Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 26.07.2009

Predigt zu Johannes 6:1-15, verfasst von Eugen Manser

Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden.

Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, daß viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?

Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.

Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, daß jeder ein wenig bekomme.

Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:

Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele?

Jesus aber sprach: Laßt die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer.

Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten.

Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt.

Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrigblieben, die gespeist worden waren.

Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.

Als Jesus nun merkte, daß sie kommen würden und ihn ergreifen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.

 

Liebe Gemeinde,

diese maßlosen Übertreibungen in der Bibel machen uns den Glauben auch nicht gerade leichter! Der älteste Mensch, Methusalem wird 965 Jahre; das kleine Volk Israel hat über 100.000 waffenfähige Männer; nach der Predigt des Petrus zu Pfingsten werden 3000 an einem Tage getauft, bei der Hochzeit zu Kana verwandelt Jesus 300 Liter Wasser in 300 Liter Wein (wir trinken heute noch davon) und hier in unserer Geschichte werden 5000 satt gemacht von 5 Broten und 2 Fischen.

Wir Menschen neigen zum Übertreiben, wenn wir uns klein fühlen und uns größer machen wollen als wir sind; dann pfeifen wir im Wald. Wir übertreiben aber auch, wenn wir von einem Ereignis oder einem Menschen schwer begeistert sind. Dann wollen wir durch Übertreiben die Wirkung steigern beim Weitersagen: also 5000 Mann gegen 5 Brote und zwei Fische - ein Wunder!

Wenn aber wir zahlenorientierten Menschen solche Geschichte hören, bewirkt die  Übertreibung eher das Gegenteil, weil wir sofort rechnen: 5+2 : 5000 = fast nichts. Es muß aber herauskommen: alle satt + 12 Körbe übrig. Niederschmetternd! Reicht hinten und vorne nicht.

Wenn ich nun aus Ehrerbietung und Beharrlichkeit die Geschichte nicht aufgeben will, kann ich mir immerhin noch einsagen: ‚Der antike Mensch war eben anders als du. Der hat anders gedacht und gefühlt. Für den gab es noch nicht die völlige Bestimmung der Vorgänge in der Welt durch Naturgesetze. Für ihn wirkten Heilungs- und Verderbenskräfte noch spontaner: da konnte es geschehen, dass ein Blinder plötzlich sah oder ein Gelähmter auf die Beine kam oder eben 5000 satt wurden von fast nichts. Die Volksmenge um Jesus damals  lebte nicht von Berechnungen wie vielleicht du, sondern von den alten Heilsgeschichten und der Hoffnung, dass sie sich hier wiederholen: Sie dachten an Wachteln und Manna in der Wüste; sie dachten daran, wie Elisa von 20 Gerstenbroten hundert Männer gespeist hatte und noch etwas übrig blieb.' Dann sage ich: ‚Kann ja alles so sein, dass die Menschen zur Zeit Jesu völlig anders gedacht und gefühlt haben als ich; doch mich nehmen diese Wundergeschichten trotzdem nicht mit. Ich habe noch kein Brotwunder erfahren. Ich kann höchstens dem Wunder die Hand hinhalten wie einem Vogel (Hilde Domin) - bisher ist der aber immer weggeflogen. Ich habe andere Erfahrungen als die vorwissenschaftlichen Menschen.'

Dann gibt es andere, die wollen die Geschichte erklären und Dinge hineinbringen, die gar nicht drinstehen: ‚Also, das ist ein Teilungswunder. Als die Massen gesehen haben, wie Jesus die Brote und die Fische unter die Menschen verteilt, da fingen alle an bei sich zu suchen. Und jeder fand noch was. Und alle wurden satt.'

Könnte so gewesen sein. Doch dann ist es kein Wunder mehr- eine Bäuerin aus einer Landgemeinde sagt dazu: „ Man sagte mir jetzt, dass die alle was zu essen dabeihatten. Und erst haben ein paar ihre Sachen hervorgeholt und geteilt, und als das die anderen sahen, haben sie auch ihre Vorräte hervorgesucht und abgegeben. Dann ist es aber kein Wunder mehr. Dann muß man halt nicht mehr glauben." (PrSt 94/95) Sie benennt erstaunt den Versuch, diese Geschichte zu entzaubern und sie machbar, normal erscheinen zu lassen. Doch das Bedauern, dass aus diesen Worten spricht, ist unüberhörbar.

