Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 06.09.2009

Predigt zu Lukas 10:25-37, verfasst von Christian Tegtmeier

Das Evangelium von heute kennt bald jeder, das ist den Menschen beinahe so geläufig wie die Weihnachtsgeschichte. Auch denen ist es  vertraut, die sich sonst kaum mit dem Glauben beschäftigen. Und fast jeder meint, begriffen zu haben, was da gesagt wird,  was Jesus von uns will: er appelliert an die Nächstenliebe, er fordert unsere Barmherzigkeit. Also  ein frommer  Auftakt für soziales Engagement, liebe Gemeinde:  man helfe, wo Hilfe nötig ist. Und das in Gottes Namen! Und da ist man schnell dabei, säumige, Egoisten und  die Pflichtbewussten zu unterscheiden. Die einen werden getadelt, die Besseren verdienen einen Platz im Gedächtnis der Nation. Merkwürdig, davon ist überhaupt nicht die Rede! Jesus wertet nicht! Er gibt kein Urteil ab,  weder über den Frager noch über die Räuber, den Priester, den Levit, den Samariter o der den Reisenden. Und : die Geschichte geht ohne den typischen Nachsatz von der „ der Moral von der Geschichte" zu Ende.

Am Ende fragt Jesus noch einmal den, der ihn gefragt hat:

    „Wer von diesen dreien scheint dir der Nächste gewesen zu sein,

     der unter die Räuber gefallen ist?"

Der antworten soll, gibt eine Wertung, er sagt :

    „Der Mitleid mit ihm hatte."

An diese Entscheidung bindet Jesus seinen Gesprächspartner. Damit bin ich beim Thema für heute.

Wir erfahren, zwei Menschen treffen sich, sie reden miteinander .

Gespräche sind wichtig, auch über den Glauben.

 Die Gesprächspartner kennen sich aus : im Glauben, in ihrer Religion, in der Schrift.

Wir mutmaßen : ein Gespräch unter Lehrern. Rabbinern!

Den einen kennen wir, es ist unser Herr, Jesus Christus.

Der andere ist uns fremd, nur seine Frage bleibt :

    „Lehrer, was soll ich tun, um das ewige Leben zu erben?"

Wer so fragt, weiß, dass er etwas tun muss, um selig zu werden.

Nur was es ist, das weiß er nicht. So ist seine Frage für ihn äußerst wichtig, ja beinahe lebenswichtig. Denn er hat eingesehen: der Mensch hier auf der Erde, in dieser Welt, lebt nur im Voraus zu Gottes Reich. Dorthin wollen die Menschen, in den Himmel, in Frieden ruhen dürfen, sie wollen die Stätte erreichen, wo sie die anderen wiedersehen, die  vor ihnen verstorben sind.  Und sie wollen, dass etwas von ihnen bleibt, wenn alles andere vergangen ist. Wozu sollten sie auch sonst in dieser Welt leben?

Und Jesus? Er antwortet, er nimmt  das Anliegen des Fragenden ernst. Er fragt zurück:

   „Was steht im Gesetz? Was liest du?"

Die Antwort wendet sich nicht an unsere Erfahrung, an einen Schatz erlernbaren Wissens, an eine besondere Lebenskunst, die man erwerben oder beherrschen könnte und müsste. Die Antwort findet sich eher und ausschließlich bei Gott, dem Vater, in seinem Wort, im Evangelium, in der Schrift. Die sollte man  lesen und kennen.

 Das tun die Rabbiner, und so kennt auch der Fragende die Antwort. Er nennt das tägliche Bekenntnis des frommen Juden, die Sch´ma Israel:

   „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner

     ganzen Seele, mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand, und den

     Nächsten wie dich selbst."

Damit bekräftigt er das, was Gott seinem Volk geboten hat.  Er bestätigt die Tradition. Denn Gottes Wort ist für ihn wahr und in der Weise verbindlich, um Gott gemäß zu leben und das ewige Leben zu erreichen.

Wir merken, liebe Gemeinde : die Frage  des Glaubens nach dem ewigen Leben beantwortet kein Gelehrter nach menschlichem Wissen; die Frage beantwortet die Schrift, genauer die Tora, die fünf Bücher Mose. Das ist Evangelium für uns ! Und wer diese Schrift kennt und liest, ist gerettet. Der weiß, was Gott von ihm will. Jesus wird den Frager, der sich selbst die Antwort gibt darauf hinweisen, in dem er sagt :

   „Tu das - und du wirst leben."

