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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 09.08.2009

Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Stefan Strohm

Ja, es ist wie bei einem, der wegreisen wollte, seine Knechte rief und ihnen sein Vermögen übergab. Dem einen gab er fünf Barren, dem andern zwei, dem dritten einen, einem jeden nach seiner Fertigkeit, und reiste weg.

Sogleich machte sich der auf, der fünf Barren erhalten hatte, wirtschaftete damit und erwarb weitere fünf. Ebenso erwarb der mit den zweien weitere zwei. Der aber den einen empfangen hatte, ging weg, grub die Erde auf und versteckte das Geld seines Herrn.

Nach langer Zeit nun kommt der Herr jener Knechte und verlangt Rechenschaft von ihnen. Der, welcher die fünf Barren erhalten hatte, trat vor, brachte fünf weitere Barren und sagte: Herr, fünf Barren hast du mir übergeben, da, weitere fünf habe ich erworben. Sein Herr sagte zu ihm: Schön, braver und treuer Knecht, über weniges warst du treu, über vieles will ich dich setzen. Komm herein in die Freudenfeier deines Herrn. Der, welcher die zwei erhalten hatte, trat auch vor und sagte: Herr, zwei Barren hast du mir übergeben, da, weitere zwei habe ich erworben. Sein Herr sagte zu ihm: Schön, braver und treuer Knecht, über weniges warst du treu, über vieles will ich dich setzen. Komm herein in die Freudenfeier deines Herrn.

Welcher den einen erhalten hatte, trat auch vor und sagte: Herr, ich wußte, daß du schroff bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht investiert hast. Voller Furcht ging ich weg und versteckte deinen Barren in der Erde. Da hast du das Deine. Der Herr antwortete ihm: Schlechter und träger Knecht, du hattest wohl gewußt, daß ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht investiert habe. Du hättest also mein Geld bei den Banquiers einlegen sollen, so daß ich, wenn ich käme, das Meine mit Zinsen erhielte. Nehmt ihm den Barren und gebt ihn dem, der die zehn Barren hat.

Jedem, der besitzt, wird gegeben werden und er wird Überfluß haben. Dem aber, der nichts besitzt, wird weggenommen werden, was er hat. Den nichtsnutzigen Knecht werft in die Finsternis hinaus. Dort wird es das Heulen und Zähneknirschen geben.

II Predigt

1

Liebe Gemeinde

Es ist ein Gleichnis. Schroff spricht es. Aber es ist nur ein Gleichnis, nur ein Vergleich, nicht zugleich die Sache selbst.

Wir wollen uns das merken: Es ist ein Gleichnis, nur ein Gleichnis, sagen die einen, fürwahr ein Gleichnis, die andern.

Das Gleichnis spricht die Sprache der Verhältnisse, spricht von den Verhältnissen, wie sie sind, nicht, wie sie sein sollen.

Sollen wir aufzählen, was nicht sein soll? Es soll kein Ansehen der Person gelten. Der Herr hat drei Knechte, Vermögensverwalter oder Geschäftsführer, jedem übergibt er eine Aufgabe. Dem einen eine mehr als doppelt so große Aufgabe als dem andern, dem eine genau doppelt so große wie dem letzten. Dieser Herr diskriminiert, er macht Unterschiede.

Sollen wir fortfahren? Der Herr gibt dem einen Geldbarren im Wert von fünf Talenten, dem andern im Wert von zwei, dem letzten im Wert von einem Talent. Schon der Barren im Wert von einem Talent ist eine unvorstellbar große Summe an Wert. Wir müssen mitrechnen. Ein Talent sind 60 Minen, eine Mine sind 100 Denare. Das sagt noch nichts. Aber das sagt etwas: Ein Denar ist das Sechstausendstel eines Talents und dieses Sechstausendstel eines Talents, also ein Denar, das ist der Taglohn eines Tagelöhners. Das also mal 100 und das mal 60 macht 6000 Tagelöhne für ein Talent, und so ist ein Talent der Lohn, den ein Tagelöhner in 20 Jahren Arbeit bekäme. Das also bekommt der letzte der drei Knechte von seinem Herrn anvertraut. (Vergleicht man mit dem gegenwärtigen Mindestlohn, so wäre es eine Drittel Million an Euro.) Der andere also erhält in Barren auf einmal das Einkommen von 40 Jahreslöhnen eines Tagelöhners, der erste mithin ein Vermögen von 100 Jahreslöhnen eines Tagelöhners. Der Herr verteilt ein Vermögen, das ein Tagelöhner in 160 Jahren erwürbe oder schätzungsweise drei oder vier Tagelöhnern, die ihr Leben lang arbeiten. (Nach heutigem Maßstab wären das zweieinhalb Millionen Euro.)

