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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 23.08.2009

Predigt zu Lukas 18:(9)10-14, verfasst von Klaus Steinmetz

Liebe Gemeinde! Manchmal ist es für Geschichten gar nicht so gut, wenn sie sehr bekannt sind, auch für biblische Geschichten nicht. Dann meint man: Die kenne ich schon. Ich weiß schon, was die besagen und bedeuten soll. Aber wenn ich schon weiß, was eine Geschichte zu sagen hat, dann hat sie mir eigentlich nichts mehr zu sagen.

Zu den so bekannten Geschichten gehört auch die, die ich jetzt vorlesen will aus dem 18. Kapitel des Lukasevangeliums. (Es folgt die Verlesung. Allerdings schlage ich vor, V. 9 dabei wegzulassen, weil er das Urteil über die Geschichte vorwegnimmt,  so dass ein mögliches Spannungselement für die Predigt entfällt.)

Was diese Geschichte sagen will, scheint ganz klar zu sein. So klar, dass seitdem Pharisäer für uns indiskutabel sind. So geht es wirklich nicht! Pharisäer - das ist vor allem infolge dieser Geschichte geradezu ein anderes Wort für „Heuchler".

Aber werden wir damit dem Pharisäer wirklich gerecht? Wie, wenn er gar kein Heuchler wäre? Sehen wir ihn uns, obwohl wir doch so genau über ihn im Bilde sind, einen Augenblick etwas näher an.

Er geht zum Tempel und betet. Was ist daran verwerflich? Im Gebet sagt er Gott, was er tut oder worum er sich wenigstens doch bemüht. Er sagt es wohlgemerkt, nur vor Gott, nicht öffentlich, vor anderen. Natürlich kann man fragen: Warum muss er das so ausdrücklich vor Gott ausbreiten? Nun kommen uns die Dinge, die er erwähnt, - zweimal wöchentlich fasten, den Zehnten von allem, was er einnimmt, geben, d.h. für religiöse oder soziale Zwecke zur Verfügung stellen  - vielleicht etwas fremd und hochgestochen vor. Aber man weiß heute, dass die Pharisäer es mit diesen Dingen sehr genau und ernst nahmen, sich in der Tat darum bemühten, so zu leben. D.h. sie ließen es sich wirklich etwas kosten. Sie deswegen zu kritisieren stände höchstens dem zu, der nachweisen könnte, dass es ihm in gleicher Weise ernst ist mit der Sache, nämlich mit dem, was er als den Willen Gottes erkannt hat. Sind wir solche Leute?

Schließlich: Er dankt Gott, dass er nicht so sei wie Räuber, Betrüger, Ehebrecher. Er dankt Gott, d.h. er ist sich bewusst, dass er dies nicht einfach sich selber zuzuschreiben hat. Man könnte seine Worte vielleicht so verstehen: Ich danke dir, dass du mich davor bewahrt hast, so zu werden. Ob wir, wenn wir uns für halbwegs rechtschaffene und nützliche Menschen halten, das tun, Gott dafür danken?

Wenn man so diesen Menschen etwas näher betrachtet, ist es gar nicht mehr so leicht zu sagen, was er denn eigentlich falsch macht; warum es am Ende von ihm heißt: Er war nicht gerechtfertigt. Und ich meine, wenn wir wenigstens wieder überlegen müssen, worin denn dieser Mensch versagt hat, dann sind wir auf dem Weg, dass uns diese Geschichte wieder etwas zu sagen hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich jetzt auch einen kurzen Blick auf den anderen werfen, den Zöllner: Der Pharisäer hat ja Recht, wenn er meint, dessen Leben und Verhalten könne Gott nicht gefallen: Mehr von den Leuten einziehen, als vorgeschrieben ist, damit anderen Unrecht tun und sich selber daran bereichern, wie es damals in dieser Berufsgruppe weithin üblich war, das hat auch Jesus nicht gutgeheißen. Auch er nennt sie oft schlicht und einfach Sünder. Darin ist er sich mit dem Pharisäer einig. Worin hat denn der nun aber Unrecht?

Einen Fingerzeig dafür kann uns ein Gedicht von Eugen Roth geben, in dem er die gängige Einschätzung dieser Geschichte beschreibt und zugleich aufs Korn nimmt: „Ein Mensch" -so beginnen viele seiner Gedichte; sind solch ein Mensch möglicherweise auch wir? - „ein Mensch betrachtete einst näher/ die Fabel von dem Pharisäer,/ der Gott gedankt voll Heuchelei/ dafür, dass er kein Zöllner sei./ Gottlob! Rief er in eitlem Sinn,/ dass ich kein Pharisäer bin.