Ich fürchte, liebe Gemeinde, unser Problem ist heute noch ein ganz anderes: wir lesen zu wenig oder überhaupt nicht in der Schrift. Wir kennen weder Gottes Wort noch seine Absicht und seine Antworten auf unsere Fragen im Leben und nach dem Leben und über das Leben. Und : wir fragen zu wenig. Wir nehmen vieles so hin, wie es ist. Wir machen das einfach so, weil man das tut, auch in der Nächstenliebe. Aber die Absicht Gottes bleibt uns                verborgen, weil wir uns nicht darum kümmern.

Jedenfalls erlebe ich es ausgesprochen seltenen Fällen, dass Menschen im Angesicht des Todes eines Angehörigen auch nach dem fragen, was dann kommt. Meist bleibt es bei dem, was zu diesem Tod beigetragen hat, Manche sind dann  über die Antworten des Glaubens überrascht, andere verlegen, viele haben keine Erwartungen...mehr. Für sie  ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter belanglos geworden,  jedenfalls in diesem Zusammenhang. Und dabei wäre die Frage doch höchst aktuell.

Denn wir leben im Vorraum von Gottes Reich, wir leben vor dem ewigen Leben. Und was hier im Glauben durch uns  geschieht, ist gleichsam der Türöffner für das Jenseits, für die Ewigkeit, für das ewige Leben. Jesus sagt das an anderer Stelle so:

   „Was ihr den Geringsten unter meinen Brüdern und Schwestern getan habt, das

     habt ihr mir getan."

Und dieses Tun aus Liebe zu Gott und den Nächsten rettet mich vor dem ewigen Tod und seiner Verlorenheit. Davor möchte uns Jesus Christus als Erlöser bewahren. Deshalb wiederhole ich, liebe Gemeinde, noch einmal die stille Voraussetzung, die unausgesprochene Forderung Jesu, die sich aus der Begegnung mit dem Frager ergibt: wir müssen jetzt in der Schrift lesen und danach handeln. Dann kommt die nächste Frage : Wer ist mein Nächster? - Nun, sie kennen die Geschichte, die ich nicht zu wiederholen brauche. Am  Ende greift Jesus diese Frage noch einmal auf: Er nimmt den Anspruch Gottes an den Menschen, an uns, mit auf. Seine Frage lautet nun nicht mehr: Wer ist mein Nächster? - Sondern sie lautet : Wem bin ich zum Nächsten geworden?

So gestellt öffnet die Frage Augen und Herzen. Denn jetzt bin ich gefordert mit meiner Liebe, mit meiner Barmherzigkeit. Ein Nächster werde ich durch die Tat. Der unbekannte Frager sucht nach knappen Anweisungen zum Handeln: er will das Ziel erreichen, durch Leistung, Anstrengung, einen alles in allem ehrenvollem Einsatz.

 Jesus wendet die Frage: allein wichtig ist es, Mensch zu sein, für andere, einfach aus Liebe und Barmherzigkeit. So sieht unser Tun aus für und in einer geschundenen Gesellschaft. So öffnet sich für uns eine Tür zum Himmel. So entkommen wir dem Selbstbetrug, wir könnten durch bezahlte Sozialleistungen Barmherzigkeit ersetzen.

Denn die Frage bleibt dabei offen: wo bleibt der Mensch?

 

Dieser Frage gilt beiden: dem Menschen, der in Not geraten ist und mir, der ich die Not sehe. Wem bin ich der Nächste? - Mag sein,  dass der Priester, auch der Levit, eine wichtigere Aufgabe hatten. Mag sein, dass der Samariter sich der gebotenen Trennung von Juden und seinem Volk gewiss und bewusst war und sie doch außer Acht ließ. In der Stunde der Not wägt er nicht mehr; er handelt. Denn der in Not geratene Mensch, der unter die Räuber gefallen war, hat den Anspruch, dass ihm jetzt von diesem Menschen geholfen wird. Wo Not herrscht, bin ich gerufen: unverzüglich und ohne die Ausrede, ich sei der Aufgabe nicht gewachsen oder würde an anderem Ort benötigt. Der Samariter hilft, worin er kann. Er ist weder ein Arzt noch ein Sanitäter noch ein Polizist. Er ist schlicht Mensch mit liebendem Herzen, jemand, den der Anspruch des Notelidenden zutiefst anrührt und fordert.

Die Frage Jesu bleibt - auch für uns :

 „Wem bin ich der Nächste?".

                                                   Amen



Pfarrer Christian Tegtmeier
Kirchberg
E-Mail: gabriele.tegtmeier@t-online.de

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