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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 02.08.2009

Predigt zu Matthäus 7:15-21, verfasst von Claus Oldenburg

Es ist ein klassisches protestantisches Mantra, dass der Mensch nicht durch Werke, sondern durch den Glauben erlöst wird. Durch Werke: das Phänomen heißt in der Tradition auch "Werkgerechtigkeit", und in unserem konfessionellen Rahmen ist es nahezu ein Schimpfwort. Ein Teil der mehr formalen theologischen Diskussion zwischen Katholiken und Protestanten betrifft denn auch das Verhältnis von Glauben und Werken.

             Darauf werde ich zurückkommen. Ich kann es nicht anders verstehen, als dass der heutige Text nachdrücklich und unzweideutig für die Werke eintritt, denn "an ihren Früchten" sollt ihr sie erkennen". Damit muss ganz einfach gemeint sein: "an dem, was wir tun", während nicht jeder, der sagt "Herr, Herr!", in das Himmelreich kommen wird. Die Worte tun es also nicht von selbst, auch nicht die Worte guter Gesinnung, sondern ein guter Baum bringt eben einfach gute Früchte, während ein schlechter Baum schlechte Früchte bringt. So einfach ist das, und jedes Kind kennt den Unterschied.

             Dies schließt nun das zweite Motiv des Textes auf, nämlich die Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem Getanen, eine Einteilung, die auch nicht völlig unbekannt ist, denn Frommheit kann sehr wohl diesen äußerlichen Charakter haben, wo alles gut aussehen und gut klingen soll - es aber nicht ist, wenn wir zu den Früchten kommen, d.h. zum Konkreten.

             Ich kann genauso gut an der Stelle beginnen, wo das Grundlegende philosphisch den Trennungsstrich zieht zwischen katholischem und protestantischem Denken. Und zwar zunächst philosophisch, und erst danach theologisch.

             Das Problem besteht in der "Freiheit des Willens" oder im Fehlen der Willensfreiheit. Eine der für die europäische Geistesgeschichte wichtigsten Diskussionen über den Status des Willens wurde zwischen dem Reformkatholiken und Humanisten Erasmus von Rotterdam und auf der anderen Seite Martin Luther geführt. Luther behauptete vom Willen, dass er alles andere als frei sei, er hat ihn als geknechtet bezeichnet.

             Wenn das Problem des freien Willens oder der Unfreiheit in den Jahren des Aufbruchs zu Beginn des 16. Jahrhunderts so wichtig wurde, hat das seinen Grund primär in dem Problem des Selbstverständnisses des Menschen, sekundär aber auch in der Auffassung von der Kirche als Institution und ihrem Wesen nach.

             Denn wenn der Mensch einen freien Willen hat, dann kann er zwischen gut und böse wählen. Er hat selbst die Fähigkeit der moralischen Steuerung seines eigenen Einsatzes.

             Dieses Recht möchten wir gewiss als die durch und durch verweltlichten Menschen von heute auch uns gern vorbehalten. Für uns wird die Willensfreiheit mit Verantwortung, Selbständigkeit und Tatkraft verknüpft sein - mit Größen also, die dem Selbstgefühl des modernen Menschen entsprechen, und dieser Mensch will sehr gern in der Welt frei handeln, und deshalb muss der Wille frei sein.

             Aber damals wurde das Problem um seiner theologischen Implikationen willen diskutiert, wo das Zentrale die Zusammenarbeit um das Gute im Hinblick auf das Heil war. Und nach katholischer Tauftheorie ist die Fähigkeit, das Gute zu wählen und das Böse zu verwerfen, eine Kraft, die dem Menschen in der Taufe eingeimpft wird.

             Die Menschenauffassung in diesem Zusammenhang ist die, dass der Mensch im Konflikt zwischen Gut und Böse Mitarbeiter oder "Gegenarbeiter" sein kann - es handelt sich also um die klassische dualistische Auffassung von der Welt. Aber diese Mit- oder "Gegenarbeit" untersteht der Kirche, denn die Kirche ist Träger der Offenbarung des guten Gottes in Christus, und zwar in Zeit und Raum.

