Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 21.06.2009

Predigt zu Lukas 14:16-24, verfasst von Peter Lind

Es kann sehr lehrreich sein, bei einem Streit anderer Menschen zuzuhören. Teils wird einem sehr deutlich, dass es einem bestimmt nicht besonders gut ansteht, wenn man sich streitet, und teils fühlt man sich als Zuschauer eines Streits so gut und überlegen. Denn vom distanzierenden Platz des Zuschauers aus kann man die ganze Situation überschauen und die objektiven und sachlichen Aussagen analysieren, so dass man sich weitaus klüger fühlt als die Streithähne, die gewöhnlich in ihrer Erregung ihre gewohnte Bildung und die fundamentale Logik völlig vergessen haben.

             Normalerweise ist es jedoch vernünftig, seine eigene Meinung für sich zu behalten und sich auf diese Weise ganz aus dem Streit herauszuhalten, aber manchmal kann man geradezu gezwungen sein, daran teilzunehmen; etwa, weil man meint, Wissen und Macht zu haben, um dem Streit ein Ende zu machen, wie z.B. wenn Eltern eine Auseinandersetzung zwischen ihren Kindern beenden. Im Prinzip geschieht ganz dasselbe, wenn sich die UNO in einen bewaffneten Konflikt einmischt, wie es immer wieder vorkommt,  z.B. auf Zypern, im ehemaligen Jugoslawien, in Dafur, im Südlibanon.

             Man mischt sich ja nicht nur ein, weil man es sich nicht länger anhören mag, sondern auch weil man plötzlich entdeckt, dass es in Wirklichkeit auch um einen selbst und seine eigene Lage geht. In gewisser Weise könnte es einem egal sein, dass man sich im Nahen Osten gegenseitig verfolgt und umbringt, aber wenn es bedeutet, dass Flüchtlinge zu uns kommen und dass es möglicherweise Einfluss auf die Erdölpreise hat, dann wird deutlich, dass es da auch um unsere Sache geht - über die rein mitmenschliche Verantwortung hinaus, die wir auf Grund der Globalisierung auch gegenüber den Opfern in Südsudan usw. haben. Oder wenn Politiker darüber "streiten" und diskutieren, wie das Land künftig regiert werden soll, dann ist man irgendwie gezwungen, daran teilzunehmen. Spätestens jedenfalls an dem Tage, an dem gewählt wird. Denn es geht doch auch um mein Leben und mein Land. Der Mensch muss also immer ein politisches Wesen sein, denn die Alternative - die Teilnahme am politischen Leben zu verweigern - sich aus den "Streitigkeiten" herauszuhalten - hieße sich zu isolieren und auf den Einfluss auf sein eigenes Leben zu verzichten, in dem naiven Glauben, der Rest der Welt gehe mich nichts an. Als Mensch kann man - und muss man - eine Verantwortung wenigstens für sich selbst übernehmen - und daraus folgt auch eine Verantwortung für den Mitmenschen.

             Der Mensch ist auch ein religiöses Wesen. Hier ist nicht einmal von einer Pflicht die Rede, sich mit seiner Meinung und seinem Glauben einzumischen; hier geht es darum, dass man gar nicht umgehen kann, sich einzumischen. Auch wenn man als Atheist behauptet, über die religiöse "Streiterei" erhaben zu sein, nimmt man dennoch mit dieser Form von Glauben und Überzeugung daran teil, ganz einfach deshalb, weil Gott durch sein Evangelium von Jesus Christus zu uns allen spricht und weil alle genötigt sind, Stellung dazu zu behiehen und darauf zu antworten.

             Wenn also Jesus mit diesem und vielen anderen Gleichnissen mit seinen jüdischen Widersachern, den Pharisäern und den Schriftgelehrten streitet, dann geht das auch uns an.

             Unmittelbar sollte man sonst der Meinung sein können, es brauche uns nicht besonders anzugehen, dass sich ein Jude vor 2000 Jahren mit anderen Juden gestritten hat. Der Streit muss doch durch ganz bestimmte religiöse, kulturelle und nicht zuletzt zeitmäßige Sachverhalte so gebunden sein, dass wir heute unmöglich dazu Stellung nehmen können, geschweige denn glauben können, er gehe uns an.

