Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2009

Predigt zu Matthäus 28:16-20, verfasst von Wolfgang Vögele

„Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Liebe Gemeinde,

mit kräftigen Schritten gehen wir auf die Sommerferien zu - ein guter Zeitpunkt, um einmal über Lehrer zu reden.

Um durch das Leben mit all seinen steilen und ebenen Pfaden zu gehen, braucht jeder Mensch Klugheit, Fähigkeiten, Erfahrungen, Wissen. Um all das in sich auszubilden, brauchen nicht nur Kinder, auch Erwachsene Lehrerinnen und Lehrer. Sie bilden Fähigkeiten aus. Sie helfen, gewonnene Erfahrungen zu verarbeiten. Sie unterstützen ihre Schüler dabei, Wissen zu speichern. Lernen ist lebenslanges Lernen, darum hat jeder allezeit Lehrer um sich herum.

Fähigkeiten und Erfahrungen und Wissen zusammengenommen ergeben eine Form der freundlichen weltzugewandten Klugheit, die wichtiger ist als das meiste, womit sich Kinder in der Schule beschäftigen. Nicht erst seit den Pisa Untersuchungen diskutieren deutsche Politiker und Pädagogen wieder über die Qualifikation von Lehrern. Sie sollen nach Studium und Referendarszeit die Fähigkeit besitzen, bei Kindern lebenswichtige Bildungsprozesse auszulösen. Schon die Erzieherinnen im Kindergarten haben den Anspruch, den Vierjährigen erste Lernerfahrungen vermitteln. Je früher, desto schneller und intensiver und nachhaltiger, lautet die pädagogische Gleichung.

Ich will mich jetzt nicht damit beschäftigen, ob das stimmt. Aber die Frage ist spannend: Welche Fähigkeiten muß ein Lehrer besitzen, damit seine Schüler am Ende der Schule von ihm fürs Leben gelernt haben? Manche Schüler stellen jetzt am Ende des Schuljahrs die bange Frage: Welche Note wird mir der Deutsch-, Mathematik-, Kunstlehrer wohl geben? Und sie sind dann enttäuscht, wenn sie hören, daß die Note nicht dem entspricht, was sie sich erhofft haben. Aber Lehrer können Schülern nicht nach dem Munde reden. Schüler haben das Recht auf eine ehrliche und angemessene Beurteilung, die erworbenes Wissen und nachgewiesene Fähigkeiten berücksichtigt. Noten sollen nachvollziehbar sein.

Lehrer sollen begeistern können. Lehrer sollen sich auf die Lebenswelt ihrer Schüler einstellen. Sie sollen für jedes Kind in der Klasse einen maßgeschneiderten Bildungsplan entwickeln. Sie sollen verbindliche Autoritäten sein, ohne autoritär zu werden.

Politiker und Eltern und Schüler betrachten darum die Lehrer stets mit einem Rest von Mißtrauen. Für die Politiker sind Lehrer nicht engagiert genug, für die Eltern sind sie nicht verbindlich genug, für die Schüler sind sie häufig zu streng. Lehrer können in der Regel weder den Erwartungen der Eltern, noch der Politiker noch der Schüler entsprechen. Wahrscheinlich zeigen Lehrer dann die besten Qualitäten, wenn sie genau das tun, den Erwartungen der anderen nicht entsprechen, wenn sie sich nicht vor einen Karren spannen lassen.

Nun halte ich hier eine Predigt und keinen pädagogischen Vortrag. Trotzdem habe ich mich ein wenig bei den Lehrern aufgehalten. Es ging zunächst einmal darum herauszustellen, welche wichtige Aufgabe Lehrer in der Schule, in der Berufsschule, an der Universität, aber auch an der Volkshochschule wahrnehmen. Niemand kommt im Leben ohne eine große Gruppe von Lehrern aus. Als vereinzelte einzelne sind die meisten von uns nicht lernfähig. Wir brauchen stets die behutsame pädagogische Hilfe von anderen. Man kann das als Kränkung verstehen, weil es den Menschen an seiner Selbständigkeit hindert. Man kann das aber auch als große Chance nehmen, denn Lehrer bringen einen Menschen, einen Schüler, gleich ob Kind oder Erwachsener, voran.

