Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2009

Predigt zu Matthäus 5:20-26, verfasst von Else Hviid

An dem Tage, da Gott seinem Volk begegnete, um ihm seine Gebote zu übergeben, schärfte er ein, dass niemand ihn sehen dürfe, denn sie könnten es nicht nur nicht aushalten, sondern es wird auch hervorgehoben, dass der Mensch vom Wort Gottes leben soll, nicht von Visionen und Beweisen, nicht von Handgreiflichkeit - mit dem daraus folgenden Abstand zu Gott.

             Deshalb "redet" Gott vom Berg: "Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir."

             Es folgt eine Reihe von fundamentalen Geboten und Verboten; das Verbot, den Namen Gottes zu missbrauchen, also das Heilige für sündige Zwecke zu benutzen. Das Gebot, den Sabbattag heilig zu halten, so dass die profanen Angelegenheiten den Himmel nicht verbergen; der Feiertag ist der Tag der ausdrücklichen notwendigen Trennung von den übrigen Wochentagen.

             Auf diese religiösen Gebote, die die grundlegende Schöpfungsordnung betreffen, folgt eine Reihe von einfachen sozialen Geboten, ohne die keine Zivilisation aufrecht zu erhalten ist. Die Forderung des Respekts vor den Eltern. Das Verbot des Tötens. Das Gebot des Respekts vor der Ehe, vor dem Eigentum, vor der Wahrheit in Rechtsstreiten. Das Verbot, nach dem Eigentum anderer zu trachten.

             Hier ist nicht die Rede von idealen, unerfüllbaren Forderungen, sondern von elementaren Notwendigkeiten, Mindestforderungen könnten wir sie vielleicht nennen.

             Mit leicht verständlichen Formeln wird eine neue Vision des Lebens formuliert; Gott und Menschen sind zusammengekommen, um im Bund miteinander, in unverbrüchlicher Treue zu leben. So sollen wir unser Leben leben, mit Gott und an seiner Seite. Der Maßstab für unsere Existenz soll nicht militärische Macht, positive Handelsbilanz oder Kultur sein, sondern eine Instanz, die nicht von dieser Welt ist: der Wille Gottes.

             Leicht verständlich und einleuchtend also, oder wie Mose sagt: Was ich dir heute befehle, ist dir weder unverständlich noch fern. Nein, das Wort ist dir ganz nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen, so dass du es befolgen kannst.

             Damit ist doch zugleich auch gesagt, dass sich niemand von uns mit Unverstand herausreden kann. Und das würde eine Versammlung wie die unsrige heute hier in der Kirche wohl auch niemals tun?

             Und dennoch ist diese Versammlung weder sehr viel besser noch schlechter als die Welt, in der wir leben, eine Welt, die schon längst aufgehört hat, sich in der Nachbarschaft mit dem Heiligen zu entfalten und darin zu leben. Die Menschen rechnen gewöhnlich nicht mit einer Instanz einer anderen Welt, wir messen unser Leben nicht dem Willen Gottes, im Gegenteil, wir messen es mit all dem, was zu dieser Welt gehört: mit Geld und Macht und so weiter.

             Wir glauben nicht einfach an Gott, wir glauben an uns selbst, an den Zufall, an das Glück, an Maschinen, an Geld, an Horoskope, an alles Mögliche und an gar nichts.

             Wir ehren nichts, halten nichts heilig und lügen oft.

             Vor einigen Jahren schrieb der kanadische Schriftsteller Douglas Coupland einen kurzen Roman: Das Leben nach Gott. Coupland beschreibt darin seine eigene Generation - die Generation X, uns, die wir um 1960 geboren sind - eine Generation, die ohne Religion aufgewachsen ist. Er schreibt, wie so viele andere Schriftsteller unserer Zeit auch, von der Einsamkeit, der Angst und der Sinnlosigkeit in einem Leben ohne festen Halt. Von der Instanz, die nicht da ist und die deshalb auch keinen Sinn darstellen und keine Lebensfülle vermitteln kann, die uns deshalb auch nicht festhält und deren Abwesenheit uns darauf verweist, in einer Welt ohne gemeinsame Werte zu leben, in einer Kultur des schnellen Abspulens - in einer Welt scheinbar jenseits von Gott.

