Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2009

Predigt zu Lukas 5:1-11, verfasst von Heiko Naß

Der Fischzug des Petrus

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth

2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.

3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.

4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!

5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.

6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen.

7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so dass sie fast sanken.

8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.

9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,

10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.

11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

 

Liebe Gemeinde,

Jesus kommt, beruft und die Jünger gehen mit. So scheint es auch hier in der Geschichte vom Fischzug des Petrus zu sein. Eine überraschende Begegnung hat eine wundersame Folge. Jesus kommt zu Petrus, er spricht ihn an und Petrus lässt alles liegen und zieht mit.

Mehr noch als dass mich diese Berufungsgeschichten der Jünger Jesu verwundert haben, haben sie mich beunruhigt. Was ist, wenn aus diesen Geschichten ein Programm ablesbar sein würde, wie Gott es gedenkt, Menschen für das Evangelium zu engagieren? Er kommt, er beruft, und alles was bis dahin gewesen ist, bleibt fortan zurück. Das hat mich immer beschäftigt. Kann der Weg zum Glauben immer nur der sein, dass tatsächlich Gott oder Jesus persönlich anspricht, einen heraus ruft, einen beruft. Schließlich habe ich mich gefragt, ob denn der Ausdruck für einen rechten Glauben, für ein Vertrauen in Gott immer einen Lebenswechsel bedeutet, also eine Art Umzug im Lebenswandel, in der Arbeit, in den Beziehungen.

Alles das sind Fragen, die mir wieder kommen, wenn ich die Geschichte vom Fischzug des Petrus höre.

Dankbar bin ich darum, dass mir durch die Möglichkeit der Vorbereitung auf diese Predigt ein wenig mehr Zeit geblieben ist, mich mit der Geschichte genauer zu beschäftigen. Manche Fragen sind auch bis heute noch geblieben, aber in einigen bin ich ein wenig weiter gekommen, und davon will ich Ihnen erzählen.

Nimmt man noch einige Zeilen hinzu, die vor dieser Geschichte im Kapitel 4 des Evangeliums nach Lukas stehen, dann merkt man, dass Jesus gar nicht so überfallmäßig auf Petrus zugekommen ist. Der Weg in die Nachfolge, die Berufung vom Fischer zum Menschenfischer geschieht gar nicht so plötzlich wie es scheint. Es ist eine Geschichte in drei Akten. Und das zeigt mir: Jesus ist sorgfältig in seiner Wahl. Er nähert sich auch langsam an und lässt es geschehen dass auch wir uns ihm langsam nähern dürfen.

Wie geht es bei dem Petrus zu? Den ersten Akt der Annäherung hat uns unsere heutige Geschichte verschwiegen. Dieser wird erzählt nur wenige Zeilen zuvor. Jesus ist in Kapernaum. Er ist in der Synagoge. Dort lehrt er und er heilt. Und anschließend daran geht er in das Haus des Petrus. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass Petrus zu Hause war. Vielleicht war er es  -  denn als Jesus einen Tag später am See zielgerichtet auf das Boot des Petrus zugeht und Petrus ihn hinausfährt, scheint es, als ob eine Bekanntschaft doch schon vorliegt. Zunächst jedoch fällt Petrus Jesus persönlich nicht auf. Es sind viele da im Haus des Petrus. Und diese sind besorgt, weil es der Schwiegermutter des Petrus nicht gut geht. Deshalb bitten sie Jesus. Er möge doch etwas für die Schwiegermutter tun. Jesus lässt sich darauf ein, er tritt auf die Schwiegermutter zu und darauf hin geht das Fieber weg. Das ist Teil eins der Geschichte zwischen Jesus und Petrus. Berichtet wird kein Wortwechsel zwischen beiden. Eine Annäherung von ferne. Petrus nimmt wohl wahr, dass Jesus Gutes tut, seiner Schwiegermutter Gutes getan hat. Und Jesus nimmt wahr, dass Petrus ein offener Gastgeber ist. Denn er darf bleiben. Er bleibt, und macht das Haus zu einer Art Gesundheitsstation. Denn als es Abend wird, bringen viele Menschen ihre Kranken zu ihm. Petrus wird davon nicht viel mehr mitbekommen haben. Denn er ist schon unterwegs. Er muss zum Fischen, raus über Nacht.

