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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2009

Predigt zu Lukas 16:14-17.19-31, verfasst von Karin Bassler

Liebe Gemeinde,

haben Sie die Schriftlesung noch im Ohr? Sie steht im 5. Buch Mose. Es geht um ein Gebot Gottes, und zwar um eines, das immer aktuell ist und dazu noch ganz unmissverständlich: Wenn einer deiner Brüder arm ist -  damit fängt es an - so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder, sondern sollst sie ihm auftun. Und es endet mit den Worten: Es werden allezeit Arme sein im Lande; darum gebiete ich dir und sage, dass du deine Hand auftust deinem Bruder, der bedrängt und arm ist.

So steht es im Gesetz des Mose, klar, einfach zu verstehen und zeitlos. Das Gesetz des Mose hat Gott seinem Volk Israel gegeben. Darin steht, wie die Israeliten nach Gottes Willen leben sollen. Gilt das Gesetz des Mose auch für Christen? Mit dieser Frage haben sich viele der Autoren des Neuen Testaments auseinandergesetzt, Paulus, der gottesfürchtige Jude an erster Stelle. Aber auch der Evangelist Lukas, der selbst kein Jude war, hat sich damit beschäftigt. Kein Wunder, denn natürlich waren die Gebote Gottes, die Schriften des Mose und der Propheten auch für Jesus ein ganz wichtiges Thema.

Darum werde ich dem Predigttext für den heutigen Sonntag um ein paar Verse nach vorne erweitern. Dadurch wird die Geschichte, um die es geht, besser verständlich. Ich lese also aus dem Lukasevangelium, Kapitel 16, die Verse 14 bis 17 und 19 bis 31.

Das alles hörten die Pharisäer. Die waren geldgierig und spotteten über ihn. Und Jesus sprach zu ihnen: Ihr seid´s, die ihr euch selbst rechtfertigt vor den Menschen; aber Gott kennt eure Herzen; denn was hoch ist bei den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott.

Das Gesetz und die Propheten reichen bis zu Johannes. Von da an wird das Evangelium vom Reich Gottes gepredigt, und jedermann drängt sich mit Gewalt hinein. Es ist aber leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt.

Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren und begehrte sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten seine Geschwüre.

Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.

Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.

Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet und du wirst gepeinigt. Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.

Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen. damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.

Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören.

Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.

Er sprach zu ihm: Hören Sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Nur durch eine Tür voneinander getrennt leben der namenlose Reiche und der Arme mit Namen Lazarus. Der eine hat, was das Herz begehrt, schöne Kleider, alle Annehmlichkeiten dieser Welt, Freude und Genuss im Überfluss, und das auch noch tagaus, tagein. Und der andere hat nichts, keine Kleider, nur Hunger und dazu ist er auch noch krank, hat Schmerzen und wird öffentlich gedemütigt durch die leckenden Hunde. Sein einziger Wunsch ist, etwas von den Abfällen vom Tisch des Reichen abzubekommen, aber auch das wird ihm verwehrt. Nur eine Tür trennt die beiden und doch könnte die Kluft zwischen ihnen nicht größer sein.

So etwas ist ein Skandal. So etwas darf um Gottes Willen nicht sein. Und so etwas darf nicht einfach ungesühnt bleiben, festgeschrieben durch den Tod der beiden. So etwas kann nicht damit zu Ende sein, dass der eine von der Tür weggeschafft und irgendwo verscharrt wird und der andere ein ehrenvolles Begräbnis erhält. Die Geschichte schreit nach ausgleichender Gerechtigkeit. Und die folgt ja dann auch auf dem Fuß:

Der Arme stirbt zwar einen elenden Tod, aber es kommen die Engel, tragen ihn weg und legen ihn behutsam in den väterlichen Schoß Abrahams. Statt Schoß könnte man auch Gewandfalten übersetzen. Wie auch immer, dort ist er sicher vor Krankheit, Hunger und Demütigungen, so sicher eben wie in Abrahams Schoß. Derjenige, der zu Lebzeiten nackt und allein auf dem kalten, harten Boden lag, liegt im Tod weich, warm und geborgen.