Ist er wirklich keiner? Sehr schön und zugleich überraschend kommt hier heraus: Gottlob, dass ich kein Pharisäer bin - das scheint mit der Auffassung  Jesu übereinzustimmen. Und kann sich doch gerade nicht auf Jesus berufen. Wenn wir sagen oder denken: Gottlob, -klingt fromm! - dass ich nicht so bin wie der oder die...dann fallen wir genauso unter das Urteil Jesu wie damals der Pharisäer. Es ist aufregend: Obwohl wir wissen: So wie der Pharisäer sollen wir nicht sein, können wir genauso sein wie er -  und merken es gar nicht.

Da kann einer sich mit ganzem Ernst auf Gottes Willen berufen und danach leben, und verkennt doch völlig, was dieser Wille Gottes jetzt von ihm verlangt. Natürlich gibt es Tun und Verhalten, das Gottes Willen widerspricht. Auch Jesus verlangt nicht, dass man es gutheißen soll oder sagen: Es kommt ja nicht darauf an! Dafür ist der Wille Gottes viel zu ernst.

Aber wo es dazu kommt, dass man mit dem falschen Verhalten auch den Menschen selber abschreibt, ...diesen Zöllner da, diesen Pharisäer da...dann ist das gegen Gottes Willen. Auch wenn einer meint, es um Gottes willen tun zu sollen, wie in der Geschichte wahrscheinlich der Pharisäer, von Jesus muss er sich sagen lassen: Das ist nicht Gottes Wille.

Es kann gute Gründe geben, das Verhalten von Menschen zu missbilligen, für schädlich zu erachten. Auch Jesus hat das getan und deutlich benannt. Und er ist doch, anders als der Pharisäer gerade zu solchen Menschen gegangen, hat sich neben sie gestellt oder zu ihnen gesetzt und ihnen so gezeigt und gesagt: Gott schreibt euch nicht ab, er lässt euch nicht fallen..

Das ist leicht gesagt: Das Verhalten eines Menschen ablehnen, ihn selbst aber annehmen. Aber jeder weiß, wie schwer das ist. Denken Sie an Alkoholiker oder Menschen, die uns tief enttäuscht oder schwer verletzt haben. Immer wieder kommt da der Punkt, wo wir denken: Er ist es nicht wert, - und lassen ihn fallen. Dieser Pharisäer steckt ganz tief in uns. Wir haben gute Gründe für solches Verhalten. Aber den letzten und besten Grund haben wir gegen uns: Gottes Willen.

Ein Glück, dass er uns trotzdem nicht fallen lässt. Das glauben wir um Jesu Christi willen. Und das macht uns Mut, vielleicht auch einmal, wenigstens einmal einen Menschen nicht abzuschreiben, gegen den wir, vielleicht aus gutem Grund, etwas haben.

Pharisäer und Zöllner sind nicht gleich. Aber wenn der Pharisäer, auch der Pharisäer in uns, wirklich erkannt hätte, wie weit er von Gottes Willen entfernt war, als er meinte, ganz auf diesen Willen Gottes ausgerichtet zu sein, wenn er das wirklich erkannt hätte, hätte er dann etwas anderes beten können als der Zöllner: Gott sei mir Sünder gnädig? Oder: Herr, erbarme dich?

Nicht der Rechtschaffene, sondern der Sünder geht am Ende gerechtfertigt hinab in sein Haus. Gott hat sein Ja zu diesem Menschen gesagt, und Jesus verkündet diesen Spruch, dieses Urteil Gottes.

Wir möchten ja manchmal schon ganz gern wissen, wie es weiter gegangen ist mit den Menschen, von denen Jesus erzählt. Leider tut er uns diesen Gefallen nicht, auch hier nicht.. Aber es gibt eine andere Geschichte, auch von einem Zöllner, die könnte so etwas wie die Fortsetzung unserer Geschichte sein. Sie berichtet von dem Mann, der auf den Baum geklettert war, um Jesus zu sehen. Als Jesus dann ausgerechnet ihn angesprochen und in sein Haus eingekehrt war, da hatte er erklärt, er wolle alles, was er unrechtmäßig vereinnahmt hätte, vierfältig zurückgeben.

So etwas erzählt Jesus hier nicht von dem Gerechtfertigten. Er braucht es aber auch nicht, weil er der Barmherzigkeit Gottes viel zutraut. Er traut ihr zu, dass sie den, den sie ergreift, so verändern kann, dass man etwas davon merkt. Wir sollten ihr das auch zutrauen.  Amen    



Sup. i. R. Klaus Steinmetz
Göttingen
E-Mail: kljsteinmetz@tele2.de

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