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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2009

Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Uwe Tatjes

Liebe Gemeinde,

haben Sie nicht auch schon einmal davon geträumt, die Rollen zu tauschen? Mal, wenigstens für eine gewisse in die Haut eines anderen schlüpfen zu können, mal allen eigenen Zwängen enthoben zu sein?

Verschiedene Dinge mag es da geben, die wir uns erträumen. Mal ein erfolgreicher Sportler sein, mal ein Superheld mir übermenschlichen Kräften, mal ein Tänzer, mal ein Sänger. Oder wie neulich im Fernsehen zu sehen, die Rollen zwischen zwei Frauen zu tauschen, die eine durfte Mutter sein, die andere erfolgreiche Geschäftsfrau. Vielleicht träumen wir davon, einmal Politiker zu sein und endlich die Dinge zum Guten zu ändern, die Weichen richtig zu stellen. Oder wir träumen davon, reich zu sein, keine materiellen Sorgen zu haben.

Solche Träume sind verlockend.

Mark Twain hat in seiner Geschichte „Prinz und Bettelknabe" einen solchen Traum einmal ausgesponnen: Da tauschen ein Betteljunge und ein englischer Prinz die Kleider, werden unverhofft getrennt und finden sich in der jeweils anderen Welt überhaupt nicht zurecht. Dem vermeintlichen Betteljungen nimmt es niemand ab, ein Prinz zu sein, dem vermeintlichen Prinzen gelingt es nicht, sich in die steife Welt des Hofes einzufinden. So wird aus dem Spiel auf einmal bitterer Ernst: Der Prinz bekommt die Härte der Armut zu spüren, der Betteljunge die Intrigen und Verlogenheit des höfischen Welt. Auch wenn die Geschichte gut ausgeht, denn es gelingt den beiden doch noch das Mißverständnis aufzuklären, sie ziehen ihre Konsequenzen daraus: der Thronfolger wird ein gütiger Herrscher, der Gossenjunge ein loyaler Bürger.

Unser Predigttext bietet uns heute auch einen Rollentausch, aber mit dem Happy End ist es in dieser Geschichte nicht so einfach bestellt. Ich lese aus Lk 16, 19-31

Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte. Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von weitem Abraham, und Lazarus in seinem Schoß. Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir, und schick Lazarus zu mir; er soll wenigstens die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer. Abraham erwiderte: Mein Kind, denk daran, daß du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber mußt leiden. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so daß niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte. Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen. Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.

Liebe Gemeinde,

die Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann beginnt wie ein Märchen: Es war einmal....

Und märchenhaft mutet auch an, was in der Geschichte passiert. Daß Lazarus, der Arme, unbeachtet vor der Tür des reichen Mannes liegt, das scheint ja noch vorstellbar. Aber daß sich dann der Reiche aus der Unterwelt in dies seltsame Gespräch mit Abraham einlassen kann, daß sich die Rollen von armem und reichem Mann so vertauschen können, das hat schon etwas märchenhaftes an sich. Mag sein. Es sollte uns nicht hindern hinzuhören. Denn jedes Märchen hat ja eine tiefe Wahrheit, die uns etwas sagen will. Und wenn Jesus uns dies Gleichnis erzählt, wollen wir nach dieser Wahrheit fragen. Jesus erzählt in diesem Gleichnis nichts Alltägliches, wie sonst. Daß einer einen Blick in das Totenreich werfen kann und dann zurückkehrt oder wenigstens jemanden schickt, das ist jenseits unserer alltäglichen Erfahrung. Es gibt Geschichten, Mythen von solchen Ereignissen. Es sind die Helden der griechischen Sage, denen das gelingt: Odysseus, Herakles und Orpheus - aber auch ganz gewöhnlichen Menschen. Die Idee ist ja verlockend: Wenn einer von den Toten zurückkommen könnte, was würde er wohl zu berichten haben? Auf jeden Fall brächte jeder, der zurückkehrte, eine Botschaft mit. Eine solche Reise kann nicht ohne tiefe Einsicht in die Geheimnisse des Lebens bleiben. Von hier aus sehen wir nur ein paar Schritte voraus, können über den Tellerrand des Lebens nicht blicken. Von dort, aus dem Reich des Todes würden wir das Leben in seiner Gänze überblicken.

Das ist in unserer Geschichte ganz genauso: In der Unterwelt angekommen, erkennt der reiche Mann jählings, was sein Leben ausgemacht hat. Mag es auf dieser Seite auch ein komfortables und gutes Leben gewesen sein, im Angesicht des Todes verliert es rapide an Wert. Woran liegt das? Wieso tauschen Lazarus und der Reiche plötzlich die Rollen? Lazarus, der eben noch in der Gosse lag, darf sich an Abrahams Brust ausruhen, ist in seinem Schoß sicher und geborgen. Und der Reiche, der eben noch prächtig dinierte, darbt nun und schmeckt die Not. Auf einmal erkennt er die Nichtigkeit seines Lebens. Was hat er falsch gemacht? War sein Fehler reich zu sein? Und hat Lazarus gerettet, arm zu sein?

Dann wäre die Geschichte, die Jesus erzählt, eine Erläuterung einer uralten Vorstellung. Nämlich der, daß im Jenseits ausgeglichen wird, was wir hier erleben und erdulden. Erst im Tod entscheidet sich, was ein gutes und ein schlechtes Leben gewesen ist. Die alten Ägypter haben dieser Vorstellung in ihrer Religion bedeutenden Raum und faszinierende Bilder verliehen.

