Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 09.08.2009

Predigt zu Lukas 16:1-9, verfasst von Erik Fonsbøl

Man hat große Anstrenungen, viel Nachdenken und viele Predigten darauf verwandt, diese unmoralische Geschichte von einem geistesgegenwärtigen Verwalter wegzudeuten, der seinen Herrn betrog, dass es nur so seine Art hatte.

             Denn anständige Christen darf man doch wohl nicht zum Betrug geradezu auffordern.

             Nun ist diese Erzählung - wie überhaupt die Verkündigung Jesu ­­- für Erwachsene. D.h. es ist keineswegs eine pädagogische Erzählung - also eine Erzählung, die uns zeigen soll, wie wir miteinander umgehen sollen.

             Ich glaube, manchmal ist es gesund, die pädagogische Dimension aus den Evangelien zu entfernen, und aus der Kirche ganz allgemein, und stattdessen den Versuch zu machen, Lukas auf dieselbe Weise zuzuhören, wie wir eine Novelle lesen oder einen Film sehen in der Hoffnung, einer tiefere Einsicht in unser Leben zu gewinnen. Also die Bibel zu lesen oder zum Gottesdienst in die Kirche zu gehen - nicht um eine Antwort auf irgendeine Frage zu bekommen, so dass wir damit ins Reine kommen - sondern, um selbst in die großen Fragen des Lebens einbezogen zu werden.

             Ich glaube leider, dass es ist eine weit verbreitete Auffassung ist, dass die Kirche und ihre Pastoren suchenden Menschen Antwort geben sollen - als wüssten sie, die Kirche und ihre Pastoren, mehr vom Leben als alle anderen. In Wirklichkeit sind wir doch alle ganz gewöhnliche suchende Menschen, die, so gut es geht, sich durch's Leben tasten, ­- weit entfernt von der Vater- oder Mutterfigur, die man vielleicht gern in der Kirche oder den Pastoren sehen möchte, um der Notwendigkeit zu entgehen, selbst zum Leben Stellung zu beziehen.

             Das Leben hat nämlich keinen Schlüssel oder Fahrplan, an den man sich zu halten hat. Einen Fahrplan, den man dann in der Bibel nachlesen kann, um zu erfahren, wie man zu leben hat, oder man kann zu seinem Pastoren oder in die Kirche gehen, um das zu klären. Einen Fahrplan - und man kann dann viel Energie darauf verwenden, für ihn als den einzig wahren zu kämpfen, wie das noch immer auf kindliche Weise geschieht.

             Nein, das Menschenleben besteht aus diesen unendlichen Tiefen und Höhen, denen wir nie auf den Grund kommen - jedenfalls nicht in diesem Leben - und ich glaube, die Evangelisten haben es richtig gesehen, wenn sie Jesus als einen Menschen auffassten, der wirklich einige dieser bis dahin unbekannten Tiefen im Menschenleben für uns öffnete. Der uns die göttlichen Dimensionen im Menschenleben zeigte, die unser Leben zu sehr viel mehr macht, als wir uns vorstellen können.

             Kinder müssen einen festen Rahmen haben, sagen wir, und das ist gewiss richtig - aber erwachsene Menschen müsen alles andere als einen festen Rahmen haben - erwachsene Menschen müssen unendliche Tiefen und Höhen haben - vielleicht, weil wir im Bild Gottes geschaffen sind, wie die Alten sagten. Wir tragen an einer Sehnsucht nach dem Göttlichen und geben uns in Wirklichkeit nicht zufrieden mit dem einfachen und dem voraussehbaren Leben. Wir sind für mehr geschaffen.

             Es gibt natürlich Menschen, die nie erwachsen werden und deshalb nie aus dem festen Rahmen herauskommen, den sie als Kinder kennengelernt haben. Wir können sie überall beobachten, wie sie hartnäckig eben für feste Rahmen in der Gesellschaft kämpfen - die alten Werte - das Nationale - den Glauben der Vorfahren - damals als alles viel besser war als in der Gegenwart - und sie sehnen sich im Grunde nach einem starken Mann - einer Vaterfigur - um die Führung in dieser Gesellschaft zu übernehmen, die sich in ihren Augen im Zustand des Verfalls befindet.

             Aber es ist nicht die Gesellschaft, die zerfällt - es ist ihr eigenes Erwachsenenleben, das anklopft und das sie nicht einlassen wollen in ihr kindliches Leben.

             Wir sehen sie auch in der Kirche, wo sie ihren Kampf für den guten alten Kinderglauben führen, der heute selbst von Seiten der Pastoren unter Druck gesetzt ist, und sie verstehen nicht, was sich da abspielt. Aber es ist nicht die Kirche, die Druck ausgesetzt ist - es ist der Kinderglaube und der Glaube an die Autorität, die vom erwachsenen Leben herausgefordert sind - vom freien Leben - mit den großen Tiefen und Höhen - von dem Leben, das als erwachsene Menschen zu leben und dem sich auszusetzen wir geschaffen sind, und dann nehmen wir nicht Anstoß, wenn wir etwas Neues oder Gefährliches oder etwas hören, was über das Gewohnte hinausgeht - sondern wir spitzen die Ohren. Denn könnte es nicht ein neues Tor sein, das sich da zu einem größeren Leben auftut als das, das wir kennen? Könnten es neue Horizonte sein, die sich uns hinter den bekannten Grenzen auftun, so dass wir uns selbst und unser menschliches Leben besser verstehen?

