Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 02.08.2009

Predigt zu Matthäus 5:13-16, verfasst von Reinhard Gaede

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn Jesu Worte erklingen, verstehen es Kinder. Kinder noch am leichtesten. Und die einfachen Leute, die nicht aus Universitäten kamen, sondern aus Fischerhütten, Handwerker - und Bauernhäusern. Unsere Arbeits- und Lebenssituation wird angerührt in einem Bild: So lebt ihr! Und dann wird das Leben plötzlich durchsichtig für den Grund des Lebens: Das hat euer Vater im Himmel mit euch vor!

Seht das Salz! Ein slowakisches Märchen, in Europa in Variationen verbreitet, macht nicht nur den Kindern klar, wie nötig es ist. Es war einmal ein König, der seine Töchter fragte, wie lieb sie ihn hätten. Die erste antwortete: „So lieb wie meinen schönsten Edel­stein!" Die zweite antwortete: „So lieb wie meine schönste Perle!" Maruschka, die Jüngste, aber antwortete: „So lieb wie das Salz in unserem Fass!" Über diese Antwort ward der König zornig und schrie:  "Geh, mir aus den Augen, du undankbares Mädchen! Ich will dich erst dann wieder sehen, wenn den Menschen Salz wertvoller als Gold und Edelsteine erscheinen wird. Dann kehre zurück!" Weinend ging sie fort, kam in ein fremdes Land und fand Zuflucht bei einer alten Frau in einem Häuschen am Waldesrand. Es war eine gute Fee. Sie lehrte das Mädchen, einen Haushalt zu führen. In der Zwischenzeit lebten die älteren Schwestern in Saus und Braus, hatten nur Schmuck aus Gold und Edelsteinen und Tanz im Sinn. Da erkannte der König, was ihm fehlte: die Liebe seiner jüngeren Tochter. Eines Tages kam der Koch in großer Aufregung: „Das Salz ist uns ausgegangen", klagte er. Auch im ganzen Reich fehlte bald das Salz. Mensch und Tiere wurden krank. Die weise Frau wusste aber, was geschehen war. Salz war wertvoller als Gold und Edelsteine geworden. „Deine Stunde ist gekommen. Da du das Salz so sehr geschätzt hast, soll es dir daran niemals fehlen", sagte die gute Fee und schickte das Mädchen wieder nach Hause mit einem Vorrat von Salz. Der König war nun überglücklich über die Gabe des Salzes und auch alle, die darum baten, bekamen Salz aus ihrem Beutel, der nie leer wurde.

Die Königstochter wusste, was wir inzwi­schen alle wissen: dass Salz ein unent­behrliches Element ist, wichtiger als Per­len und Diamanten. Nur mit Salz bleiben wir gesund. Mit Salz als Konservierungsmittel konn­te man früher, als es noch keine Kühl­schränke gab, sogar sehr reich werden, was man an den Namen vieler Städte ablesen kann, die vom Salzhandel lebten: Salzburg, Salzgitter, Salzwedel, Salzuflen. Salz wurde mit Bernstein, ja sogar mit Gold bezahlt, während umgekehrt Löhne und Steuern häufig mit Salz abgegolten wurden. Ohne Salz schmeckt das Essen nicht. Ohne Salz können wir nicht leben. Und erst recht nicht die Leute, die körperlich schwer arbeiten. Und Menschen, die in großer Hitze wohnen, lecken Salz so gerne wie bei uns die Kinder Eis.

Ohne Licht können wir nichts sehen. Die Natur nicht mit ihren Schönheiten. Und mit ihren lebensnotwendigen Gütern nicht. Die Menschen nicht. Die Arbeitspartner nicht, die Freunde und uns liebe Menschen nicht.

Salz und Licht. So nötig ist beides! Schon eine Prise Salz reicht zum Würzen und Konser­vieren. Schon ein Strahl Licht lässt uns im Dunkel sehen.

Und jetzt sagt Jesus zu allen, die ihn hören: Ihr seid das Salz der Erde.

Ihr seid das Licht der Welt. So nötig wie Salz und Licht ist, so nötig braucht euch die Welt.

Ja, zuerst denken wir vielleicht: Wir haben nicht recht gehört. Wir sind gar nicht Leute, die der Welt die Tagesordnung vorschreiben. Wir fühlen uns überfordert. Vielleicht haben wir auch unsere Aktivitäten ein wenig eingeschränkt. Dass wir zwar einräumen: "Kirche muss sein. Sonst verroht die Menschheit". Aber im Übrigen kirchliche Angelegen­heiten den Spezialisten überlassen. Und doch wird uns gesagt: Die Welt braucht euch, wie die Suppe das Salz? Und jetzt sagt Jesu Wort allen, die es hören: So nötig wie Salz und Licht, so nötig braucht die Welt euch! Zu Petrus, der ihn verleug­nete, sagt er's. Zu den Jüngern, die später wegliefen und ihn im Stich ließen, sagt er's, zu armen Leuten, zuletzt durch sie zu uns. Was sollen wir tun? Davon hat er eben gesprochen. (Mt. 5, 3-11)

„Selig sind die geistlich arm sind, denn ihnen gehört das Himmelreich." Sie brauchen keinen Ersatzhimmel und keine Vertröstung in unbestimmte Zukunft, denn schon jetzt hat die Herrschaft Gottes mitten unter ihnen angefangen.