             Der freie Wille ist somit der Kirche unterworfen, aber das wird die katholische Kirche nicht als Problem auffassen, denn es geschieht de facto mit großem Selbstbewusstsein  und ebenso großer Selbstverständlichkeit, dass die römisch-katholische Kirche behauptet, Gottes Offenbarung zu sein, wohlgemerkt in den Händen von Menschen bis zum Tage der Erlösung. Diese souveräne Monopolstellung kann man auch heute leicht in den Dokumenten des päpstlichen Stuhls bestätigt finden.

             Demgegenüber behauptete Luther mit Nachdruck, dass Gott sich dem offenbare, dem er sich offenbaren wolle, und dass die Kirche als Institution nicht ihren eigenen göttlichen Status behaupten könne.

             Der Mensch war nach Luther sowohl der Kraft des Guten als auch der Kraft des Bösen unterworfen, also beiden Kräften, und er konnte unter keinen Umständen glauben, er selbst könne diesen Einfluss lenken. Oder mit einer berühmten Metapher Luthers: Entweder sitzt Gott oder der Teufel dem Menschen im Nacken und treibt ihn voran - aber der Mensch weiß nie, wer im gegebenen Augenblick dort sitzt. Denn die Herrn tauschen selbst ihren Platz.

             Der freie Wille war sozusagen von Faktoren abhängig, auf die der Mensch keinerlei Einfluss hatte. Der Wille war an Umstände gebunden, die völlig außerhalb der Kontrolle des Menschen lagen, einschließlich auch der moralischen Kontrolle.

             Luthers Hauptanliegen war sicherlich, dass kein Mensch sich Gott gegenüber verdient machen kann - dass diese Zusammenarbeit des Göttlichen und des Menschlichen sozusagen absurd war und eine kirchliche Weitläufigkeit oder Hochnäsigkeit, als wenn die Kirche an sich schon etwas wäre.

             Diese Gedanke von der Unfreiheit des Willens wird, so meine ich ganz bestimmt, in der psychologischen Schule des 20. Jahrhunderts bestätigt, der es sicherlich auch auf protestantischem Boden am besten ging. Denn die Psychologie arbeitet mit dem Unbewussten als der unkontrollierbaren Verschlüsselung des Menschen und seiner Reaktionsmuster. Oder mit einem leicht abgewandelten Pauluszitat: "Was ich will, das tue ich nicht, und was ich nicht will, das tue ich." Die therapeutische Funktion besteht also darin, diese Muster aufzudecken, um ganz einfach größere Selbsterkenntnis zu erreichen und damit vielleicht die Möglichkeit zu schaffen, sich selbst richtig zu sehen - und diese Fähigkeit des rechten Sich-selbst-sehens ist de facto über das moralische Problem erhaben. Denn man erkennt sowohl das Gute als auch das Böse bei sich selbst. Die Sünde liegt ganz nahe, aber die guten Werke eben auch.

             Luther formuliert es so, dass ein guter Mensch - selbstverständlich - gute Werke tut, während ein böser Mensch - selbstverständlich - böse Werke tut, und er wird garantiert einräumen, dass das Gute und das Böse in jedem Menschen in einer Mischung auftritt, eben weil wir uns des Unterschiedes bewusst sind. Aber das Unbewusste lenkt - man denke an die Metapher von dem, der gerade jetzt auf den Schultern des Menschen sitzt und ihn treibt.

             Wenn der moderne Mensch die Freiheit des Willen verteidigen will, so geschieht das normalerweise mit Hinweis primär auf die Verantwortung. Denn unmittelbar kann der Mensch keine Verantwortung haben, wenn er keinen freien Willen hat.

             Darauf wird das protestantische Denken antworten, dass der Mensch gerade dies kann und soll - nämlich der Verantwortliche zu sein. Denn es ist der Mensch, der handelt, aber er weiß nur nicht immer, was er tut - und Ausreden sind eine Erfindung des Teufels. Die Selbstgerechtigkeit, die in der Ausrede lieft, war Luthers wesentlicher Gedanke.

             Dadurch entsteht nun folgendes Paradox: Die katholische Denkweise spricht dem Menschen einen freien Willen zu, aber der ist der Kirche unterworfen, die mit großer Selbstverständlichkeit die Verantwortung für das Leben der Erde hat, während der Mensch sie nicht hat. Folglich ist die Sünde des Einzelnen von bescheidenem Intersse. Sie ist etwas, was wir unter der Kategorie des Gehorsams und damit der Autorität abhandeln.

