Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 01.06.2009

Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Martin Schmid

Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Liebe Gemeinde!

Die Wahl fiel auf Simon. Das überrascht. Denn wir sehen Simon Petrus vor uns als Fischer, der sich über die Netze beugt. Wir sehen ihn in den Wellen versinken, als er wohl geglaubt hatte, wie der Herr übers Wasser gehen zu können. Wir sehen ihn im Garten Gethsemane, zusammengekauert im Schlaf, während Jesus ein paar Getreue gebraucht hätte, die mit ihm wachen. Wir sehen ihn mit dem Schwert um sich schlagen bei Jesu Gefangennahme und von seinem Herrn zurechtgewiesen: „stecke dein Schwert in die Scheide!" Und wir sehen ihn gebrochen und unter Tränen, nachdem er geleugnet hatte, mit Jesus irgend etwas zu tun zu haben. Ein Fels sieht anders aus.

Simon, ein gekrümmter Mensch. Und so steht er nun auch im Kreise der anderen Jünger. Jesus fragt, für wen die Leute ihn halten. Sie antworten: manche halten dich für einen wiedergekehrten Johannes den Täufer oder Elia oder Jeremia oder sonst einen der Propheten. Dass Simon etwas gesagt hätte, hören wir nicht. Als Jesus aber seine Jünger fragt: Und ihr, für wen haltet ihr mich? da richtet Simon sich auf: Du bist der Christus, der Sohn des Lebendigen Gottes! Und Jesus sagt: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; was du wahrgenommen hast, kommt nicht aus dir selbst. Du heißt Simon, für mich bist du jetzt Petrus, das bedeutet ´Fels´, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen!
Vor uns steht nun ein anderer. Petrus, ein aufgerichteter Mensch. In dem Namen Petrus steckt also eine Geschichte: Ein Gekrümmter wird aufgerichtet. Einer, der doch auch bloß aus Fleisch und Blut ist, wird zum Felsen. Ein Simon wird zum Petrus. Ein Sünder wird gerecht.

Immer, wenn die göttliche Wahl auf einen Menschen oder auf mehrere fällt, beginnt eine solche Geschichte. Immer müssen wir damit rechnen, dass die göttliche Wahl Menschen verändert. Menschliche Wahlen verändern die Gewählten auch. Manche erinnern sich nach der Wahl nur noch schwer daran, wer sie vorher waren und was sie vorher gesagt hatten. Die göttliche Wahl verändert so, dass sie aufrichtet.
Die göttliche Wahl ist ein Triumph über die Schwerkraft. Es ist der Triumph, der seinen Höhepunkt an Ostern erfuhr. Das Triumphgeschrei von Ostern lautet: Der Verworfene ist erwählt! Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Hauptstein geworden; das ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen! - Dieses Wunder bedeutet, dass seit Christi Auferstehung das Schwere leichter geworden ist und dass alles, was uns nach unten zieht, uns nicht mehr hindern darf, aufrecht zu gehen. Auf dieses Wunder ist die Kirche gegründet. Kirche ist die Gemeinschaft derer, die aufrecht gehen. Ohne dass sie vergessen hätten, was „gekrümmt" und „gebeugt" ist. Sie wissen, dass Menschen es schwer haben und dass Menschen es einander manchmal schwer machen. Aber aus gebeugten und belasteten, aus beschwerten und für andere beschwerlichen, aus bedrückten und bedrückend fehlbaren Menschen ist die Kirche gebaut. Sie werden zu lebendigen Steinen, weil etwas sie aufrichtet, die Kraft nämlich, die schon Simon Petrus aufgerichtet hatte.