Teil zwei der Geschichte von Jesus und Petrus beginnt darum am frühen Morgen. Da ist eine große Menge, die von Jesus etwas hören will. Und diese Menge bedrängt ihn und in seinem Rücken liegt der See. Und deshalb geht Jesus auf Petrus zu, dessen Boot neben einem anderen am Ufer liegt und bittet ihn, ein wenig hinaus zu fahren. Petrus kommt der Bitte nach. Er fährt Jesus ein Stück vom Ufer ab. Sein Boot wird zu einer schwimmenden Kanzel. Ich finde, das ist ein faszinierendes Bild. Dort im Boot Jesus, der predigt, dessen Worte über das Wasser getragen werden zu der Menge am Ufer, die aufmerksam lauscht. Und Petrus: ich frage mich, was Petrus gemacht hat während dieser Zeit. Und ich denke mir, er wird gemacht haben, was seine Aufgabe ist, das Boot auf Kurs zu halten, für die Sicherheit zu sorgen, für den Mann dort, der predigt und für das Schiff. Vielleicht hat er auch Anker geworfen oder das Ruder vertäut und ein wenig dabei geschlafen, denn eine wache, mühevolle Nacht liegt hinter ihm. Aber was man vielleicht erwarten würde, dass die Worte Jesu auch ihn betroffen haben, dass er ganz aufmerksam war und ganz Ohr, dass er die Erkenntnis des Lebens oder Trost und Weisheit aus der Rede bezieht, davon erzählt die Geschichte nichts. Die Predigt Jesu geschieht für Petrus eher nebenbei, so wie wir nebenbei Radio hören während wir mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt sind. Ganz bildlich ist diese Geschichte. Für Petrus sind die Worte Jesu ein Stück Oberfläche. Da ist jemand, der vom Glauben an Gott erzählt - aber was hat das mit mir zu tun? So wie es heute Menschen gibt, die vom Glauben erzählen, die nun einmal für diese Aufgabe da sind, die Pastorinnen und Pastoren, die Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht für Religion, die Institution Kirche. Die Vermittlung des Glaubens ist an sie abdelegiert, in unserer ausdifferenzierten Gesellschaft erfüllen sie eine Spezialfunktion. Gut, dass es sie gibt, dass es Rundfunkandachten gibt, die man morgens beim Zähneputzen nebenbei hören kann, dass es auch manchmal die richtigen scharfen Worte der Kirche gibt, z.B. gegenüber der Profitgier der Manager in der Finanzkrise- das alles ist gut und schön - aber es ist doch auch weit weg, selbst wenn wir mit ihm im Boot sitzen, diese Worte hören oder von ihnen lesen.

So geht es auch Petrus, und Jesus lässt ihn und lässt ihn das Boot steuern oder schlummern und mit ihm auch die anderen, die mit dabei sind im Boot, denn mehrere müssen es sein  - man merkt es am Plural, der da im Text steht.

Also könnte jetzt auch die Geschichte zu Ende sein; man könnte sich den Ausgang auch so vorstellen: Jesus wird an Land gefahren, man verabschiedet sich, hat einen guten Eindruck voneinander gewonnen und geht dann auseinander. Dann gliche diese Geschichte vielen unserer eigenen Geschichten, unserem Wechsel von Sonntag und Alltag. Wir gehen aus dem Gottesdienst nach Hause, nehmen vielleicht den Eindruck mit, lassen ihn in uns nachklingen. So geht ja nun auch die ganz Menge, die Jesus am Ufer gehört hat, nach Hause. Und Jesus lässt sie gehen; genauso soll es sein. Begegnung, Hören, Wahrnehmen, Aufmerksam für eine Zeit, danach wieder Alltag. Das eine hat sein Recht wie das andere.

In der Geschichte vom Fischzug des Petrus gibt es nun noch einen dritten Akt. Und jetzt wird die Frage auch für uns prekär: geschieht hier nun etwas Besonderes, Einzigartiges, so dass diese Fortsetzung nichts mehr mit uns zu tun hat, oder wird die Geschichte auch zum Beispiel, zum Vorbild für uns? Gehen wir noch einmal zum Text zurück und nehmen wahr, was da passiert.

