Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 20.09.2009

Predigt zu Matthäus 6:25-34, verfasst von Ruth Conrad

Jesus spricht: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

  

Menschen haben Sorgen.
Sorgen brauchen Grenzen.
Sorgen zu begrenzen heißt Sorgen zu unterscheiden.

Liebe Gemeinde,
1. Menschen haben Sorgen.

Wer sich darüber beklagt, dass er Sorgen hat, beklagt sich darüber, dass er ein Mensch ist. Pflanzen haben keine Sorgen: Seht die Lilien auf dem Felde an ... Tiere haben auch keine Sorgen: Seht die Vögel unter dem Himmel an...Tiere treffen zwar Vorsorge, aber Sorgen haben sie keine. Sie legen Vorräte für den Winter an, kümmern sich um ihren Nachwuchs. Aber dass sie das tun, hat nichts damit zu tun, dass sie sich Sorgen machen könnten. Das ist ein biologisches Programm.  Es läuft einfach ab.

Menschen aber haben Sorgen. Zum Menschsein gehört es, dass wir uns Sorgen machen. Weil wir Menschen nämlich eine Vorstellung von Zukunft haben.

Wir können uns vorstellen, wie und was Morgen sein könnte. Wir sind nicht gefangen im Hier und Heute. Sind keine Knechte des Augenblicks. In unserer Phantasie können wir uns vorstellen, wie es morgen oder übermorgen oder in zwei Jahren sein könnte.
Und dann gibt es schöne und heitere Dinge, die wir uns vorstellen können, aber eben auch Unabwägbarkeiten. Dinge, die uns ängstigen, bei denen wir nicht wissen, wie sie ausgehen werden, wie wir ihnen umgehen sollen.

Was passiert, wenn im nächsten Jahr die Kurzarbeit in der Firma ausläuft.  Gehöre ich dann zu denen, die entlassen werden? Oder wird meine Stelle verlagert und ich muss große Strecken zurücklegen? Vielleicht, hoffentlich bleibt aber auch einfach alles so wie es war?

Jetzt kommt das Kind auf die weiterführende Schule. Ob es sich wohl fühlen wird in der neuen Klasse? Kommt es mit dem hohen Aufwand zurecht? Kann unsere Familie den Druck auffangen und ausgleichen?

Menschen haben Sorgen, weil sie um den morgigen Tag wissen. „Menschsein ohne Sorgen" - das ist eine Illusion. Wer uns weis machen möchte, wir sollten uns nicht sorgen, sondern einfach leben, der verkennt eine Grundbedingung menschlichen Lebens. „Sorge dich nicht, lebe" - so funktioniert das Leben nicht. Auch nicht als Bestseller!

Sorgen sind menschlich.
Freilich - zu viele Sorgen sind unmenschlich.
Das wissen wir alle.
Und damit sind wir beim zweiten:

2. Sorgen brauchen Grenzen

Wer sich zu viele Sorgen macht, der lebt nur noch im Morgen. Er verkennt: das Leben findet Hier und Heute statt. Er verliert womöglich jeden Lebensmut für das, was jetzt, hier geboten ist.

Deshalb müssen Sorgen begrenzt werden. Und jeder von uns tut das auch, die einen mehr, die anderen weniger.
Einer möglichen Krankheit versuchen wir mit regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen vorzubeugen,
regelmäßige Fortbildungen sollen den Arbeitsplatz sichern helfen,
für den Fall eines schlimmen Unglücks schließen wir eine Versicherung ab und legen regelmäßig Geld zurück.
Auf das, was kommen könnte, versuchen wir uns einzustellen, indem wir vorsorgende Strategien entwickeln.
Es wäre gut, wenn die Frau wieder ein bisschen mitarbeiten könnte. Dann hinge man nicht so stark an dem einen Gehalt. Vorsorglich schickt sie die ersten Bewerbungen los.
Mit dem Kind besuchen wir die Schule, versuchen ihm zu erklären, was dort kommt und bemühen uns, Vorfreude und ein bisschen Stolz zu wecken. „Bald darfst Du Englisch, vielleicht Latein oder gar Französisch lernen". „Und guck mal, deine alte Freundin wird auch da sein. Ihr werdet sicher in die gleiche Klasse kommen". Und für uns selbst nehmen wir uns vielleicht vor: wir werden die Noten nicht mit denen der anderen Kinder vergleichen.

