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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 28.06.2009

Predigt zu Lukas 15:11-32, verfasst von Andreas Schwarz

Erzähler:       Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater:

2. Sohn:        Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht.

Erzähler:       Und er teilte Hab und Gut unter sie.
Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und      niemand gab sie ihm. Da ging er in sich und sprach:

2. Sohn:        Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße;   mache mich zu einem deiner Tagelöhner!

Erzähler:       Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater.
Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm:

2. Sohn:        Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.

Erzähler:       Aber der Vater sprach zu seinen Knechten:

Vater:             Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.

Erzähler:       Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. Der aber sagte ihm:

Knecht:          Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.

Erzähler:       Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater:

1. Sohn:        Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.

Erzähler:        Er aber sprach zu ihm:

Vater:             Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist            wiedergefunden.

Liebe Gemeinde;

Eine sehr bekannte Geschichte aus der Bibel für eine Predigt auszulegen, hat seine Tücken. Viele Menschen haben diese Geschichte gehört oder gelesen und wissen auch etwas davon, wie damit umzugehen ist. Es scheint keine Frage, dass es sich um ein Gleichnis handelt. Und dann wissen wir auch sehr schnell, was das bedeutet. Nämlich, dass der Vater der Geschichte Gott ist; die zwei Söhne stehen in dem älteren für das Judentum, in dem jüngeren für die christliche Gemeinde. Klar scheint auch, dass der jüngere Sohn sich zunächst schlecht verhält, aus der Geborgenheit ohne Not ausbricht und mit der Auszahlung des Erbes der ganzen Familie schadet.

Als er nachher wieder reumütig zurückkehrt, seine Sünde erkennt und bekennt, da liegt die Sympathie bei ihm und der Ältere verhält sich kritikwürdig, denn er kann sich nicht mitfreuen über die Rückkehr des kleinen Bruders.

Nun will ich das so kurz angedeutete gar nicht für falsch erklären. Aber mir scheint die Geschichte so spannend, dass ich nicht von vornherein wissen möchte, was sie zu sagen hat.

Darum sehe ich hier zu allererst eine Familiengeschichte, eine reale Geschichte, wie sie häufig vorkommt. So nämlich, dass junge Menschen sich aus dem warmen und sicheren Nest der Familie verabschieden. Und zwar so, dass der Auszug weder als rebellisch noch sündig bezeichnet werden muss. Es ist ein üblicher und normaler Vorgang in der Entwicklung von jungen Menschen, dass sie raus müssen aus der Geborgenheit und der Erfahrung, dass zuhause für alles gesorgt wird. Sie müssen sich ausprobieren, eigene Wege gehen, ohne zu wissen, wohin sie das führt und ob sie dahin wollten, wohin es sie schließlich geführt hat.

Eine ganz tief im Menschen liegende Sehnsucht wird hier beschrieben, Bindungen und Fesseln abzustreifen, auch auf Fürsorge und Sicherheit zu verzichten, um Freiheit zu erleben. Und sei es auch nur eine Erfahrung, die man kurzzeitig für Freiheit hält und die sich später als etwas ganz anders erweist. Möglicherweise kann man nie der werden, der man ist, wenn man immer da bleibt, wo man ist. Man lernst sich selbst auch erst kennen, wenn man nicht die klaren Regeln und Formen der Familie immer um sich hat, wenn man also selbst überlegt und entscheidet und eben auch selbst die Konsequenzen  eigenen Tuns zu tragen hat.

Jedenfalls fällt an keiner Stelle der Geschichte ein Wort der Kritik des Vaters an dem Verhalten des Sohnes. Dass er sich auszahlen lässt, ist nicht notwendig ein Schaden an denen, die zurückbleiben. Wenn man sich auszahlen lässt, weil man der Jüngere ist und den Hof des Vaters später ohnehin nicht bekommt, erhält man, was einem zusteht und verliert damit jeglichen Erbanspruch. Das kam aber häufig vor, denn ein Hof konnte oft mehrere Familien nicht ernähren und so waren die Jüngeren genötigt, sich anderswo den Lebensunterhalt zu verdienen.

Niemand von uns käme heute auf die Idee, junge Menschen moralisch unter Druck zu setzen, weil sie wegen ihres Studiums, ihrer Ausbildung, einer Berufsmöglichkeit oder auch der Liebe wegen bei den Eltern ausziehen. Natürlich gibt es das, dass eine sehr enge Form der Bindung da ist und bewusst erhalten wird, damit die jungen Leute nicht gehen, sondern bleiben, aber gesund ist das meist nicht.