Warum? Weil wir Wunder brauchen, um nicht an unseren Lebensberechnungen zu ersticken. Weil wir gerade in unserer wohlgeordnet prognostizierten Lebenswelt eigentlich kaum noch unerwartete Ereignisse kennen außer Alter, Krankheit und Tod- die schlagen dann um so heftiger zu, wo wir doch nur die berechnete Lebensgleichmäßigkeit kennen. Das Wunder ist der kurze Einbruch der uns umgebenden Welt in unsere berechnete und ziemlich abgeschlossene Lebenswelt. Ein Bild dafür: DER ENGEL IN DER KATHETRALE AUTUM, DER MIT SEINEM ZEIGEFINGER VORSICHTIG DIE DREI UNTER EINER DECKE SCHLAFENDEN KÖNIGE AUS DEM MORGENLAND WECKT.

 

 Ich habe mal ein Wunder erlebt. Ich kann erzählen von einem Brotwunder, das ich erlebt habe. Nur dass es sich bei dem Brot um geistige Speise gehandelt hat. Aber das ist vielleicht typisch für unsere Zeit, denn zu essen haben wir ja genug.

Die Voraussetzungen waren die gleichen wie bei der Speisung der 5000: Hungrige Menschen waren beisammen, einer sagte in SEINEM Auftrag: ‚Gebt ihr ihnen zu essen.' Wir antworteten: ‚Wir haben fast nichts' Dann brachten wir die geringen Gaben vor Gott; ein starker Segen fiel darauf und alle wurden satt.

Das war 1982. Meine Frau und ich waren seit 5 Jahren Pfarrerin und Pfarrer auf dem Lande. Am traurigsten stand es um die Gottesdienste. Fünf bis fünfzehn Teilnehmerinnen. Hin und wieder ein Mann. Alle Aktivität, einschließlich Anstimmen der Lieder, war beim Pfarrer (Wenn ich während einer Choralstrophe einmal husten musste, hörte die Gemeinde mit dem Singen auf). Die Predigt schien mir noch der lebendigste Teil des Gottesdienstes (Hier wurde mir allerdings auch Bescheidenheit im Blick auf die Wirkung meiner Worte beigebracht: In einer Gemeinde gab es unter den Hörerinnen regelmäßig zwei Frauen: die eine weinte vor Ergriffenheit, die andere schlief regelmäßig ein. So gab es immer eine nüchterne Balance im Hinblick auf die Wirkung der Predigt).

Während der Liturgie - also dem Psalm, den geformten Gebeten, den liturgischen Gesängen - hatte ich immer den Eindruck, wir tun hier etwas, nicht weil wir es verstehen, oder es gar aus uns selbst kommt, sondern weil es eine heilige vorgegebene Disziplin ist (der Herr sei mit euch - und mit seinem(!) Geist!).

Der Gottesdienst auf dem Lande - ungestillter Hunger bei den Teilnehmenden und offensichtliche Appetitlosigkeit bei denen, die gar nicht erst kommen.

So habe ich mich dann mit großen Erwartungen zu einer Fortbildung angemeldet. „Liturgische Werkstatt" hieß die ganz bescheiden. Doch der Leiter, den kannte ich. Es war Georg Kugler, einer der Entdecker des Feierabendmahls beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.

Wir trafen uns, etwa 20 Interessierte, zu ein paar Studientagen in Marbach bei Erfurt. Es war kurz nach Pfingsten. In der Anfangsrunde erzählten die Teilnehmenden, was sie zu Pfingsten im Gottesdienst erlebt hatten. Diese Runde war sehr niederschmetternd. Es wurde berichtet von viel Bemühtem aber ohne Feuer. Gottesdienste, in denen vom Brot geredet, das Brot beschrieben wurde, aber nicht ausgeteilt wurde...