Wir fahren fort: Doch wohl in weniger als 100 Jahren, in weniger als 40 und selbst in weniger als 20 Jahren kommt der Herr zurück. Er findet sein Vermögen fast verdoppelt, er läßt sich 300 Mannjahre eines Tagelöhnerlebens ausbezahlen, und zur vollen Verdopplung fehlen ihm nur 20 Mannjahre, wie gesagt bei insgesamt 300. Was ist dieser Mangel schon gegen den Gewinn von 140 Tagelöhnerarbeitslebenjahren, die er zu dem Kapitel von 160 Tagelöhnerarbeitsjahren hinzu bekommt?

Wir fahren weiter fort: Der Herr lobt ausdrücklich die kapitalistische Energie seiner Knechte, sagt aber, das sei «wenig», was sie zu verwalten hatten, eben Peanuts, in der Sprache der Banquiers. Peanuts sind ein in 300 Jahren zu erwerbendes Vermögen, beziehungsweise das Lebenseinkommen von 75 Tagelöhnern, eine Summe mit denen 75 Tagelöhner sich und ihre Familie ein Leben lang ernähren können, sich und die Seinen kleiden können, sich und ihnen eine Wohnung erhalten können.

Wir fügen noch an, daß der Herr dem einen Knecht, dem trägen und furchtsamen vorwirft, das anvertraute Geld nicht wenigstens auf Zins gelegt zu haben. Zins galt im Altertum bei Juden und Heiden gleicherweise als schimpflich. Ein Mensch zeugt einen Menschen, aber Geld zeugt kein Geld. Geld ist eine Abkürzung für den Austausch von Leistungen und keine selbständige Größe, lehrt der alte Heide Aristoteles.

Wir fangen an, den benachteiligten, durch minderes Vertrauen in ihn verletzten, allein schon durch die Rangfolge bei der Austeilung im Ansehen seines Herrn hintangestellten, gekränkten und herabgesetzten Knecht oder Vermögensverwalter und Geschäftsführer zu verstehen. Ihm traut sein Herr nichts zu, also fürchtet dieser Knecht ihn, also riskiert er nichts. Der Wert von 20 Tagelöhnerjahreseinkommen war bis vor kurzem bei deutschen Banken nicht gesichert. Und Geld bestand damals aus Edelmetall. Keine Inflation und keine Spekulation konnte das vernichten. Der dritte und letzte, der allerletzte Knecht handelt, wie er behandelt worden ist, er schiebt das Risiko von sich ab und vergräbt seinen Gold- oder Silberbarren.

Als der Herr von ihm wie von den andern Rechenschaft fordert, muckt er auf. Jedes Wort ist eine Explosion seiner geschundenen Seele. Erstens:

     Herr, ich wußte, daß du schroff bist.

Offenkundig weiß er, daß er bestraft oder verachtet wird, egal, was er tut und läßt. Einmal schlägt er zurück, wenn auch nur mit Worten. Zweitens:

     Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht investiert hast.

Er schilt seinen Herrn einen Kapitalisten und Räuber, dem man es ohnedies nicht recht machen kann. Er wolle immer nur mehr, egal, wie. Drittens:

     Voller Furcht ging ich weg und versteckte deinen Barren in der Erde.

Bein zu Bein, Blut zu Blut, Erde zu Erde, und Dreck zu Dreck. Was geht mich dein Geld an? Viertens:

     Da hast du das Deine.

Sprich, da hast Du deinen Dreck wieder.

