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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 20.09.2009

Predigt zu Matthäus 6:24-34, verfasst von Erik Fonsbøl

Was geschähe, wenn wir Jesus beim Wort nähmen?

             Was würde z.B. passieren, wenn wir nicht mehr für Essen und Kleidung und unseren Lebensunterhalt sorgen würden, so wie er es im heutigen Text sagt?

             Ja, das würde also bedeuten, dass man einen im Übrigen sehr wichtigen Aspekt in seinem Leben aufgäbe - etwas von dem, was am meisten Platz einnimmt - so viel Platz, dass es bei vielen Menschen der eigentliche Sinn des Daseins zu sein scheint: sich den Unterhalt zu sichern, so dass man sich Nahrung und Kleidung verschaffen kann - mit allem, was dazugehört, und heutzutage sind wir ja in dieser Beziehung nicht gerade besonders anspruchslos. Wir wollen uns richtig kleiden und gut essen. Wir wollen das Dasein genießen, wie wir sagen, und wenn wir es können, finden wir auch, dass es ein Menschenrecht ist. Die Anspruchslosigkeit und Sparsamkeit unserer Ahnen passt wohl auch nicht so recht zu unserem Modell von moderner Gesellschaft, in dem Konsumsteigerung und materielles Wachstum wesentliche Begriffe sind. Dafür können wir dann auch Ablass erreichen, indem wir etwas mehr für die Armen in der Welt ausgeben - und das ist ja eine unserer Stärken.

             Wir denken also eigentlich nicht an unseren Verbrauch als ein Problem. Wir verbrauchen einfach und leben wohl eigentlich nur wie alle anderen und stützen damit auch unsere Verbrauchergesellschaft. Wo kämen wir in unserer Gesellschaft hin, wenn niemand mehr kaufen würde? Stellt euch auch nur eínen Tag ohne Kauf und Verkauf vor - ohne Arbeit - ohne Verbrauch...

             Und hier denke ich an Albert Schweizer, der einmal zu einer feinen Konferenz nach Berlin eingeladen war. Er war zu dieser Zeit weltberühmt als Forscher und Humanist und Arzt und hoch dekoriert, und man erwartete ihn am Bahnhof mit allen Ehrenbezeigungen - selbstverständlich an den Wagen der ersten Klasse, aber man fand ihn schließlich in der drtten.

             "Aber Herr Doktor Schweizer, warum in aller Welt reisen Sie dritter Klasse?"

             "Weil es keine vierte gab!"

             Und ich denke an andere seltene Menschen, die auf das normale Verbrauchsmuster mehr oder weniger verzichteten. Die wahnwitzigen Mönche z.B., die sich völlig aus der Welt - aus der Gesellschaft zurückzogen und sich auf einer felsigen Insel weit draußen im Atlantik ansiedelten, um ein unendlich bescheidenes und arbeitsames Leben zu führen.

             Und ich denke an meine eigene befreiende Freude daran, hin und wieder dieses Leben ohne Streben nach mehr Konsum auszuprobieren - ohne das Streben nach etwas anderem als vielleicht dem Wunsch, zu etwas Ursprünglichem zurückzukehren. Selbstverständlich nur auf Ferienbasis und immer mit Krankenversicherung und Kreditkarte in der Gesäßtasche.

             Vielleicht ist es dieser Übersättigung an Wohlergehen und an unaufhörlichem Verbrauch, für die wir so hart arbeiten, die dann hin und wieder über uns kommen und uns veranlassen kann, auf Pilgerfahrt zu gehen oder Ferien in den allerprimitivsten Formen zu machen - um uns mit der Natur zu vereinen oder mit Gott oder mit etwas, was wir irgendwie vermissen. Wohlergehen, Verbrauch, Haus mit Aussicht, Auto mit GPS, Arbeit, Markenartikel und teurer Rotwein reichen nicht hin - da ist etwas anderes, das wir mitten in unserem Wohlstand - mitten in unserem Reichtum vermissen. Unser normales Leben kann uns gelegentlich wie das Leben von Sklaven vorkommen.

             Irgendwie hören wir also wohl auch auf Jesus, wenn er sagt: Vergesst es, vergesst all das, wofür ihr so hart arbeitet und worauf ihr euer Leben verwendet. Das alles ist unwichtig. Etwas anderes ist wichtig für's Leben.

             Und dann rückt er heraus mit diesem anderen: Trachtet vor allem nach dem Reich Gottes - dann kommt alles andere von selbst. Und was ist nun das Reich Gottes?

             Ja, das ist das, wozu wir hier in der Kirche die Kinder taufen - es ist das, worum wir uns beim Abendmahl versammeln - es ist das, wozu wir hierher kommen, um davon zu hören - hierher kommen mit unserem Verlangen nach Substanz in unserem leeren und furchtsamen oberflächlichen Leben, das wir je nach Kräften unter den Bedingungen, unter denen wir leben, auszufüllen suchen - mit viel Stress und vielleicht sogar mit zunehmender Hektik, wie die Zeit vergeht und die Leere zunimmt. Wir sollten doch jetzt glücklich sein - wir haben doch alles. Aber warum sind wir dann nicht glücklich? Nicht wirklich glücklich?

