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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2009

Predigt zu Lukas 5:1-11, verfasst von Claus Oldenburg

Wenn man - wie ich - über einen Text schreiben soll und der Text allen vertraut ist, dann gibt man unmittelbar auf die Stimmung im Text acht und eigentlich auch auf die Jahreszeit. Denn der Fischzug des Petrus, wie die Erzählung heißt, hat etwas verblüffend Füllhornartiges, und dann hat Grundtvig ja sein Sommerlied zu diesem Text geschrieben, nämlich "Der sad en fisker saa tankefuld" (Es saß ein Fischer gedankenverloren). Auch Carl Nielsens Melodie dazu scheint Sommergefühle auszudrücken, und dann ist Grundtvig weitschweifig in fast ekstatischem und donnerndem Sinn, denn unendlich ist die Zahl der Menschen, die von "Sankt Peders Gilde" gefangen werden sollen - und alles scheint bezaubernd vor sich zu gehen in einer dänischen Sommerlandschaft, die nicht ganz so von traurigem Regen bestimmt ist wie unser gegenwärtiger Sommer.

             Das Wunder, das Jesus hier tut, ist ein Füllhorn, (wörtlich:) ein Horn des Überflusses, weil es fundamental überflüssig ist. Die armen Fischer an dem See hatte keine Ahnung, was sie mit den vielen Fischen machen sollten, und in einem warmen Klima ohne Gefriermöglichkeiten ist dieser Fang noch überflüssiger. Was nicht unmittelbar verkäuflich war, musste man so schnell wie möglich wieder ins Wasser werfen.

             Man kann also die Frage stellen, wozu dieser spektakuläre Fang gut sein soll?

             Der Hintergrund ist einfach: eine mühsame Nacht und nichts gefangen. Die erste christliche Pointe liegt in dem Ausdruck von Seiten des Petrus: "Aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen" - noch einmal, nach all den nächtlichen Mühen. Die Substanz muss sein, dass er und wir auf Jesu Wort hin - das hier wohl auch Gottes Wort ist - tun, was uns auferlegt wird, und er und wir tun es als Glaubende. Also: ich glaube an das, was du sagst, und deshalb versuche ich es noch einmal.

             Ein solcher Glaube hat einen metaphysischen Charakter, denn er ist keine Glaube an etwas, geschweige denn an etwas möglicherweise Übernatürliches, das in unserem Zusammenhang dann der Superfang wäre - der kommt als eine Überraschung - sondern es ist sehr viel eher ein Glaube, der ein "Vertrauen zu" zum Ausdruck bringt, und als solcher ist er sehr einfach und eigentlich leicht wiederzuerkennen.

             "Vertrauen zu" ist ganz einfach ein "Glaube an", und ohne eine solche Einstellung zu Mitmenschen und Phänomenen würde nichts machbar sein in dieser unserer Welt. Es ist ein einfaches "sich verlassen auf", und hat ein Mensch das Gefühl, sich nicht auf seinen Mitmenschen verlassen zu können, dann ist die Beziehung zwischen ihnen auch danach. Vorsichtig, auf der Hut und zögernd - und alle Absicherungen und Schutzmaßnahmen sind von vornherein aktiviert.

             Man kann mit Knud E. Lögstrup sagen, dass es eine grundlegende Lebensäußerung ist, denn dieses "sich verlassen auf" muss einem "Misstrauen zu" vorausgehen. Man muss - wiederum mit Lögstrup - sagen können, dass das Leben nur mit einem Vertrauenesausdruck als Vorzeichen funktioniert. Dessen Negation kommt erst danach.

             Was man auf diesem Hintergrund diskutieren kann, ist das Motiv des Petrus, aber es gibt kaum ein Motiv, denn er wird in der gesamten Evangelienliteratur als ein impulsiver Mensch geschildert, der im Guten wie im Schlechten spontan und impulsiv reagiert. Dass er den Vorschlag eines neuerlichen Fangversuchs annimt, ist also als eine direkte Vertrauenserklärung zu verstehen: Wenn du es sagst, dann mache ich es.