Nach diesem Lichtblitz von Aufruhr und Rebellion werden die Verhältnisse, empörend, wie sie sind, wiederhergestellt. Ungerührt sagt der Herr:

     Nehmt ihm den Barren und gebt ihn dem, der die zehn Barren hat.

Und dann fügt er als Quintessenz ein bekanntes Sprüchlein, das sagt, wie es ist, genüßlich hinzu:

     Jedem, der besitzt, wird gegeben werden und er wird Überfluß haben. Dem aber, der     nichts besitzt, wird weggenommen werden, was er hat.

Ein Gleichnis ist es, haben wir gesagt. Gemalt ist es in den Farben der Wirklichkeit, es spricht die Sprache der Tatsachen, der Welt, wie sie ist, empörend, wie sie ist, nicht gut, wie sie sein soll. Mangelnden Realitätssinn wird man unserem Herrn nicht vorwerfen wollen.

2

Liebe Gemeinde

Aber die Welt ist nicht, wie sie ist, und die Sprache der Tatsachen ist unterschieden vom Anspruch, den sie stellen.

So farbecht das Rumpelstilzchen des dritten Knechts mit seiner Seelenexplosion ausgemalt ist, so wenig muß es blenden und Widerhall finden.

Nein, gerade weil es zu getreu und brav seinen Zauber aufführt und aufblitzen läßt, erscheint es unecht und unwirklich. Nicht, daß es solche Rumpelstilzchen und Revoluzzer nicht gäbe, aber ernst zu nehmen sind sie nicht, nicht für wirklichkeitstauglich und wahrheitszeugend zu halten. Sie ruinieren sich selbst. Sie sind der lebendige Selbstwiderspruch.

An einem neugeborenen Kindlein freuen uns die Augen und Ohren, die Arme und Beine, die Finger und Füße. Es freut uns, wie das Kindlein im Lauf eines Jahres immer mehr ihrer Herr wird, sie gebrauchen lernt und mit ihnen umgehen kann.

Noch kaum zeigt sich, ob es mehr ein Mensch der Augen und der Sehlust, mehr ein Mensch der Ohren und der Sprache oder Musik sein wird, ob das Kind einmal mehr mit den Armen und Füßen auf die Bäume klettern wird, ob es lieber durch die Wälder streifen wird oder in den Straßen der Großstadt zuhause sein wird.

Aber es wird doch nicht, weil die Augen schwächer sind als die der andern aufs Sehen verzichten wollen, weil die Füße langsamer sind, vom Rennen und Streunen absehen wollen. Es lebte im Selbstwiderspruch zu sich und dem, was es hat, wenn es das täte.

Das Kind wird in die Verhältnisse, in die es hineingeboren wird, sich gewöhnen und sich darin bewähren.

Ein Kind auf dem Land des 19. Jahrhunderts wird die Tiere lieben und verstehen, die Blumen des Feldes und die Früchte des Ackers kennen und betreuen. Einem Stadtkind des 21. Jahrhunderts wird sich die Welt der Discos und McDonalds auftun, es wird sich mit Mechanik und Elektronik vertraut machen und daraus sich seine Welt bauen, es wird erst sein Fahrrad tunen und dann den Computer.

Aber es wird doch nicht, weil es nicht in Wäldern und auf Feldern lebt, sich seiner technischen Welt verschließen; es wird doch nicht, weil es nicht in der strengen Welt dörflicher Kontrolle und Gemeinschaft aufwächst, unterlassen seine geringere Schar der Freunde zu achten und seine kleine Familie zu lieben.

Ein Kind, das unter Geschwistern aufwächst, wird anders werden, wenn es als Mädchen unter Buben, als Knabe unter Mädchen aufwächst, wenn es die älteste oder der jüngste unter den andern sein wird.

Aber es wird doch nicht, weil es durch diesen Zufall eine andere Perspektive hat als die andern, darauf verzichten wollen, seine Chancen als meistgeliebter Jüngster, als meistverantwortlich gemachter Ältester preisgeben wollen, auch wenn es gern eine andere Stellung hätte, als es hat.