             Das Reich Gottes ist für mich ein neues Verhältnis zum Leben. Es ist eine innere Revolution im Verhältnis zu mir selbst und im Verhältnis zu meinen Mitmenschen und zu meiner Gesellschaft. Die Evangelien verwenden oft die Bezeichnung Wiedergeburt - wie die Taufe sie widerspiegelt. Eine Wiedergeburt zu einem neuen Leben, wo die Schlüsselworte Freiheit und Liebe sind - und vielleicht in erster Linie die Fähigkeit und der Mut, man selbst zu sein. Also, wenn nötig, gegen den Strom zu schwimmen wagen. Und z.B. völlig glücklich zu leben ohne irgendwelche Konsumgüter. Sich vollkommen glücklich von anderen abhängig zu machen, von der Freigebigkeit und Gastfreiheit anderer - ohne selbst auch nur einen einzigen Euro zu besitzen. Ohne selbst dafür anderes zu bieten als unsere Teilnahme mit dem Reichtum, den wir in uns haben.

             So lebte Jesus in Wirklichkeit selbst, wie die Evangelien berichten - und so, wie er seine Jünger aufforderte zu leben. Vielleicht weil menschliches Zusammensein für ihn das Allerwichtigste im Leben war - menschliches Zusammensein ohne Unterschiede zu machen - eine fantastisch offene Gemeinschaft der Mahlzeit, die wir mit unserem Abendmahl nachzuahmen versuchen, wo wir die Leute ja auch nicht sortieren oder Unterschiede machen können.

             Und das ist vielleicht auch das Geheimnis, von dem wir bei der Taufe hörten: Wenn ihr nicht wie die Kinder werdet, werdet ihr nicht in das Reich Gottes kommen. Also, wenn es für euch lebenswichtig ist, alles selbst zu können - so selbstsändig, so selbstsicher zu sein, dass ihr nie von anderen Menschen abhängig werdet, dann entgeht euch das Eigentliche am Leben.

             Und ihr könnt wohl merken, dass wir uns jetzt auf einem Gebiet befinden, das der normalen Haltung völlig entgegengesetzt ist, so wie sie die meisten Menschen zur Zeit Jesu und heute zu sich selbst und zur Gesellschaft gepflegt haben und pflegen. Da ist es ja gerade ein Ideal, selbständig zu sein - selbst und allein zurechtzukommen - jemand sein zu können, der etwas für die Gesamtheit tut. Und wir stimmen doch einer Regierung zu, die die Leute in Arbeit bringen will und deshalb das Arbeitslosengeld unter des Existenzminimum herabsetzt, damit die Faulen lernen können, dass sie etwas für die Gesellschaft leisten müssen.

             Hier in der Kirche verkünden wir also etwas anderes - etwas, was dem gesamten normalen Gesellschaftsdenken und allen normalen menschlichen Idealen zu widersprechen scheint. Du sollst nicht ununterbrochen daran denken, etwas zu leisten, sondern daran denken, zu genießen - du sollst nicht danach streben, selbständig zu sein, sondern du sollst dich bemühen, dich von anderen abhängig zu machen. Du sollst nicht nach allem Möglichen streben - Status und Reichtum, Macht und Einfluss, sondern nach menschlichem Zusammensein.

             Das ist der eigentliche Reichtum, der niemals rostet. Das Reich Gottes ist da, wo sich Menschen versammeln - und was hülfe es dir, die ganze Welt zu gewinnen, wenn du dafür mit Einsamkeit bezahlen müsstest?

             Es ist schwer - selbstverständlich ist es schwer - und ich ahne nicht, ob es mir jemals gelingen wird, nach den Worten Jesu zu leben - Jesus beim Wort zu nehmen. Im Ernst.

             Es war einmal ein reicher Mann, der Jesus nach dem Zugang zum Reich Gottes fragte, und er erhielt die Antwort: Geh hin und verkaufe alles, was du hast, und verschenke das Geld, und dann komm und folge mir. Der reiche Jüngling musste traurig weggehen. Denn er war sehr reich, und hier wurde zu viel von ihm verlangt.

             Und so geht es auch mir selbst, abgesehen von dem Reichtum, aber vielleicht können wir nur hin und wieder einmal in kurzen Augenblicken anders handeln als erwartet - gegen den Strom schwimmen, so dass wir nicht nur von dem anderen Leben hören, sondern es auch selbst ausprobieren - das Reich Gottes hier mitten unter uns erleben - nur hin und wieder. Vielleicht bei unseren Gottesdiensten - vielleicht ganz woanders.

             Ich vernachlässige oft meine eigenen Ideale und verrate meine eigenen Wahrheiten - mein eigenes Leben - und ich müsste es doch wissen. Aber dann weiß ich auch, dass das Leben eine besondere Vorliebe für uns hat, die wir versagen - für uns mit unseren hohen Idealen und den leeren Worten und all dem, was nie zu etwas wurde. Genau wie es Jesus ging, als er eben gegen den Strom in der Gesellschaft schwamm und sein Leben und alles, was er hatte, mit armen und elenden Sündern teilte, die ihr Leben in keiner Weise im Griff hatten - mit den Gescheiterten, die rettungslos durchfielen, die aber durch die Begegnung mit Jesus ihr gescheitertes Leben in einem völlig neuen und fantastischen Licht sahen - so nah am Reich Gottes. Sie sahen und erlebten zum ersten Mal, wer sie in Wirklichkeit waren. Sie glaubten, sie waren verworfen - in die Finsternis hinausgeworfen - und dann war es das Reich Gottes, in das sie gekommen waren. Auserwählte, geliebte und heilige Menschen.

             Und da waren es nicht zu große Worte für sie, wenn sie behaupteten, dass sie in dem Menschen Jesus von Nazareth Gott gesehen hatten.

             Strebe zuerst nach dem Reich Gottes! Und jetzt erhältst du einen Wink - eine kleine Hilfe - wie in einem Computerspiel, wo man festgefahren ist: den Wink findest du dort, wo du es am allerwenigsten erwartest.

Amen



Propst Erik Fonsbøl
Nørre Åby (Dänemark)
E-Mail: ebf(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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