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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 21.06.2009

Predigt zu Lukas 14:15-24, verfasst von Ute Gause

Falsche Prioritäten

Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Gela-denen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der er-ste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Och-sen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.
Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist ge-schehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzu-kommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

Er:
Liebe Gemeinde,
unseren Kirchen laufen die Leute weg, seit rund vierzig Jahren ist dies so. Jede/r hat dafür seine Begründungen oder auch Ausreden: Kirchensteuern, fremd gewordene Gottesdienste, Ärger über Pfarrerinnen und Pfarrer und auch tiefe Glaubenszweifel. Das ist traurig und frustrierend - manchmal auch zum Zornig-Werden. „Lasst sie doch laufen, wir schrumpfen uns gesund", so haben sich viele in der Kirche eine Zeitlang zu beruhigen versucht. Aber was bleibt dann übrig? Der kleine, entschiedene Rest? Oder ist dies eine falsche Form der Beruhigung, so als ob der Ausrichter des großen Abendmahls sich damit zufrieden gegeben hätte, dass einige wenige schließlich doch kommen, und die sind dann die richtigen und wichtigen Gäste. Nein, die Feier lebt davon, dass viele da sind und auch die Kirche lebt davon, dass sie nicht nur eine kleine Winkelangelegenheit ist, sondern in die große Öffentlichkeit ausstrahlt. Deshalb reden wir seit einiger Zeit deutlicher als in den 1970er und 1980er Jahren vom missionarischen Auftrag der Gemeinden, von der Notwendigkeit, offene und einladende Kirche zu sein.
Damit stehen wir wieder in einer ähnlichen Situation, wie Lukas: Es geht darum, Menschen zu gewinnen, gerade weil diejenigen, an die man sich zuerst gewandt hat bzw. in unserer Situation: diejenigen, die schon lange dabei waren, weil all die absagen, weil sie nicht mehr mitmachen wollen oder können. Also kommt es darauf an, einladend zu sein, zu den Leuten hinzugehen und sie herbei zu holen. Allerdings, die Einladung muss auch wirklich eine Einladung sein. Im Predigttext steht im Griechischen das Wort ,anangkadzein', das heißt: dringend bitten, durch Überredung nötigen, letztlich kann es sogar „zwingen" heißen. In der lat. Vulgata steht  "compelle (oder cogite?) intrare", zwingt sie hereinzukommen, der Kirchenvater Augustin hat dies als Legitimation dafür angesehen, auch mit Zwang Menschen zur Kirche führen. Die Konsequenzen kennen wir: Mission war lange Zeit eine Mission mit Zwangsmitteln, auch mit dem Schwert, wie im Mittelalter in unserer Gegend, oder mit imperialer Macht, wie in vielen Ländern des Südens im 19. und auch noch im 20. Jh.. Doch diese Fehldeutung des Predigtextes darf uns nicht davon abhalten,  dass wir als Christinnen und Christen zur Mission aufgerufen sind und zum Glauben einladen sollen, denn ...

Sie:
(steht jetzt erst auf und kommt ebenfalls nach vorne)
Halt! Stopp! Einspruch!
Das ist mir viel zu sehr von hinten aufgerollt und außerdem ja für das 21. Jahrhundert kaum noch politisch korrekt! Wir missionieren nicht mehr.
Schau doch erst mal auf  V. 24 - selbst in der Bibel für gerechte Sprache steht hier: „Keiner jener Männer, die eingeladen waren, wird mein Festessen zu kosten bekommen."

Er:
Warum findest du diesen Vers so wichtig?

Sie:
Der Vers 24 scheint mir der Zielpunkt des Textes zu sein. Verstehst du: Keiner jener Männer, die eingeladen waren, wird mein Festessen zu kosten bekommen! Das ist der Schlusssatz. Sollte der nicht ein besonderes Gewicht haben?

Er:
Du willst das also feministisch interpretieren, so in dem Sinne: „mein Job, mein Haus, mein Boot, meine Frau; typisch Mann." Männer kreisen nur um ihren Besitz (nämlich die Ochsen), ihre Arbeit (nämlich der Acker) und Frauen (Ich habe eine Frau geheiratet) und verpassen dabei das Wesentliche? Das finde ich jetzt umgekehrt sexistisch. Frauen kreisen doch auch um ihren Job, ihre Kinder, ihren Mann? Sie sind nicht per se die besseren Menschen, oder?

Sie:
Aber erst einmal werden nur Männer angesprochen. Und nur Männer sagen ab. Das ist ein Faktum des Textes. Ich will es gar nicht feministisch interpretieren und sagen, die Frauen wählen das bessere Teil - obwohl das ja oft ein Thema des Lukasevangeliums ist, in dem Frauen eine große Rolle spielen.