             Petrus bringt also auch eine lögstrup'sche Lebensäußerung zum Ausdruck, weil sie im Extremen akzeptierend ist, und nur von einer Wirklichkeitsperspektive aus als Naivität und vielleicht als charmante, menschliche Einfältigkeit beschrieben werden kann. Und Petrus hat wohl kaum etwas Anderes erhofft als eine bescheidene Kompensation für die nächtliche Arbeit.

             Und hier kommt das Füllhorn zur Sprache. Die Menge ist gewaltig, und die Konsequenz ist überwältigend.

             Jetzt reagiert Petrus so, dass er sich herausreden will. "Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch." In normale Alltagssprache übersetzt, könnte man hier den Ausdruck verwenden: Das ist "zu viel!" Es übersteigt weitaus die Wirklichkeit des Petrus und sein eigenes Selbstverständnis.

             Er wird ganz einfach zu einem sündigen Menschen durch all diesen Überfluss.

             Und das, so meine ich, passt zu dem, was allgemein wiedererkennbar ist.

             Denn wenn der Mensch durch die Freigebigkeit und Großzügigkeit des Daseins überrumpelt wird, dann sieht die Figur der Demut folgendermaßen aus: Das habe ich nicht verdient, geschweige denn erwartet oder mir erarbeitet, sondern es ist an sich ein Geschenk von oben und von unten, und es deckt meine Person als eine Gnadentat, die ohne Beispiel ist.

             Das Wunder ist noch immer überflüssig und hat eigentlich keinen Zweck. Denn der viele Fisch ist zu nichts nütze. Aber wenn der Mensch erlebt und fühlt, dass einem etwas Großes und Unverdientes zuteil wird und dass das nur aus Großzügigkeit und wohl auch als ein Liebeszeichen geschieht - dann ist die Reaktion Demut.

             Und die Demut zeigt sich als Sündenerkenntnis. "Ich bin ein sündiger Mensch." Ich möchte meinen, dass uns dies vertraut war und ist; denn wenn wir anderen eine solche Geste wie eine morgendliche Zaubernummer erführen, dann würden auch wir uns dieser Situation mit der Bemerkung entziehen, dass dies "zu viel" sei - und das bedeutet hier: nicht verdient.

             Sünde handelt in diesem Fall nicht von richtig oder verkehrt, gut oder böse oder welche moralischen Maßstäbe man sonst auf seine eigenen Handlungsmuster oder die Handlungsmuster anderer anwenden mag - die Sünde handelt hier von der Reaktion auf eigenes Selbsterleben. Die Demut ist ein Rückzug.

             Diesen Rückzug gibt es in zwei gegensätzlichen Varianten. Denn stößt dem Menschen etwas Großes, Erfreuliches und Unvorhergesehenes zu, dann ist er demütig - es sei denn, der betreffende Mensch ist zuriefst von sich selbst eingenommen und sehr abgestumpft. Denn die Größe, der der Mensch hier ausgesetzt ist, liegt außerhalb aller Angemessenheit und Vernunft. Der Mensch wird de facto "klein", und das ist die Demut - aber man wird gesehen - und zwar deutlich gesehen, und das ist die Größe. Und dies, dass man als solcher gesehen und geschätzt wird, liegt - wiederum mit Lögstrup - der religiösen Deutung nahe. Denn die Erleuchtung des Menschen, seine Hervorhebung innerhalb der Kategorie des Lichts, muss von außen kommen. Und im Grunde von Gott.

             Technisch-theologisch nennen wir das "die fremde Rechtfertigung". Dass du und ich gerechtfertigt werden von einem Anderen und Fremden, und dass dies Christus ist, dieser große Meister des Fischzuges zu Ehren des sehr menschlichen Petrus und seiner nächtlichen Mühen.

             Aber derselbe Rückzug geschieht ja auch dadurch, dass dem Menschen etwas Unglückliches, Trauriges und Unvorhergesehenes geschieht. Dann wird die Reaktion der Umgang mit dem Unumgänglichen sein, was an sich schon die Demut anruft, aber dies Gefühl wird gewöhnlich mit einer Form von Aggression gemischt sein, und die lautet: dass ich das nicht verdient habe. Das ist schlicht und einfach ungerecht. Und es wird sich das Gefühl einstellen, dass man als Person eben nicht gesehen wird - dass man übersehen wird. Auch dies Erlebnis liegt der religiösen Deutung nahe, denn die Verdunklung des Menschen, seine Verstoßung vom Bekannten und Lichtvollen, muss auch von außen kommen. Und im Grunde von Gott.