„Selig sind die Leidtragenden", sie werden getröstet. In unserer Zeit, die für Leid kei­nen Platz hat, für Trauer keine Zeit, für Verzweiflung kein Ohr, für Tod keinen Raum. Sie werden getröstet.

„Selig sind die Sanftmütigen", denn ihr sanfter Mut wird herrschen. Ihre Regierung wird keinen verletzen, keinen verkümmern lassen. Ihr sanfter Mut wird nie die Beherrschung verlieren, weil sie aus der Kraft Gottes leben.

„Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit", denn sie lassen Hunger und Durst nicht herrschen, nicht Folter, nicht Martyrium, nicht Ausbeutung. Sie besiegen Angst. Und leben für die neue Welt Gottes von Freunden ohne Feinde.

„Selig sind die Barmherzigen." Sie verschenken Liebe ohne Gegenrechnung. Sie verwirk­lichen Gottes Gedanken. Er ist barmherzig zu den Barmherzigen.

 

„Selig sind die reinen Herzens sind." Ehrlich und aufrichtig sind sie und lassen böse Kompromisse und Halbherzigkeiten. Sie werden den Durchblick bekommen in die Wahrheit Gottes.

„Selig sind die Frieden stiften." Denen Gedanken und Argumente bessere Waffen sind als Panzer und Bomben. Sie werden überleben als Kinder des Friedefürsten.

„Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden." Die nicht um Ruhm und Ehre kämpfen, die ihre Karriere aus Spiel setzen, die für den Lebensraum aller Menschen ein­treten, sie berühren den Himmel.

„Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen um meinetwillen." Denn ihr seid nicht abhängig von den Meinungen der Lügner und Totschläger, ihr seid gebunden an mich und niemanden sonst.

So spricht Jesus. Merkt Ihr, dass das keine harmlosen und langweiligen Reden sind, diese Bergpredigt? Sondern - da hatte der Pfarrer Christoph Blumhardt, an dessen 90. Todestag - es war der 2. August 1919 - wir heute denken sollten - Recht - um Umsturz geht es. „Das Reich Gottes ist die umgestürzte Welt." Ist es ein Wunder, dass da viele einen Schrecken bekommen haben? Vor diesen Worten Jesu. Und sie haben gesagt entweder: Die Bergpredigt gilt nur für Mönche. Oder sie haben gleich resigniert und gedacht: Jesus erzählt extra viel Unerfüllbares. So erkenne ich mich gleich als Sünder und lege, ohne etwas zu tun, die Hände in den Schoß und warte auf die Ver­gebung meiner Zweifel und meiner Faulheit.

Aber wer genau liest, merkt den Selbstbetrug. Jesus spricht seine Jünger an. Ihnen gilt die Bergpredigt, das Grundgesetz des Reiches Gottes, das Gesetz der Gnade inmitten einer gnadenlosen und grausamen Welt. Ihnen den Jüngern. Und das Volk hört zu. Ja, auch es ist eingeladen, zu tun, was die Jünger vorleben. 12 Jünger sind es nur. Aber ebenso wie eine Prise Salz genügt und ein Lichtstrahl, so wird ihre kleine Zahl genügen. Die Bergpredigt, das Gesetz von der Revolution der Liebe Gottes, gilt nur der Gemeinde Jesu. Aber durch sie sind alle eingeladen.

Der zweite Einwand ist schwieriger: Ich schaff's ja doch nicht. Bin ich denn Jesus? Antwort: Jesus spricht nicht allgemein über Arme, Leidende, Sanftmütige und andere Gruppen. Sondern er meint achtmal seine eigenen Jünger und Jüngerinnen und solche, die es werden wollen. Weil Jesus ein Armer mit den Armen der Erde ist, darum sind seine Jünger und Jüngerinnen Arme mit den Armen der Erde geworden. Weil er selbst Frieden stiftet, deshalb sind seine Jüngerinnen und Jünger Friedensstifterinnen und Friedensstifter geworden. Und nun ermutigt er sie und tröstet sie, indem er sagt: „Glückselig, ihr, meine Freundinnen Und Freunde, ihr seid am Ort der Verheißung, wo Gott wirkt, der Weinende tröstet und Wehrlose zu Recht und Ehren bringt! Wo diese Wunder geschehen, dass für Gerechtigkeit gestritten und Friede geschaffen wird, da wächst Gottes Reich, und ihr dürft dabei sein."

