkeitsgehalt. Was bedeutet dann Himmelfahrt?

Himmelfahrt nimmt die Erfahrung ernst, daß der Auferstandene zu Gott zurückkehrt. Er ist in besonderer Weise bei Gott. Er erscheint uns Menschen heute nicht mehr, wie das die Jünger damals offensichtlich erfahren haben.

Wie haben die Jünger nun darauf reagiert, daß Jesus sich von ihnen verabschiedete und in den Himmel aufgenommen wurde?

                   5. Himmelfahrt und das Vertrauen der Jünger

Es fällt doch sehr auf an der nüchternen Sprache des Lukas, daß er die Himmelfahrt nur mit einem Halbsatz bedenkt, dafür aber den Jüngern, die gesegnet verabschiedet werden, viel mehr Aufmerksamkeit zuwendet.

Die Jünger beten zu dem, der sie gesegnet hat.
Die Jünger kehren nach Jerusalem zurück.
Die Jünger halten sich oft im Tempel auf.
Und die Jünger preisen Gott.

Von Angst und Flucht und Panik nach der Kreuzigung ist nichts mehr zu spüren. Der zweite Abschied Jesu löst keinerlei Beunruhigung mehr aus. Nach der Kreuzigung waren alle Jünger von Jerusalem in Richtung Galiläa geflohen. Nun wird diese Flucht durch die Rückkehr nach Jerusalem zurückgenommen. Zum Segen und zum Abschied kommen bei den Jüngern Freude und Hoffnung, eine Gewißheit, die vor der Rückkehr in das nicht ungefährliche Jerusalem nicht zurückschreckt. Genau darin liegt das Tröstende dieser Himmelfahrtsgeschichte: Gelassen und voll Vertrauen kehren die Jünger nach Jerusalem zurück. Jenseits der Bilder und jenseits unserer Vorstellungen stellt sich Jesu Abschied als ein Vertrauen erweckendes Ereignis dar. Nicht der Schmerz der Verlassenheit und der Trennung steht im Vordergrund, sondern eine fröhliche Gewißheit, die um Jesu Nähe weiß. Und da macht es keinen Unterschied, ob der Himmel heute meteorologisch Regen oder Sonnenschein für uns bereithält.

Amen.



PD Dr. Wolfgang Vögele
Karlsruhe
www.Christuskirche-Karlsruhe.de

E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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