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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 05.07.2009

Predigt zu Lukas 6:36-42, verfasst von Jesper Hougaard Larsen

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!
Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet!
Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt!
Vergebt, so wird euch vergeben!
Gebt, so wird euch gegeben!

Quellenhinweis: Jesus von Nazareth, später Sohn Gottes genannt, Christus, der Erlöser der Welt.

             Eigentlich brauchen wir über diesen Text gar keine Predigt zu hören. Es gibt so viele, einfache und klare Pointen in dem Text, dass er für sich sprechen kann.

             Der Text enthält mit seinen zahlreichen Redensarten - ich denke besonders an das sehr bildliche Wort vom Balken im eigenen Auge, den man herausnehmen soll, um den Splitter im Auge seines Nächsten besser sehen zu können, - der Text enthält so viel Stoff zum Nachdenken, dass der Prediger hier einmal seine Predigt ganz schnell beenden und es der Gemeinde selbst überlassen kann, sich mit den Bildern zu beschäftigen und darüber zu philosophieren.    

             Aber weil wir nun einmal hierher gekommen sind, will ich ganz kurz etwas sagen, nicht über die Redensarten oder Sprichwörter, sondern stattdessen über den dänischen Theologen und Philosophen Knud E. Lögstrup.

             Er hat vor vielen Jahren ein Buch über die souveränen Lebensäußerungen geschrieben. Und die souveränen Lebensäußerungen sind, so sagt Lögstrup, Vertrauen, Aufrichtigkeit, Offenheit und Barmherzigkeit.

             Sie sind eine gute Hilfe, daran festzuhalten, dass das Leben es fundamental wert ist, gelebt zu werden, auch wennn es nicht immer so aussieht.

             Lögstrup kann einem die Einsicht vermitteln, dass das Vertrauen, die Offenheit und die Barmherzigkeit wirklich existieren. Obendrein existieren sie vor allem Anderen. Sie existieren aus sich selbst heraus. Sie sind nicht von Menschen geschaffen.

             Menschen können sie auch nicht verbessern, sie kommen uns zuvor, und wir werden von ihnen ergriffen.

             Allen souveränen Lebensäußerungen ist gemeinsam, dass sie auf der Seite der Nächstenliebe stehen. Sie dienen dem Leben.

             Die Lebensäußerungen leben oft ein bescheidenes, zurückgezogenes Leben in der Öffentlichkeit in Dänemark. Sie sind offensichtlich nicht besonders bekannt. Es ist kein rechter Platz für sie da, und zwar besonders dann nicht, wenn sie spontan sind.

             Vertrauen, Aufrichtigkeit, Offenheit und Barmherzigkeit sind nicht geeignet, eine Gesellschaft der Effektivität aufzubauen, denn sie sind zu kostspielig und verlangen zu viel Zeit, wenn wir von Systemen innerhalb der öffentlichen Verwaltung reden.

             Man weiß ganz und gar nicht, wozu solche unmittelbaren Dinge wie Barmherzigkeit und Vertrauen führen können. Das Dasein kann sich möglicherweise in ein unbeherrschbares Chaos verwandeln, in dem alles außer Kontrolle gerät.

             Stattdessen bauen wir in hohem Maße auf Misstrauen dort draußen im öffentlichen Bereich. Denn dann wähnen wir uns in Sicherheit. Dann wird keine Spontaneität oder Natürlichkeit über uns siegen können - glauben wir!  - Reden wir schließlich von Werten, auch von Vertrauen und Barmherzigkeit, dann beeilen wir uns, einen Fragebogen, eine Zielformulierung und einen Evaluierungsbogen beizufügen. Denn dann können wir sicher sein, dass nichts Unerwartetes passiert.

             Im Neuen Testament lesen wir einen fantastischen Bericht über Barmherzigkeit. Es ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter. (Sie ist hier nachzuerzählen!)

             Wir wissen nicht viel von dem Samariter, nur dass er aus Samaria kam, dass er Mitleid empfand, dass er ein Tier zum Reiten, Verbandszeug und Öl und Geld bei sich hatte.

             Er setzte sein Mitleid in die Tat um, und danach verschwindet er still und anonym aus der Geschichte.            