             Die Menschen unserer Zeit suchen beharrlich nach Werten und nach Sinn. Dem Leben, das doch so leicht zu fassen und nahe sein soll, in unserem Mund und unserem Herzen, so dass wir ihm folgen können, dem Leben folgen wir nicht.

             Aber wir sehnen uns danach...

             Coupland enthüllt es auf der vorletzten Seite seines Buches wie ein kleines Geheimnis. Er sagt: "Mein Geheimnis ist, dass ich Gott brauche - dass ich krank bin und es nicht mehr allein schaffe. Ich brauche Gottes Hilfe, um geben zu können, denn es ist, wie wenn ich nicht mehr imstande bin, von selbst zu geben; ich brauche Gottes Hilfe, um gut zu sein, weil ich nicht mehr imstande bin, Güte zu zeigen; um zu lieben, weil ich jenseits der Fähigkeit zur Liebe zu stehen scheine."

             Coupland schwimmt - und zwar auch in einem buchstäblichen Sinn, in einem Teich. Er beschreibt - und seine Beschreibung könnte aus einem der AT-lichen Klagelieder stammen - wie das Wasser in ihn dringt und seine Brust, seine Arme und seinen Hals zu Eis erstarren lässt. Es strömt in seinen Mund, seine Nase, seine Ohren, und das Brüllen des Wassers ist ohrenbetäubend, - aber es klingt auch wie das Klatschen von Händen. So empfindet man es, wenn man verlassen und allein ist, verlassen von Menschen und verlassen von Gott - auf tiefem Wasser.

             So verlassen auf dem tiefen Wasser, wenden wir uns nun dem Wort Jesu aus der Bergpredigt zu. Hier muss Hilfe zu bekommen sein. Aber die Hilfe ist zunächst nur schwer zu entdecken - jedenfalls in dem Textstück, das wir heute gehört haben.

             Nicht dass wir nicht töten dürfen, das war uns ja klar. Wir dürfen nichts Hässliches über unseren Bruder sagen, ja, wir dürfen nicht einmal uneinig mit jemandem sein. Wenn das gefordert ist, können wir genausogut die Konsequenz ziehen und ins Wasser gehen, denn dazu ist doch niemand imstande. Und eine Gerechtigkeit, die weitaus besser ist als diejenige der Schriftgelehrten und Pharisäer? Was liegt hier vor? Gibt es eine Gerechtigkeit, die die ihre übertrifft und die im Falle eines Falles die einzige ist, die gilt?

             Einen Pharisäer an Gerechtigkeit übertreffen ist dasselbe wie einen Talebaner im Wettlauf um die Scharia überholen. Das sind doch wohl neue Töne?

             Ja doch, aber es gibt eine Gerechtigkeit, und das ist die unsrige. Das heißt, sie wird uns geschenkt. Die Gerechtigkeit ist eine Quelle des Lebens und der Freude, und sie stammt nicht von Menschen, sondern sie stammt von Gott.

             Es gibt eine Hoffnung und eine Würde, von der auch nicht die geringsten oder lasterhaftesten Menschen ausgeschlossen sind und der gegenüber auch der beste und stärkste Mensch sich nicht rühmen kann, leichteren Zugang zu ihr zu haben als derjenige Mensch, der überhaupt keinen Zugang hat. Es ist die Gerechigkeit oder die Menschenwürde, die Quelle der Hoffnung und Freude, der das kleine Kind übergeben wird, wenn es getauft wird. Und es ist die Wirklichkeit, die durch Jesu Worte und Wirken zu uns gekommen ist und die die einzige Grundlage, der einzige Maßstab für das Leben eines Menschen ist, oder die einzige Gerechtigkeit, von der das Evangelium weiß. Den sie ruht nicht auf Unverbrüchlichkeit und Treue von Menschen, sondern Gottes.

             "Diese Hände" - so endet Couplands Roman - "die heilenden Hände; die Hände, die halten. Ich versinke ganz in dem Teich, ich bekomme meine Knie zu fassen und vergesse die Schwerkraft und schwebe in dem Teich, und dennoch, auch hier, höre ich den Donner des Wassers, das Brausen klatschender Hände. - Diese Hände - die Hände, die Fürsorge sind, die Hände, die formen; die Hände, die die Lippen berühren, die Lippen, die die Worte sagen - die Worte, die uns sagen, dass wir heil sind." Amen.



Pastorin Else Hviid
London
E-Mail: ehviid(a)googlemail.com

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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