Er:
Frauen fördern die Jesusbewegung, sie sind ein wichtiger Teil und ohne sie wäre die Dynamik dieser Bewegung nicht denkbar. Das ist o.K., aber einen Gegensatz von Männern und Frauen wirst Du bei Lukas nicht finden, schon gar nicht eine Diskriminierung von Männern.

Sie:
Ich spreche gar nicht von gleichsam angeborenen Minderwertigsein der Männer - wie das in der Geschichte immer wieder über Frauen kolportiert wurde - sondern ich möchte auf die gesellschaftlichen Zwänge hinweisen, die Männer stärker in Rollen zwingen als Frauen. Frauen dürfen heute sehr viel; Jungen dürfen nichtmals rosa mögen und lackierte Fingernägel (wie mein Sohn) haben, dann heißt es in der Kita gleich: Das ist eine Mädchenfarbe. Oder: bist du etwa ein Mädchen?
Und für Männer heißen die modernen Zwänge immer noch: Besitz anhäufen, viel Arbeiten und eine möglichst schöne Frau heiraten. Darüber kann man das Wesentliche schon mal aus den Augen verlieren. Oder wie ich es in einem Interview gelesen habe: eine Frau die ehrenamtlich einen Eine-Welt-Laden gegründet hatte und mit anderen Frauen vor dem Landeskirchenamt gegen die Apartheid in Südafrika demonstrierte, sagte mir: Wir waren eigentlich viel freier als unsere Männer, die als Lehrer und Pfarrer Rücksicht auf ihre Vorgesetzten nehmen mussten.
Vielleicht geht es hier auch um das Aufsprengen von Rollenbildern und um die Verabschiedung von Klischees - Klischees, die uns wieder lieber werden, wie Heidi Klums Erfolge zeigen: Frauen sollen wieder ausschließlich schön und Männer vor allem erfolgsorientiert sein, dann gewinnen sie auch die Gunst der  jungen Frauen (wie Helmut Kohl, Joschka Fischer und Franz Müntefering demonstrieren).  Der Text sagt: Darum geht es im Leben nicht. Weder für die Frauen noch für die Männer.

Er:
Da bin ich ja froh, dass meine Frau und ich im selben Alter sind.

Sie:
Na ja 40 Jahre Altersunterschied wie Franz Müntefering würdest du ja auch noch nicht hinkriegen.

Er:
Aber nun im Ernst: Die Fixierung auf alltäglichen Dinge, auf das Sorgen um Besitz, Karriere und Familie, dass sich alles nur um diese Dinge dreht, das ist es, was der Text kritisch hinterfragt. Damit werden in der Zeit Jesu vorrangig die Männer kritisch hinterfragt, das ist richtig, aber heute gilt dies doch wohl für Männer wie für Frauen.

Sie:
In der Tat.
Aber ich möchte doch auf das hinter dem Ganzen stehende Rollenklischee meines Beispiels hinweisen: Macht ist für Frauen per se erotisch, egal wie alt der Mann ist. Und umgekehrt: auch 50jährige Frauen definieren sich rein über Äußerlichkeiten wie man an Madonna und ihrem 20 Jahre jüngeren Freund sieht. Was für blöde Klischees und doch scheinen sie zu stimmen. Ich wollte nicht moralisieren, sondern ein Plädoyer dafür halten, dass es authentischer wäre, wenn Männer und Frauen den Rollenklischees ihrer Zeit nicht ständig gerecht zu werden versuchten. Es würde die kleinen Mädchen von heute davon entlasten, bauchfrei herumzulaufen und Germanys Next Topmodell zu gucken. Der Text würde dann meinen: Seid nicht auf eure Rollen fixiert! In jeder Hinsicht.
Lukas möchte jedoch sicherlich noch universaler verstanden werden.  
Wie findest du eine befreiungstheologische Interpretation: Die Besitzenden kreisen um ihren Besitz und beachten Gottes Einladung nicht, darum wird das Heil an die Armen und Entrechteten, an die Leidenden gegeben. Wir verhalten uns nicht politisch korrekt. Die derzeitige Wirtschaftskrise trifft stärker die Menschen der nicht europäischen und nicht nordamerikanischen Länder - für sie wird es real existenzbedrohend.
Oder wie Dorothee Sölle die Vision des rechten Christentums beschrieben hat:
„Wir haben den längeren atem
wir brauchen die bessere zukunft
zu uns gehören die leute mit schlimmeren schmerzen
die opfer des kapitals
bei uns hat schon mal einer brot verteilt
das reichte für alle

Wir haben den längeren atem
wir bauen die menschliche stadt
mit uns sind verbündete der rechtlosen in den anstalten
und die landlosen in den städten
zu uns gehören die toten des zweiten weltkriegs
die endlich zu essen wollen haben gerechtigkeit
bei uns ist schon mal einer aufgestanden
von den toten

Vielleicht ist der Text in diesem Sinne eine Einladung zur Nachfolge. Und er beruft die Außenseiter!