Die Predigt Jesu ist zu Ende. Jesus sagt zu Petrus: Fahre hinaus, wo es tief ist und werft eure Netze zum Fang aus. Wo es „tief" ist. Dort will Jesus nun mit Petrus hin. Nicht mehr die Worte an der Oberfläche, sondern nun geht es um Tiefe. Einer der großen Theologen des 20. Jahrhundert, Paul Tillich, hat den Begriff der „Tiefe" aufgenommen und zum Schlüsselbegriff auf dem Weg zu Wahrheit gemacht. Er schreibt - auch für uns noch immer aktuell: „Das meiste in unserem Leben bewegt sich an der Oberfläche. Wir sind von Routine umgeben - in unserem Alltag, bei der Arbeit, beim Vergnügen, im Beruf und in der Entspannung...Wir sind in fortgesetzter Bewegung und machen nie halt, um in die Tiefe zu stoßen..." (Paul Tillich, In der Tiefe ist Wahrheit, Religiöse Reden. 1. Folge, Frankfurt a.M. 19828, 54). Petrus macht Halt, dort wo es tief ist. Was er erfährt, sind keine neuen Worte. Was er erfährt, ist ein Augenblick der Fülle. Der Fang ist übergroß. Das ist eine Sprache, die er verstehen kann. Durch das Zeichen des übergroßen Fanges  wird die Botschaft so gekleidet, das er sie verstehen kann, weil sie ihn in seiner Authentizität als Fischer betrifft. Für das Gesundwerden der Schwiegermutter war er dankbar, der Predigt über dem Wasser hat er mehr oder minder zugehört, nun aber ist er selbst betroffen, weil er in seinem Ureigensten angesprochen ist. Jene Fülle ist es, die mit Gott gemeint ist. Nun versteht auch Petrus: Was Jesus getan hat und was er gesagt hat, sind Zeichen der Fülle, Hinweise auf den unerschöpflichen Grund unseres Lebens. Als Jesus dem Petrus gebot, hinaus zu fahren, wusste er, dort auf der Tiefe wird Petrus finden, verstehen, wer Gott ist. Gott wird für ihn übersetzbar in die Sprache seines Alltags hinein. Gleichzeitig wird dem Petrus seine bleibende Distanz, zwischen ihm, dem Fischer, der dem Alltag zugehört und Gott, der unerschöpflichen Fülle des Lebens, gewahr. Geh weg, ich bin ein sündiger Mensch", sagt Petrus, weil er sich dieses Ereignisses nicht würdig, ihm nicht gewachsen fühlt. Die Unsicherheit, die Distanz wird wiederum von Jesus her überbrückt.  „Fürchte dich nicht", sagt er. Das ist seine große Zusage, die die Angst nimmt, die der Furcht die Ermutigung zum Vertrauen entgegen setzt. „Von nun an wirst du Menschen fangen". Menschen fangen - wir zögern bei diesem Begriff, denn es stellen sich uns die Gedanken von Unfreiheit ein. Aber erinnern wir uns: die Netze sind bereits gerissen. Gefangen wird nicht mit Zwang oder Gewalt, sondern allein mit der Kraft der Liebe. „Fangen" - im Griechischen heißt dieses Wort auch „beleben". Und so wird es die Aufgabe als Menschenfischer sein, andere zu beleben mit der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Dazu braucht Jesus den Petrus. Dafür ruft er ihn in seine besondere Aufgabe hinein und in seine besondere Nähe, in den Kreis der Jünger um ihn.

Was ist nun diese Geschichte? Ist sie Beispiel für uns? Will die Begegnung mit Jesus uns auch heraus führen aus unserem Alltag, in eine besondere Form der Nachfolge hinein? Nein, das glaube ich, sagen zu dürfen, das will diese Geschichte nicht, nicht generell, nicht eine jede, einen jeden von uns. Nicht alle, die ein Wunder mit Jesus erlebten, wurden anschließend seine engsten Jünger. Zu dem geheilten Gelähmten sagte er ausdrücklich: Geh heim. Und die zehn Aussätzigen  kehrten, bis auf einen, nachdem sie sich kurz dem Priester gezeigt hatten, zu ihren eigenen Dingen zurück. Ich nehme aus dieser Geschichte, dass Gott uns sagen wird, wo wir gebraucht werden. Wo unsere Aufgabe und was unsere Aufgabe sein wird. Es kann sein, dass es einigen aufgegeben ist, herausgehoben aus dem Alltag beispielhaft eine geistliche Existenz zu führen, wie zum Beispiel die Brüder von Taize oder die Schwestern von Grandchamps, oder es kann sein, dass wir bewusst aufgerufen sind, im Alltag mit den Möglichkeiten und Einflüssen, die wir haben, daran mitzuwirken, dass immer mehr Spuren des Reiches Gottes auf dieser Erde erkennbar werden. Oder es ist unsere Aufgabe, eine ganz praktische Hilfe bei unserem Nachbarn zu sein.

Immer aber sind wir gerufen, aufmerksam für Gottes Wege zu sein. So hat diese Geschichte Hinweise ausgelegt, wie Gott für uns erkennbar wird. In der Hilfe bei Kranken, in dem gemeinsamen Hören auf sein Wort oder in der besonderen Begegnung mit ihm.

In ganz alltäglich erscheinenden Situationen des Miteinanders können wir die Fülle erfahren, die uns und unseren Begegnungen möglich ist. Sie stellt sich ein, wo Gott uns nahe kommt und wir ihm vertrauen. Im Geben wie im Nehmen, in der Not wie in der Freude führt er uns zu Orten, an denen wir uns und einander neu wahrnehmen und verstehen.

 



Pastor Heiko Naß
Referent der Kirchenleitung der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
E-Mail: hnass.nka@nordelbien.de

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