Und ein Kind wird mit den vielfältigen Gaben, die es hat, seiner natürlichen Offenheit oder seiner Scheu, seinem scharfen Verstand oder seinem tiefen Gemüt, seiner Durchsetzungskraft oder seiner Anpassungsfähigkeit seinen Weg bahnen und seinen Ort unter den andern finden.

Aber es wird doch nicht, weil es länger braucht zum Rechnen, auf die schöne Welt der Zahlen ganz verzichten, weil es schneller ist im Lesen, aufhören weiter und weiter zu lesen.

Und das Kind wird mit den Sachen spielen, die es bekommt, es wird auf die Sachen der andern schielen, aber es wird doch nicht aufhören, sich um das zu kümmern, was es immer bei sich hat und vorfindet.

Und dann sind die Gaben der Natur und des Gemüts, der Verhältnisse und des Lebensglücks plötzlich nicht mehr nur einfach da, reich oder spärlich, im Überfluß oder im Mangel, dann sind sie plötzlich Aufgaben in der Verwirklichung des Lebens.

Was einst im Spiel geübt war, gilt es im Ernst einzusetzen. Wir wissen, wie unerbittlich und schroff das Leben ist. Wer seinen Leib nicht übt, verdirbt ihn, wer die Gaben seines Geistes nicht einsetzt, verarmt in ihnen, wer sein Gemüt nicht ansprechen läßt, wird hart und fühllos. Und wer seine Arbeitsleistung nicht sinnvoll einsetzt, bleibt hinter den Erfolgen der andern sichtlich zurück.

Beruf, Familie, Freizeit und Freundschaften sind die Orte, in denen das Leben sich aufbaut und gestaltet. Und wer zu lange wartet auf die rechte Stelle, auf die rechten Freunde, auf den rechten Partner, an dem wird das Leben dann doch irgendwie vorbei gehen, das Leben, das er nur in den Verhältnissen gestalten kann, wie sie sind, nicht wie sie den Träumen nach sein könnten.

Es wird mithin das Leben nur seiner selbst wert, wenn es nicht weggeworfen, also nicht geschont oder zurückgehalten wird. Es gewinnt sich nur, wenn es sich lebendig gestaltet. Es wäre ein Selbstwiderspruch, nicht aus sich heraus zu gehen und sich in die schroffe Wirklichkeit hineinzubegeben, keineswegs um mit den Wölfen zu heulen und die Welt zu lassen, wie sie ist, sondern ihre Gestaltung als Gewinn des Lebens zu haben, aber eben die Gestaltung der Welt, in der man ist, nicht in der man zu sein wünscht.

So gesehen ist das Gleichnis nicht einfach nur ein Gleichnis, eine Schilderung der Verhältnisse, wie sie sind, sondern es ist genau darin ein Anspruch an uns, den wir wohl verstehen, so wie wir verstehen, daß wir uns eigentlich dann vergeuden, wenn wir uns zurückhalten, und dann gewinnen, wenn wir uns an die schroffe Wirklichkeit wagen.

Daß das Gleichnis die harte Welt des wirtschaftlichen Erfolgs ausmalt, sagt nicht, daß es jede wirtschaftlich Härte und Unabdingbarkeit lobt, aber es sagt etwas von der Unerbittlichkeit des Lebensgangs, von der Chance, etwas zu gewinnen inmitten einer Wirklichkeit, die dann abstoßend ist, wenn man sich nicht auf sie einläßt, sondern sich in Ideale hineinträumt, die lähmen und dem Lebensgang selbst fremd werden lassen.

Nur ein Knecht Rumpelstilzchen, der sich zu gut ist, die Welt zu ändern und die Verhältnisse auf sich zu nehmen, könnte ein so trotziger Träumer sein. Aber eigentlich ist es ausgeschlossen, ein solch unnützer Knecht sein zu wollen. Es hieße ja, sich selbst zu verleugnen, nicht essen und trinken zu wollen, nicht denken und nicht schaffen, nicht lieben und nicht sich freuen wollen, eben den Anspruch des Lebens zu überhören.

