Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2009

Predigt zu Matthäus 28:16-20, verfasst von Mira Stare

Liebe Glaubende,

 

wenn wir unsere eigene Biografie betrachten, dann können wir in ihr verschiedene Abschnitte  erkennen. Die Übergänge von einem zu einem anderen Abschnitt in unserem Leben erfahren wir als Abbrüche, Veränderungen oder als neue Aufbrüche. Solche Abschnitte und Veränderungen prägen auch unser Glaubensleben. Das heutige Evangelium schildert die Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern und vermittelt uns seine letzten Worte an sie. In dieser Begegnung zeigt sich, wie die Jünger Jesu nach dem Osterereignis in ihrem Glauben und in ihrer Nachfolge Jesu mit Veränderungen konfrontiert und zu einem radikalen Neuaufbruch von Jesus selbst aufgefordert werden.

         Schauen wir uns diese letzte Begegnung des Auferstanden mit den Seinen genauer an. Das Matthäusevangelium berichtet uns, dass es zu dieser Begegnung auf einem Berg in Galiläa kommt. Die Jünger, die Jesus auf seinem Leidensweg verlassen haben und ihre Beziehung zu ihm auf diese Weise abgebrochen haben, begegnen nun dem Auferstandenen. So ist der Abbruch ihrer Nachfolge Jesu nicht der Endpunkt ihres Weges mit ihm. Der Auferstandene selbst ergreift die Initiative und geht seinen Jüngern nach. Er ist bereit, sich ihnen nach dem Osterereignis wieder zu offenbaren und ihnen einen neuen Anfang anzubieten.

Und wie ereignet sich diese Begegnung? Zuerst erfahren wir, dass die Jünger den Auferstandenen wahrnehmen, nämlich dass sie ihn sehen. Dieses Sehen führt zu unterschiedlichen Reaktionen: Die Jünger beten Jesus an, einige von ihnen aber beginnen zu zweifeln. Jesus reagiert darauf so, dass er zu seinen Jüngern hinkommt und sie anspricht. Von nun an kommen die Zweifel der Jünger nicht mehr vor. So dürfen wir annehmen, dass diese Zweifel mit der intensiven Nähe Jesu verschwinden. Der Auferstandene spricht seine Jünger an. Seine Worte gelten allen seinen Jüngern, unabhängig davon ob sie ihn anbeten oder ob sie ihm gegenüber zuerst gezweifelt haben.

Bevor er ihnen seinen Auftrag mitteilt, bezeichnet er sich selber als derjenige, dem alle Vollmacht im Himmel und auf der Erde gegeben ist. So steht das Geschehen auf diesem Berg in Galiläa im Kontrast zum Geschehen am Berg der Versuchung. Dort trägt der Versucher das Angebot an Jesus heran, ihm Macht im irdisch-politischen Sinn zu geben. Im Kontrast dazu zeigt sich am Berg in Galiläa, dass die von Gott gegebene universale Vollmacht des Auferstandenen nicht im irdischen Sinn gemeint ist. Während Jesus in der Szene am Berg der Versuchung betont, dass Gott allein Anbetung verdient, wird ihm jetzt am Berg in Galiläa selbst Anbetung entgegengebracht.

Dann erteilt Jesus seinen Jüngern einen Auftrag bzw. einige Aufträge: Sie sollen zu allen Völkern gehen und sie zu seinen Jüngern machen. Dann sollen sie sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes taufen. Und schließlich sollen sie sie alles lehren, was Jesus ihnen - den Jüngern - geboten hat. Obwohl es mehrere Verordnungen Jesu an die Jünger gibt, geht es dabei grundsätzlich um einen einzigen universalen Auftrag, auf dem der Hauptakzent liegt, nämlich alle Völker zu Jüngern Jesu zu machen.

