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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2009

Predigt zu Lukas 17:11-19, verfasst von Wolfgang Vögele

„Und es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, daß er durch Samarien und Galiläa hin zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, daß er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen."

Liebe Gemeinde,

von der wichtigen, bevorstehenden Bundestagswahl reden die Journalisten ununterbrochen in ihren Kommentaren, die Biertrinker lautstark am Stammtisch und die Pendler wispernd in den Morgenzügen. Trotzdem spüren viele einen gewissen Überdruß: Es scheint sich so recht niemand für die Kandidaten, für die bunten Plakate und die Farbenkonstellationen der Parteien zu interessieren. Die Älteren erinnern sich mit Wehmut oder mit Ärger, wieviel Gefühl, Engagement und Enthusiasmus sich mit dem energischen Eintreten für den konservativen Bayern Franz Josef Strauß und für den visionären Sozialdemokraten Willy Brandt verband, in positiver wie in negativer Hinsicht. Seitdem ist das Interesse an Tagespolitik flacher, oberflächlicher geworden und insgesamt zurückgegangen. Der spektakulären Fortschrittsvision ist das pragmatische Festhalten an einer abwägenden, ruhigen Vernunft gewichen. Dem entsprechend handeln und reden die meisten Kandidaten, und vielleicht ist das ja auch nicht das Schlechteste.

Auch von den Bischöfen und Oberkirchenräten ist zur Wahl wenig zu hören, obwohl der Bundeswehreinsatz in Afghanistan, die Endlagerung des Atommülls und die soziale Gerechtigkeit nach Hartz IV einmal brennende Themen waren, die Kirchentagshallen gefüllt haben. Die Denkschriften zur Friedens- und Wirtschaftsethik waren ausführlich, viele Politiker nahmen sie zur Kenntnis, die entsprechenden Akademietagungen waren überlaufen.

Merkwürdig, daß vielen Menschen politische Fragen gleichgültig geworden sind, und deshalb geht die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen gefährlicherweise zurück. Aber Wahlen markieren in einer Demokratie die entscheidenden Wendepunkte, deshalb ist es wichtig wählen zu gehen, auch wenn jemand von der richtigen Einsicht bestimmt wird, daß Politik im Leben einer Gesellschaft nicht alles ist.

Schaut man auf  die Heilungsgeschichte aus dem Lukasevangelium, so stellt sich Jesus von Nazareth nicht als politischer Revolutionär vor, als der er eine Zeit lang mißverstanden wurde. Er verkündet auch keine naive politische Theologie, nach der er sich für bestimmte Positionen einfach vereinnahmen ließe. Der Jesus unserer Heilungsgeschichte könnte am ehesten ein Arzt oder Therapeut sein. Ob das stimmt, darüber ist später noch nachzudenken.

Jesus heilt zehn aussätzige Menschen, es geht also um Gesundheit, um eine Gesundheitsgeschichte. Über 240 Milliarden Euro gibt die deutsche Gesellschaft jedes Jahr für ihr Gesundheitssystem aus, und schon diese Zahl macht aus der Gesundheit sofort eine politische Frage, aber ich will einen anderen Weg einschlagen.

Niemand würde soviel Geld für die Heilung von Krankheiten ausgeben, wenn ihm die eigene Gesundheit keine Frage wäre, die ihm alltäglich auf den Nägeln brennt. Und wenn es nur eine kleine Erkältung oder der tägliche Kopfschmerz ist - solche Schmerzen kommen jedem näher als alle Berliner und Brüsseler Politik, von der wir manchmal nur sehr schwer verstehen, weshalb sie für unser Leben von Bedeutung ist.

Krankheit aber kommt jedem sofort zu nahe. Und alle fragen sich deshalb: Wie kann ich mich gesund ernähren? Wie kann ich dafür sorgen, daß ich mich genügend bewege? Wie kann ich vermeiden, daß ich mich mit dem Virus der Schweinegrippe oder dem AIDS Erreger anstecke? Welche Behandlung wähle ich bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Arthritis?

Die Menschen, die Jesus geheilt hat, litten unter Aussatz, was wir in der Regel als Lepra bestimmen. Doch die Medizin im ersten Jahrhundert nach Christus war noch nicht so entwickelt und präzise entfaltet wie heute. Unter Aussatz verstand man deshalb damals eine ganze Reihe von Hautkrankheiten, zu denen unter anderem auch die Lepra zählte. Von der Lepra wissen wir heute, daß sie damals nicht zu heilen war, für andere der als Aussatz diagnostizierten Krankheiten galt das sehr wohl.