             So - mit der Neugier des Erwachsenen, der sich bereits Adam und Eva bedienten - vielleicht weil sie als Erwachsene geschaffen waren und nie Kinder gewesen waren! - und deshalb für sie nicht einmal das Paradies groß und bedeutend genug war - sie mussten mit ihrem Leben vorankommen, hinauskommen und neue unbekannte Grenzen aufsuchen - so, glaube ich, müssen wir die Berichte der Evangelisten über diesen Jesus hören, der alle Grenzen des Erlaubten in dieser versteinerten jüdischen Gesellschaft, in die er kam, sprengte. Eine außerordentlich kindliche Gesellschaft, in der feste Grenzen als göttlich angesehen wurden - ja, als der Sinn des Lebens selbst.

             Vor kurzen heilte er einen Blinden - gestern vergab er einem die Sünden - heute lobt er einen Betrüger. Von ihm könnt ihr was lernen! Kampft um's Leben! Lebt mit allem, was ihr in euch habt, auch am Rande des Abgrundes - auch wenn das Urteil schon gesprochen ist. Tut das Unmögliche - glaubt an das Fantastische! Gebt nie auf! Liebt das Leben!

             Für mich ist diese unmoralische Erzählung eine fantastische Ermunterung zum Handeln entgegen allen Erwartungen - voll und ganz zu leben, auch wenn einen das Todesurteil bedroht - und das bedroht uns letzten Endes ja alle.

             Wenn dieser Gutsverwalter nun wie ein Kind gelebt hätte, dann hätte er ganz sicher aufgegeben, er hätte der fehlenden elterlichen Liebe und der Gesellschaft insgesamt die Schuld für seinen Betrug gegeben, und zuletzt hätte er entweder Selbstmord begangen oder seinen Herrn um Gnade angebettelt, sich ihm vor die Füße geworfen und ihn auf seine unversorgten Kinder aufmerksam gemacht usw. usw. - ganz wie der verschuldete Diener im Gleichnis, dem alles vergeben wurde.

             Aber dieser Verwalter war alles andere als kindlich, und deshalb betrachtet er seine Situation sehr realistisch als Erwachsener. Wie sieht meine Zukunft aus? Ich werde entlassen. Und so geschah es.

             Aber zuvor gelang es ihm, seine letzten desperaten Möglichkeiten auszunutzen, um sich ein neues Leben nach dem Zusammenbruch zu schaffen - nämlich, indem er die Schuldner seines Herrn in eine nicht geringe Dankesschuld sich selbst gegenüber brachte in der Absicht, ihre Gastfreiheit und ihr Wohlwollen nutzen zu können, wenn er nun selbst hinausgeworfen würde.

             Weit davon entfernt, sein Schicksal in die Hand Gottes oder seines Herrn zu legen oder es auf die Gnade Gottes oder des Königs anzulegeh - nein, mein eigenes Schicksal ist großenteils meine eigene Verantwortung.

             Weit davon entfernt, sich mit seinem Schicksal abzufinden mit einem Seufzer über die Ungerechtigkeit des Lebens oder die fehlende Aufmerksamkeit Gottes.

             Sondern ein neues Leben schaffen, wo kein Leben ist - jeder Hoffnungslosigkeit trotzen - das ist es, was er tut, und das ist die Pointe der Erzählung.

             Und damit passt sie vorzüglich zum übrigen Evangelium von dem Mann, der Tiefen und Höhen im Leben eröffnete, von denen sich niemand träumen ließ. Mit denen sich niemand zu beschäftigen wagte, weil die Religion es verbot. Der Mann, der alle Grenzen und Schranken zwischen Menschen niederwarf und uns das teure Geschenk der Freiheit gab. Der Mann, der uns aus unserem beschützten und leeren Kinderleben herausriss und uns dorthin warf, wohin wir gehören - in dieses fantastische unendliche und unbegreifliche, ewige Leben, wo alles geschehen kann, und wo nichts von vornherein gegeben ist. Das Leben, das wir selbst mit allem, was wir in uns haben, formen müssen.

             An ihn glaube ich - ihn nenne ich mit Freuden meinen Herrn und meinen Gott - ihm schulde ich eine großen Teil meines freien Menschenlebens, und deshalb kann ich ihn eigentlich auch meinen Erlöser und Befreier nennen - auch wenn das etwas kindlich klingt! Amen



Propst Erik Fonsbøl
Nørre Åby (Dänemark)
E-Mail: ebf(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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