Ich habe mich aus einem bestimmten Grund bei den Lehrern eine Zeitlang aufgehalten. Die Predigtgeschichte bildet den Höhepunkt und Abschluß des Matthäusevangeliums. Alle vier Evangelien setzen unterschiedliche Akzente, was die zentrale Figur des Jesus von Nazareth angeht. Im Johannesevangelium ist Jesus vor allem der Sohn seines Vaters. Dieser Sohn entspricht vollständig dem Vater. Der Wille des Sohnes und der Wille des Vaters können gar nicht voneinander unterschieden werden. Im Matthäusevangelium ist Jesus nicht so sehr Sohn als vielmehr  - Lehrer. Ein Lehrer in einem ganz besonderen Sinn, ein Lehrer des Glaubens und Vertrauens. In der Predigtgeschichte, die wir vorhin gehört haben, verabschiedet sich der auferstandene Jesus als Lehrer der Jünger. Als Lehrer des Glaubens unterscheidet sich Jesus von einer Grundschullehrerin und von einem Oberstudienrat. Darüber will ich mit Ihnen nachdenken.

Zunächst steigt Jesus, um zu lehren, auf einen Berg. Jesus ist ein Lehrer im Freien. Auf einen anderen Berg ist der Jesus des Matthäusevangeliums schon gestiegen, um die berühmte Bergpredigt zu halten: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen." Auch der Teufel in der Versuchungsgeschichte führt Jesus auf einen Berg, um ihm alle Macht und Gewalt der über die Welt anzubieten für den Preis, daß Jesus sich einmal vor ihm niederwirft. Dieses Angebot lehnt Jesus dankend ab. Und schließlich geht Jesus mit Johannes und Petrus auf den Berg der Verklärung, um dort Elia und Mose zu begegnen. Auf dem Berggipfel begegnen sich Himmel und Erde. Dort ist Gott den Menschen nahe, und deswegen spricht der Auferstandene vom Gipfel seine letzte, seine entscheidende Botschaft.

Der Teufel forderte von Jesus, daß er sich niederwirft und ihn anbetet. Jesus lehnt das ab mit dem Hinweis auf eine Stelle aus dem 5.Buch Mose: „Du sollst anbeten den Herrn deinen Gott und ihm allein dienen." (Dtn 6,13). Nun haben wir gehört, daß die Jünger sich vor Jesus niedergeworfen haben, bis auf einige, die immer noch zweifelten. Wenn sich nun die Jünger vor dem Auferstandenen niederwerfen, für uns heute eine ganz ungewohnte und verloren gegangene Geste, dann erkennen sie diesen Auferstandenen als Gottes Sohn an. Und trotzdem zweifeln einige der Jünger immer noch daran, auch wenn nicht gesagt wird, ob sie die Geste des Niederwerfens mit vollzogen haben. Einige Jünger bleiben offensichtlich bei ihrem Zweifel. Und das taucht die Szene auf dem Berg in ein merkwürdiges Zwielicht. Dieses Zwielicht entspricht ganz genau unserem Glauben und Vertrauen, das den Zweifel nicht völlig abschütteln kann.

Das Matthäusevangelium stellt Jesus als Lehrer vor, und daran sind zwei Momente von besonderer Bedeutung: die Person des Lehrers und der Inhalt dessen, was er lehrt.

Vor den Jüngern steht der Auferstandene: Auf dem Berg, auf dem er so oft seine Reden gehalten hat, spricht er seine letzten Worte, bevor er dem Blick und der Wahrnehmung der Jünger entzogen wird.

Jesus verabschiedet sich mit einer vierfachen Botschaft:

In mir seht ihr die Barmherzigkeit und die Macht Gottes.

Darum sollt ihr Menschen taufen, daß diese Barmherzigkeit bekräftigt und weiter verbreitet wird.

Taufe allein reicht nicht aus, sie braucht dazu noch ein besonderes Wissen: die Lehren Jesu von der Feindesliebe über das Salz der Erde bis zum Vaterunser.