Zehn Kranke kommen also zu Jesus und bitten ihn - nicht um Heilung, sondern um Erbarmen. „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser." Die Kranken bitten um Erbarmen, wie das in jedem Gottesdienst im Ruf des Kyrie eleison geschieht. Die Kranken stehen also mit ihrem Ruf nach Erbarmen überhaupt nicht allein. Sie schließen sich den Psalmbetern und den Synagogen- und Tempelbesuchern an.

In der Kantate „Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe" (BWV 25) von Johann Sebastian Bach ist das so ausgedrückt: „Die ganze Welt ist nur ein Hospital,/ Wo Menschen von unzählbar großer Zahl/ Und auch die Kinder in der Wiegen/ An Krankheit hart darniederliegen./ (...) Wer stehet mir in meinem Elend bei?/ Wer ist mein Arzt, wer hilft mir wieder?" Bach führt dann im Rahmen der Theologie seiner Zeit alle Krankheiten von Lepra bis zum Tumor auf die eine große Krankheit des Menschen zurück. Diese eine große Krankheit sieht er in der Sünde, im Abfall des Menschen von Gott. Aber diese Verknüpfung von Sünde, Krankheit und Gott verstellt vielleicht auch den Blick auf andere Zusammenhänge.

Die an Aussatz erkrankten zehn Personen jedenfalls bitten um Erbarmen. Und nun ist das sehr Erstaunliche, daß Jesus diese zehn Personen gar nicht heilt. Weder legt er ihnen die Hände auf noch spricht er ihnen gegenüber Verzeihung und Vergebung aus. Stattdessen schickt er sie zum Tempel, damit dort die Priester über ihre Reinheit urteilen. Vom Aussatz befallene Menschen galten als unrein. Wer meinte, wieder gesund geworden zu sein, mußte sich das von einem Priester bescheinigen lassen.

Wem der Priester diesen Gesundungsprozeß bescheinigte, der brachte ein Opfer von zwei Vögeln, der mußte seine Haare scheren und seinen Körper gründlich reinigen und schließlich nach diesem Reinigungsprozeß ein Schuld- und Sündopfer bringen (Lev 14,1ff.). Lukas erzählt zwar nicht davon. Aber man kann getrost davon ausgehen, daß die neun geheilten Aussätzigen sich an diese Vorschriften gehalten haben. Daß einer von den zehn Geheilten später zu Jesus zurückkehrt, darauf komme ich gleich.

Leser sind geneigt, in solchen Geschichten Jesus als einen Wunderheiler zu sehen. Wie anderen berühmten Gestalten der Antike hat man ihm heilende und gesundmachende Kraft zugeschrieben, eigentlich gar nichts Besonderes.

Aber die Geschichte, die wir heute vor der Predigt gehört haben, macht nachdenklich. Denn Jesus erscheint den zehn kranken Aussätzigen weder als Arzt noch als Therapeut noch als Wunderheiler. Er sagt eigentlich gar nichts über die Diagnose, über die Krankengeschichte und über die Therapie. Denken Sie alle daran, wie gerne viele Menschen über all ihre größeren und kleineren Krankheiten sprechen und wie gerne viele von uns das hören. Lukas der Evangelist bleibt in diesem Fall ausgesprochen wortkarg. Und diese Kargheit steht in scharfem Kontrast zu der Freude, mit der viele Menschen geradezu zelebrierend über ihre Krankheiten sprechen. Das ist eine Heilungsgeschichte ohne Wunderheiler und eine Heilungsgeschichte ohne lange Falldarstellung.

Jesus empfiehlt eigentlich nur die in diesem Fall nach der hebräischen Bibel vorgeschriebene Prozedur: Geht zum Priester, laßt euch überprüfen. Wenn er feststellt, daß ihr rein seid, dann bringt bitte die vorgeschriebenen Opfer. Eigentlich ist das sehr erstaunlich. Die Krankheit, der Aussatz wird aus dem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Sie ist gar nicht das Wichtige.

Wenn die Krankenheilung aber nicht im Mittelpunkt steht, was oder wer steht dann im Mittelpunkt? Es ist anzunehmen, daß alle zehn Aussätzigen dem Ratschlag Jesu gefolgt sind. Sie wurden geheilt und ließen sich bei einem der Priester aus dem Tempel für rein erklären. Und nun geschieht das Besondere: Einer der geheilten Aussätzigen kehrt zu Jesus zurück.

