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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2009

Predigt zu Lukas 17:11-19, verfasst von J.-Stephan Lorenz

(Vorbemerkung: In der Gemeinde, in der diese Predigt gehalten wird, gibt es viele russlanddeutsche Familien, die unter dem Krieg und den stalinistischen Verfolgungen gelitten haben, bevor sie nach Deutschland umgesiedelt sind. Es gibt aber auch nicht wenige, die aus Familien stammen, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten fliehen mussten. Das Gedenken an den Tag des Kriegsanfangs vor 70 Jahren bringt viele Erinnerungen und deren Verarbeitung wieder ins Bewusstsein zurück.Weil das Evangelium Predigttext ist, wird die alttestamentliche Lesung gelesen.)

Liebe Gemeinde,

als Predigttext steht im Evangelium des Lukas. Dort lesen wir im 17. Kapitel (11-19)

Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, daß er durch Samarien und Galiläa hin zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.  Einer aber unter ihnen, als er sah, daß er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme  und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.  Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?  Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Diese Geschichte lese ich gerne. Sie entlastet. In der heutigen Zeit, wo auch in die Arbeit, die wir in der Kirche als Haupt-oder  Ehrenamtliche - tun, immer mehr Qualitätssicherung und Erfolgs- und Effektivitätsdenken einkehrt, scheint diese Geschichte wie ein Kontrapunkt. So effektiv war Jesus: 10 Menschen geheilt, nur einer kommt zurück! Supereffektiv! Ausgesprochen nachhaltig! Ich phantasiere: Jesus würde heute zu einem Personalentwicklungsgespräch eingeladen, an dessen Ende er vielleicht eine Vereinbarung unterschreiben müsste, diese Quote durch effektives personal management und Qualitätssicherung doch bitte etwas zu steigern.

Und mit die elf Leuten, seinen Jüngern,  mit denen er zusammengearbeitet hat, wären für jedes heutige Coachingunternehmen wahrscheinlich ein Albtraum, vermute ich.

Die Texte des heutigen Sonntages sprechen von einer anders verstandenen Qualität unseres Lebens und Tuns. Sie hören wir im Wochenspruch, dem 103. Psalm:

     „Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan    hat." (Psalm 103)

Hier geht es um das antwortend-erinnernde Lob des Menschen auf das gute, bewahrende Tun Gottes.

Ich denke, viele Menschen unter uns könnten ein solches Loblied anstimmen. Sie haben in ihrem Leben Erfahrungen von Bewahrung, Rettung und Heil gemacht, die sie mit Gott in Verbindung bringen.  Das kann die Erfahrung einer Ehe sein, in der bis ins hohe Alter alle Schwierigkeiten gemeistert und alles Glück geteilt werden konnte. Das kann die wunderbare Erfahrung der Heilung von einer schweren Krankheit sein, mit der man nicht mehr gerechnet hat; oder wenn jemand wieder eine Arbeit bekommen hat, die ihm nicht nur ein Lebensauskommen verschafft, sondern darüber hinaus ihm auch noch Befriedigung über die geleistete Tätigkeit verschafft. Das kann die Geburt von Enkelkindern sein oder das Bestehen einer Prüfung.

Wenn wir es bedenken, dann gibt es viele Situationen in unserem Leben, wo wir sagen könnten.

„Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat."

Was aber ist mit den Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben?

Oder mit denen, die eine traumatischen Lebenserfahrung machen mussten, die alle anderen Erfahrungen überschattet?

Einige hier in dieser Gemeinde ahnen vielleicht, worauf ich jetzt anspiele. In diesen Tagen vor 70 Jahren brach der zweite Weltkrieg aus, der für viele Millionen Menschen den Beginn eines unbeschreibbaren Leidensweges bedeutete.

Für die von Ihnen, deren Familien  von diesem Krieg in der Sowjetunion überrollt wurden, hieß das im August 1941: Innerhalb weniger Stunden mussten die Häuser geräumt werden, man wurde vor die Alternative gestellt, entweder Proviant für drei Tage oder die Bibel - viele wählten die Bibel; Familien wurden zerrissen, Zwangsarbeit bis zum Hungertod und eine rechtlose Stellung bis in die 80ger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein waren die Folge.

Manche unter Ihnen, deren Familien aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches kommen, ist ein ähnliches Schicksal bei der Vertreibung aus ihrer Heimat zuteil geworden.

Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es unter Ihnen verschiedene Formen gibt, aus diesem fürchterlichen Geschehen einen Sinn zu machen. Für einige von Ihnen ist die stalinistische Vertreibung wie eine Strafe Gottes für den Abfall und ein Leben ohne Gott. Das ist etwa so, wie manche alttestamentlichen Propheten das babylonische Exil des Volkes Israel verstehen. Wieder andere verstehen das Geschehen nicht als Strafe, aber als Lehre Gottes an die Menschen. Gott will uns lehren, nur ihm zu vertrauen und keinen Menschen. Andere fühlen sich einfach als Opfer eines blindwütigen, sinnlosen und rücksichtslosen Schicksals.

Und wieder andere hier könnten Geschichten von heute erzählen, in denen sie sich von Gott bestraft, verlassen oder einfach als Opfer wieder erkennen: da ist der Beruf verloren, oder die Gesundheit oder der Partner oder alles zusammen. Geschichten, wo sie aus der Welt gefallen sind oder sich in einer wieder fanden, die einem  plötzlich ganz fremd geworden ist.

