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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 01.06.2009

Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Thomas Oesterle

(13) Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?

(14)Sie sprachen: Einige sagen, du seiest Johannes der Täufer, andere, du seiest Elia, wieder andere, du seiest Jeremia oder einer der Propheten.

(15)Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?

(16)Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

(17)Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.

(18)Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.

(19)Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Einleitung

"An diesem Text könnte und sollte der Gemeinde deutlich werden, wo ihr Prediger (ihre Predigerin Anm.d.V.)steht und warum er dort, wo er steht, stehen muss." Mit diesem markanten Satz eröffnete der Theologe Hans Joachim Iwand sein Nachdenken über diesen Bibeltext. Anfänglich war mir das schwer, mich diesem Anspruch zu stellen, aber dann fand ich doch zu der geforderten Deutlichkeit.

Zwei Problemkreise sind es, die mich zu dieser Deutlichkeit geführt haben. Zuerst das Messiasbekenntnis: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." Zum zweiten die Figur des Petrus und vor allem , das sich aus diesem Bibeltext herleitende Papsttum zu Rom.

Teil I

Ich beginne  mit dem kleinen aber entscheidenden Satz: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." Dieser Satz - da ist sich die neutestamentliche Forschung einig - ist erst niedergeschrieben worden, als Jesus schon Jahrzehnte tot war: Dieser Satz ist daher ein Bekenntnis, das nach Ostern entstand. Und erst jetzt - nach Ostern - war ja dieser Satz auch wirklich wahr. Solange die Jünger noch mit Jesus gelebt hatten, war es mehr oder weniger einfach gewesen, an ihn zu glauben. Die Frage die sich stellte war nur, ob sein direktes Vorbild wirklich überzeugte oder nicht, ob seine Worte wirklich trafen oder nicht. Ich vermute einmal, dass nicht große Probleme entstanden sind, als es um einzelne Forderungen Jesu gegangen ist. Feindesliebe, Verzicht auf Absicherungen, das werden Dinge gewesen sein, die wegen der Faszination, die von der Person Jesu ausging, noch angenommen werden konnten, nach denen sich die Jünger zu richten suchten.

Das eigentliche Problem entstand dort, wo es um die Frage ging, ob dieser Jesus Christus tatsächlich der auf die Erde gekommene Sohn Gottes sei. Das war viel schwerwiegender und viel unglaublicher, wie eine revolutionäre ethische Forderung. Vielleicht war dieses Moment an der Person Jesu den Jüngern vor Ostern gar nicht so wichtig gewesen, da gab es drängendere Probleme, wie schwer vorstellbare Spekulationen über die Menschwerdung des Ewigen. Doch als der Herr am Kreuz gestorben war, da drängte sich förmlich die Frage auf: Wer war der Gekreuzigte gewesen? Einfach einer der gescheitert ist, einer dessen Geschichte jetzt schmachvoll zuende gegangen war, oder  war er mehr? Jetzt begannen die Jünger sich zurückzuerinnern an den, mit dem sie da nun vielleicht gerade mal drei Jahre gelebt hatten. Sie hatten viel mit ihm gemeinsam erlebt, so manches Ereignis, manches Gleichnis, manche Tat Jesu stand ihnen nochmals vor Augen. Jeder weiß wie das ist, wenn man um einen Verstorbenen trauert. Da fallen einem tausend Kleinigkeiten wieder ein, die das Leben des Toten ausmachten. So wird es auch mit den Jüngern gewesen sein. Doch dann erfahren sie die Auferstehung und alles was sie von Jesus im Kopf hatten, das alles rückte in ein neues Licht. Es ist als ob ihnen eine Binde von den Augen genommen ist. Das was bisher unverstanden war, an dieser Gestalt Jesu, das wird zur Erkenntnis, das rückt durch die Auferstehung in ein neues Licht. Plötzlich ist nur noch eine Sache an diesem "Leben Jesu" entscheidend. Diese eine Sache lautet: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes."  Die Jünger erkennen: Alles was uns dieser Jesus von Nazareth gelehrt hat, über den Umgang mit den Geboten, über die Spontaneität der Nächstenliebe, das alles wird nur dann Gewicht und Sinn erhalten, wenn eine Grunderkenntnis wahr ist. Die Einsicht, dass dieser Mensch der Sohn des lebendigen Gottes gewesen ist. In dieser Aussage wird wie mit einem Brennglas alles gebündelt, was über Jesus Christus zu sagen ist, hier laufen alle Fäden zusammen.

