Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 01.06.2009

Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Jann Schmidt

Liebe Gemeinde,

man nennt Pfingsten gern den Geburtstag der Kirche. Fünfzig Tage nach Ostern traten die Jünger Jesu in Jerusalem furchtlos vor die Öffentlichkeit. Petrus hielt eine mitreißende Predigt. Den Menschen gingen die Worte ins Herz und sie ließen sich taufen. Hunderte, vielleicht Tausende fanden den Weg in die Gemeinde. Man feierte die Gegenwart des Geistes Gottes - und die Geschichte der Kirche begann.

Doch das, was damals geschah, ist nicht auf Jerusalem beschränkt und lässt sich nicht als Vergangenheit abtun. Das, was damals geschah, drängt in die Gegenwart. Das, was damals geschah, geschieht bis heute, denn Pfingsten ist mehr als der Geburtstag der Kirche.

Nun liegen bald 2000 Jahre Geschichte dieser Kirche hinter uns. Es ist eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen, eine Geschichte des Aufbruchs und der Erneuerung. Die Geschichte der Kirche ist überschattet von Trennung und gegenseitiger Verwerfung. Aus der einen Kirche sind viele Kirchen geworden - und nicht selten haben sie sich Jahrhunderte lang unversöhnlich gegenüber gestanden.

Wer an Pfingsten an den Geburtstag der Kirche erinnert, wird die Geschichte der Spaltungen und Trennungen nicht ausblenden können. Pfingsten ist darum kein Anlass für eine selbstgefällige Rückschau. Im Gegenteil: Pfingsten gibt eher Anlass zu dankbarem Staunen, dass Gott über alle menschliche Schwächen hinweg immer wieder Kräfte des Aufbruchs und der Erneuerung mobilisiert hat. Ja, Pfingsten ist Anlass, Gottes unendliche Geduld mit uns Menschen zu thematisieren. Denn Gemeinden konnten wachsen - trotz unserer Eitelkeiten und Unzulänglichkeiten, Kirchen konnten die Zeit überdauern - trotz unserer Zweifel und unseres Unglaubens.

Mit dieser Geschichte der Kirche leben wir. Die Vergangenheit - rühmlich oder weniger rühmlich - gehört zu unserem Kirche-Sein dazu. Wir können die Vergangenheit nicht abstreifen und heute am pfingstlichen Geburtstag der Kirche neu anfangen. Die Vergangenheit prägt unsere Gegenwart und wird uns auch in Zukunft nicht loslassen. Das müssen wir bedenken, wenn wir an Pfingsten über die Kirche reden oder die Zukunft der Kirche in den Blick nehmen.

Kirche - was ist das eigentlich?

„Wir gehen zur Kirche", sagen die Menschen in Norddeutschland, wenn sie am Sonntagmorgen das Gesangbuch nehmen, um den Gottesdienst zu besuchen. Kirche ist darum für viele Christinnen und Christen zunächst einmal der Gottesdienst am Sonntagmorgen. Kirche ist die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde. Kirche, das sind Menschen, die sich einladen lassen zum gemeinsamen Hören, zum gemeinsamen Gotteslob, zum Dank und zur Fürbitte. Kirche, das sind Menschen, die zusammenkommen, um zu bekennen: Wir gehören dazu, wir sind Teil der versammelten Gemeinde. Christinnen und Christen gesammelt und versammelt im Gottesdienst, das ist Kirche. Aber nicht nur.

Kirche, was ist das eigentlich?

Unsere Kirche steht mitten im  Dorf, erklären wir fragenden Touristen, die das Gotteshaus besichtigen wollen. Und vielleicht denkt der eine oder die andere dann an die eigene Konfirmation, an die Trauung eines Bekannten oder die Beerdigung eines nahen Verwandten. Ob kleine Dorfkirche oder große Kathedrale, Kirchen sind seit Jahrhunderten das sichtbare Zentrum einer Gemeinde. Kirchen sind über Jahrhunderte Ausdruck des Glaubens gewesen, mal bescheiden, mal pompös - aber immer erkennbar. Kirchen sind aus Stein, Granit oder Fels geformte Bekenntnisse der Christenheit. Aber nicht nur.