Besser spät als gar nicht, denke ich mir. Und sie hat tatsächlich etwas Tröstliches, diese Vorstellung, dass alle die Armen, die nie eine Chance hatten im Leben, die Vielen, die im Lauf der Geschichte und auch heute noch einen solch elenden und vorzeitigen Tod sterben, es danach irgendwie besser haben. Und dass der Tod nicht einfach nur das elende Siegel unter ein elendes Leben ist. Vielleicht hat Lazarus deshalb diesen speziellen Namen. Er ist die griechische Version des hebräischen Eleasar und bedeutet "Gott hilft". Aber auch diese Vorstellung, dass auch die Ärmsten der Armen einen Namen haben und von Gott nicht vergessen werden, ist wahrhaftig nichts, was ihr Leid zu Lebzeiten auch nur ansatzweise rechtfertigen würde. Auch nicht in den Augen Gottes übrigens, denn schließlich sind wir noch lange nicht am Ende der Geschichte angelangt.

Der Reiche landet nach dem Tod in der Hölle, im Griechischen heißt es im Hades, also in der Unterwelt, im Reich der Toten. Und alles, was jetzt kommt, ist ein bis ins kleinste Detail genaues Spiegelbild der vorigen Situation. Zu Lebzeiten lag der Arme vor der Tür und der Reiche sah auf ihn hinunter, wenn er sein Haus betrat oder verließ. Nun ist es der Reiche, der unten ist und seine Augen nach oben richten muss, um Lazarus zu sehen. Früher waren sie sich ganz nah, nur durch eine Tür voneinander getrennt, jetzt ist Lazarus fern vom Reichen, aber immer noch zu sehen. Früher war Lazarus allein und verlassen und der Reiche feierte Tag für Tag in lustiger Runde, jetzt ist Lazarus bei Abraham und der Reiche ist allein. Und das, worum der Reiche bittet, entspricht im Umfang genau dem, worum früher Lazarus gebeten hat. Lazarus wollte nicht an die Tafel des Reichen eingeladen oder gar als Dauergast in sein Haus aufgenommen werden. Lazarus wollte nicht einmal täglich eine Portion Essen vor die Tür  gebracht bekommen. Nein, er wollte nur die Abfälle des Reichen unter dessen Tisch zusammenklauben und sich damit vor dem Hungertod retten.

Um das deutlich zu machen, mit wie wenig doch dem Lazarus geholfen gewesen wäre, kommt jetzt die etwas überspitzt klingende Bitte mit der ins Wasser getauchten Fingerspitze, die dem Reichen die Zunge kühlen soll. Nur eine solch geringe Hilfeleistung, nur ein solches klitzekleines bisschen Barmherzigkeit wäre schon genug gewesen, um Lazarus das Leben zu retten oder etwas erträglicher zu machen. Aber der Reiche war selbst dazu nicht bereit. Und darum muss Abraham ihn auf eine freundliche, aber bestimmte Weise daran erinnern, dass jetzt im Tod ausgeglichen wird, was der Reiche früher unausgeglichen ließ. Die riesengroße Kluft zwischen arm und reich, die der Reiche zu Lebzeiten hätte verkleinern können, die klafft jetzt genauso unüberwindlich vor den Füßen des Reichen, wie sie sich früher vor Lazarus aufgetan hatte.

Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Der Ausgleich ist hergestellt, das Gerechtigkeitsempfinden der Zuhörenden ist befriedigt. Aber in diese Befriedigung mischt sich ein unbehagliches Gefühl. Wie bei jeder gut erzählten Geschichte stellt sich ja für die Zuhörenden die Frage, in welcher Person sie sich am ehesten wieder erkennen. Abraham kommt nicht in Frage, er ist eine Klasse für sich. Und wem von den damaligen Zuhörern Jesu und wem von uns heute geht es schon derart dreckig wie Lazarus? Wohl niemandem. Bleibt also nur der Reiche. Auch wenn wir nicht meinen, alle Tage herrlich und in Freuden zu leben, aus der Sicht des Lazarus ist das vielleicht schon so.

Und gibt es nicht tatsächlich bei jedem und jeder irgendwelche Dinge in der Vergangenheit, die wir ebenso falsch gemacht haben wie der Reiche? Situationen, in denen wir Streit geschürt haben, anstatt ihn zu begraben, in denen wir Elend vergrößert haben, anstatt es zu vermindern? Situationen, in denen wir hätten helfen können und es nicht getan haben, in denen wir die Hand zugehalten haben, anstatt sie aufzutun und in denen wir eine Kluft aufgerissen haben, anstatt sie zuzuschütten oder zu überbrücken?

