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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 05.07.2009

Predigt zu Lukas 6:36-42, verfasst von Werner Schwartz

Von der Stellung zum Nächsten

36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.

37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.

38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.

39 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?

40 Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister.

41 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?

42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

 

In der Feldrede im Lukasevangelium richtet sich Jesus genau wie in der Bergpredigt im Matthäusevangelium an seine Jünger. Er will ihnen sagen, wie sie, bitte schön, leben sollen.

Nein, eigentlich: wie sie leben können. Weil sie in der Nähe Jesu erfahren, wie freundlich Gott zu uns Menschen ist. Und weil sie durch diese Freundlichkeit selber frei werden zur Freundlichkeit untereinander.

Weil sie Gottes Freundlichkeit erleben, werden sie frei, anderen in Freundlichkeit zu begegnen. So gewinnt der Glaube seine lebenspraktische Ausrichtung. So tritt die Frömmigkeit ins Leben. Aus der gesagten, in frommen Worten vor mir hergetragenen Frömmigkeit wird gelebtes Leben, Christenleben, gottgefälliges Christenleben.

Jesus steht da ganz in der Linie der prophetischen Tradition, die seit dem 8. Jh. vor Christus betonte, dass die Ethik, das Tun, die Sorge für die Armen und die Rücksicht auf die Schwachen vor Gott wichtig sind und nicht die Opfer, nicht die Lieder, nicht die schönen Gottesdienste. Jedenfalls die Gottesdienste und Lieder und frommen Worte nicht ohne eine mindestens ebenso überzeugende Tat, ohne die Zuwendung zu denen unten, die gerade nicht dem eigenen Geschmack und der eigenen sozialen Stellung entsprechen.

Die Jünger sollen, nein: können sich so verhalten, wie es ihrer Beziehung zu Gott entspricht. Sie erfahren Gottes Freundlichkeit, und sie können sie weitergeben. Sie sind Gottes Kinder in Gottes Familie. Deshalb können sie entsprechend leben. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist, heißt dies bei Jesus-

 

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Das wird dann entfaltet, durchbuchstabiert, damit deutlich wird, worum es geht und was zu tun ist.

Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.

Ganz schon schwierig und anstrengend, bei unserer ganz menschlichen Neigung, uns selbst in Abgrenzung zu anderen zu definieren, in Überordnung über andere eigentlich.

Es ist Ihnen doch sicher auch schon aufgefallen, dass andere gewöhnlich eher im Unrecht sind als ich selbst. Eher und viel öfter. Oder nicht? Was die andern alles nicht können und nicht wollen und dann auch nicht zustande kriegen, wie viel Unsinn die andern machen, wie viel sie zerstören und zugrunde richten. Wenn ich jetzt eine Pause machen würde, würde Ihnen dazu vielleicht einiges einfallen. Bei mir jedenfalls wäre das so.

Und dann soll ich nicht richten, nicht verdammen? Warum? Damit ich auch nicht gerichtet, nicht verdammt werde. Gemeint ist: Damit Gott nicht am Ende sich von seiner Linie abbringen lässt, überschwenglich zu geben, ungeachtet der Tatsache, dass ich's vielleicht gar nicht verdiene, und auf meine Linie der Unerbittlichkeit einschwenkt.

Das wäre ja ein guter Grund. Ich soll Gott, der mich beschenkt, nicht beschämen, indem ich ganz anders bin als er. Lieber barmherzig sein, wie er barmherzig ist. Also gut und freundlich, warmherzig und offen, zugewandt und hilfsbereit, barmherzig eben.

Auch wenn's schwer fällt und wenn's nicht immer gelingt. Vergeben zum Beispiel. Wo doch noch oder doch immer wieder einmal die Schmerzen zu spüren sind, die andere mir zugefügt haben. Ich will vergessen, ich will vergeben. Aber dann kommt's doch immer wieder mal hoch. Dann werde ich immer wieder daran erinnert, und manchmal tut's genauso weh wie am Anfang.

Da fällt es schwer zu vergeben. Da habe ich Sympathie für Verse in den Psalmen, die den Feinden die Pest an den Hals wünschen: Die Gottlosen sollen zuschanden werden und hinabfahren zu den Toten und schwiegen. Verstummen sollen die Lügenmäuler; die da reden wider den Gerechten frech, stolz und höhnisch (Psalm 31,18f). Oder in dem bekannten Psalm 23: Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.

Und doch: Ich bin, wo ich die Kraft dazu finde, mir die Kraft dazu geschenkt wird, eingeladen zu verzeihen, zu vergeben. Vergebt, so wird euch vergeben. Und ich kann nur hoffen, ich finde immer wieder die Kraft dazu.

