Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 09.08.2009

Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Matthias Riemenschneider

Teilhabe an der Freude

Liebe Gemeinde,

I.

Das ist ja wie im richtigen Leben ...
Wer hat, dem wird gegeben. Eine derbe Volksweisheit sagt, dass der Teufel nur dort einen Haufen macht, wo auch schon was da ist. Und: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Von nichts kommt schließlich nichts.
Ein krasses Beispiel aus der Finanzwelt wird uns vor Augen geführt. Um Geldanlagen, Spekulationen, Börsengeschäfte geht es.

Der wohlhabende Herr geht auf Reisen und vertraut seinen drei Angestellten sein Vermögen an - mit dem Auftrag, damit Gewinn zu erwirtschaften. Zwei von ihnen sind clever und wagemutig. Sie erwirtschaften einen Gewinn von 100 Prozent und verdoppeln so das ihnen anvertraute Geld. Der dritte traut sich nicht so gewagt zu spekulieren. Er will kein Risiko eingehen und legt das Geld sicher an - so kann nichts verloren gehen.

Bei seiner Rückkehr verlangt der Herr eine Abrechnung - und die Angestellten müssen Rechenschaft ablegen, wie sie das anvertraute Vermögen vermehrt haben. Die beiden ersten können stolz die Verdoppelung des Gewinns melden. Eine reiche Belohnung und das Lob ihres Herren sind ihnen sicher.

Der Dritte gibt genau den Betrag ab, der ihm anvertraut wurde.  Für seine Ängstlichkeit muss er sich herbe Vorwürfe anhören und bekommt auch noch eine derbe Strafe aufgebrummt. Die Logik gipfelt in dem Satz: ‚Wer da hat, dem wird gegeben -  wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.'

Und dieses Wort benutzen noch heute Leute, die gar nicht mehr wissen, dass es aus der Bibel stammt. Manche Reiche verwenden es augenzwinkernd; viele Arme eher bitter, weil sie dies als unbarmherziges, aber wahres Prinzip erleben, an dem nicht zu rütteln ist. Kein Wunder, dass viele sich ärgern, dass eine solche Geschichte in der Bibel steht.

Was ist das für ein Herr, der hier handelt? Ja, was ist das für ein Gott, der die menschlichen Machtverhältnisse bestätigt ohne für soziale Gerechtigkeit zu sorgen? Mit dem Gott der kleinen Leute, der sich für Arme und Benachteiligte einsetzt, der Kranke heilt und der den Ausgestoßenen wieder einen Platz in der Gesellschaft gibt, hat diese Erzählung nun gar nichts zu tun.

 

II.

Diese Erzählung von den drei Knechten und den ihnen anvertrauten Gaben berührt uns alle. Wir können unsere eigenen Erfahrungen einbringen. Und diese Geschichte reizt zum Widerspruch: Wenn schon unsere Lebenswirklichkeit so geprägt ist, sollte doch jedenfalls in der Bibel eine andere Perspektive aufgezeigt werden. Und ich frage mich, ob diese andere Perspektive nicht tatsächlich in dieser Erzählung angeboten wird. Stehen wirklich nur der reiche Herr und seine beiden erfolgreichen Angestellten im Mittelpunkt des Geschehens? Sollen wir uns dem harten Urteil über den dritten Angestellten anschließen? In wessen Schicksal finden wir eigentlich unsere eigenen Lebenserfahrungen am ehesten wieder?

Wenn wir hier genauer hinschauen, stellen wir fest, dass es dieses einfache schwarz - weiß Schema so gar nicht gibt. Die immer nur erfolgreichen, glücklichen Gewinner auf der Überholspur des Lebens sind eine Fiktion. Genauso wie auch die scheinbaren Verlierer ihre starken Seiten, ihre Erfolgserlebnisse und glücklichen Momente haben.

 

III.

Diese schillernde Lebenswirklichkeit zwischen Erfolg und totalem Versagen, zwischen himmelhoch jauchzend und im wahrsten Sinne zu Tode betrübt, beschreibt der (heute in Frankreich lebende) bosnische Filmemacher Emir Kusturica in dem Film „Schwarze Katze - Weißer Kater", der irgendwo an der Donau auf dem Balkan spielt.

In dem Grenzgebiet zwischen Bulgarien, Rumänien und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien ist die Donau ein majestätischer Strom. Die vorbeiziehenden Vergnügungsdampfer mit ihren feinen Abendgesellschaften scheinen von einer anderen Welt zu sein in diesem Mikrokosmos aus Zigeunern, Schmugglern und Gangstern, die in einem merkwürdigen Gemisch aus Freiheit und strengen Regeln der Tradition, aus Armut und halbseidenem Reichtum leben.

Hier haust direkt am Strom der Ganove Matko, der gelegentlich kleinen Gaunereien hinterher jagt, aber auch viel Zeit findet, gemächlich in der Hängematte zu liegen und sich von einem rattenbetriebenen Fächer kühle Luft zuwedeln zu lassen. Bei ihm wohnt sein Sohn Zare, ein junger und unerfahrener Tunichtgut, der gerne mit der Schaustellertochter Ida flirtet. Die Hauptaufgabe der beiden ist es, die anderen Leute des Dorfes mit Trillerpfeifen zu alarmieren, sobald russische Schwarzhändler vorbeischippern - oder ggf. auch Schiffe, die man vielleicht überfallen könnte.