Mit solch traumatischen Erfahrungen umzugehen ist sehr schwer. Und ich frage mich, ob es vielleicht noch andere Verstehensmöglichkeiten als die des blindwütigen Schicksal oder strafenden, erziehenden Gottes für solche Erlebnisse geben könnte.

Aber was könnte da sein?

Ich denke an eine andere Verstehensmöglichkeit, die ich bei dem Theologen Daniel Friedrich Schleiermacher gefunden habe. Seine persönliche traumatische Lebenserfahrung war es, dass sein kleiner Sohn, den er über alles liebte, plötzlich verstarb. Er hat die Beerdigung selber gehalten. Und in dieser Beerdigung er hat sein Schicksal, den Verlust seines Sohnes beklagt - aber dann hat er Gott an seine Verheißungen, die doch auch für ihn gelten, erinnert.

Dann bestände eine zusätzliche Möglichkeit mit traumatischen Lebenserfahrungen zu leben darin, Gott an seine Verheißungen zu erinnern, die er seinen Menschen gegeben hat und um die Erfüllung seines Segens zu bitten.

Wir haben eine solche Verheißung in der alttestamentliche Lesung des heutigen Sonntages:

Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

Auf diese Verheißung  können wir Menschen Gott offenbar ansprechen und ER hat sich in die Verantwortung nehmen lassen:  Ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe

Wenn Dietrich Bonhoeffer betet: „Gott, du erfüllst nicht alle meine Wünsche, aber alle deine Verheißungen", dann spricht er Gott auf sein Versprechen hin an. Dann hören wir in seinem Gebet sein unerschütterliches Vertrauen darauf, dass Gott auch tut, was er uns zusagt.

Bonhoeffers Vertrauen könnte doch auch zu unserem Vertrauen werden, wenn wir  traumatische Lebensereignisse verarbeiten müssen.

Freilich scheint es um eine bestimmte Haltung zu gehen, die sich im Psalm 146. mit folgenden Worten andeutet:

Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen. Denn des Menschen Geist muss davon, und  er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne.

Offenbar ist der Psalm der Meinung, dass das menschliche Machen für manche Lebensprobleme nur eine ungenügende Bewältigungsstrategie darstellt. Könnte es sein, dass das Machen und Managenwollen, das Kontrollieren und Qualifizieren oftmals nicht Ausdruck von Stärke, sondern von Schwäche ist?

Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Römer von einer menschlichen Schwäche, wenn er schreibt:

Genau aus diesem Grund dürfen wir nicht die menschliche Schwäche zum Maßstab unseres Handels machen. Denn sonst erwartet uns nur noch der Tod. Wenn ihr aber den Heiligen Geist zum Maßstab macht, und von allem, was für eure alte sterbliche Existenz wichtig war, Abschied nehmt, könnt ihr ewig leben.

Machen wir also nur effektives Managen zum Maßstab unseres Handelns, sagt der Apostel,  erwartet uns nichts Gutes.

Versuchen wir  den Heiligen Geist zum Maßstab unseres Handelns zumachen, - aber was heißt das?

Es scheint dabei auf die Haltung des Glaubens anzukommen. Der Heilige Geist wirkt und befördert den Glauben in uns, nur wie? In der russischen Sprache  und in der deutschen Sprache hat das Wort Glaube jeweils einen andern Bedeutungshintergrund.  Glauben heißt im deutschen Sprachgebrauch  in Anlehnung an das lateinische ‚Credere' etwas für wahr halten. In der russischen Sprache heißt Glaube ‚vera'(вера), und das meint Vertrauen haben. 

Es geht also um Vertrauen: das Vertrauen darin, dass Gottes Verheißungen auch für mich gelten und dass ich Gott auf seine Verheißung für mein Leben anspreche.

Und darüber, wie dieses Vertrauen Menschen verändern kann, ja auch traumatisierende Erlebnisse heilen kann, berichtet unser Predigttext. Dort sagt Jesus zu dem einen Rückkehrer :

Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen, im Sinne unserer bisherigen Überlegungen also sagt: Seht auf, dein Vertrauen in Gottes Verheißungen hat dir geholfen. Dieses unbedingte Vertrauen sehen wir auch am Anfang, als die Männer zu IHM kamen und sprachen:

Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! -  Und Jesus erbarmt sich ihrer und schickt sie zu den Priestern, die ihnen bescheinigen, dass sie vom Aussatz geheilt sind.

Könnte doch sein: Nicht die Macher und Manager werde es richten, sondern eher die, die mit Haltung des Vertrauens in Gottes ausstehende Verheißung ihr Leben führen.  Das Vertrauen in Gottes ausstehende Verheißung verändert unser Leben, so traumatische es auch sein mag. 

Wenn wir es wagen, Gott auf seine für uns ausstehende Verheißung hin anzusprechen, und wie dieser arme Aussätzige rufen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!, dann - so das Versprechen des Evangeliums an uns heute, dann werden wir erfahren, was vor uns schon sehr viele Menschen erfahren haben. Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen  und wir werden als von der Verheißung Veränderte unser Leben führen können. Wir werden beweglich, Lähmungen, Blindheiten, das Gefühl von Ausgesetzt Sein verändern sich.

Denn das ist der Wille Gottes auch für uns, die wir es kaum glauben mögen über alles, was uns an Schrecklichem passiert st im Leben, auch wir sollen einstimmen können in das Lob Gottes, welches wir am Anfang gehört haben:

     „Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan    hat."

Gottes Heiliger Geist befestige diese Wort in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf daß euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen



Pastor J.-Stephan Lorenz
Rinteln
E-Mail: stephan.lorenz@evlka.de

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