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Eingeladen zu vergeben und eingeladen zu geben. Damit wären wir zurück bei dem Thema des Gottesdienstes von neulich, mit dem großen Auftrieb des ZDF. Geben ist seliger denn Nehmen. Es ist gut für Menschen, geben zu können.

Hier heißt es: Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.

Wer gibt, der gewinnt. Er gewinnt an der Freude am Geben zuerst, und dann, wenn andere das gleiche tun, wird ihm auch gegeben. Und alle, die glauben, wissen, wie viel ihnen gegeben wird. Dieses Leben, Tag für Tag. Die Kraft für dieses Leben; immer neu. Die Lebensfreude an guten Tagen und das Durchhaltevermögen an schlechten Tagen. Das Maß an Glück, das es neben dem Unglück immer auch gibt.

Wer selbst reich beschenkt ist, kann anderen abgeben, großzügig sein und freigebig. Und am Ende wird sich das auszahlen.

Selbstverständlich spricht Jesus hier vom Gericht Gottes am Ende der Zeiten. Eine Vorstellung, die in den letzten 40 Jahren in Theologie und Kirche, in Verkündigung und Glaube eher an Terrain verloren hat. Dass Gott am Ende richtet. Dass Menschen beurteilt werden nach ihren Taten. Die Zudecktheologie einer enggeführten paulinisch-lutherischen Erlösungslehre („im Tod Christi sind wir alle erlöst") hat dies ebenso befördert wie die Jenseitsvergessenheit der nach-68er Übernahme einer säkularisierten Moderne in den christlichen Glauben.

Ob das moralische Gesetz in mir und der gestirnte Himmel über mir, die Immanuel Kant als Grundlage von Moral und Religion noch einmal reklamierte, nicht doch den Gerichtsgedanken einschließt? Am Ende treten wir vor Gott, und er scheidet die einen von den andern, wie naiv die Vorstellung vielleicht ist, und die einen gehen zur Rechten, die anderen zur Linken, und den einen wird gesagt: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan (Matthäus 25,40).

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Vielleicht sind das die Blinden, die den Blinden den Weg weisen, die das vernachlässigen, den großen Zusammenhang der Welt, in dem mein eigenes Tun teilhat an Gottes Werk, an Gottes Ziel, die Welt gut werden zu lassen, zu erlösen. Ohne dass von meinem Tun alles Heil der Welt abhängen würde. Das nicht. Aber vielleicht doch das Gelingen des Lebens in meiner Nähe, meines Lebens und des Lebens anderer.

Auf mein Tun kommt es an, auf die Art, wie ich mit anderen umgehe, ob ich sie richte und verleumde und verdamme oder nicht. Ob ich selbstgerecht bin, besserwisserisch, oberlehrerhaft mit dem Gewicht der eigenen Herkunft und Prägung, der Tradition. Oder eben offen für andere, für das Neue, das mir da begegnet.

Ich sollte nicht über den Meister hinauskommen wollen. Und das heißt: Nicht über Jesus hinauskommen wollen, der den Menschen um ihn her mit Offenheit und Vertrauen begegnet ist, gerade den Nicht-Frommen, den Nicht-Guten, denen, die nicht auf der Linie anerkannter Religiosität und Kultur und Frömmigkeit standen. Eher hat Jesus die Normen verletzt, als dass er Menschen ausgegrenzt hat.

Der Jünger ..., wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister, heißt das lapidar bei Jesus.

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Der letzte Abschnitt braucht keine Erläuterung.

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Am Ende zählt Demut. Nicht überlegen sein wollen. Und: die eigenen Fehler und Schwächen sehen. Sie eben nicht auf andere projizieren. Eher oder zumindest immer wieder auch bei sich selber suchen nach dem, was einen am anderen stört. Dass Menschen so selbstsüchtig sind, so sehr sich um sich selber drehen, andere ganz arg, ich selber aber auch doch ein wenig.

Das sehen. Und akzeptieren. Selbst das kann mich verändern. Eben demütig machen, barmherzig, eben so, wie Gott mich will, am Ende gar vollkommen.

Eine Herausforderung, das Leben nach dem Rezept, in der Nachfolge Jesu. Eine Einladung für uns, Tag für Tag. Nix Frommes nur, mindestens ebenso sehr etwas Praktisches. Gelebte Frömmigkeit. Wie seit vielen Jahrzehnten in unseren Häusern.

Tun wir's weiter. Mit Gottes Hilfe.



Pfarrer Dr. Werner Schwartz
Vorsteher, Diakonissen Speyer-Mannheim
E-Mail: werner.schwartz@diakonissen.de

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