Kirche - was ist das eigentlich?

Kirche ist da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Kirche ist da, wo Jesus Christus seine Gemeinde versammelt, schützt und erhält. Kirche ist da, wo Menschen sein Wort annehmen. Kirche ist da, wo Menschen sich im Glauben zusammenfinden und gemeinsam bekennen: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.

Simon Petrus hat dieses Bekenntnis zuerst formuliert. Auf dem Weg nach Caesarea Philippi, hoch im Norden Israels, sagt einer, was die Jünger Jesu verbindet: Du bist der Christus. Mögen die Leute denken, was sie wollen, Petrus jedenfalls ist überzeugt: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Und wie glatt dem Petrus das Bekenntnis über die Lippen kommt. Keine Zweifel, keine Rückfragen, kein Wenn und Aber. Ja, das ist er und so ist er, der erste Jünger unseres Herrn.

Ich mag ihn, den Fischer vom See Genezareth. Ich mag ihn, den Simon, den Jesus später Petrus nennt, den Fels, auf dem er seine Kirche bauen will. Er kann mich in seinen Bann reißen. Ich vergesse alle Unsicherheit und allen Zweifel. Ich bin beeindruckt von diesem Bekennermut, von dieser Klarheit des Zeugnisses. Das ist doch ein überzeugendes Fundament, das ist wirklich ein Fels, auf dem sich Kirche bauen lässt. So klar und eindeutig müsste die Kirche auch heute ihr Bekenntnis sagen. So überzeugend müsste die Kirche doch auch heute Flagge zeigen. Und dann würde ich mich einreihen und vor jedermann bekennen: Du bist Christus - und dieser lebendige Sohn Gottes ist der Grund meiner Hoffnung im Labyrinth meines Lebens.

Aber wäre ich wirklich ein überzeugender Zeuge? Würde ich wirklich vor jedermann bekennen? Überzeugende Zeugen waren die ersten Jünger doch auch nicht. In Caesarea Philipppi, hoch im Norden Israels, waren sie unter sich, die Jünger und ihr Meister. Im äußersten Norden des Landes gehörte nicht viel Mut dazu, Flagge zu zeigen und sich zu Jesus Christus zu bekennen.  Als es galt, zu diesem Bekenntnis zu stehen, zu Jesus zu stehen, den sie den Christus nannten, hat sie sehr schnell der Mut verlassen. Als es darauf ankam, vor aller Welt und vor den Mächtigen in Israel zu ihrer Überzeugung zu stehen, den Glauben zu bekennen, war das Bekenntnis schnell vergessen. Einige sind geflohen, einer hat den Herrn und Meister verraten - und Petrus, ja, Petrus war auch nicht viel besser. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Flagge zeigen, vor jedermann bekennen, auch heute? Stehe ich wirklich mutig neben Petrus? Lasse ich mich mitreißen von seinem Bekennermut? Würde ich mit Paulus sagen: „Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben." Würde ich das sagen in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, unter Freunden und auch an der Theke?

Wie buchstabiert man das heute, das Bekenntnis zu Jesus Christus? Wie bekennt  die Kirche heute glaubhaft ihren Glauben an Jesus Christus? Ein Beispiel: Wenn die Gemeinde zum Gottesdienst zusammenkommt, wenn Eltern ihr Kind zur Taufe bringen, wenn zwei Menschen ihre Ehe unter Gottes Wort beginnen, dann ist das ein für alle sichtbares Bekenntnis zu Jesus Christus. Mit dem Gang zum Gottesdienst am Sonntagmorgen - oder eben an Pfingstmontag - bekennen wir vor jedermann, wohin wir gehören. Wir bekennen, indem wir uns verhalten. Wir bekennen, indem wir tun, wozu uns der Glaube nötigt.