Als dieser kleine Gauner Matko einen großen Coup um einen mit Benzin beladenen Güterzug wittert, leiht er sich beim Clan-Oberhaupt Geld, um sich den Gangster Dada und seine Leute als Gehilfen für den Überfall anzuheuern.

Natürlich geht alles schief. Für Matko ist dieses Räuberstück einige Nummern zu groß. Eigentlich kann er froh sein, dass er mit dem nackten Leben davonkommt. Stattdessen wickelt der angeheuerte Dada mit seinen Leuten den Coup ab und steckt den Gewinn ein. Und von dem ahnungslosen Matko verlangt er auch noch eine Entschädigung für den scheinbar entgangenen Gewinn. Da dieser aber nichts mehr besitzt, was er noch hergeben kann, bleibt ihm nichts anderes übrig, als in die Hochzeit seines Sohnes Zare mit der hässlichen und kleinwüchsigen Schwester des großen Gangsters einzuwilligen. Die beiden jungen Leute fühlen sich im wahrsten Sinne verkauft und natürlich haben sie auch überhaupt nichts füreinander übrig. Da ist es ganz praktisch, dass nach der Tradition keine Hochzeit gefeiert werden darf, wenn man einen Todesfall im Hause hat. Der kranke Großvater ist plötzlich und genau zum richtigen Zeitpunkt verstorben.

Am Ende des Film wird dann doch noch ein rauschendes Fest gefeiert: eine Doppelhochzeit, bei der die Menschen miteinander verbunden werden, die zueinander gefunden haben - und die ihr Leben miteinander verbringen wollen.
Der Lebenswille und die Lebensfreude der jungen Generation hat sich durchgesetzt gegen das skrupellose und selbstbezogene Handeln der Älteren, in deren Leben Ehrlichkeit und Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht anderer Menschen nicht vorkommen.
Und dennoch: Im Film wird das Handeln dieser Menschen nicht in ein einfaches schwarz - weiß Muster eingereiht und verurteilt. Die Kamera lässt den Betrachter teilhaben an der Not und der inneren Zerrissenheit der Protagonisten. Der erfolgreiche ‚Ober-Ganove' Dada, der in einer amerikanischen Stretch-Limousine durch die Gegend chauffiert wird, wird als in seinem Inneren tief verunsicherte Person dargestellt, die abhängig von Drogen und eher verzweifelt wirkt. Immer, wenn er eine große Portion Kokain geschnupft hat, trommelt er sich wie ein Affen-Männchen mit seinen Fäusten auf die Brust und ruft laut: „I'm a Pitbull".

 

IV.

Die Sorgen und Nöte, die die drei Angestellten des reichen Herrn in unserem Predigttext plagen, kennen wir nicht. Der dritte von ihnen beschreibt seinen Herrn aber als hart und ungerecht. Damit unterscheidet er sich von den anderen beiden. Und mir erscheint es zumindest auch als fraglich, ob wir sein Urteil einfach so übernehmen können. Nach dem Wortlaut der biblischen Überlieferung erscheint dieser reiche Herr als eher großzügig, der eine große Portion Vertrauen seinen Angestellten gegenüber aufbringt. Es sind schließlich ungeheure Summen, die er seinen Mitarbeitern anvertraut. Nur ein Zentner Silber (wie Martin Luther diese Wertangabe übersetzt) ist weit mehr, als ein Mensch je in seinem ganzen Leben sich erarbeiten könnte. Um wie viel mehr sind zwei oder fünf Zentner Silber Zeichen von Vertrauen und Zuversicht, die dieser Mensch zu seinen Angestellten hat?

Und die Belohnung, die er den ersten beiden zuspricht, ist die Teilhabe an seiner Freude. Lebensfreude - das ist etwas fundamental anderes als die Legitimierung verkorkster menschlicher Beziehungen, für die der Satz gilt: ‚Wer hat, dem wird gegeben...'
Teilhabe an der Freude anderer Menschen ist die Folge eines Verhaltens, das offen und ehrlich mit der eigenen Person und auch den Gaben und Fähigkeiten, die man selber hat, umgeht. Der dritte von den Angestellten verfehlt diese Teilhabe an der Freude seines Herrn, weil er sich vor lauter Angst, etwas Falsch machen zu können verschließt und das ihm Anvertraute vergräbt und verkümmern lässt.

Die menschlichen Gaben sind auch bei den beiden Protagonisten in dem Film „Schwarze Katze - Weißer Kater" verkümmert. In ihren Lebensbedingungen haben sie nur gelernt, sich gegen andere durchzusetzen, indem sie kommandieren oder lügen, stehlen oder betrügen. Erst als die ihnen anvertrauten Menschen sich ihrer Macht entziehen, erkennen sie, dass sie sich letztlich damit selber schaden. „Teilhabe an der Freude" kann nur in einem menschlichen Miteinander gelingen.
„Du bist über wenigem treu gewesen", sagt der Herr, „ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!"

Amen



Matthias Riemenschneider
Michaelskirche Waiblingen
E-Mail: ma.riemenschneider@gmx.de

(zurück zum Seitenanfang)