Man gewinnt geradezu den Eindruck, dieser dritte und unnütze Knecht habe sich in das Gleichnis hineingeschlichen, aus uns selbst heraus dort hineinbegeben, damit wir an ihm sähen, wie selbstwidersprüchlich es wäre, dem Anspruch des Lebens sich nicht zu stellen, damit wir ihn los werden und nicht würden oder blieben wie er.

3

Liebe Gemeinde

Wir haben die Farben des Gleichnisses gesehen, wir haben seinen inneren Anspruch an uns gehört, aber noch immer nicht als ein Gleichnis davon vernommen, daß in und mit ihm Gott an uns zum Zug kommt.

Wir haben seine strenge Realität betrachtet und seinen hohen moralischen Anspruch an uns selbst vernommen. Noch nicht haben wir es als Zuspruch zu uns reden lassen.

Der ganze Aufwand von Arbeit und Mühe, die zwei mal 100 Mannjahre an Vermögen, die der erste Knecht aufblättert, sind, so haben wir es schon gehört, «weniges», wie der Herr sagt, «Peanuts», wie man in Bankkreisen so reden hört.

     Schön, braver und treuer Knecht, über weniges warst du treu, über vieles will ich          dich setzen. Komm herein in die Freudenfeier deines Herrn.

Nochmal, der ganze Aufwand von Arbeit und Mühe, die zwei mal 40 Mannjahre an Vermögen, die der zweite Knecht aufblättert, sind, wieder hören wir es, «weniges», wie der Herr sagt, «Peanuts» eben.

     Schön, braver und treuer Knecht, über weniges warst du treu, über vieles will ich          dich setzen. Komm herein in die Freudenfeier deines Herrn.

Das gilt es zu bedenken. Erstens, die Aufgaben sind proportional zu den Gaben, die Erfordernisse sind proportional zu den Aufgaben. Jeder bekommt das, was er leisten kann, auferlegt, und jeder bringt entsprechend das Seine ein. So weit die Härte der Wirklichkeit und des Anspruchs, den jeder an sich hat. Und worin jeder gleich dem andern ist - unangesehen des äußeren Unterschieds.

Die Freudenfeier aber ist völlig unproportional. Sie ist so viel größer, daß die genannten Größen dahinter verschwinden. Und insbesondere darin, in die Feier einzugehen, ist jeder wiederum dem andern gleich - unangesehen des äußeren Unterschieds.

Zweitens, um der unvergleichlichen Größe willen kommt das Wenige ins Spiel, nicht damit es dagegen abfalle und zunichte werde, sondern daß es für uns zu Großem werde.

Gerade weil die Freudenfeier so unproportional ist, ist es lächerlich als Revoluzzer aufzustampfen. Das Gleichnis spricht nämlich gar nicht vom Lohn und sonstwie von Größen, die motivieren sollen, sondern es spricht vom Freudenfest, das alle andern Größen als Verdienst und Leistung völlig relativiert, aber nicht zunichte macht, sondern in den Rang der Teilhabe an der unvergleichlichen Größe erhebt. Ein Vermögen, wie es der Herr hat, ist ja schon unvorstellbar. Aber das ist noch immer anschaulicher als die Unermeßlichkeit der Freude, an der er teilnehmen läßt.

Zur Relativierung gehört, daß die beiden ersten Knechte genau das Gleiche hören, nämlich, daß sie seien brav und treu seien, obwohl sie doch so unterschiedlich bedacht worden waren und entsprechend unterschiedlich gewirtschaftet haben. Aber sie erhalten beide den gleichen, ganz unvergleichlichen Zuspruch ihrer Teilhabe an dem Freudenfest, das so unermeßlich ist.

Drittens. Nichts anderes als das von ihnen gesagte und verwirklichte Ja zu ihrer Lebensbedingung ist der Ausgangspunkt der Überschüttung mit Freude. Der dritte Knecht hätte sein mürrisches, von ihm aus sogar verständliche Nein gesprochen, nicht nur als sein Nein zu den Verhältnissen, nicht nur sein Nein zu seinem Herrn, sondern ein Nein zu sich selbst. So scheint die Finsternis, in die er hinausgeworfen wird, ihm völlig entsprechend und angemessen. Oder wäre sie nicht vielmehr ganz unvergleichlich und unermeßlich wie die Freude der andern unermeßlich ist?