             Aber "der Streit" handelt von Gottes Heilsgeschichte, die im Prinzip ihren Anfang in dem allerersten Augenblick hat, da der Mensch in seinem Bilde geschaffen wird, und die im Lauf der Geschichte so viele Male wiederholt wird, wie man in den Berichten des Alten Testaments über die Liebe Gottes und seinen Eifer für sein auserwähltes Volk Israel lesen kann. Das Heil wird von verschiedenen Personen auf verschiedene Weise verkündet, aber immer geht es um ein und dasselbe: Gott schickt seinen Diener aus, um zu den Geladenen, d.h. zu den Juden zu sagen: "Kommt, denn es ist alles bereit!"

             Aber irgendwie endet es immer damit, dass sie sich entschuldigen und sagen: "Nein, danke, wir können nicht kommen; wir haben gerade jetzt etwas Anderes vor, das uns wichtiger ist als deine Einladung." Das Neue Testament handelt davon, dass Jesus von Nazareth Gottes Einladung wiederholt; und diesmal wird es so eindringlich und klar gesagt wie nie zuvor, weil es Gottes eigener Sohn ist, der zu dem Festmahl einlädt. Es ist Gottes eigener Sohn, der in der Heiligen Nacht als ein Mensch geboren wird, um später mit der Botschaft von der Vergebung der Sünden alle Menschen einladen zu können zur Gemeinschaft mit ihm im Reich Gottes.

             Aber abgesehen von einigen ganz wenigen Jüngern sagen die Juden wiederum nein, danke, zu der Einladung Gottes. Sie sagen und meinen ihr Nein so nachdrücklich, dass sie dafür sorgen, dass Jesus gekreuzigt und getötet wird.

             Als Jesus Karfreitag begraben wird und der Stein vor das Grab gewälzt wird, ist das der tragische, gewaltsame Abschluss des Streites zwischen Jesus und seinen jüdischen Widersachern, für den dieses Gleichnis ein Beispiel ist. Es ist zugleich auch das Ende der Heilsgeschichte, von der das Gleichnis in seinen Bildern erzählt. "Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken." Das ist das Urteil, das die Juden durch ihre Ablehnung Jesu Christi über sich selbst gefällt haben.

             Aber es ist nicht das endgültige Urteil, denn am Ostermorgen ist der Stein vom Grab genommen und Jesus ist von den Toten auferstanden. Gottes Urteil übertrifft das Urteil des Gleichnisses. Es ist das Urteil des Lebens und der Liebe, das das Urteil des Todes und des Hasses übertrifft. Dies ist das Urteil, das über uns alle gefällt wird.

             Denn dadurch, dass Jesus aus dem Grab aufersteht, werden wir unumgänglich in den Streit zwischen Jesus und den Pharisäern und den Schriftgelehrten einbezogen. War das Gleichnis von dem großen Abendmahl zuvor ein geschichtlich gebundener Beitrag in einer für uns weitgehend irrelevanten Diskussion, so wird es nun mit der Auferstehung zu einer ewig gültigen Zusage an uns, zu der wir Stellung beziehen müssen. Das Gleichnis wird zu einem Spiegel, in dem man immer sieht und immer auch sich selbst sieht.

             Deshalb ist die Frage nur: wo in dem Gleichnis sieht man sich selbst?

             Es besteht ja kein Zweifel, dass der Wirt, der Mann, der das große Abendmahl veranstalten will, unser Herrgott selbst ist, deshalb ist es hier ausgeschlossen, sich selbst zu sehen. Der Diener dagegen könnte vielleicht für uns stehen. Zweifellos stand der Diener, als Jesus das Gleichnis erzählte, für ihn selbst - als eine weitere Provokation gegenüber seinen Widersachern; heute aber könnte man einerseits wohl sagen, dass jeder, der in Wort und Tat offen seinen christlichen Glauben zweigt, mit seinem Beispiel andere zur Gemeinschaft mit Gott einlädt. Aber die Einladung erfolgt natürlich immer im Namen Jesu. Um in den Bildern des Gleichnisses zu bleiben, so könnte man vielleicht gut Einladungen verteilen, etwa wenn man sein Kind taufen lässt, aber es würde dann immer Jesus sein, der sie im Namen Gottes unterschrieben hätte. Denn man geht nicht in das Reich Gottes ein, ohne dass es durch Jesus Christus geschieht. Jesus ist der Diener, der sozusagen die Tür öffnet und einen hereinbittet.