Aus der Heilungsgeschichte, und aus der Geschichte eines befolgten Rituals wird nun eine Geschichte über Jesus von Nazareth. Der namenlose gesundete Rückkehrer gibt der Geschichte einen neuen Dreh, er schnürt die theologische Schleife, und so kommen am Anfang die Heilung und am Ende der rettende Glaube zusammen.

Der Geheilte wirft sich vor Jesus nieder und dankt ihm überschwenglich. Für die anderen Neun scheint Jesus nur so etwas wie ein Lotse gewesen zu sein, der ihnen den richtigen Weg zu Priester und Tempel empfahl. Der eine Geheilte, der Samariter, kehrt nun an den Anfang des richtigen Wegs zu seinem Lotsen zurück und dankt ihm.

Später hat man diesen Dank oft in einem antijudaistischen Sinn verstanden, etwa nach der Gleichung: Der EINE Samariter kehrt zu Jesus zurück und bedankt sich höflicherweise, während die übrigen NEUN jüdischen Geretteten das nicht für nötig halten. Doch das kann so nicht stimmen. Wahrscheinlich haben sich die anderen neun an die Dankesvorschriften im Tempel gehalten, nachdem der Priester sie für rein erklärt hatte.

Trotzdem ist es etwas Besonderes, wenn der Samariter zu Jesus zurückkehrt und sich bedankt. Der Samariter wirft sich sogar Jesus zu Füßen, und das bedeutet, es steht hier mehr als bloße Kinderhöflichkeit auf dem Spiel. Das ist nicht die pflichtschuldige Antwort auf die penetrante Nachfrage erwachsener Erzieher an dreijährige Kinder: Hast du dich denn schon bedankt für das schöne Stück Schokolade?

Nein, an diesem Wendepunkt der Geschichte leuchtet plötzlich eine ganz andere Erkenntnis auf. Am Anfang schien die Botschaft der Geschichte zu lauten: Fragen der Gesundheit stehen den Menschen viel näher als politische Fragen. Nun wandelt sich das, und die Botschaft heißt: Die Antwort auf Fragen der Gesundheit geben sich die Menschen nicht selbst, sondern diese Antwort gibt Gott. Was bedeutet das?

Wer sich krank fühlt, schlapp, müde, Schmerzen empfindet, der sucht nach einem Arzt. Wenn der Arzt nicht helfen kann, dann sucht man vielleicht weiter nach einem Heiler, nach einem spontanen Heilungsprozeß. Das war vielleicht das Motiv der zehn Aussätzigen, daß sie nach einem Wunderheiler gesucht haben. Aber das fällt doch sehr auf: Jesus ist kein Wunderheiler. Er legt nicht die Hände auf, er stellt sich nicht selbst als Wundertäter heraus, er schickt die Aussätzigen einfach zum Priester im Tempel.

Gott ist es, der den aussätzigen Kranken Heilung bringt. Der samaritanische Geheilte, der zu Jesus zurückkehrt, erhält als Letztes die Botschaft: „Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen." Daraus erhellt etwas, was über den Gegensatz von Heilung und Krankheit hinausgeht. Krankheit ist kein Anzeichen für die Nähe oder Entfernung Gottes. Es ist nicht so, daß der Gesunde von Gott geliebt wird, während der Kranke danach forschen muß, was er falsch gemacht hat - so als ob Krankheit ein Zeichen für Gottes Ferne wäre. Das Entscheidende ist auch nicht die Krankenheilung, denn sonst müßten alle unheilbar kranken Menschen in besonderer Weise die Ablehnung Gottes spüren.

Jesus verbreitet genau die umgekehrte Botschaft: Er zeigt seine Nähe und seine Liebe gerade zu den Menschen, die krank sind. Entscheidend geht es nicht um Krankheit oder Gesundheit, sondern um Glauben und Vertrauen. Egal ob Menschen sich gesund fühlen oder krank, es kommt auf das an, was der ehemalige Aussätzige aus Samaria verstanden hatte: Ich kann Gott vertrauen. Er führt mich und leitet mich. Ich kann getrost der Aufforderung Folge leisten: „Steh auf und geh." Ich verschlafe mein Leben nicht. Ich setze mich nicht zur Ruhe. Ich gehe mit ruhigen Schritten durch mein Leben und vertraue dem Gott, der mich und die ganze Schöpfung gemacht hat.

Glaube und Vertrauen an Gott tragen mich durchs Leben. Amen.



PD Dr. Wolfgang Vögele
http://www.Christuskirche-Karlsruhe.de
E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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