Aber wenn das Jenseits nur ein Ausgleich ist, zwischen dem Dasein hier und dem Leben im Himmel, ist das dann nicht zu einfach? Hat man so nicht auch lange all die Armen und Elenden vertröstet auf ein Jenseits, wo alles besser sein würde? Und hat man damit nicht bequem alle Rufe nach Veränderung und Gerechtigkeit abgetan?

Ich denke, wir verstehen Jesus nicht richtig, wenn wir die Geschichte so lesen: der reiche Mann ist ein schlechter Mann, weil er reich ist und der arme Mann ist ein guter Mann, weil er arm ist.

Darum geht es nicht. Es geht eigentlich um verpaßte Chancen.

Denn nicht der Reichtum ist der Fehler. Sondern nicht nach Gottes Willen gelebt zu haben.  Diese Chance hat der Reiche verpaßt. Nun, in der Unterwelt ist es zu spät. Sein Wunsch, doch wenigstens seine fünf Brüder zu warnen, wird von Abraham ja auch bezeichnenderweise mit dem Hinweis gekontert: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. Mose und die Propheten, das ist Gottes, Wort, Gottes Wille. Dieser Wille war auch dem Reichen bekannt. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst. (Lk 10, 27), so faßt Jesus selbst diesen Willen zusammen.

Lazarus war für den reichen Mann eine Chance, diesem Willen Gottes zu entsprechen. Diese Chance lag vor der Tür des reichen Mannes, aber er hat sie nicht erkannt. Er hat sich eingerichtet in seinem Leben. Er hat seinen Reichtum für sich genossen, obwohl er vielleicht geahnt hat, daß es besser ist, abzugeben, zu teilen. Er war nicht bereit, etwas zu verändern. Und gerade da liegt die Pointe. Denn in seinem Leben hätte er die Chance zur Umkehr gehabt, hätte Dinge anders regeln, sich um Lazarus kümmern können. Umkehr ist ein großes Thema in Lukas Evangelium. Es ist ihm wichtig, daß wir die Chancen für unser Leben erkennen und nutzen. Gott öffnet uns die Tür ganz weit, er hält uns Möglichkeiten für ein sinnvolles Leben offen, er kommt uns längst entgegen. Wenn wir heute das Abendmahl miteinander halten, ist das die Bekräftigung dafür, wie Gott es mit uns meint. Im Gegensatz zum reichen Mann bittet Gott uns an seinen Tisch. Er gibt nicht nur ein paar Brotkrumen, er gibt sich selbst. Die Frage ist nur, ob wir das auch selbst erkennen und annehmen wollen. Der reiche Mann erinnert mich an eine Geschichte: Ein Mann sitzt im Zug. Bei jeder Station steckt er den Kopf zum Fenster hinaus, liest den Ortsnamen und stöhnt. Nach vier oder fünf Stationen fragt ihn der Sitzbachbar besorgt: „Tut Ihnen was weh?" Da antwortet der Mann: „Eigentlich hätte ich längst aussteigen müssen, aber es ist hier so schön warm drin."

Wie oft nehmen wir uns vor, uns den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zuzuwenden. Wie oft möchten wir etwas ändern. Doch die richtige Lebenswärme finden wir nicht, wenn wir einfach sitzenbleiben und weiterfahren. Die richtige Lebenswärme finden wir nur, wenn die Richtung stimmt.

Jesus macht uns darauf aufmerksam, in welcher Richtung wir suchen müssen. Er macht uns aufmerksam auf Gottes Wort. Er ermutigt uns nach diesem Wort zu leben, auf dieses Wort zu hören, diesem Wort zu vertrauen. Wenn wir immer nur so weitermachen, wie wir es gewohnt sind, wenn wir nicht bereits sind auszusteigen und die Richtung zu ändern, dann ist es vielleicht irgendwann zu spät.

Dann würde es, wie in der Geschichte, nicht einmal mehr helfen, wenn jemand von den Toten wiederkehrte. Von unserer Natur aus bleiben wir lieber sitzen. Bleiben bei uns und kümmern uns lieber nicht um den anderen.

Wir haben Gottes Wort, das uns die Richtung weist. Mit ihm können wir lernen, wieder den richtigen Blick einzuüben, mit dem Herzen zu sehen. Wir können die offenen Türen entdecken, die Gott uns geöffnet hat, die Möglichkeiten, die er uns gibt.

Sinn ist darin verborgen, füreinander da zu sein, füreinander einzustehen. So entspricht unser Leben auch dem, was Gott für uns tut und was sein Wille ist.

Darum lassen Sie mich am Ende noch einmal zu Lazarus kommen. Er bleibt ja seltsam stumm in der Geschichte. Aber immerhin bekommt die Not in ihm ein konkretes Gesicht, einen Namen. Der Reiche hat keinen Namen. In Lazarus wird die Not beim Namen genannt.

Heute hätte Lazarus vielleicht andere Namen: Den Namen eines Kindes, das weitestgehend sich selbst überlassen ist, mittags hungrig bleibt und keinen hat, der mit ihm spricht.

Den Namen einer alten Frau, die unter der Armut leidet, in die sie im Alter geraten ist und die sich dafür schämt.

Die Namen einer Familie, die im Monat von weniger leben muß als ein gutbetuchtes Paar an einem Shoppingsamstag locker ausgibt.

Den Namen des einsamen Mannes, der sich nach Ansprache sehnt und etwas Gesellschaft.

Gebe Gott uns offene Augen und Herzen, damit wir den Lazarus vor unserer Tür sehen und nicht dort fehlen, wo man auf unsere Hilfe wartet.

Amen



Pastor Uwe Tatjes
Aurich-Kirchdorf
E-Mail: pastor_tatjes@imap.cc

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