Halt, ist der Schmerz, den er fühlen muß, nicht ein letztes und heimliches, ihm selbst gar nicht recht vernehmliches Ja zum Leben? Und sagt der Herr nicht sehr verschlüsselt genau in den Worten des unnützen Knechts eben Ja zu ihm, der vor sich und andern nichts als Nichts sein will:

     Schlechter und träger Knecht, du hattest wohl gewußt, daß ich ernte, wo ich nicht        gesät habe, und einsammle, wo ich nicht investiert habe.

Bist also nicht du es, den ich gewinnen will, du, der du von dir aus nur Nichts sein willst, dich aufgeben willst, dich verstecken und verbergen willst.

So gesehen wäre der unnütze Knecht letztlich der, auf den alles zuläuft, der, an dem Gott ganz als Gott zum Zuge kommen möchte, damit er sich nicht aufgeben, nicht traurig beseite stehen muß. Seiner trotzig freudlosen Gebärde des Selbstwiderspruchs zu sich kommt der Herr zuvor, ihn sucht er mehr als alle andern, um ihn zu sich und dem Leben zu befreien.

Vorsicht! Sollte damit nun nicht am Ende doch die Welt, wie sie ist, verklärt werden, eine Welt mit Reichen und Klugen, Armen und Schwachen, eine Welt mit Gesunden und Behüteten, Leidenden und Ausgesetzten? Oder eine Welt mit Leuten, die zu sich selbst nicht stehen wollen, nicht für sich einstehen wollen?

Das doch gewiß nicht! Denn der Herr selbst greift das Wort des Knecht Rumpelstilzchen auf und sagt, wie wir schon gehört haben:

     Schlechter und träger Knecht, du hattest wohl gewußt, daß ich ernte, wo ich nicht        gesät habe, und einsammle, wo ich nicht investiert habe.

Er will also sagen: Gerade wo nichts ist, will ich Gewinn sehen. Wer wollte da mit seinen - bescheidenen, geliehenen und geschenkten - Gaben beiseite stehen? Wer wollte nicht an dieser eigenartigen Schöpfungsmacht, aus Nichts etwas zu machen, teilhaben, mit seinen Gaben teilhaben? Und wer wollte sich das nicht gesagt sein lassen und zu sich selbst stehen, sein Ja dem Zuspruch folgen lassen?

Und wer wollte übersehen, wie der Herr gerade nicht auf das achtet, was einer ist und hat, sondern auf das, was er damit machen kann, ja, daß er überhaupt mit dem da ist, was er an Gutem und Schlechtem an sich hat.

Was hat denn schon einer, das ihm nicht zuerst gegeben wäre? An diesem Sonntag und für die vor uns liegende Woche haben wir auf jeden Fall den Zuspruch des Gleichnisses, daß, was wir sind und haben, unser alles und doch wenig ist, wenig gegenüber dem, was der Herr aus ihm macht, unser alles und fast nichts ist, gegenüber dem, was uns zugesprochen wird, die Teilhabe an der Freudenfeier. Haben wir heute den Zuspruch dieses Gleichnisse, so haben wir genug, daß der Her mehr daraus macht:

     Jedem, der besitzt, wird gegeben werden und er wird Überfluß haben.

Amen.

 

III Literatur:

Johannes Brenz, In Scriptum Apostoli et Evangelistae Matthaei de Rebus Gestis Domini nostri Iesu Christi Commentarius. Tübingen 1582 (Erste Ausgabe 1566).

Bernhard Weiss, Das Neue Testament. Handausgabe. Erster Band. Die Vier Evangelien. Leipzig 2. Auflage 1905 (1. Auflage 1900).

Erich Klostermann, Das Matthäusevanglium. (HNT 4). Tübingen 4. Auflage 1971 (1. Auflage 1926).

Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus. (EKK I,3). Zürich und Düsseldorf 1997.



Pfarrer i.R. Dr. Stefan Strohm
Stuttgart
E-Mail: st.strohm@t-online.de

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