             Einfach, schnell und diskret bedient sich der Samariter der Mittel, über die er nun einmal verfügt, um im Augenblick einem Menschen in Not zu helfen.

             Er ist glaubwürdig, echt und unsentimental in seinem Mitleid. Er hat keinerlei Hintergedanken, keine heimlichen Absichten.

             Man stelle sich das vor: man bekommt Hilfe von dem barmherzigen Samariter: behutsam, demütig und mit Respekt, so dass man man selbst sein kann.

             Und man stelle sich vor, dass man seinerseits Hilfe leisten kann wie er: behutsam, demütig und mit Respekt vor dem anderen Menschen, so dass man man selbst sein kann.

             Der barmherzige Samariter verkündet, dass das Leben wirklich ist, dort, wo Gottes Liebe uns mit Vertrauen, Aufrichtigkeit, Offenheit und Barmherzigkeit erfüllt.

             Und dort, wo Menschen einander ausgeliefert zu sein wagen mitten in ihrem verwundbaren Leben, wo man lebt und liebt, sündigt und stirbt ohne einen tieferen Sinn.

             Und dort, wo das Leben kaputt zu gehen droht - und wo dann dennoch in jedem einzelnen Menschen ein unendlich großer Wert liegt.

             Den barmherzigen Samariter gibt es überall dort, wo uns Vertrauen, Offenheit, Barmherzigkeit und Aufrichtigkeit entgegengebracht wird.

             Den barmherzigen Samariter gibt es überall dort, wo wir einen anderen Menschen sehen und ihm mit demselben Vertrauen, mit derselben Offenheit, Barmherzigkeit und Aufrichtigkeit gegenübertreten.

             Dann wissen wir, dass wir nicht allein sind. Dass es einen Gott gibt, der uns eine Welt voller Menschen gegeben hat, seinen Willen zu tun, genauso wie es der barmherzige Samariter getan hat.

             Leider ist der barmherzige Samariter mit der Zeit etwas abgenutzt und abgegriffen geworden. Nach dem Chef von Kirkens Korshär (etwa: Heilsarmee) Bjarne Lenau Henriksen haben wir den barmherzigen Samariter als ein bewundertes Rollenmodell übernommen und ihn zu etwas mehr entwickelt.

             Nämlich zu dem barmherzigen Pharisäer. Seine Nächstenliebe ist gleichermaßen versiert und kompetent, genau wie die Nächstenliebe des barmherzigen Samariters es war.

             Aber sie ist auch zu einer strategischen Denkweise geworden, die ergebnisorientiert und deshalb meist auch von sich selbst und ihrem eigenen Erfolg überzeugt ist.

             Während der barmherzige Samariter nicht daran interessiert war, seinen Nächsten in Not zu benutzen, um an ihm seine Güte zu zeigen und seine Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen, bemüht sich der barmherzige Pharisäer, sichtbare Beweise dafür zu erbringen, dass sein Güte wirkt.

             Der barmherzige Pharisäer ist nicht böse. Man muss ihn nur an seinen Ursprung erinnern. Dass er nämlich seine Wurzel in der Erzählung vom barmherzigen Samariter hat.

             Er war es, der Hilfe leistete, ohne von dem Notleidenden etwas zu verlangen. Er war es, der den Schmerz des Nächsten linderte. Und er tat es ohne Wertvorstellungen, Zielsetzungen und Evaluierungsfragebögen, die dem armen Überfallenen um den Kopf geschlagen werden sollten.

             Möge der barmherzige Samariter dazu beitragen, unseren durchschnittsdänischen Normalitätsstandard zu sprengen, damit wir imstande sind, unserem Mitmenschen mit spontaner Offenheit, spontanem Vertrauen und spontaner Aufrichtigkeit zu begegnen.

             Und mögen wir dann gemeinsam sehen, was dabei herauskommt. Darin liegt die größte Barmherzigkeit. Und dann können wir enden, wo Jesus begann: "Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist." Amen.



Pastor Jesper Hougaard Larsen
Svendborg (Dänemark)
E-Mail: jhla(a)km.dk

Bemerkung:

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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