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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2009

Predigt zu Lukas 5:1-11, verfasst von Irene Mildenberger

(Vor der Predigt Lesung des Evangeliums Lukas 5,1-11 und Lied EG 313,1)

Liebe Gemeinde
Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören - ist es nicht das, was auch uns heute hierher geführt hat? Dass wir uns zu Jesus drängen, dass wir das Wort Gottes hören wollen?
Jedenfalls höre ich das so immer wieder, dass die Predigt das entscheidende sei, warum jemand in den Gottesdienst kommt. Dass Menschen Weisung suchen für ihr Leben. Ein Wort mitnehmen wollen. Das Wort Gottes hören und verstehen und mit dem eigenen Leben zusammen bringen. Gottes Wort für mich.

Es begab sich also, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
Diese Fischer, unbeeindruckt, unbetroffen scheinbar von dem, was sich da am Seeufer ereignet. Von der drängenden Menge, von Jesus. Für sie ist jetzt Alltag. Und sie bieten einen alltäglichen Anblick am fischreichen Nordteil des Sees. Der Arbeitstag, besser die Arbeitsnacht, ist vorbei. Die Aufräumarbeit noch im Gange - Netze waschen und ausbessern, um alles für die nächste Nacht vorzubereiten. Alltag, Fische fangen, den Haushalt versorgen, Lernen, an der Uni oder in der Schule, Arbeiten und Geld verdienen, die Enkel versorgen, damit deren Eltern Geld verdienen können ...

Diesen Alltag, unseren Alltag sieht Jesus. Sieht uns, sieht nicht die sich drängende Menge, sondern den einzelnen Menschen.
Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren.

Eben hatte das noch nichts miteinander zu tun. Hier diejenigen, die Jesus hören wollen, sich um ihn drängen - da die, die mit ihrer Arbeit beschäftigt sind. Doch beides lässt sich in den Augen Jesu, lässt sich unter seinen Augen nicht mehr trennen. Alltag und Sonntag, Arbeit und Glaube. Jesus sieht. Sieht mich und dich. Dich und deine Arbeit brauche ich, das, was du kannst. Hilf mir bei meiner Aufgabe, bitte.
Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.

Ganz unversehens sind die Arbeitenden mitten in eine Predigt hineingeraten. Ob er wohl noch wach genug dafür war, der Fischer Simon? Ob er mehr als ein paar Worte von dieser Predigt gehört hat? Aber darauf kommt es gar nicht an. Die Worte, die für uns bestimmt sind, die hören wir. Dafür sorgt Jesus.
Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!

Nicht mehr die drängende Menge ist jetzt angesprochen, auch nicht die Fischer miteinander, nein, einer allein wird angerufen: Fahre hinaus. Und zugleich kann der ja nicht allein Jesu Willen erfüllen, darum werden die anderen gleich mit ins Boot gerufen: werft eure Netze zum Fang aus.

Jesus drängt sich hinein in den Alltag mit seinen Worten, mit seinem Wort. Er nimmt in Besitz - zuerst das Boot und nun auch noch den Menschen mit seiner Kraft und Arbeit - und seine Gefährten gleich mit dazu. Jesus ruft und sein Wort ergreift Besitz von uns.

Und hier kommt nun Simon das erste Mal zu Wort: Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen;
Besonders gute Zeiten sind das heute nicht, Meister. Kaum, dass die Arbeit zum Leben reicht. Und oft so wenig Ergebnis unserer Mühen zu sehen. Was lernen die Kinder denn von dem, was wir ihnen in der Schule beizubringen versuchen? Was wird aus unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden? Was ist geblieben von der friedlichen Revolution, 20 Jahre nach der Wende? Vom Aufbruch der Kirchen?
Was bleibt von einem langen Arbeitstag im Haushalt? So viel Zeit in der Küche, um die Teller zu füllen, und am Ende sind sie wieder leer und reif für den nächsten Abwasch. Und wie lang und ergebnislos sind die Nächte, die Tage erst, wenn niemand einen Platz im Boot frei hat, wenn keiner meine Arbeit will. Es sind keine guten Zeiten, Meister; wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.

Aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Obwohl es ja aller Fachkenntnis widerspricht. Am Tag zu fischen - und mitten im See, nicht etwa da, wo die erfahrenen Fischer die guten Fanggründe erwarten! Vom Fischen, so scheint es jedenfalls, hat dieser Jesus, um den sich alle drängen, wenig Ahnung, dieser Jesus mit seinen Worten, mit Gottes Wort.
Und was unsere sonstigen Alltags- und Weltprobleme angeht: Krieg und Frieden und Revolution, Wirtschaftskrise und Firmenbankrotte, gefährdete Arbeitsplätze und gefährdete Staatsfinanzen, die drohende Klimakatastrophe und der Wahlkampf - was hat in all dem das Wort Gottes zu sagen? Ist mit ihm Politik und Staat zu machen? Ist mit ihm mein Alltag zu bewältigen?
Und doch, dieser Ruf setzt sich durch, lässt sich nicht überhören. Dieser Jesus nimmt mich in Beschlag, ich kann nicht anders. So genannte Sachzwänge und Vernunftargumente, die tragen nicht mehr, verlieren an Bedeutung gegenüber diesem Wort.
Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
Einer ist da angesprochen - einer antwortet:
Auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.

Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.


Auf dein Wort - unvorstellbar, überwältigend das Ergebnis. Und doch, zugleich ist es ja einfach das, was wir zum Leben nötig haben. Das, was wir wirklich brauchen. Genug Fische, damit all diese Fischer und ihre Familien davon leben können. Und vom Überschuss, vom Überfluss leben noch andere dazu.
Das Wort, das dieser Jesus uns zu sagen hat, betrifft unser Leben. Lässt uns leben. Er lässt uns leben.

Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
Simon kann stolz sein auf seinen Erfolg, sich rühmen, vorzeigen, was er erreicht hat. Wir können stolz sein: Wir haben auf Gott gehört, fromm sind wir gewesen, er kann ja gar nicht anders, als uns den zustehenden Lohn und Erfolg zu geben. Unsern Erfolg.
Wir haben eine gute Arbeit gemacht in der Gemeinde, uns eingesetzt für Kinder und Familien. Und der Erfolg ist sichtbar im Gottesdienst - mit den vielen Kindern und ihren Eltern, den vielen Taufen ... unser Erfolg, unsere Arbeit.

Petrus sieht es anders - da hat jemand ganz anderes gewirkt, da hat sich jemand ganz anderes mitten in das Leben hinein eingemischt. Solch ein Überfluss, der kann nur von Gott kommen, da ist Gott selbst am Werk, lässt sich erkennen, lässt sich sehen, begegnet uns. Nicht irgendein Mensch hat Besitz ergriffen von seinem Leben, sondern Gott selbst hat sich in sein Boot gedrängt.

Eine solche Begegnung mit Gott, die haben auch Mose und Jesaja nicht unbeeindruckt überstanden. Dem Apostel Paulus hat es zwar nicht die Sprache, aber das Augenlicht verschlagen, damals vor Damaskus. Beim Propheten Jesaja, der in einer Vision Gott auf dem himmlischen Thron sitzen sieht, der daran seine eigene Unwürdigkeit erkennt, bei Jesaja findet Petrus Worte für seine Situation:
Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
Gott erkennen und mich selbst erkennen, mich selbst als eine erkennen, die völlig unterschieden ist von Gott, die ihm eben gar nicht genügen kann mit ihrem Tun, das gehört zusammen. - Du bist Gott und ich bin Mensch, ich bin Sünderin -
Gott begegnen und mich selbst erkennen und erschrecken.
Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten.

Gott begegnen. Angerührt werden, Gottes Nähe, seine Gegenwart spüren. Vielleicht in einem besonders glücklichen Moment, wo ich etwas ahne von dem Leben, das bei Gott, in seinem Reich, für uns bereitet ist.
Gottes Nähe. Vielleicht da, wo es auch ganz anders hätte ausgehen können, böse. Aber es ist gut gegangen.
Gottes Gegenwart auch gerade im Schweren, im Leid. Das Sterben, der Tod eines nahen Menschen zeigt mir die Grenze auch meines Lebens. Meine Endlichkeit und mein Gott, der Leben und Tod mit seiner Gegenwart umgreift.
Angerührt werden von Gott und dadurch das eigene Leben in neuem Licht sehen. Mein Leben mit Gottes Augen anschauen. Ehrlich und offen. Das kann wohl erschrecken.
Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.

Aber Jesus will keine verschreckten Menschen um sich haben.
Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht!
Du brauchst nicht auf dein vergangenes Leben starren. Du brauchst dich auch nicht zu fürchten. Nicht die Vergangenheit ist wichtig, sondern die Zukunft. Ich zeige sie dir. Sage dir, was sein wird:
Von nun an wirst du Menschen fangen.
Ich, Jesus, habe dir gerade vorgemacht, wie das geht. Habe dich für mich gewonnen. Dich in mein Netz gezogen, bis du nicht mehr aus konntest. Und die, die mit meinem Netz gewonnen werden, die werden lebendig gefangen genommen. Die werden nicht auf das Trockene geworfen, um zu sterben, sondern sie finden in ihr eigentliches Element.

Wir werden gefangen.

Der durch die Welt geht und die Zeit, ruft nicht, wie man beim Jahrmarkt schreit.
Er spricht das Herz an, heute, und sammelt seine Leute.
Und blieben wir auch lieber stehn - zu wem denn sollen wir sonst gehn?
Er will uns alles geben, die Wahrheit und das Leben.                                  (EG 313,3)

Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Amen

(Nach der Predigt Lied EG 313,1-3)



Dr. Irene Mildenberger
Liturgiewissenschaftliches Institut der VELKD, Leipzig
E-Mail: liturgie@uni-leipzig.de

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