             Technisch-theologisch haben wir keinen Ausdruck dafür. Oder richtiger: wir haben ihn, aber aus reiner professioneller Angst pflegen wir den Fall in den Kategorien des Bußchristentums zu rubrizieren. weil der betroffene Mensch die Neigung hat, die Schuld auf sich zu nehmen oder seine fehlende Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart zu erkennen. Wieder taucht die Sünde auf in der Gestalt der Buße als ein Mangel, der nun den Charakter des nicht-wieder-gut-zu-machenden hat. Wiederum. Der Mensch wird "klein", und er wird eben nicht gesehen. Er wird übersehen.

             In beiden Fällen tritt die Demut auf. Und sie ist verbunden mit der Sündhaftigkeit, weil der Mensch außerhalb dessen fällt, was man - ein wenig boshaft - den Normalrahmen nennen könnte. Das Normale kennt die Sünde nicht - wir Anderen kennen sie. Dies ist natürlich ein Hochmut, aber es ist also auch eine Erkenntnis der Tatsache, dass wir alle Opfer der Extreme des Daseins sind, und dass unser eigenes Leben und unsere eigenen Umstände in Wirklichkeit extrem verwundbar sind.

             Wenn ich also meiner eigenen Zeit einen Vorwurf machen soll, dann ist es nicht der fehlende Glaube - denn Vertrauen als Glaube ist nun einmal für uns alle eine grundlegende Äußerung - sondern es ist eher die Unlust der Gegenwart, die Extreme des Daseins als ein Faktum anzuerkennen, zu dem man sich notwendigerweise verhalten muss - theoretisch wie auch praktisch.

             Und genau die Extreme haben zu allen Zeiten zum Gottesbegriff gehört. Das ist ganz einfach seine Bedeutung. Denn die Bedeutung von Gott ist es nie gewesen, die Welt zu erklären oder ihr einen Schein rationalistischer Vernunft oder übernatürlichen Zusammenhangs zu geben, verborgen im metaphysisch Dunklen, sondern sehr viel eher, sowohl unserem Intellekt als auch unserem Gefühl - welcher Art er oder es auch immer sein mag, positiv wie negativ - eine Adresse zu geben.

             Es soll und muss eine Instanz geben, an die sich der Mensch wenden kann - wenn man auf der Seite der Freude überrumpelt oder nahezu erstickt wird vom Sinnlosen als einem Überschuss, und wenn man entsprechend auf der Seite der Trauer überrumpelt und erstickt wird vom Sinnlosen als einem Defizit - um es neutral auszudrücken.

             Ich meine ganz einfach, dass das wirkliche Gefühl des Menschen, seine Einfühlung und enge Verbindung mit dem Gegenwärtigen und Nahen, seinen Gott als einen stummen Gesprächspartner nötig hat.

             Denn eine Antwort bekommen wir nie, aber wir brauchen unsere Mitmenschen und unseren Gott, um uns gemeinsam freuen zu können, und wir brauchen unsere Mitmenschen und unseren Gott, um gmeinsam trauern zu können. Ein Ich und eine Du und einen Dritten, der der stumme Boxball des Gefühls ist.

             Weil wir alle die Demut kennen. Und die Demut ist eigentlich, dass wir überhaupt nichts unter Kontrolle haben, denn "alle Dinge geschehen doch anders, als man denkt" - mit Thomas Mann.

             Es ist vielleicht gar nicht so wenig, dass die christliche Kirche auf Petrus gebaut ist - diesen Menschen.

             Denn er musste die Sünde erkennen, als er kraft dieses Fischzuges sichtbar wurde, und er musste die Sünde erkennen, als er durch seine Tränen in der Nacht zu Karfreitag unsichtbar wurde kraft seines eigenen Versagens.

             Aber wir erkennen ihn wieder. Denn wir erkennen uns selbst wieder. Und wir sind die Kirche. Amen.



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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