Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 24.05.2009

Predigt zu Johannes 15:26 - 16,4, verfasst von Wolfgang Petrak

Liebe Gemeinde,

Mensch, wo bist du?
Ich weiß nicht, wie es ihr geht, jetzt in dieser Stunde. Sie, die in ihrem CD-Regal die Matthäus-Passion stehen hat und sie manchmal auch im Mai anhört, gleich daneben aber Soufi-Soul und,von früher noch, ACDC. Sie lässt sich das  Open-Air Konzert in Scheeßel niemals nehmen, fährt aber auch manchmal zum Meditieren ins Kloster. Sie fährt eigentlich immer. Vielleicht sitzt sie jetzt auf einem Papphocker, und ihr Nebenmann sagt „Mal ehrlich, hättest du gedacht, dass wir so viele sind"? Die Posaunenchöre, die Bands, ein Crossover religiöser Kultur und  akustischer Möglichkeiten werden die in den Bahnhof Bremen ein- und ausfahrenden Züge übertönen, werden auch ihre Stimme mitnehmen und wohl fast bis zum Himmel steigen lassen; sie wird  eindringliche Worte der Predigt über Petrus 3,15 hören: die Verantwortung der Christinnen und Christen in unserer Welt. Natürlich. Sie wird das Brot und den Kelch dankbar nehmen und wird nach dem Segen fahren mit all den anderen, die vom Kirchentag nach Haus wollen, etwas müde sicherlich, aber doch irgendwie erfüllt und gestärkt. Und dann wird sie ihre Wohnungstür aufschließen, die Post sortieren, den Anrufbeantworter abhören, in das CD- Regal greifen, sich in den Sessel fallen lassen: was kommen wird, ist die Arbeitswoche, der Stress, die Angst. Silbermond:„Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit,in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas das bleibt...Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist, und alles Gute steht hier still.Und dass das Wort, das du mir heute gibst, morgen noch genauso gilt". Mensch, wo bist du?

Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz!

Mensch, wohin gehst du?
 Ich weiß nicht, wie es damals gewesen war, in dieser Zeit, in der Plinius Landpfleger in Bithynien und Pontus war. Sie hatte neben ihrem Vater vor der kleinen Hütte in Sinope gesessen. Sein letztes Wort war gewesen, dass er sie nicht diesem Hergelaufenen aus Trapezus geben würde. Sie hatte ihm gesagt, dass er doch auch ein Fischer sei wie sie, aber der Vater hatte nur bitter gelacht. Sie hatte dann hinzugefügt, dass er doch auch zur Synagoge gehören würde, wie übrigens auch sein Vater und dessen Vater, von Kindesbeinen an. Da hatte sie der Vater nur angesehen und dann gesagt, dass es ja gerade darum ginge. Der Menachim, der Messias also, er sei durch die Propheten verheißen. Und wenn dieser Goj- „Er ist kein Goj". Heftig hatte sie den Vater unterbrochen. „Und der, den sie Chrestos nennen und zu dem sie singen, auch nicht". „Sie aber sagen, dass es der es, der da kommen soll. Und deshalb müssen die Wege auseinander gehen, wie bei Abram und Lot. Du aber bleibst in meinem Haus". Und dann hatte der Vater geschwiegen, ihr das Netz zum Ausbessern vor die Füße geworfen und sich selbst am anderen Ende  an die Abend gemacht. Und wenn sie, fast gleichzeitig, wie verabredet, ihre vom Schlingenknüpfen ermüdeten Hände sinken ließen, dann trafen sich ihre Blicke nicht, sondern sie sahen  hinaus zum Meer und verfolgten jeder für sich den Kurs einer römischen Galeere. „Trajan ist nicht wie Domitian". „Den nannten die Gojim auch Herr und Gott, quasi genauso wie deiner den aus Nazareth". „Trajan ist nicht wie Domitian, der lässt nicht um des Glaubens will töten, Ideale hat der, Vater, Ideale: humanitas, moderatio". „Was heißt denn das? Ideale- was machst du denn dir für Bilder! Vergiss nicht den Weg des Lebens und den Willen des Herrn. Mach dich an die Arbeit und schweige". Im Schweigen waren sie geblieben, selbst als sie aufgestanden war und die Ahle beiseite gelegt hatte. Schweigen hatte auf dem Weg gelastet, als sie seine Hütte aufsuchen wollte, wo sie miteinander so vertraut gewesen waren. Doch die Hütte war leer  und das Feuer des Herdes erkaltet. Das Schweigen, das in der  Zeit sich zum Schrei ausweitet. Wohin wird sie gegangen sein?