Weil Sorgen Grenzen brauchen, versuchen wir Menschen, ihnen Grenzen zu setzen. Aber manchmal müssen wir feststellen: Sorgen sind wie Katzen. Sie können sich dünn machen. Sie sind wendig. Sie ziehen den Bauch ein und schlüpfen durch die Ritzen unserer Grenz-Zäune. Sie schleichen sich auf leisen Pfoten von hinten an. Und gebären ständig Junge. Haben wir die einen in ihre Grenzen gewiesen, so stehen schon die nächsten da.

Die menschliche Fähigkeit sich Sorgen zu machen ist ungleich größer als die Fähigkeit, die Sorgen zu begrenzen. Und deshalb ist es gut, dass sich noch ein anderer Sorgen um uns macht.

 

3. Sorgen zu begrenzen heißt Sorgen zu unterscheiden.

Liebe Gemeinde,
Die Kunst, Sorgen zu begrenzen besteht in der Kunst, Sorgen zu unterscheiden. Jedenfalls sieht Jesus das so. Als er darauf zu sprechen kommt, dass Menschen sich Sorgen machen, erinnert er sie an die Pflanzen und Tiere, die sich eben keine Sorgen machen. Aber er sagt nun gerade nicht: Werdet wie die Lilien! Lebt endlich wie die Vögel - ganz ohne Sorgen. Weil klar ist: das geht nicht! Das Evangelium ist nicht einfältig.
Vielmehr sagt Jesus: Schaut sie euch einmal an, die Lilien, das Gras, die Vögel. Wenn ihr sie genau beobachtet, versteht ihr etwas Wesentliches vom Leben. Sie machen sich nämlich nicht unendlich Mühe mit ihrem Leben. Sie säen nicht, sie arbeiten nicht, entfalten keine wilde Betriebsamkeit, dieses ganze Gewese ist ihnen fremd - aber - sie leben doch!
Bei den Lilien, an den Vögeln, dort könnt ihr sehen: Die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind unverfügbar. Der Rahmen ist gesetzt.
Dass wir überhaupt leben - es ist unserer Sorge entzogen. Es ist ein Geschenk.
Wenn wir jeden Tag aufstehen können, mehr oder weniger gesund - es ist weitgehend unserer Sorge entzogen. Ein anderer kümmert sich.
Die Welt, in der wir uns tagtäglich vorfinden, die unser Raum zum Leben ist und uns mit Gutem versorgt - sie ist Werk Gottes.

Oder - mit den Worten Paul Gerhardts:

Was sind wir doch? Was haben wir /
auf dieser ganzen Erd, /
das uns, o Vater, nicht von dir /
allein gegeben werd?(EG 324,3)

Wenn Jesus unseren Blick auf die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels lenkt, dann lenkt er unseren Blick auf die vielen Dinge unseres Lebens, die uns immer schon geschenkt sind. Und um die wir uns nicht sorgen brauchen und um die wir uns auch gar nicht sorgen können. Weil wir sind nicht in der Hand haben. „Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft".

Es gibt also offensichtlich zweierlei Sorgen:
Sorgen, die allein der Fürsorge Gottes anheimgestellt sind. Es sind die Grundvollzüge unseres Lebens. Der große Rahmen. Hier kümmert sich Gott. Und er übersieht dabei Keinen und nicht das Kleinste und auch nicht das Allerkümmerlichste.
Und daneben gibt es Sorgen, die gehören zu unserem Alltag. Sie sind die Bedingungen unseres Lebens.
Die Kunst, das eine vom anderen zu unterscheiden, ist die Kunst Sorgen zu begrenzen. Denn dann werden die Größenverhältnisse zu Recht gerückt. Unsere Sorgen werden nicht völlig zum Verschwinden gebracht, aber sie werden auf diejenige Größe zurückgeführt, die ihnen zu kommt.

Großes wird groß und Kleines wird klein, weil für den guten Hintergrund unseres Lebens immer schon gesorgt wird.
Deshalb müssen wir die Sorgen unseres Alltags nicht gefährlicher nehmen als sie sind. Wir sollten sie aber auch nicht in frömmelnder Euphorie einfach weg reden, denn - nicht wahr - zuweilen gibt es eben doch große und schlimme Lebenssorgen.

Sorgen zu begrenzen heißt: im Namen Gottes Sorgen zu unterscheiden. Dann können wir uns in Gelassenheit und mit Augenmaß um das kümmern, was unserer Sorge anvertraut ist. Und alles andere wollen wir getrost Gottes Sorge sein lassen, denn: Unser himmlischer Vater weiß, wessen wir bedürfen.

Amen

Für Anregungen danke ich Pfarrer Dr. Martin Weeber, Eckenweiler.



Dr. Ruth Conrad
Kirchliche Ass. Praktische Theologie, Tübingen
E-Mail: Ruth.conrad@uni-tuebingen.de

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