Wird uns das alles heimgezahlt? Na, dann gute Nacht! Das wäre ein bitteres Ende. Aber die Geschichte geht weiter und sie macht vor allem das eine Wesentliche deutlich, was alle Zuhörenden, die damaligen wie die heutigen vom Reichen unterscheidet: Er ist tot, wir leben. Er hat keine Chance mehr, wir aber haben jeden Atemzug wieder neu die Möglichkeit, es nicht so weit kommen zu lassen wie der Reiche.

Und weil der Reiche - spät, aber immerhin - das erkennt, lässt er nicht locker und wendet sich zum zweiten Mal an Abraham: Wenn schon mir Totem nicht mehr zu helfen ist, dann wenigstens meinen Brüdern, die noch leben, bittet er. Aber Abraham sieht keinen Anlass, etwas Besonderes zu unternehmen: Genau wie du zu deinen Lebzeiten, so haben auch deine Brüder das Gesetz des Mose und die Schriften der Propheten. Sie kennen den Inhalt von klein auf, sie wissen oder sie könnten es wissen, dass es dort heißt: Wenn einer deiner Brüder arm ist, so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder, sondern sollst sie ihm auftun. Klarer kann es doch nicht mehr gesagt werden. Was willst du dem noch hinzufügen?

Was hier dem Abraham in den Mund gelegt wird, ist die große Wertschätzung des mosaischen Gesetzes, die Jesus vorher den Pharisäern gegenüber geäußert hat. Was sagte er doch gleich? Es ist aber leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt. Aber ist das wirklich schon alles? Ist Jesus nur gekommen, um sein Volk an das Gesetz und die Propheten zu erinnern? Daran, dass sie danach handeln sollen, solange sie ihr Leben haben? Das wäre schon eine Menge, aber, wenn es ihm  - in Anführungszeichen - "nur" darum gegangen wäre, dann hätte er an dieser Stelle mit seiner Geschichte aufhören können. Die Botschaft wäre komplett gewesen.

Das Gleichnis geht aber noch in eine dritte Runde. Der Reiche hakt noch einmal nach:

Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.

Und das ist nun genau die Stelle an der das Christentum über das Judentum hinausgeht: Denn es ist tatsächlich einer von den Toten auferstanden. Auferstanden, um nicht nur dem Volk Israel, sondern uns allen die Chance zu geben, Buße zu tun, umzukehren und ein Leben in Einklang mit dem Willen Gottes zu führen. Auferstanden, damit wir nicht auf unsere alten Fehler festgelegt sind. Auferstanden, um uns zu befreien von der Geldgier, von der Selbstrechtfertigung  und von der Jagd nach dem, was hoch ist bei den Menschen. Auferstanden, damit wir uns an ihn wenden können mit den Worten: Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. Und auferstanden, damit wir seine Liebe und sein Erbarmen weitergeben können an den Mitmenschen, der vor unserer Tür liegt.

Das ist die neue, die gute Nachricht, das Evangelium vom Reich Gottes, das von Johannes dem Täufer an gepredigt wird. Aber diese gute Nachricht vom Leben, Sterben und Auferstehen Jesu ist keine billig zu habende Garantie auf einen Platz in Abrahams Schoß. So wurde sie wohl von manchen missverstanden. Darum betont Jesus diesen Punkt vor dem Gleichnis so sehr: Diejenigen, die sich mit Gewalt ins Reich Gottes hineindrängeln wollen, also ohne zu tun, was sie zu glauben meinen, die liegen völlig daneben. Und darum lässt er auch den Abraham mit den Worten schließen: Hören Sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Beides gehört untrennbar zusammen: Der Glaube an das Evangelium einerseits und das Tun dessen, was Gott geboten hat andererseits. Beides zu verkündigen und nicht das eine gegen das andere auszuspielen, darum geht es Jesus in der Gleichnisgeschichte vom reichen Mann und armen Lazarus. Und weil das Tun zum Glauben unabdingbar dazu gehört, darum gilt auch das Gebot aus dem 5. Buch Mose uneingeschränkt für uns heute:

Es werden allezeit Arme sein im Lande; darum gebiete ich dir und sage, dass du deine Hand auftust deinem Bruder, der bedrängt und arm ist.

Amen.

Lied nach der Predigt: Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit, EG 295, 1-4.

Unter Verwendung der aktuellen „Predigtstudien", Stuttgart 2009, von Evelina Volkmann/Sabine Geyer zu, 1. So nach Trinitatis



Dr. Karin Bassler
Stuttgart
E-Mail: karin@bassler-stuttgart.de

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