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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 01.06.2009

Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Peter Schuchardt

Liebe Schwestern und Brüder!

„Die Grenze", so sagt der große Theologe Paul Tillich, "ist der fruchtbare Ort der Erkenntnis". Das erleben wir in jedem Urlaub, wo wir die Grenze des Vertrauten hinter uns lassen und einen anderen Ort, eine andere Landschaft, ein anderes Land erkunden. Da entdecken wir neue Eindrücke und neue Einsichten. Da erleben wir vielleicht auch uns selbst einmal ganz anders, entspannter und gelöster, wenn wir die Grenze des Alltags und des  Alltäglichen überschreiten. Denn die Grenze zeigt uns ja nicht nur das, was immer war und ist, sondern lässt uns in ein anderes Land, in neue Möglichkeiten sehen. Heute, bei unserem deutsch-dänischen Gottesdienst, dürfen wir das auch erleben und erfahren. Wir erleben und hören, wie Gott in beiden Sprachen gelobt und gepriesen wird. Wir erleben: die Grenze bleibt Grenze - ich spreche nicht plötzlich fließend dänisch - aber an der Grenze, wo sich unsere beiden Gemeinden sinnbildlich berühren, erleben wir Gottes verbindende Kraft über die Grenzen hinweg. Und das ist das, was heute wichtig ist: dass diese verbindende Kraft uns gemeinsam in das Lob Gottes einstimmen lässt. Das ist Pfingsten, und diese verbindende Kraft ist Gottes Heiliger Geist. Den feiern wir heute mit unseren Liedern, mit den Pfadfindern, als Deutsche und Dänen, und was noch wichtiger ist: als Christenmenschen. Ich weiß, und ihr wisst es auch, liebe Schwestern und Brüder: das war nicht immer so. In manchen Jahren vor vielen Jahren wurde das Trennende betont. Da wagte sich keiner an die Grenze, von keiner Seite. Ein erster Schritt war der erste gemeinsame Gottesdienst vor fast 10 Jahren. Und seit diesem Schritt an die Grenze ist es eine wunderbare Tradition geworden, dass wir an Pfingsten diesen Gottesdienst gemeinsam feiern.

 

Wir Menschen leben in Grenzen, leben begrenzt, nicht nur, was die Jahre angeht, sondern auch, was unser Verstehen betrifft. „All unser Wissen ist Stückwerk", sagt Paulus, und er hat Recht. Aber wir sollten uns nicht einfach damit abfinden, sondern den Weg an die Grenze wagen, so wie wir es vor Jahren mit unserem ersten gemeinsamen Gottesdienst getan haben. Denn daraus erwuchs die Erkenntnis: uns verbindet mehr als uns trennt. Und mehr und mehr trägt dieses Wissen Frucht unter uns. Mehr und mehr wächst Pfingsten unter uns und zwischen uns. Es wäre romantisch und naiv, nun etwa eine gemeinsame Gemeinde zu fordern. Dazu haben wir zu unterschiedliche Traditionen. Aber das Gemeinsame mehr und mehr in den Blick zu nehmen, dazu dürfen wir uns immer wieder gerne an die Grenze wagen und Gott dabei loben.

 

Menschen geraten immer wieder an eine Grenze, an den Ort der fruchtbaren Erkenntnis. Manche dieser Erkenntnisse werden schmerzhaft gewonnen. Ein Mann erfährt, dass er Krebs hat. Er kämpft dagegen, unterzieht sich Untersuchungen und Operationen. Er schafft es. Aber sein Blick auf das Leben hat sich geändert. Die Zeit mit der Familie, mit seiner Frau, seine Liebe zur Musik: das ist ihm jetzt wichtig. Sein berufliches Weiterkommen steht nun hintenan. "Ich hätte ohne die Krankheit einfach weitergemacht wie bisher", sagt er. Eine junge Frau lernt einen Mann kennen und verliebt sich in ihn. Sie traut sich nicht, ihn  anzusprechen, ist unsicher, ob er ihre Gefühle erwidert. Sie wird fast krank vor Angst und Sehnsucht. Schließlich nimmt sie alle ihren Mut zusammen und gesteht ihm ihre Liebe - und hört von ihm: „Ich liebe dich auch!" Gemeinsam überschreiten sie die Grenze der Angst und Unsicherheit und werden ein Paar.

In dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier" gerät der TV-Wetteransager Phil Connors an eine scheinbar unüberwindbare Grenze. Er ist ein menschenverachtender Zyniker, der nur seinen eigenen Vorteil im Blick hat. Missmutig gelaunt fährt er mit Rita, seiner neuen Aufnahmeleiterin nach Punxsutawney, um vom alljährlichen Murmeltiertag am 2. Februar zu berichten. Voller Bitterkeit und ohne Lebensfreude erledigt er seinen Job und wünscht sich nichts mehr, als bald wieder nach Hause zurück zu kommen. Doch er gerät in eine Zeitschleife und wacht nun immer wieder an diesem 2. Februar auf. Immer wieder ist Murmeltiertag für ihn. Für ihn ist die Grenze der Ort der schrecklichen Erkenntnis: Ich bin gefangen. Ich komme hier nicht mehr heraus! Zuerst bemüht er sich,  allen Reichtum und alle Frauen, die er an diesem immer wiederkehrenden 2. Februar bekommen kann, zusammenzuraffen. Dann versucht er aus Verzweiflung sich das Leben zu nehmen und wacht doch immer wieder zur gleichen Musik aus dem Radiowecker auf. Schließlich verliebt er sich in Rita. Er verwandelt sich vom Zyniker zum hilfsbereiten Menschenfreund. Doch erst, als Rita seine Liebe erwidert, wird er aus seinem Gefängnis befreit, kann die Grenze überwinden und wacht endlich am 3. Februar auf, glücklich, verändert und verliebt.

 

Im Predigtext heute geht es auch um die Grenze. Auch dort kommt es zu fruchtbaren, ja wunderbaren Erkenntnissen. Wir haben ihn eben in der Lesung ja gehört. Schon die Ortsangabe ist eine Grenzbeschreibung. Cäsarea Philippi, das ist die Grenze zwischen Heidenland und Heiligem Land. An dieser Grenze möchte Jesus von seinen Jüngern wissen: „Für wen halten die Leute mich?" Von Johannes dem Täufer über Elia bis hin zu Jeremia reichen die Antworten. Große Propheten sind dies alles - aber nichts Neues. Das alles sind Männer, große Gestalten, die einmal waren. Aber Jesus steht ja nicht umsonst an der Grenze, dem Ort der fruchtbaren Erkenntnis. Er fragt weiter: „Und ihr? Für wen haltet ihr mich?" Da antwortet Simon Petrus: „Du bist Christus, Sohn des lebendigen Gottes!" Mit diesen Worten, mit diesem Bekenntnis kommt Petrus an die Grenze. Er schaut nicht mehr zurück in die Vergangenheit. Er sieht das Neue. Er blickt in die Zukunft. Er blickt auf Gott. Denn von dort soll doch der Retter, der Messias, der Christus kommen. Und nun sieht und bekennt er: „Du bist es, auf den wir gewartet haben. Nun bist du da!" Was lässt Petrus diese Worte sagen? Dazu gleich. Jetzt erst einmal blickt  auch Jesus in die Zukunft und auf Gott. „Simon", so redet er ihn zuerst an. „Das ist dein alter Name. Aber die Menschen werden dich bald nur noch als Petrus kennen, denn du selbst mit all deinen Fehlern, deinen Gaben, deiner Schuld und deiner Kraft sollst zum Grundstein meiner Gemeinde, meiner Kirche in der Welt werden. Auf dich will ich wie auf einen Felsen meine Gemeinde bauen. Und auch wenn du fehlbar bist, schuldig werden wirst und dir die Kraft auszugehen scheint: ich gebe dir die Schlüssel des Himmelreichs. Was du hier auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, was du hier lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein." So wird für Petrus nun die Grenze zum Ort der wunderbaren Erkenntnis. Er darf mit Jesu Worten in die Zukunft blicken. Eine wunderbare, grenzenlose Zukunft. Ihr wisst, liebe Schwestern und Brüder, dass diese Worte aus dem Miteinander der evangelischen und katholischen Christen mehr ein Gegeneinander machen. Ist denn wirklich die Vorrangstellung des Papstes hier herauszulesen? Ich denke nein. Aber das soll gar nicht so sehr interessieren. Viel wichtiger ist: Jesus blickt in die Zukunft der Gemeinde, in die Zukunft der Kirche. Er macht mit seinen Worten vom Binden und Lösen uns zur großen Vergebungsgemeinschaft, zu der Gemeinschaft, die aus der Liebe Gottes lebt und seine Liebe weitergibt. Wir sollen mit Petrus als Grundstein (nichts weniger ist er, aber auch nicht mehr) die vergebungsvolle Liebe in der Welt ausbreiten, sollen von ihm erzählen, von ihr singen und sie leben. Unser christlicher Glaube ist nie nur ein innerliches Umsichselbstdrehen gewesen, sondern hat immer auch den Nächsten, den Anderen im Blick gehabt. Da ist gerade heute wichtig, in einer Zeit, die mehr und mehr zur Verinnerlichung des Einzelnen drängt.