Was ist denn fest? Was ist denn stark? Was ist tragfähig? Was macht Menschen zu Felsen? Die Physik sagt, die Festigkeit der Materie beruhe auf Schwingungen, es sei keine feste, sondern eine durch schwingende Atomteilchen befestigte Stabilität. Der Fels, auf den die Kirche gegründet ist, bekommt seine Festigkeit ebenfalls aus einer Art innerer Schwingung. Deren Kraft hat Simon Petrus aufgerichtet und zum Felsen stabilisiert, als die Wahl Jesu auf ihn fiel. Deren Kraft hatte schon jene Frau wieder aufgerichtet, die sich ganz verkrümmt in die Nähe von Jesus geschleppt hatte; Jesus rief sie aber zu sich und legte seine Hand auf sie. Aus dieser schwingenden Kraft bekommt die Kirche noch heute eine Festigkeit, die Menschen befähigt, aufrecht durchs Leben zu gehen und mitzuhelfen, dass auch andere aufgerichtet werden. Sie durchschwingt die Kirche wie ein Puls.
        

Simon Petrus wurde nach Ostern zu einer tragenden Säule in der Gemeinde Jesu Christi. Er hat das Evangelium verkündigt, die Gemeinde geleitet, die Mission organisiert und geholfen, die christliche Botschaft über den Raum der Synagoge hinauszutragen. Er kam nach Rom und fiel dort - wie Paulus - der Christenverfolgung in der Zeit des Kaisers Nero zum Opfer. Er ist wahrscheinlich - wie Jesus - durch Kreuzigung zu Tode gekommen. Über der Stätte, wo man sein Grab vermutete, hat man etwa zweieinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod eine Kirche gebaut - man könnte sagen: aufgerichtet. Deren Nachfolgekirche, der Petersdom, ist heute noch eine der größten Kirchen der Christenheit. Sie ist gekrönt von einer mächtigen Kuppel.

Es lohnt sich, wenn wir uns hier noch ein wenig mit dieser Kuppel des Petersdoms beschäftigen. An ihrem unteren Rand steht in zwei Meter hohen Lettern der Satz aus dem Matthäus-Evangelium: Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam et tibi dabo claves regni caelorum - Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und dir gebe ich die Schlüssel zum Himmelreich.  An dieser Stelle, unter dieser Kuppel, wirkt der Satz wie ein Nachhall jenes beschwingten „der Stein, den Bauleute verworfen haben, ist zum Hauptstein geworden". An dieser Stelle, in St. Peter im Vatikan, am Sitz des Papstes, ist die mächtige Umschrift aber auch Ausdruck für den Anspruch des Bischofs von Rom, Nachfolger des Petrus und deshalb selbst ein Felsenfundament der Kirche zu sein. Die Kuppel, die sich über dem Satz wölbt, deutet jedoch schon von sich aus jenen Satz, und sie tut dies in einem ganz eigenen Sinne. So, als wolle sie sagen: „Ich bin die Kuppel von St. Peter. Mein Durchmesser ist mehr als 42m weit, und ihr seht in mir das größte freitragende Ziegelbauwerk der Welt. Tausende von Ziegelsteinen sind hier zu einem Gewölbe zusammengefügt. Sein Gewicht würde jeden einzelnen Stein sofort in die Tiefe reißen. Aber in der Kuppel ist die Schwere des Steins überwunden. Die Steine schweben, zugleich tragen sie auch. Selber aufgehoben, halten sie andere in der Höhe. Selber getragen, tragen sie andere. Diese Kraft - tragen und zugleich getragen werden, aufrichten und zugleich aufgerichtet werden - wölbt sich wie der Himmel über der Kirche. Sie ist zugleich ihr Fundament; ich stehe über dem Grab des Petrus."


Der Pulsschlag der Kirche blieb dort also spürbar, wo das Petrusgrab verehrt wird. Ob bei riesigen Versammlungen in dem oder vor dem Petersdom, mag man unterschiedlich beurteilen. Ob bei glanzvollen gottesdienstlichen Inszenierungen über diesem Grab, mag manche mehr und andere weniger überzeugen. Aber in der Kuppel ist er bewahrt. Doch ist der Pulsschlag der Kirche nicht nur in Rom zu spüren und nicht nur im Petersdom, sondern auch in einer Dorfkirche irgendwo oder in einem Krankenzimmer oder auf einem Friedhof. Denn der Pulsschlag der Kirche bedeutet, dass Getragene tragen, dass Gehaltene halten und dass ein gebeugter Mensch wieder aufgerichtet wird, um andere zu stärken.