Und zuletzt: Jesus bleibt bei den Menschen, um sie zu trösten.

Der Auferstandene, der sich auf dem Berg als Lehrer vorstellt, will nicht einfach Wissen verbreiten, er will sehr viel mehr, und darin unterscheidet er sich vom Lehrer an einer Schule. Der auferstandene Lehrer auf dem Berg will, daß die Menschen an ihn glauben wie sie an Gott glauben. Die Person ist von entscheidender Bedeutung. Denn der Lehrer ist gleichzeitig der Sohn göttlichen Vaters und der Richter über die Menschen, im Himmel und auf Erden. Nicht die große Machtfülle und der Machtanspruch machen das Wesentliche dieser Aussage aus, sondern das Paradox: Der, der gelitten hat wie kein anderer Mensch, der, der gekreuzigt wurde, der, den die Menschen zum Tod verurteilt haben, er ist in besonderer Weise mit der Herrlichkeit, mit der Macht und der Barmherzigkeit Gottes verbunden.

Und daraus leitet der Auferstandene die Aufforderung zur Taufe ab: „Gehet hin und tauft sie auf den Namen des Vaters..." Der Jünger, der Pfarrer, der Christ, wer auch immer, gießen Wasser über den Täufling. Das ist ein bedeutsames, ein Vertrauen stiftendes  Zeichen.

Das Wasser der Taufe wäscht von Sünden ab. Dieses Wasser reinigt. Dieses Wasser zieht zieht den Täufling hinein in Gnaden- und Machtbereich des Auferstandenen. Aber für Matthäus reicht das Symbol der Taufe nicht.

Dazu kommt ein besonderes Lebens- und Erfahrungswissen. Wer in den Gnadenbereich der Barmherzigkeit gelangt, wird zugleich auf eine bestimmte Lehre verpflichtet: „Lehret sie zu halten alles, was ich euch gesagt habe..." Und an dieser Stelle, so hat es der Evangelist Matthäus literarisch ganz verdichtet nahegelegt, soll sich jeder Jünger (und mit ihm jeder Leser) an die vielen Geschichten, Reden und Predigten erinnern, die für das Matthäusevangelium so charakteristisch sind. Liest man diese Reden sorgfältig, so fällt schnell auf: Das, was Jesus als Lehrender verbreitet, geht nicht in einer Liste von zu beachtenden Regeln auf - wie eine Formelsammlung in der Mathematik. Den Satz des Pythagoras oder die binomischen Formeln für ein gutes Leben im Lichte der Gnade Gottes gibt es nicht. Denn zu dem, was Matthäus Lehre nennt, gehören auch die Seligpreisungen der Bergpredigt, keine Regeln, sondern Lobpreisungen an die Menschen, die von Gottes Gnade leben. Zu dem, was Matthäus Lehre nennt, gehört auch das Vaterunser - keine Regel, sondern eine ausformulierte Bitte an Gott, das Muster aller unserer Gebete. Das, was Matthäus Lehre nennt, kann also nicht in einer Klausur überprüft werden und es gibt auch am Ende des Lebens keine Noten und kein Zeugnis dafür. Eher als von Regeln sollte man auch von Orientierungen sprechen: Jesus ist darin Lehrer, daß er den Menschen hilft, ihr Leben neu auf Gott auszurichten.

Das, was Jesus lehrt, richtet unser Leben neu aus, beginnend mit der Taufe. Sie ist der Anfang, nicht der Schlußpunkt des Christenlebens. Als Lehrer ist Jesus viel mehr als ein Dozent, der Vorschriften macht. Und darin unterscheidet sich Jesus von allen anderen Lehrer, in dieser einen Zusage, mit der seine Rede endet: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Er sagt: Ich lasse euch nicht allein. Ich tröste euch. Und ich stehe euch bei. Der strenge Lehrer der Prinzipien wird hier zum gnädigen Lehrer des Trostes. Und darauf kommt es an, daß wir lernen, dem zu vertrauen, der sagt: Ich bin bei euch. Amen.



PD Dr. Wolfgang Vögele
http://www.Christuskirche-Karlsruhe.de

E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

(zurück zum Seitenanfang)