Wenn wir heute dieses Grundbekenntnis der nachösterlichen Gemeinde mitsprechen können, ist der Grundstein für ein echtes Vertrauen in den christlichen Gott gelegt. Wo wir dieses Grundbekenntnis  verkleinern, wird dagegen die Wurzel unseres Glaubens gefährdet. Ich will einige typische Verkleinerungen nennen: Da wird Jesus zum „vorbildlichen Menschen" gemacht - der er sicher war - aber das genügt nicht! Da wird er zum „Lehrer hoher ethischer Grundsätze" - die man sicher bei ihm lernen kann, - aber das genügt nicht! Da wird er zum „Dichter", der literarisch wertvolles gesagt hat  - was ja auch unter ganz säkularen Philologen unbestritten ist - aber das genügt nicht! Christlicher Glaube kann nur auf einem einzigen Grund wirklich aufgebaut werden: Auf dem Glauben, dass in Jesus von Nazareth Gott selbst in menschlicher Gestalt unter uns Vergänglichen erschienen ist. Das zu glauben, darauf zu vertrauen, das verändert die Welt viel stärker, als das erst nehmen von Geboten. "Gottheit und Menschheit vereinen sich beide, Schöpfer wie kommst du uns Menschen so nah" (EG Nr.66), so sagt es ein Kirchenlied - und das ist der Kern christlichen Glaubens.

Da bleibt nun aber eine wichtige Frage: Wie finde ich persönlich zu dieser Einsicht, wer gibt mir dieses Vertrauen ? Der Predigttext sagt klar: Fleisch und Blut können einen solchen Gedanken nicht offenbaren. Auch die Jünger haben sich diese Erkenntnis nicht durch scharfes Nachdenken selbst erarbeitet. Wer das in seinem Herzen versteht, dass in Christus die Wirklichkeit Gottes unter uns war und bleibt, den leitet der Heilige Geist, dessen Nähe wir heute an Pfingsten feiern. Es ist die Gabe Gottes, die uns Christus wirklich erkennen lehrt. Martin Luther hat das treffend zusammengefasst, wenn er in seiner Auslegung über den Heiligen Geist im Katechismus schreibt: "Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich ... im rechten Glauben geheiligt und erhalten."

 

Teil II

Ich hoffe, dass im ersten Teil der Predigt wie versprochen deutlich geworden ist, wo ich selbst theologisch stehe.

Im nun folgenden Teil soll es um Petrus gehen - und natürlich um das Amt, das insbesondere aus diesem Predigttext erwuchs. Nicht umsonst kann man in der Kuppel des Petersdomes zu Rom geschrieben lesen: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen." Dass Jesus aufgrund seines eben ausgelegten Bekenntnisses zu Petrus sagt: "Selig bist du, auf dir will ich meine Gemeinde aufbauen und dir will ich den Schlüssel geben, um die Tür zum Himmelreich aufzuschließen" - dies macht es nötig über die Figur des Petrus nachzudenken. Petrus hat in der neu entstehenden, kleinen Urgemeinde von Christen sicher eine führende Position inne gehabt. Er war eine wichtige Gestalt gewesen eine der Säulen der ersten Gemeinde. Und wir alle kennen das aus eigener Erfahrung, dass eine größere Gruppe von Menschen stets eine Identifikationsfigur sucht. Das ist in jedem Verein so, leider auch in den meisten Kirchengemeinden und erst recht in Staaten. Man merkt das jetzt deutlich an der Funktion die Barak Obama in den USA hat. Nicht umsonst reden die Journalisten von einer „messiasgleichen Verehrung", die dem neuen Präsidenten entgegenschlägt, so als könnte seine starke Ausstrahlung auch die ganzen dunklen Abgründe aus Spekulation und Casinokapitalismus in den USA überstrahlen. Dabei reden wir mit den USA von einem Land, mit einer langen und guten demokratischen Tradition und einem intakten Staatswesen.