Er:
Ja, das ist eine wesentliche Aussage des Textes, sehr typisch für Lukas. Es geht um die, die draußen sind, die Lahmen und Blinden, die Krüppel und Armen, vor allem um die Landstreicher, im wahrsten Sinn des Wortes. Wenn wir heute das Konzept „missionarische Gemeinde" ernst nehmen wollen, dann dürfen wir eben nicht - wie es bei Augustin zumindest anklingt - mit Zwang die Massen bekehren wollen, sondern müssen eine solidarische Praxis entwickeln. Damit meine ich, es geht nicht darum, nur für diese Randgruppen etwas zu tun, wie es die Innere Mission bzw. Diakonie getan hat und tut, sondern wir müssen mit ihnen leben, sie zu uns einladen, ihr und unser Leben miteinander teilen. „Armut" ist heute nicht nur eine Frage des Geldes und der Sozialleistungen, sondern wesentlich eine Frage der Teilhabe, der Einbeziehung auch der Randgruppen. Doch wo geschieht dies in unseren Gemeinden? Wo sind wir wirklich offen und einladen für die, die in unserer Gesellschaft am Rand stehen, die Armen, die Hässlichen, die, für die sich niemand wirklich interessiert. „Bei uns", um Sölles Gedicht weiterzuführen, „ist schon einmal einer zu den Aussätzigen und Bettlern" gegangen, d.h. zu denen, die in den Städten auf ihren Pappkartons sitzen, zu denen, die verschämt sich bei den Tafeln ihre Nahrung holen und die - um es politisch einmal nicht korrekt zu sagen - oft nach Nikotin und Alkohol riechen. Aber dies ist kein Grund, sie nicht einzuladen und an dem großen Festmahl teilhaben zu lassen, im Gegenteil, gerade die haben es ja wirklich nötig. Um sie herbeizuholen, müsste sich wohl viel in unseren Kirchen ändern, und vielleicht würde es dann ja auch mit und für unsere Kirchen anders.
Doch was heißt dies alles für uns, für uns, die normalen, mehr oder minder integrierten Gemeindeglieder?

Sie:
Vielleicht eröffnet uns eine eher psychologische Deutung diese Frage: Auf der individuellen Ebene geht es um die Freiheit von Zwängen, um Achtsamkeit, wo und wie ich die Anrufe Gottes in meinem Leben zur Kenntnis nehme. Vielleicht sind die Diener, die Gott mir schickt, ja die Krankheit, die mir signalisiert, kürzer zu treten oder der Partner, der mich auffordert, mehr mit ihm zu unternehmen. Wo sind die Aufforderungen Gottes zum Festmahl in meinem Leben? Wo nehme ich die Chance wahr, mit Gott ins Gespräch zu kommen - eine Möglichkeit, die ein Festmahl bietet. Ist dies nicht eine Aufforderung Gottes zu einem anderen Leben?

Er:
Das ist, denke ich, eine wichtige Perspektive. Wir, die mehr oder minder Integrierten, die wir zumeist um uns und unsere Alltagssorgen kreisen, müssen immer wieder herausgerufen werden, auf vielfältige Weise. Denn sonst verlieren wir das Wesentliche aus dem Blick und setzen in unserem Leben falsche Prioritäten. Es wäre doch schön, wenn auch die, die sich um ihren Besitz, ihren Job und ihre Familie kümmern, an dem großen Festmahl Gottes teilnehmen würden, um sich reich beschenken zu lassen: durch die Großzügigkeit und Güte Gottes, durch die Erfahrung eines solidarischen Miteinanders von Männern und Frauen, Reichen und Armen, Deutschen und Ausländern. Wir sollten uns unsere Zeitplanung ruhig einmal durcheinander bringen lassen, unsere so dringenden Angelegenheiten zurück stellen, um die Prioritäten richtig zu setzen: die Einladung zu einem Leben in Fülle annehmen, bereit zu sein für das große Festmahl Gottes. Amen



Prof. Dr. Ute Gause
Prof. Dr. Traugott Jaehnichen
Ruhr-Universität
Bochum
Ute.Gause@ruhr-uni-bochum.de
Traugott.Jaehnichen@rub.de
E-Mail: Ute.Gause@ruhr-uni-bochum.de

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