Der Leiter machte darauf aufmerksam, dass wir im GD alle unseren Glauben zusammenlegen und vor Gott bringen können. Der macht so viel Segen draus, dass alle satt werden. Wir übten das eine Woche lang: Erzählten uns gegenseitig die persönliche Geschichte unseres Glaubens; identifizierten uns mit Gestalten aus biblischen Geschichten; kochten zusammen, aßen und tranken zusammen; beteten und sangen zusammen und es war zunehmend zu spüren, dass wir von einer Kraft getragen wurden, die zwar aus den einzelnen Teilnehmenden kam aber doch viel mehr war als alle zusammen.

Der Höhepunkt war der Gottesdienst am Sonntag. Es kamen noch etwa 15 Gemeindeglieder aus dem Dorf dazu. Jeder begrüßte jeden vor Beginn des Gottesdienstes. Manche machten sich miteinander bekannt. Danach nahmen alle Platz in einem Stuhlkreis, der den Altar einschloß. Auf einem der Stühle neben dem Altar saß der Leiter ohne liturgische Kleidung. Er hatte uns gesagt: „Es ist ganz gut, wenn man auch beim Pfarrer den alten Adam sieht- so ist er vor Gott wie die anderen." Der Gottesdienst begann mit Kyrie-Gesängen aus Taize. Dazwischen forderte der Leiter die GD-Teilnehmer auf, das zu sagen, was ihnen Sorge macht. Und - o Wunder - die sonst stumme Gemeinde fing an zu reden: von denen, die bei schönem Sommerwetter im Krankenhaus liegen müssen; von dem Enkelkind, das nicht in die Christenlehre darf; sogar von dem Schwiegersohn, der alkoholkrank ist. Immer, wenn ein paar gesprochen hatten, wurden ihre Sorgen in einem gemeinsamen Kyriegesang vor Gott gebracht. So ging es weiter im Gloria - Teil: Das, wofür wir dankbar sind, sprachen wir vor Gott aus und sangen dazwischen immer ein Gloria.

Es war eine große Energie und ein guter Geist im Raum.

Zum Abschluß wurde Gottes Freundlichkeit im Abendmahl geschmeckt.

Und alle wurden satt. Und es blieben noch Brocken übrig. Die hab ich aufgehoben für meine Gemeinden daheim.

Und zwei, dreimal wiederholte sich das Wunder auch dort. Gemeindeglieder teilten ihre Sorgen und Nöte und ihre Dankbarkeiten vor Gott und es reichte für alle. Ja auch die schweren Sorgen, die im Kyrieteil ausgesprochen wurden - wir erlebten: Gott kann sogar Sorgen in Lebensbrot verwandeln - wenn wir sie nur vor ihm und den anderen aussprechen.                                                                

Ich habe das erlebt und noch heute wird mir ganz wohl bei dieser Erinnerung. Ich habe aber auch erfahren müssen, dass man dieses Wunder nicht auf Dauer stellen kann. Es reicht allein nicht, die Stühle im Kreis zu stellen und seelenwärmende Taize-Gesänge anzustimmen. Es gibt keine Wundertechnik. Machmal gehen wir auch hungrig aus dem GD in die neue Woche.              

Aber es gibt auch ein Verhalten, dass sich vor dem Wunder verschließt: dann wenn ich mich nicht hineingebe mit dem Wenigen, was ich habe. Wenn ich verschweige, dass da immerhin fünf Brote und zwei Fische unter uns sind.         Wir aber sollen als Gottes Freunde in Wundererwartung leben und nicht in Skepsis. Eben dem Wunder die Hand hinhalten wie einem Vogel. Wie wir so erwartungsvoll leben könnten, dafür gibt uns die Geschichte von der Speisung der 5000 eine schöne Anleitung: Zuerst sagt Jesus zu uns: „Gebt ihr ihnen zu essen!" Unsere Aufgabe ist es, andere zu nähren, Hunger zu stillen. Wer getauft ist und selbst von der Fülle Gottes lebt, soll auch andere nähren. Luther drastisch: „Wir sollen auf der Kanzel die Zitzen herausziehen, das Volk braucht Milch!"  „Wir haben nur ganz wenig, fast nichts." „Dann bringt das Wenige, das ihr habt, vor Gott und lasst es von ihm segnen! Und er nahm das Brot, dankte brach's ...und sie aßen und wurden alle satt."



Pfarrer Eugen Manser
Halle (Saale)
E-Mail: eugen.manser@gmx.de

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