Man kann es kaum ermessen, was für ein Segen es dagegen für ein Entwicklungsland ist, wenn da endlich einmal ein Präsident an die Macht kommt, der nicht korrupt ist, keine Menschenrechte verletzt und demokratisch legitimiert wurde. Wenn so eine Politikerin (oder so ein Politiker) dann auch noch die echte Anerkennung seiner Bevölkerung gewinnt und über eine lange Epoche sein Amt ausüben kann, ist viel mehr geholfen, als wir in unserem sicheren Land es ermessen können. Würden in Birma endlich die korrupten Generäle einer Frau wie Aung San Suu Kyi weichen, was wäre für die einzelnen Menschen dort gewonnen! Doch leider macht man dieser ungeheuer mutigen Frau im Moment einen verlogenen Prozess.

Auch Petrus war für die erste Gemeinde eine Leitfigur. Er ist es allerdings nicht lange geblieben. Schon beim ersten  Apostelkonzil wird von drei Gemeindeleitern geredet und der Bruder Jesu, Jakobus, wird rasch zur wichtigeren Gestalt, unter die sich dann auch Petrus stellt. Und Paulus hat einen heftigen theologischen Streit mit Petrus und "widersteht ihm ins Angesicht"(Gal.2), wie er schreibt. Und zuletzt, als Johannes sein Evangelium schreibt, da gibt es dann einen Lieblingsjünger Jesu, der dem Herrn anscheinend deutlich näher steht als Petrus. Die Führungsrolle des Petrus hat also in der Urchristenheit nur kurz bestanden. Natürlich tut ein evangelischer Pfarrer nun gut daran, auch einen katholischen Bibelkommentar zu lesen, wenn er über eine solche Stelle predigen muss. Das habe ich getan. Der katholische Neutestamentler Josef Schmid häuft in seinem - etwas älteren - Matthäuskommentar im 16. Kapitel alle Argumente auf, die das Papsttum stützen sollen. Für ihn war Petrus der allgemein anerkannte Führer des Apostelkreises und diese Vorrangstellung hätte er nicht infolge seiner persönlichen Qualitäten entwickelt, sondern sie sei ihm von Anfang an durch Jesus selbst zugesprochen worden. Das letzte und schlagende Argument des katholischen Professors ist dann, dass er behauptet, dass diese auf Petrus übertragene Vollmacht so lange dauern würde, wie die Kirche selbst. Also: nicht nur dieser eine Jünger Jesu bekommt für eine kurze Anfangszeit der Christenheit die Aufgabe, der Felsen der ersten Gemeinde zu sein und so ihren Bestand in stürmischer Zeit zu garantieren. Nein - dieses Amt wird automatisch weiterübertragen von Papst zu Papst bis auf den heutigen Tag.