Verbirg dein Antlitz nicht vor mir!

Mensch, woher kommst du?
Ich weiß nicht, wie das ist, wenn man vormittags die Nachricht erhält, dass die Ausreise möglich ist. Wenn man schnell noch ein paar Pullover, Jeans und etwas Unterwäsche in den Plastikbeutel tun kann und dann im Bus sitzt, der die Schlaglöcher und Trichter umkurvt, vorbei an ausgebrannten Toyotas und Geschäften mit geschlossenen Fensterläden,vorbei an winkenden Militärpolizisten zum Flugplatz, um dann einige Stunden später, in Köln anzukommen. Dort die  schnelle Abfertigung,  in der Flughalle Touristen, an bunt beklebten Koffern und Strohhüten erkennbar vom Badeurlaub kommend, vielleicht aus Antalya. Lautsprecherdurchsagen auf Deutsch und Englisch, eine kurze Kontrolle, und dann öffnen sich die gläsernen Schiebetüren: der Blick in die neue Welt. Suchend und leer. Plötzlich erkennt sie zwischen den Blitzlichtern der Journalisten Gesichter; zunächst das Gesicht ihres Onkels , die Narbe auf der Wange, die der grau gewordene Bart nicht verdecken kann. Und dann auch ihrer Tante; sie sich verändert hat, ihre Frisur war anders gewesen, damals, vor dem Krieg, als sie noch alle zusammen in Mossoul gelebt hatten, unweit des Amtssitzes des Patriarchen - jetzt sind sie hier wieder zusammen. Lachen, Weinen wird gesegnet sein. Gott sei Dank. Umarmungen, Nicht-Begreifen- Können. Sie sieht auch, wie eine blonde Frau in bunter Bluse und mit Sonnenbrille auf dem Haar sich umdreht, weil sie wohl gehört hatte, was sie dem Onkel unter Tränen gesagt hatte: „Allah akbar". Wie wird es werden in einem Land, in dem man nicht arabisch spricht, wo feiert hier die chaldäische Gemeinde ihre Messe? Wird sie jemals beim Bäcker jemanden finden, mit dem sie reden kann? In der fremden Sprache zu erzählen, wie es gewesen ist, als man ihnen Drohungen in den Briefkasten steckte ( „Tod den Ungläubigen, den Kollaborateuren der multilateralen Truppen"); als die Bomben in Mossoul detonierten, als sie sich nicht mehr in die Kathedrale getraut hatten; wie sie in der Norden geflohen waren, zu den Kurden... sie, eine unter Hunderttausenden, bereit, wie es der Herr gesagt hat, das Kreuz auf sich zu nehmen. Wird das hier in dem Land der vielen Kirchen jemals jemand verstehen, woher sie gekommen ist?

Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen!

Mensch, wohin gehen wir? Woher kommen wir?  Wo sind wir?
Nichts weiß ich vom Verlauf der Wege, die gegangen sind, nichts von den Worten, die in den Zeiten für mich verborgen sind. Ich weiß nicht, warum jemand meinen kann, dass man, wenn man tötet, Gott damit einen Dienst tut. Die Opferverständnis wird angesprochen, vielleicht ironisch, vielleicht auch weltlich gebrochen. Vielleicht aber auch provozierend: Wie weit wärst du bereit du gehen, wo doch dein Hirte auch sein Leben für die Schafe gegeben hat? Nein, da verschließt sich alles, schmerzt und lässt verzweifelt fragen: Mensch, wo bist du? Immer wird dieses eine offene Frage bleiben,  immer wird sie Antworten einklagen  und  neue Wege herausfordern. Unser Herr sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben". Auch hier werde ich niemals  wissen können, wer es gewesen ist, der dieses Wort durch die Zeit bewahrt hat. Doch es ist da und es wird gehört. Niemals weiß ich, mit welcher Person sich der Trost verbinden wird. Doch dieses eine will ich glauben, dass der, der sucht, dass der, der leidet, dass der, der nichts hat und trotzdem hofft: sie alle sollen getröstet sein und werden den Herrn des Lebens bezeugen können. Selbst dort, wo es heißt: „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen",  redet trotzdem die Sprache des Glaubens, nicht von der Welt, sondern vom Geist, der tröstet und dir sagt: Er will für dich da sein, selbst dann, wenn du nichts davon weißt.

Harre des Herr! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn! Amen



Pastor Wolfgang Petrak
Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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