Vielleicht müssen wir das alles neu lernen: das Jüngerin-, das Jünger-Sein. Dass Jesus zu den Armen geht, statt zu den Oberen Zehntausend,

dass er zu den Leidenden geht und nicht zu denen, die den Ärzten hohe

Honorare zahlen können, dass er zu den Entrechteten geht und nicht zu denen, die sich den besten Anwalt leisten oder die Richter gewogen stimmen können - all das ist eine Provokation, eine Zeichenhandlung für Kampf und Gericht. Und darum sind auch seine Jüngerinnen und Jünger so. Sie sind

Menschen, welche die Welt in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht ertragen können. Ein Jünger, eine Jüngerin ist einer, eine, dem, der Jesus die Augen öffnet und das Leben als Mensch zeigt, wie es von Gott gemeint ist. Ein Jünger, eine Jüngerin kann Armut, Leiden, Rechtlosigkeit und Unterdrückung seiner Mitmenschen nicht mehr einfach geschehen lassen, sondern muss teilnehmen an ihrem Schicksal und ihr Anwalt und ihre Anwältin werden.

Die Bibel weiß, dass das Böse so mächtig und wir so schwach sind, so oft resigniert, so oft egoistisch aus Verzweiflung, getrieben von der Angst, zu kurz zu kommen. Und trotzdem sagt Jesu Wort: Ihr seid so nötig wie Salz und Licht. Und der Wille Gattes wird getan werden, und die Erde wird verwandelt werden. Aber letztlich nicht durch eure Kraft. Wir verkündigen nicht uns selbst, sagt der Apostel. Und Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. (2. Kor. 12,8) Licht sind wir, weil Er selbst das Licht der Welt ist. Und wirkkräftig wie das Salz in der faden Speise sind wir, weil die Macht der Liebe Gottes uns belebt.

Und diese Macht ist größer als alles Ver­sagen. Diese Macht der Liebe ist ein Netz, in das wir fallen, wenn wir fallen, so dass wir wieder aufstehen und aus unserm Fall lernen können. Und den aufrechten Gang eines Christenmenschen wieder gehen können trotz vieler krummer Rücken, die sich krümmen aus Angst, keine Karriere zu machen, die sich krümmen, um nach Schwächeren zu treten.

Vom "Netz" erzählt Werner Bergengruen in einer Novelle.

In einem italienischen Fischerdorf auf einer Insel gilt das ungeschriebene Gesetz. Eine Frau, die beim Ehebruch erwischt wird, wird von einem hohen schwarzen Felsen in den Tod gestürzt. Wieder einmal haben Männer des Dorfes einer Frau Ehebruch nachgewiesen. Eine knappe Frist kriegt sie noch, dass sie ihren Mann ein letztes Mal sprechen darf. Aber der Mann ist nicht zu Hause und nicht erreichbar. So wird das Urteil erbarmungslos voll­streckt. Aber am nächsten Tag sehen dir Richter und Henker die Frau unverletzt in ihrer Küche arbeiten. Voller Staunen hören die Dorfbewohner, was der Mann erzählt. "Ich habe um die Tat meiner Frau gewusst", sagte er. "Aber ich liebe sie. Und ich wollte sie zu­rückgewinnen. Deshalb sollte sie am Leben bleiben. Tief unter den Felsen habe ich ein Netz gespannt. Das hat die Frau sicher aufgefangen." Man war ratlos. Schließlich hatte der Mann ein Gesetz gebrochen. Und doch mussten sie ihm Recht geben. Und der Liebe des Mannes ihren erstrittenen Raum lassen.

So ist es auch mit uns. Die göttliche Liebe fängt uns auf im Netz der Vergebung und Schonung. Gott lässt auch über die Bösen seine Sonne scheinen, sagt Jesus. Aber diese Vergebung soll uns Mut machen als Christen und Christinnen unter der Bergpredigt Jesu zu leben. Das Netz der Liebe unter uns Christen muss dichter werden. Es muss da sein wie das des Mannes, auch da, wo Menschen vom Felsen des staatlichen Gesetzes fallen. Und deshalb muss es das geben, die Hilfe und Begleitung für die Gescheiterten: Für die, die schwach wurden angesichts von Werbung und Konsum und gestohlen haben, für die, die ihre Probleme durch Alkohol oder Drogen lösen wollten und süchtig wurden usw.

Salz und Licht sollen wir sein. In der Nähe und Ferne Zeichen setzen für die Güte Gottes. Wo anfangen, weißt du selbst am besten: In deiner Bekanntschaft soll vielleicht ein unerwünschtes Kind ankommen. Hilf den Leuten zu Recht, dass das Kind leben darf! - In der Schule kommt ein Kind nicht zu Recht. Hilf ihm! Sage ihm, dass die Schul­leistung nichts über seinen Wert und seine Würde als Person aussagt. Dass es keine Minder­wertigkeitskomplexe bekommt. - Du siehst im Fernsehen die Bilder von den Hungernden, von Flüchtlingen, von Leuten, die vor Trümmern stehen und  Tote beweinen, darunter viele Kinder. Hilf mit einer Spende!

Salz und Licht. Wo und wie, merkst du selbst am besten.  Aber die Welt soll merken durch dich, dass Gott gütig und freundlich ist.

                                                             Amen



Pfarrer i.R. Dr. Reinhard Gaede

E-Mail: reinhard-gaede@gmx.de

(zurück zum Seitenanfang)