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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 23.08.2009

Predigt zu Lukas 18:9-14, verfasst von Jens Arendt

Letzten Sonntag, am 10. Sonntag nach Trinitatis, hörten wir, dass Jesus in den Tempel ging und sagte: "Mein Haus soll ein Beethaus sein. Ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht."

             Zur Räuberhöhle kommt man mit vollen Händen, wenn man auf einem Raubzug gewesen ist. Zum Bethaus kommt man mit leeren Händen. Das sieht man an der alten Bethaltung. Auf Ikonen kann man erkennen, dass man, wenn man betete, beide Hände mit nach oben gerichteten Handflächen in Gesichtshöhe hob. Es ist eine uralte Geste, die die Christen übernahmen und die in der Antike die gewöhnliche Anbetungsgeste war. In der orthodoxen Gemeinde sieht man sie noch heute; die Gemeinde betet mit offenen und leeren Händen.

             Hier kommt ein Mann mit vollen Händen und ein anderer mit leeren Händen in das Heiligtum, um zu beten.

             Hier auch ein wenig über den Gottesdienst. Das Erste, was man sagt, wenn man in die Kirche kommt, ist: "Gott, sei mir Sünder gnädig." Auf Griechisch heißt das: Kyrie, eleison. "Herr, erbarme dich" - ein Ausdruck aus der allerersten Zeit der Christen, als Griechisch die heilige Sprache war. Wir sagen auch diese Worte in unseren Liedern, z.B. in "Lamm Gottes".

             Nun kommt der Zöllner, der Mann mit einem schlechten Charakter, dem man nicht trauen kann. Der Mann, der viele Niederlagen erlebt hat, und er war selbst schuld daran. Es steht auch nicht da, dass er ein besserer Mensch wurde, als er nach Hause kam. Aber er ging gerechtfertigt in sein Haus.

             Er zeigt zum einem Demut. Er mag nicht einmal seine Augen zum Himmel aufheben. Zum anderen ist da auch eine gewisse Würde. Jeder Mensch ist unbedingt vor Gott.

             Der Zöllner sah sich selbst im Verhältnis zu Gott. Der Pharisäer vertraute auf sich selbst, vertraute darauf, dass er gerechtfertigt war. In Wirklichkeit vertraute er auf sich selbst im Vergleich zu Anderen.

             Es ist wichtig für uns, uns mit Anderen zu vergleichen; wir tun es von klein auf; in der Schar der Geschwister, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft. Wir halten unseren Wert hoch gegenüber allen Anderen.

             Hätte der Zöllner Sinn dafür gehabt und den Pharisäer als ein Objekt des Vergleichs betrachtet, dann wäre er gedemütigt worden. Nun ist aber für ihn nicht entscheidend, dass er im Vergleich mit einem Pharisäer existiert, sondern dass er vor Gott existiert.

             Jeder Mensch, auch der Erbärmlichste, alle diejenigen, deren Anblick uns das größte Mitleid verursacht und die uns mit Dankbarkeit erfüllen: "ich bin dankbar, dass ich trotz allem nicht so bin wie sie", alle existieren vor Gott.

             In diesem Licht ist jeder Vergleich plötzlich sinnlos.

             Man kann einen Menschen auf zweierlei Weise sehen. Im Vergleich mit Anderen und mit den Augen der Liebe. Mütter tun es auf beide Weisen. Sie vergleichen jederzeit die Fortschritte ihrer eigenen Kinder mit anderen; aber am wichtigsten ist, was sie selbst sind. Sie sehen sie mit den Augen der Liebe an, und dann sind alle Vergleiche gleichgültig.

             Das Gebet des Pharisäers war im Grund gar kein Gebet. Es war eher ein Gebet in der modernen Bedeutung des Wortes, wonach Gebet Therapie ist. Du kannst Gott nicht verändern; aber du kannst dich selbst verändern. "Der Pharisäer stand für sich und betete so." Es ist, wie wenn man die Möglichkeit bekommen hat, irgendein Problem vorzulegen. Am Ende läuft man weg, weil man selbst eine Lösung gefunden hat. Man fühlt sich bessser. Der Pharisäer war froh und gerührt, als er wieder ins Licht der Sonne trat. Ein extra Scherflein gab er für einen armen Schlucker über seinen Zehnten hinaus.

             Das Entscheidende für das therapeutische Gebet ist nicht Gott, du bist es selbst. Gott ist ein Katalysator; etwas, das auf Zeit in einem Prozess eine Rollte spielt, dann aber wieder herausgezogen wird. Der Pharisäer stand für sich und betete so für sich selbst. Ein großer Teil moderner Religion glaubt nicht im Ernst an Gott. Aber es macht sich gut, das Wort Gott zu verwenden. In Wirklichkeit aber gibt es nur uns selbst.

             Der Pharisäer fühlte sich gerechtfertigt. Er fühlte sich o.k. Er war sich seiner Identität sicher. Gott hatte er nicht nötig, er hatte sich selbst gerechtfertigt. Das Wort Gott war nur ein Enzym, das für eine Weile in einem Prozess wirkt, dann aber überflüssig ist. Er war gerechtfertigt, nachdem er die Liste aller seiner Tugenden vorgetragen und sich mit Anderen verglichen hatte.