             Die protestantische Denkweise betont die Unfreiheit des Willens, behauptet aber zugleich die ganz persönliche Verantwortung des Menschen gegenüber Gott, gegenüber der Welt und gegenüber dem Mitmenschen. Von daher kommt das ausgesprochene Sündenbewusstsein, das den protestantischen Menschen kennzeichnet, aber die Sünde ist sozusagen die Ehre des Menschen sowohl in Bezug auf seinen Gott als auch auf seinen Mitmenschen. Denn der protestantische Mensch muss selbst seine Welt tragen - das tut die katholische Kirche gern gegen angemessenen Gehorsam. Folglich ist das Sündenbewusstsein sehr viel weniger ausgeprägt in der katholischen Welt als in der protestantischen, die es als den Dynamo aller Dinge benutzt, denn in unserer Welt gibt es nichts, was an sich gut genug wäre. Es kann jederzeit besser werden und ist sicherlich als "der Durst nach Reinheit" oder "der Drang, der Sünde zu entkommen und rein zu sein", zu charakterisieren.

             Im Guten wie im Bösen bringen diese philosphischen und theologischen Auseinandersetzungen die moderne Welt hervor, und ich bin eigentlich nicht der Meinung, dass die katholische Kirche ihre Rolle tragen kann, denn die Autorität ist in vielerlei Hinsicht geschwunden, und es erweist sich nachgerade als eine leere Behauptung, die Welt im Namen Gottes tragen zu wollen mit Blick auf die künftige Erlösung.

             Aber die moralische Aufrüstung, die zum Kennzeichen der protestantischen Welt geworden ist, kann die Welt auch nicht tragen. Denn alle diese "Hochrechnungen" des Glücks, in denen wir Meister sind, bringen keine Frucht und werden keine Frucht bringen - weder religiös noch moralisch noch politisch. Sie haben eher Unheil verursacht.

             Denn es ist ein Unheil, die Welt bekehren zu wollen - sowohl religiös als auch moralisch als auch politisch. Und es ist dabei recht einerlei, in wessen Namen oder unter welchen Begriffen man die Welt verbessern, reinigen oder retten will: es kommt immer nur Unheil dabei heraus, denn die Welt und die Menschen sind nun einmal so, wie sie sind.

             Kurz, wenn die Werke die Welt retten sollen, dann landet man in einem Buchhalterdenken, das jedenfalls aus einem Grund unerträglich wäre. Der Buchhalter hat die geistige Macht. Das war das Unheil der römisch-katholischen Kirche.

             Wenn der Glaube die Welt retten soll, dann gerät man unweigerlich in ein ideologisches Denken, in dem das korrekte Denken oder die korrekte Haltung den Weg weisen soll - und das führt zu geistiger Unfreiheit.

             Deshalb gibt es nur eine Instanz, die die Welt retten kann. Und das ist ihr Gründer und Erhalter, denn die Vorstellung von Gott ist das notwendige Vertrauen darauf, dass hinter der Welt eine Kraft ist, die im Äußersten den Zufall in Zusammenhang und Richtung umsetzen kann.

             Diese Kraft kann sich niemand zur Ehre anrechnen, weder in Werken oder durch Stärke des Glaubens.

             Sie kann allein Gegenstand von Vertrauen sein. Es mag kindisch oder einfältig scheinen, aber weder die moralische Stärke des Menschen noch die Energie seines Denkens kann die Welt und ihre Ereignisse umfassen.

             Hier hat die menschliche Demut ihren Platz, und genau hier erkennt sie ihre Grenzen. Oder anders gesagt: der Mensch ist gezwungen zu glauben, und er ist gezwungen, die Werke zu tun, die er tun kann, mit dem Maß an Empfindung und Intellekt, das dem Einzelnen beschieden ist.

             Vielleicht ist es also so, dass es im Grunde wir sind, die Gott an seiner Frucht erkennen sollen. Denn wie Er ist, so sollen auch wir werden. Dies ist das Unbekannte, die Verheißung.

Amen



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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