So fordert der Auferstandene seine Jünger zu einem neuen und markanten Aufbruch auf. Er sendet sie zu allen Völkern und Menschen. Sie sollen ihnen grundsätzlich das weitergeben, was sie selbst von und mit Jesus erfahren haben. So wie sie seine Jünger sind, sollen auch andere Menschen und Völker zu Jüngern Jesu werden. Ihr bisheriger Weg mit ihm wird von nun an ein Weg mit anderen Menschen sein. Ihre bisherigen Erfahrungen mit ihm werden nicht nur Erinnerungen an etwas Vergangenes sein, sondern sie werden auch in der Gegenwart und in der Zukunft in Beziehungen zu anderen Menschen gegenwärtig und fruchtbar.

         Schließlich empfangen die Jünger von Jesus noch eine besondere Zusage. Das sind zugleich die letzten Worte Jesu und die letzen Worten im Matthäusevangelium überhaupt. Er, der Auferstandene, wird die Seinen nicht allein lassen. Er bietet ihnen seine Gemeinschaft an. Diese Gemeinschaft gilt für alle Tage bis zur Vollendung der Weltzeit. Die „Vollendung der Weltzeit" lässt sich mit der Parusie, mit dem endgültigen Kommen des auferstandenen und verherrlichten Herrn, verbinden. Leider kommt die Wortverbindung „Vollendung der Zeit" im Großteil der deutschen Übersetzungen nicht vor, sondern wird sie mit „Ende der Welt" übersetzt. Das „Ende der Welt" unterscheidet sich jedoch wesentlich von der „Vollendung der Zeit". Denn das „Ende" ist an sich ein Kontrast zur „Vollendung".  Diese Verheißung („ich bin mit euch") erinnert an das Immanuel-Wort („mit uns ist Gott") am Anfang des Evangeliums in Mt 1,23. Auf diese Weise bildet das Thema der „Gegenwart" und des „Mitseins" einen Rahmen um das Matthäusevangelium.

         Besonders mit dieser Zusage der Gegenwart und des Mitseins des Auferstandenen sind die Jünger Jesu zu neuen Aufbrüchen nach dem Osterereignis ermutigt. Der Auferstandene ergreift selbst die Initiative und holt sie in ihrem Abbruch ab. Er selbst motiviert sie zu einem radikal neuen  Aufbruch. Ihr Glaubens- und Lebensweg bekommt nach der Begegnung mit dem Auferstandenen wesentlich neue Konturen. Sie sind gesandt, damit alle Völker und Menschen zu Jüngern Jesu werden.

         Liebe Glaubende, wenn wir unsere bisherigen Lebens- und Glaubenswege betrachten, welche Abschnitte, welche Abbrüche, welche Veränderungen... erkennen wir? Die Sommer- und Urlaubszeit, in der die Alltagsroutine unterbrochen ist, ist für diese Besinnung gut geeignet. Wenn wir die Abbrüche auf unseren Wegen entdecken, dann sollen wir so wie die Jünger Jesu wissen: Der Auferstandene möchte auch unsere Abbrüche zu neuen Aufbrüchen umformen. Auch uns sendet er zu Mitmenschen, damit wir ihnen das weitergeben, was wir von ihm empfangen haben. Der universale Auftrag Jesu „macht zu Jüngern alle Völker" gilt auch für unsere Zeit und wird von denjenigen Christinnen und Christen verwirklicht, die es wagen, auf das Wort Jesu hin im Glauben neu aufzubrechen. Ich wünsche uns allen diesen Mut und das Vertrauen, denn Jesus Christus, der auferstandene und erhöhte Herr, ist und bleibt mit uns bis zur Vollendung der Weltzeit.

„Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom,
brecht aus euren Bahnen, vergebt ohne Zorn,
geht auf Gottes Spuren, geht, beginnt von vorn.
Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom." (G. Liensen)

Amen.



Dr. Mira Stare
Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie
Katholisch-Theologische Fakultät
Innsbruck
E-Mail: mira.stare@uibk.ac.at

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