„Und ihr, was sagt ihr, wer ich sei?", fragt Jesus seine Jünger. Die Antwort der Jünger ist in ihrem Alltag gewachsen, ist gelebte Überzeugung. Vor 2000 Jahren war die Antwort kurz und knapp: „Du bist der Christus." Unsere Antwort heute wächst im Hören auf sein Wort. Unsere Antwort steht in der Spannung zwischen sonntäglichem Wort und alltäglichem Tun. Da muss das Bekenntnis buchstabiert werden.

Bekenntnis ist immer Wort und Tat zugleich, nicht nur sonntägliches Wort, sondern auch alltägliches Tun, nicht nur sonntägliches Lippenbekenntnis, sondern tagtägliche Nachfolge. Martin Luther hat den Bekennermut in beeindruckender Weise gezeigt. Der aufrechte Luther vor Kaiser und Reich sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen"

Glaubenscourage kommt in diesen Worten zum Ausdruck - und Glaubenscourage kommt aus dem Wort Gottes. Gut von Gott zu reden und dem Nächsten Gutes zu tun, so müssen Christen heute ihr Bekenntnis formulieren. Indem wir gut von Gott reden und dem Nächsten Gutes tun, zeigen wir Flagge und bekennen, wohin wir gehören. Flagge zu zeigen in der Kirche heißt heute, Ideen zur Erneuerung der Kirche zu entwickeln. Neubeginn kann allein  im Hören auf sein Wort gelingen, Neubeginn kann allein durch Glauben gelingen.

Pfingsten ist kein Fest der Nostalgie. Pfingsten ist mehr als nur der Geburtstag der Kirche. Pfingsten ist der erste Schritt auf einem langen Weg des Bekennens. Ob in Caesarea Philippi oder in Jerusalem, ob hier bei uns oder in anderen Teilen der Welt: Immer sind Menschen gefragt: „Was sagt denn ihr, wer ich sei?" In der Geschichte unserer Kirche ist die Antwort oft kläglich ausgefallen. Oft hat uns der Bekennermut verlassen und im Alltag wurde oft vergessen, was am Sonntag noch gegolten hat.

Machen wir uns also auf den Weg. Von Rückzug ist im Predigttext nicht die Rede. Im Gegenteil: „Du bist Petrus - und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen," antwortet Jesus auf das Bekenntnis des Petrus. Diese Antwort gilt auch uns. Machen wir uns also auf den Weg und gehen aufmerksam von Caesarea Philippi in alle Welt. Das mag schwer sein, weil in der Fülle der Zeichen am Weg nicht immer auszumachen ist, ob es Gottes Wegmarken sind.

Machen wir uns am Geburtstag der Kirche auf den Weg. Machen wir uns auf den Weg mit dem Gott, dessen Weg wir oft verfehlen. Aber: Den, der vorangeht, lernt man nur kennen, wenn man seinen Spuren folgt. Machen wir uns also auf den Weg und treten aus dem anonymen Christ-Sein heraus, damit das Christ-Sein wieder Alltagskraft gewinnt und nicht nur Festtagsverzierung ist.

Als Christen sind wir nur dann glaubwürdig, wenn wir uns einknüpfen lassen in die Netzwerke des Alltags und selber ein neues Netzwerk der Liebe durch diese und über diese Welt spannen. Niemand wird uns in Zukunft unser Christ-Sein abnehmen, wenn nicht wieder spürbar wird, dass unser Gottesdienst Aufbruch zum Umbruch ist, der erste Schritt zu mehr Himmel auf Erden. Darum ist Bekennermut nötig. Darum ist Glaubenscourage nötig. Im öffentlichen Leben, im Beruf und in den persönlichen Beziehungen.

Pfingsten ist mehr als nur der Geburtstag der Kirche. Pfingsten ist der erste Schritt zu einem neuen Miteinander. Nur im Miteinander wächst der Glaube. Niemand kann für sich allein Glauben. Mit seinem klaren Bekenntnis hat Simon Petrus das Fundament benannt: „Du bist der Christus." - Und das ist ein Fundament, das die Kirche trägt - bis heute. Amen



Kirchenpräsident Jann Schmidt
Leer
E-Mail: schmidt-leer@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)