Wir fühlen den Pulsschlag der Kirche ganz intensiv bei einem kleinen Büchlein, das ursprünglich mit den folgenden Worten geendet hat: „Sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich." Ein trauriger, ja bedrückender Schluss. Und doch hatte genau dieses Büchlein, das den Weg Jesu beschreibt, eine unglaubliche Wirkung, die bis zum heutigen Tag anhält. Als hätte einer dem Pergament Leben eingehaucht. Es wurde abgeschrieben, auch umgeschrieben und erweitert. Es wurde gelesen, nacherzählt und vorgelesen. Es wurde meditiert, bedacht, besprochen, gepredigt, auch geschmäht, aber mehr noch geliebt. Es stammt aus der Feder eines Schülers von Simon Petrus und hat den Titel „Das Evangelium nach Markus".


Wir fühlen den Pulsschlag der Kirche auch in vielen einzelnen Worten der Bibel, wie zum Beispiel in dem Satz aus einem Brief des Apostels Paulus: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." Dabei hat jeder doch selber sein Päckchen zu tragen. Wer könnte sich da noch andere Lasten zusätzlich aufladen? Und doch geschieht so etwas. Manchmal, vielleicht gar nicht selten, in einer Ehe oder in einer Familie, manchmal in einer Nachbarschaft, einem Freundeskreis, einer Gemeinde. Manchmal auch in dem Amt, das jemand übernimmt, sei es in der Kirche, ehrenamtlich oder hauptamtlich, sei es in einem anderen Aufgabenfeld. Es entsteht durch gegenseitiges Stützen in einer lebendigen Gemeinschaft ein Netz, an dem viele tragen. Es entstehen Adern, durch die der Pulsschlag pocht. So schwer es da manchen werden mag, viele machen die Erfahrung, nicht nur zu tragen, sondern getragen zu werden und unter dem fremden Gewicht das eigene weniger zu spüren. Das widerspricht den Naturgesetzen. Aber es entspricht dem Gesetz Christi, dem Gesetz der Liebe. Es ist dann, als hätte Jesus Christus seine Hand auf die Menschen gelegt - wie er sie auf Petrus legte oder auch auf jene gekrümmte Frau in der Synagoge.
Wir fühlen den Pulsschlag der Kirche zum Beispiel auch in dem Gebet Jesu, dem Vaterunser. Dessen sechste Bitte heißt: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern." Schulden vergeben heißt Lasten abnehmen. Solche, die wissen, was es heißt, einem anderen eine Last abzunehmen, solche also, die selber vergeben, dürfen glauben, dass ihnen die Last abgenommen wird. Sie bitten darum und atmen schon auf. Sie machen die Erfahrung: es ist, als hätte Jesus die Hand auf uns gelegt und wir könnten das spüren.

Liebe Gemeinde, an Pfingsten wird gefeiert, dass die Gemeinde Jesu sich nicht selbst genügte, sondern sich ausgebreitet hat. Der Glaube an Jesus hat sich als ansteckend erwiesen. Was da gewachsen ist, muss aber immer neu befestigt werden. Wir selbst müssen befestigt werden - und werden es dadurch, dass wir den Puls der Kirche fühlen. Es steckt an, wenn wir ihn spüren. Es richtet auf. Es lässt die bindende und verbindende Kraft Jesu auf uns übergehen, an der selbst die Hölle zerbricht. - Noch immer sehen Felsen eigentlich anders aus als Petrus oder gar als jemand von uns. Aber weder die Hölle der Angst noch die Hölle der Einsamkeit noch die Höllen der Selbstzweifel dürfen die verbiegen, auf die Jesus seine Hand gelegt hat. Amen.



Pfarrer i.R. Martin Schmid
Fellbach
E-Mail: Mado.Schmid@t-online.de

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