Nun ist es an dieser Stelle wichtig sich bei einer solchen Lektüre nicht vorschnell in einer evangelische Abwehrhaltung zu versteifen. Karl Barth hat sehr richtig erkannt, dass der Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken in der Frage der Kirchenleitung, sich vor allem auf das "wie" bezieht. "Dass" man die Führung der Kirche in einer Person zusammenfasst, das ist ein sinnvoller und in unserem Predigttext wohl auch so ausgesprochener Gedanke. Viele Probleme innerhalb des immer stärker ausfransenden Protestantismus wären einfacher zu lösen, wenn wir einen verbindlichen gemeinsamen Mittelpunkt hätten, wenn wir eine Identifikationsfigur besäßen, auf die wir uns einigen könnten. Der Repräsentant unserer evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, hat versucht in den letzten Jahren diese Leerstelle im deutschen Protestantismus auszufüllen, wie ich empfinde, mit wachsender, positiver Resonanz. Und wir können nur hoffen, dass sein baldiger Nachfolger, oder seine Nachfolgerin, eine ähnliche Autorität entwickeln kann. Aber es bleibt für uns Evangelische nicht akzeptabel, dass die Weitergabe dieses Leitungsamts der Kirche quasi mechanisch geschieht, dass sich so dieses Amt als Amt verselbstständigt. Im Katholizismus führte das ja bis hin zum Dogma von der Unfehlbarkeit päpstlicher Lehräußerungen. Hier hat Karl Barth sehr genau erkannt, dass Nachfolge hinter Petrus nur heißen kann, dem ihm vorhergehenden Gotteswort nachzufolgen und dieses Wort frei und selbstständig zu lassen. So könnte die Leitung der gesamten Kirche immer nur bedeuten, auf den einen Vorgänger des Petrus - nämlich Jesus Christus - zu achten. Dazu müsste jeder Papst bereit sein, diesen Vorgänger als noch lebenden Vorgänger anzuerkennen, als einen lebendigen Vorgänger, der in freier Macht auch über das Leitungssamt der Kirche verfügt. Wenn ich aber dann sehe, wie der Papst heute mit Mahnern und Kritikern umgeht, z.B. mit dem Tübinger Theologen Hans Küng, oder mit dem Brasilianer Leonardo Boff und andererseits mit der Piusbruderschaft, dann wird mir bewusst, dass zumindest beim momentanen Papst Benedikt XVI noch der Leitungsanspruch über die Tragfähigkeit des theologischen Argumentes herrscht. Solange das so ist, kann und wird sich der evangelische Glaube nicht einer gemeinsamen Leitfigur in Rom oder anderswo unterstellen, solange werden wir die Autorität des göttlichen Wortes, in dem ja Christus lebendig ist, immer über alle menschliche Autorität stellen.

Jetzt hoffe ich, auch beim zweiten Thema dieser Predigt eingelöst zu haben, was ich am Beginn versprach: Nämlich deutlich zu machen, wo ich stehe.

 

Teil III

Nun will ich aber nicht mit dieser streitbaren Abgrenzung gegenüber unseren katholischen Brüdern und Schwestern enden, vor allem nicht in einer Gemeinde, in der wir über die Jahre ein so gutes Verhältnis zwischen den Konfessionen geschaffen haben. Es bleibt zwischen Katholiken und Protestanten ein Band, dass sie fester verbindet, als alle unterschiedlichen Auffassungen über die Leitung der Kirche sie voneinander trennen könnten. Dieses Band sollten wir nie vergessen und es ist all denen unter uns ins Gedächtnis zu rufen, die aus falsch verstandener Konfessionsstrenge die Gemeinschaft mit den katholischen Geschwistern verweigern. Das Band besteht in dem einen gemeinsamen Bekenntnis das im Blick auf Jesus sagt: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." AMEN

Predigtlied: EG Nr. 124, Verse 1-3

Verwendete Literatur:

 H. J. Iwand , Predigtmeditationen S.561

 R. Bultmann, Theologie des NT S.47 - 48

 W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien S.113

 M. Luther, Kl. Katechismus, Apostolicum, Auslegung des 3.Artikel

 W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, S.394 -395

 Josef Schmid, Das Evangelium nach Matthäus  S.252 -253

 K. Barth, KD I,1. S.115 -116



Pfarrer Thomas Oesterle
Schorndorf
E-Mail: ev.pauluski.ost.schorndorf@t-online.de

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