             Aber in ein Heiligtum kommt man hinein, nicht um zur Seite zu sehen, sondern um nach vorn zu schauen. Wir sehen nach Osten. In der Kirche sehen wir nur den Rücken voneinander (im Prinzip). Wir sind alle auf den Altar ausgerichtet. Wir sitzen nicht in einem Kreis mit der Ausnahme des Abendmahls, aber dort sind wir kniend auf ihn gerichtet, der mitten unter uns ist.

             Wenn wir uns erst gegenseitig sehen, sehen wir die Unterschiede. Wenn wir erst auf Gott hin sehen, sehen wir die Gleichheit unter Menschen.

             Aber wir wissen nicht, ob sich der Zöllner dort draußen im Sonnenlicht besser fühlte. Aber auch der Erbärmlichste muss den Stolz haben, dass ich vor Gott existiere. Es mag sein, dass die Anderen so tun, als sähen sie mich nicht, oder dass sie mich nur ansehen, um sich bessser zu fühlen. Aber ich existiere vor Gott.

             Wie fühlte er sich eigentlich, als er das Heiligtum verließ? Er blinzelte in die Sonne. Er senkte die Augen gegenüber all den Pharisäern, die sich auf dem Weg in den Tempel befanden, um zu beten. Oder vielleicht war es ganz anders, als er aus dem Dunkel des Heiligtums trat??

             Das Christentum handelt davon, dass man aus seiner Finsternis geholt wird und dass man sich in der Welt umsehen und auch anderen Menschen in die Augen sehen kann, weil weder sie es sind, mit denen man sich zu vergleichen hätte, noch diejenigen, die einen zu richten hätten.

             Die Lesung von heute (1. Kor. 15,1-10a): "Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen."

             Paulus hatte das Erlebnis, dass Gott handelte. Er ist einer der Pharisäer, die wir namentlich kennen. Er verfolgte die Christen. Religiös Fanatismus ist heute ein bekannter Begriff. Und das gilt gleichermaßen von persönlichem Vorteil und von Eitelkeit.

             Auf dem Wege nach Damaskus hat er ein merkwürdiges Erlebnis. Jesus sagt: "Saul, Saul, warum verfolgst du mich?" Er wird von seinem Pferd geworfen, er ist eine Zeitlang blind.

             Es dauerte eine Weile, bis ihm die richtigen Superapostel vertrauten, wenn sie es überhaupt je taten. Er gesteht auch selbst, dass er eine Missbegeburt ist, eine Fehlgeburt, der geringste unter den Aposteln. Aber dann sagt er: "Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin." D.h.: ich bin etwas wert in den Augen Gottes, denn sonst hätte er seinen Sohn nicht zu mir gesandt, zu einem so unvollkommenen Menschen, wie ich einer bin.

             Vergebung der Sünden ist nicht nur, dass wir sie erleben. Sündenvergebung ist nicht nur eine Bestätigung. Der Zöllner hatte vielleicht weder das große Erlebnis noch wurde er ein viel besserer Mensch.

             Aber die Vergebung der Sünden ist etwas, woran wir glauben müssen. Auch wenn wir sie nicht bestätigt fühlen. Es gibt etwas, was feststeht, und was nicht von deinen Erlebnissen abhängt.

             Was wir vor Gott sind, hängt nicht von dir ab.

             Wir brauchen ja nur die kleinen Kinder zu betrachten, die wir zur Taufe bringen. Gleich nach der Geschichte vom Zöllner im Tempel kommt der bekannte Bericht von den Kindern, die man zu Jesus brachte. Jesus sagt: "Lasset die Kinder zu mir kommen."

             Das Wort dient als Begründung für die Kindertaufe. Die Säuglinge empfinden vermutlich nichts bei der Taufe, oder richtiger: uns ist verborgen, was sie empfinden. Aber Gott handelt: "Gott pustet dem Kind auf die Augen, wenn es weint" [frei nach einem Kirchenlied].

             Wir meinen oft, dass Gott Gott ist, wenn wir es erfahren. Nein! Gott ist unter allen Umständen. Und gäbe es keinen einzigen Menschen und wäre die Erde öde, so ist Gott. Wir müssen darauf vertrauen, dass wir gerechtfertigt sind, so wie wir sind. Sich selbst rechtfertigen heißt: Entschuldigungen beibringen. Aber so wie du bist, hat Gott dich angenommen.

             Gott gibt den Maßstab für unser Leben, Gott wird über es richten. Das ist zunächst eine ernste, eine erschütternde Botschaft. Das Evangelium behauptet, dass wir eine erfreulichere Botschaft nicht zu hören bekommen könnten, teils weil es besser ist, von Gott gerichtet zu werden als dem Urteil von Menschen überlassen zu sein, teils weil Gott barmherzig ist.

Amen



Dompropst Jens Arendt
Roskilde (Dänemark)
E-Mail: jea(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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