Daran ändert auch das weitere Verhalten und Ergehen des jüngeren Sohnes nichts. Zwar trägt er ein gehöriges Maß an Schuld daran, weil er sein Erbteil verschleudert, aber für die Hungersnot kann er nichts. In der schweren Zeit geht nun nicht, was sonst kein Problem gewesen wäre: arbeiten und seinen Lebensunterhalt verdienen. Das allerdings drückt ihn ganz nach unten. Er verliert im Grunde genommen alles, was bis dahin für ihn wichtig war und sein Leben bestimmt hat: sein Erbe hat er verschleudert, seine religiöse Grundlagen gehen vor die Hunde, oder besser: zu den Schweinen, und für sein Leben gibt es keine Form der Sicherheit mehr. Er ist am Ende. Das ist eine zutiefst entwürdigende Situation. Selbst fühlst du dich keineswegs wohl dabei, du kannst dich selbst nicht mehr riechen, wenn du bei den Schweinen lebst. Du würdest Schweinefraß fressen, wenn du dürftest, aber nicht einmal das ist erlaubt. Tiefer geht es nicht mehr. Und bevor du überhaupt mit jemandem redest, hörst du schon die Vorhaltungen.

Siehst du, so geht das, wenn man meint, alles selber entscheiden zu müssen, wenn man meint, frei sein zu wollen. Jetzt hast du deine Freiheit. Ich hätte es dir ja gleich sagen können, aber du hast ja nicht auf mich gehört.

Ach, diese unglaublichen Besserwisser. Die haben ja wahrscheinlich alle nur darauf gewartet, dass es so kommt. Die wussten ja schon immer, dass man seine Sicherheiten nicht weggibt, dass man sein Erbe nicht verschleudert. Keine Verantwortung, diese jungen Leute, kein Gespür für das, was im Leben und seiner Zukunft wirklich wichtig ist. Bleibe im Lande und nähre dich redlich - das wusste schon die Weisheit Israels; und die Eltern wissen auch, wo es langgeht. Hör doch auf die Lebenserfahrung der Alten. Aber nein, alles besser wissen. Das hast du jetzt davon.

Glaubt irgendjemand, der Junge hätte große Lust nachhause zu gehen? Und sich das anzuhören? Er weiß es doch. Ja, ihr habt ja Recht. Es gibt nichts zu beschönigen, nichts zu entschuldigen. Ich habe nichts mehr, ich stinke, niemand will mit mir zu tun haben. Das trage ich nun. Und auch die zahlreichen Sprüche, Belehrungen, Vorhaltungen, Besserwissereien. Da ich sowieso überall untendurch bin, vor allem bei mir selbst, kann ich auch zu meinem Vater gehen. Arbeiten kann ich und will ich ja auch, dann kann ich wenigstens leben und nicht vegetieren. Ich bin nicht mehr ganz unten, bei den Schweinen. Vieles habe ich verloren, im Grunde genommen alles - mein Geld, meinen Erbanspruch, mein Recht Sohn zu sein, die Achtung vor Anderen und vor mir selbst, meine religiösen Grundsätze. Aber ich kann arbeiten und ich will leben. Ich werde zu meinem Vater gehen, zugeben, dass ich mich falsch verhalten habe, dass ich Fehler gemacht habe, dass ich keinen anderen Weg mehr weiß, als zu ihm zu gehen.

Wer versucht, sich in die Lage des Sohnes zu versetzen, der ahnt die schweren und belastenden Gedanken, die ihn auf seinem Weg zurück begleiten.

Sein Traum von Freiheit ist geplatzt, seine Sehnsucht, die ihn nach draußen trieb, hat sich nicht erfüllt. Jetzt sehnt er sich nach einfachen Dingen: Essen, trinken, ein Dach über dem Kopf; die Ansprüche sind spürbar niedriger geworden.

Das erzählt die Geschichte sehr offen und deutlich.

Aber genauso offen und deutlich erzählt sie von der Sehnsucht des Vaters. Was immer der Sohn an Gedanken seines Vaters gemutmaßt hat, der Vater sehnt sich nach seinem Sohn. Was der Vater denkt, wie er die Zeit, als sein jüngerer Sohn weg war, verbringt, darüber wird nichts berichtet. Aber was in seinem Herzen ist, wird uns erzählt, weil er nämlich, sowie er seinen Sohn weitem sieht, auf ihn zu rennt, um ihn in die Arme zu nehmen. Und wenn er noch so dreckig ist und stinkt, er will ihn an sein Herz drücken. Da nämlich gehört er ihn - und war er wohl auch immer - am Herz des Vaters. Die erfüllte Sehnsucht wird hier spürbar, die unendliche, durch nichts zu zerstörende Liebe des Vaters zu seinem Sohn. Das müssen wir gar nicht sofort auf Gott übertragen, das ist etwas, das Eltern spüren und erleben. Liebe zu ihren Kindern auch dann, wenn sie ganz anders denken und handeln, als sie es für richtig erachten. Kinder, um die sie sich Sorgen machen, auch wenn sie längst erwachsen sind. Kinder, die immer willkommen sind und nachhause kommen dürfen, egal wie lange sie wo waren. Keine Frage, wo er war, warum er weggegangen ist, wo sein Geld ist, was er angestellt hat, warum er so dreckig ist und stinkt. Er nimmt ihn in die Arme und macht deutlich: du bist mein Sohn. Du kannst in deinem Leben viel kaputt machen, du kannst so viel verspielen, du kannst deine Zukunft riskieren, deine Gesundheit, dein Ansehen, deine moralischen Prinzipien. Aber mein Sohn zu sein verlierst du nicht. Du bist nicht deshalb wieder Sohn, weil du deine Fehler bekannt hast, weil du deine Reue ausgedrückt hast, weil du zugegeben hast, dass du versagt hast. Ich freue mich, dass du wieder da bist - und damit zeigst du, dass du weißt, woher du kommst und wo du leben kannst.