             Man wird also schließen müssen, dass es für uns nur noch zwei Möglichkeiten gibt, uns selbst in dem Gleichnis zu spiegeln: entweder in den Geladenen, die nein sagten, oder in den Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen, die die Einladung mit Dank annahmen.

             Am Anfang der Geschichte der Kirche hat man als Christ ohne Zweifel in der letzten Gruppe sich selbst gesehen. In natürlicher Weiterführung des "Streites" Jesu mit den Juden hat man sich mit den Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen in der Welt des Gleichnisses identifiziert, mit denen Jesus in der Welt der Wirklichkeit ja auch gemeinsam zu Tisch gesessen hatte. Wenn Jesus gemeinsam mit diesen sonst geringgeachteten und ausgestoßenen Menschen aß, dann war das gleichsam ein Vorgriff und eine Verwirklichung der Tischgemeinschaft des Reiches Gottes. So sollte es sein, und so war es schon kraft seiner Gegenwart. Daher wird die Mahlzeit durch die Einsetzung des Abendmahls am Gründonnerstagabend sehr schnell zu einem entscheidenden Element des christlichen Gottesdienstes und der christlichen Gemeinschaft überhaupt. Das Abendmahl wurde zu einer konkreten Demonstration des neuen Bundes, der in Jesus Christus gestiftet war, und es wurde zugleich zu einer kräftigen Provokation gegenüber den Juden. In den ersten Jahrhunderten war es somit für die Christen natürlich und notwendig, sich von den Juden zu distanzieren, und man hat so in der Auslegung dieses Gleichnisses den "Streit" fortgesetzt, indem man - wie gesagt - sich mit den Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen des Gleichnisses identifizierte, die geladen wurden anstelle der zuerst Geladenen, die dadurch natürlich mit den Juden identifiziert wurden.

             Aber diese Auslegung des Gleichnisses können wir heute nur noch als ein geschichtliches Detail betrachten und bewahren. Heute sehen wir glücklicherweise nur äußerst selten Christentum und Judentum als gegenseitige Feinde, obwohl wir andererseits in der Geschichte nur wenig mehr als 50 Jahre zurückzugehen brauchen, um die abscheulichsten und furchtbarsten Folgen dieses "Streits" zwischen Jesus und den Juden in der Weltgeschichte zu finden, nämlich als die Nazis ihn in ihrem Propagandaapparat benutzten und auf diese Weise für den Mord an 6 Millionen Juden argumentierten.

             Wenn daher das Gleichnis keinen Anlass zu verdammenden, rassistischen Worten und Taten geben soll und man sich auch nicht nur mit satter und selbstzufriedener Gleichgültigkeit begnügen soll, dann müssen wir heute auch wagen, in das Spiegelbild des Gleichnisses zu sehen und dort selbstkritisch uns selbst sehen zu können als die Privilegierten, die Selbstsicheren und Starken, die von vornherein Auserwählten, die im Überfluss unserer

Zeit an Selbstzufriedenheit und Materialismus Schwierigkeiten haben, Zeit dafür zu finden, Gottes Einladung zu seiner gegenwärtigen wie auch künftigen Gemeinschaft anzunehmen.

             Diese Gleichnis ist also ein hervorragendes Beispiel dafür, wie das Evangeliuum immer zugleich eine Bestätigung von Gottes ewiger Zusage der Gnade und Liebe zu uns in Jesus Christus ist, und dass es eine ständige Provokation und Herausforderung an unser Leben ist. Denn wenn man sich durch das Evangelium nicht hin und wieder herausgefordert und provoziert fühlt, so dass man fast Lust hat, mit ihm zu streiten, obwohl man - vielleicht - im Innersten sehr wohl weiß, dass man Unrecht hat, dann ist man entweder ein Heiliger oder völlig blind gegennüber seinen eigenen Fehlern. Es gibt ja auch den guten Streit, der unsere Auffassungen ändern und in eine neue und spannende Richtung lenken kann.

Amen



Pastor Peter Lind
Middelfart (Dänemark)
E-Mail: pli(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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