 

Und was lässt Petrus nun diese großen Worte sage: „Du bist Christus, Sohn des Lebendigen Gottes!"? Warum blickt Jesus in die wunderbare Zukunft der Gemeinde bis uns heute und darüber hinaus? Weil es um Gottes Liebe geht, und weil Gottes liebevoller Geist an dieser Grenze weht. Cäsarea Philippi: der Ort ist ja nicht zufällig gewählt. „Kaiserstadt" oder „Kaisershausen", so würde es wohl heute heißen. Natürlich klingt dort der Cäsar in Rom an, der Kaiser mit all seiner Macht. Aber der ist hier genauso wenig von Bedeutung wie der Kaiser Augustus in der Weihnachtsgeschichte. Petrus sieht in Jesus den viel mächtigeren, denn er sieht in ihm Gottes Liebe, die Hand und Fuß bekommen hat. Und diese Liebe vertraut Jesus nun ihm und damit der ganzen Kirche, der Gemeinde weltweit an, auch der deutschen und dänischen Gemeinde hier in Bredstedt.

 

Diese göttliche Liebe ist es, aus der wir leben. Sie ist es, die uns an unsere Grenzen führt. Sie öffnet dem Krebskranken die Augen für das Wesentliche des Lebens. Sie verleiht der jungen Frau den Mut, ihre Liebe dem Anderen zu gestehen - und sie verwandelt sogar den Menschenfeind Phil Connors und führt ihn heraus aus den engen Grenzen seiner lieblosen Ichbezogenheit. An all dem erkennen wir die verändernde und kraftvolle Macht der Liebe. Sie kann uns unser Herz und unsere Augen öffnen. Gott selbst ist diese Lebens öffnende Liebe, und wir feiern heute am Pfingstfest, dass er uns diese Liebe mit seinem heiligen Geist schenkt.

 

Es wird weiter Grenzen geben, wir werden immer wieder an unsere Grenzen stoßen. Aber unser Herr kann uns an diesen Grenzen öffnen für seine Liebe. Und dann können wir sehen und wagen, was wir vorher nicht gesehen und gewagt haben. Wir sehen den Sinn, wir sehen den andern, wir verlassen unsere Gefängnisse. Und wir erkennen Christus, Gottes Sohn, seine Liebe, die auch zu uns kommt. Denn sie ist grenzenlos. Das dürfen wir heute wieder feiern, auf deutsch und auf dänisch in unserer Sprache, mit unseren Liedern. Wir feiern Gottes Liebe, die uns das Herz zum Jubeln öffnet. Wir feiern seinen Geist, der uns den andern sehen lässt in seiner Not. Und wir feiern Gottes Geist, der uns über alle Grenzen hinweg zur Kirche macht, die durch die Zeiten hindurch das Wort seiner Liebe den Menschen sagt. Bitten wir Gott heute darum, dass seine liebevolle Hand uns noch oft an unsere Grenzen führt, diesen Ort der fruchtbaren Erkenntnis. Und seien wir gespannt auf das, was wir durch Gott noch zu hören zu sehen und zu sagen bekommen. Frohe Pfingsten og god pinse!

Amen



Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: pw-schuchardt@versanet.de

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