Die Erfahrung der nicht zu begreifenden Liebe öffnet dem Jungen dann erst den Mund für sein Bekenntnis und seine Reue. Aber darauf antwortet der Vater gar nicht, sondern er ordnet das Freudenfest an lässt alle auf dem Hof sehen, dass der Sohn wieder da ist, als Sohn, als Teil der Familie.

Jetzt gibt es tatsächlich eine neue Chance; es ist nicht alles vorbei. Das Leben kann neu beginnen und es ist um mehrere Erfahrungen reicher, vor allem um die: ich wurde nicht abgeschrieben, ich wurde nicht aus dem Familienbuch gestrichen, ich musste mir das Zuhause sein nicht verdienen, erarbeiten. Mir wurde verziehen, bevor ich um Verzeihung bitten konnte. Mit dieser Erfahrung lässt es sich jetzt tatsächlich neu anfangen und ganz anders leben.

Die vorher wenig miteinander geredet hatten, die sagen und zeigen, wie es ihnen ums Herz ist und feiern miteinander.

Das wäre ein guter Schluss für diese Geschichte und sie hätte auch eine hilfreiche Aussage. Denn so geht Gott mit seinen Menschen um. Jesus hat es so gelebt und die Menschen spüren lassen, er hat die Prostituierten, die Zöllner, die schuldhaft Kranken angenommen und eine neue Lebenschance gegeben.

Aber das Verhalten des älteren Sohnes und der offene Schluss der Erzählung machen diese Geschichte erst richtig durchlässig für unser Leben.

Denn es ist nicht nur der Drang nach Freiheit, den wir spüren, nicht nur die angenehme Erfahrung, unverdient angenommen zu werden. Es ist auch der Ärger über Andere, den wir kennen und die Hilflosigkeit, damit umzugehen.

Der ältere Sohn kann sich nicht mitfreuen, dass sein Bruder, den er im Gespräch ‚dein Sohn‘ nennt, wieder da ist und der Vater sich auch noch darüber freut! Aber das Gespräch macht deutlich, dass Vater und Sohn nie wirklich miteinander geredet haben. Der Sohn hat nie gesagt, was er möchte, worüber er sich freut. Er hat geschwiegen, hat treu und zuverlässig, aber offensichtlich ohne Freude seine Arbeit gemacht. Und jetzt kommt raus, wie unzufrieden er ist. Jahrelang hat er es mit sich herumgetragen, nie geredet - und jetzt ist die Heimkehr des kleinen Bruders der Anlass, es dem Vater vorzuwerfen.

Das ist ein ganz typisches und weit verbreitetes Verhaltensmuster: sich ärgern, nichts sagen, sondern schweigen, dann aber handeln - nämlich sich zurückziehen -  und Anderen Vorwürfe machen. Das ist ein Paradebeispiel für misslungene Kommunikation.

Der Vater wirbt um Mitfreude. Der ältere Sohn war doch frei, er war zuhause, er hatte jede Chance und jedes Recht zu sagen, was er möchte, zu tun, was er wollte und verantwortete. All die Jahre wäre es leicht gewesen, darüber zu reden. Jetzt ist es schwer. Jetzt geht es um eine innere Überwindung. Das Gefühl, falsch, schlecht, ungerecht behandelt worden zu sein, verhindert noch die Mitfreude. Aber der Vater hört nicht auf, genau darum zu bitten. Die Geschichte löst den Konflikt nicht. Es ist unsere Geschichte, es sind unsere ungelösten Konflikte. Aber sie stehen unter dem Werben des himmlischen Vaters. Die Freude, zu Gott zu gehören ist wichtiger als alle bedrückende Erfahrung - ich werde nicht ernst genommen, nicht genug geachtet und wert geschätzt. Der Vater liebt den einen wie den anderen. Indem Jesus diese Geschichte erzählt, wirbt er um das Vertrauen in die Liebe des Vaters. Die Geschichte hat kein Ende - die Einladung zur Freude gilt uns. Und gemeinsames Feiern wäre der erste Schritt auf dem Weg zu einer gelingenden Kommunikation zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen.

Gott, der Herr, schenke uns ein offenes Herz für die Freude, von ihm angenommen zu sein. Er schenke uns die Kraft zur Mitfreude gerade da, wo sie uns am schwersten fällt. Uns und unseren Nächsten zum Segen. Amen!

 

Bemerkung: Ich habe den Predigttext nach Luther, Revision 1984 mit  verteilten Rollen für unsere Konfirmanden vorbereitet. Sie  werden das so im Gottesdienst lesen.



Pfarrer Andreas Schwarz
Pforzheim
E-Mail: p.andreas.schwarz@gmail.com

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