Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 20.09.2009

Predigt zu Matthäus 6:25-34, verfasst von Jörg Coburger

25) Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet, ist nicht euer

Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

26) Seht an die Vögel unter dem Himmel: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?

27) Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

28) Und warum sorgt ihr euch um eure Kleidung? Schaut an die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.

29) Ich sage euch, dass auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist, wie eine von ihnen.

30) Wenn nun Gott das Gras auf dem Felde so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?

31) Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?

32) Nach all dem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.

33) Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

34) Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

 

Liebe Gemeinde,

wir sind durch soziale Unterschiede nicht in der derselben Ausgangslage.

Was bei Matthäus den Satten gesagt ist, ist auch denen gesagt, die im Mangel leben. Dieses Evangelium wird also in verschiedener Situation sehr unter-schiedlich gehört werden. Zum Beispiel von der Mutter mit vier Kindern, die vor wenigen Monaten ihren 42jährigen Mann nach einer Krebserkrankung verlor, wird das Wort vom Sorgenmachen anders gehört als jemand, der es sich aus gesicherter Stellung entschließen darf und kann, etwas mehr Unwägbarkeiten und Unsicherheiten bei einem Karriereschritt in Kauf zu nehmen, sich gar ein halbes Jahr Auszeit nehmen kann, um wieder zu sich selbst zu finden. Für den einen kann das „Sorgt euch nicht" fast bitter oder naiv klingen, für andere wiederum abenteuerlich herausfordernd. Hier lauern einige Klischees. Hören wir Jesus oberflächlich, muss diese Botschaft „Sorgt euch nicht" zu Hohn und Spott werden. Gott aber macht nicht unsere Hausaufgaben.

Ein Sorgenmotiv ist oft das Empfinden, den praktischen Forderungen des Alltags nicht mehr gewachsen zu sein. Wer ist aber eigentlich der sorgende Mmensch? Ist es der ökonomische Mensch, der robuste Zahlentyp und homo faber? Oder vielleicht doch der Sensible, eine Art homo ludens und gerade der an sich auf Ideelles, ja Geistliches orientierte Mensch, der aus dem Gefühl heraus, mit den praktischen Anforderungen nicht oder nur schwer zurechtzukommen, eine für ihn unbewusste und paradoxe Erwerbssucht entfaltet? Und da ist ja noch der sog. Mittelstand. Ja, ich weiß schon, bürgerlich sind in Deutschland immer nur die anderen und alle sind letztlich doch irgendwie ein Stück weit alternativ und unangepasst. Allesamt aber schlummert in uns die Angst, zu kurz zu kommen.

Jesus teilt seine Zuhörer nicht in soziale Klassen ein, gar mit sozialen Klischees von den Reichen und den Armen in verschiedene Zuhörerschaft. Es hat in den vergangenen Jahren zum Teil bedenkliche Töne aus Theologie und Kirche in Richtung Arbeitgeber gegeben. Allzu schnell und leichtfertig wurden da Arbeitgeber unter den Generalverdacht der Unfairnis, Gewinnsucht, Gier Ausbeutung gestellt. Schließlich sind Bedürftigkeit und Sorge bei Reichen und Armen sehr verschieden. Wir klagen auf sehr unterschiedlich hohem Niveau.

Die einen wegen der Zinsen und Rendite, die anderen können überhaupt keine Rücklagen bilden und sorgen sich wegen der Schulspeisung für ihre Kinder. Sorgen und Ängste haben durchweg alle. Mit Interesse sah ich vor einiger Zeit eine Dokumentation über Lotto-Millionäre und deren schweren, steinigen Weg nach dem großen Gewinn.

Jesus legt eine Reihenfolge fest. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles, was eben in den Abschnitten vorher zugesagt war, euch zufallen. Wir aber verwechseln oft die Lebensmittel mit der Lebensmitte und leben so, als seien die Lebensmittel schon die ganze Lebensmitte. Die Lebensmitte ist allein Gott und die Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes. Dem täglich Brot aber, um das wir im Vater Unser ausdrücklich zu bitten bevollmächtig sind, ist jener Rang und Platz zugewiesen, der ihm gebührt; nicht weniger und nicht mehr. Im Wort vom Mammon in den Versen vor dem Predigttext hatte Jesus darüber gesprochen.

Jesus erweist sich als guter Seelsorger, indem er den verzettelten Blick und die Übersorge, die allzu kleinliche Wahrnehmung wieder auf größere Zusammen-hänge lenkt. Sorge ist ihm keine selbstständige Macht, sie ist immer Für- Sorge. Welche Sorge ist berechtigt? Was weißt er zurück? Wann beginnen wir uns, zu zersorgen? Wann wird aus der Sorge die Gier? Es gibt die kummervolle Sorge, die egoistische und die altruistische Sorge, die hysterische, die hektische, die vom Eigentlichen ablenken will ( Lukas 10,38ff ), die risikoscheue, sichergehen, indem wir alles im Entferntesten Vorfeld einer Gefahr enthalten wollen

( Mt.16,25 ); die vorwurfsvolle, der Eltern an ihr Kind: „Das haben wir schließlich alles nur für dich getan, wir wollen nur dein Bestes" Oder es gibt die vorwurfsvolle Sorge: „Das habe ich schließlich alles nur wegen dir/für dich gemacht"

Gestattet mir, kurz eine Erfahrung aus dem Leben unserer Familie einzufügen. Als ich noch in der DDR-Zeit ordiniert wurde, hatten wir wenig Geld. Wir haben nicht gehungert und wir hatten vor allem uns und die Gemeindefamilie. Das machte uns reich. Einmal im Jahr bekamen wir Hilfe aus dem Westen, es war immer wie ein richtiges Fest, weil das Sorgenthermometer etwas entlastend nach unten sank. Dann kam nach 1990 die D-Mark und, zunächst ohne es zu merken, kreisten die Gedanken ständig um neue, schöne andere Themen. Wir hatten alle nicht den Mut, eine arme Kirche zu sein. Nur, wann ist man freier? Doch offenbar alle, die viel, weniger oder fast nichts haben. Besitzlosigkeit oder Bescheidenheit sind kein Garant für Freiheit. Das neue und vor allem deutlich mehr Geld tat uns gut. Wir haben es dankbar genossen. Tat uns gut? Ich zögere. Es hat uns auch im wahrsten Sinne des Wortes fasziniert, beschäftigt und gefangen. Wir begannen kaum spürbar und langsam, uns zu sorgen. Geld und Wohlstand können trunken machen, ablenken, binden und ketten, bitterböse machen, wie der Mangel auch. Wir mussten es neu lernen: Die Lebensmittel sind nicht die Lebensmitte.

Jesus will uns nicht in solchen falschen Bindungen, weil es uns als Geschöpfe entwürdigt. So, wie die Geschichte vom Turmbau in Babel in der Pfingstgeschichte Apg.2 einen guten Gegenpol hat, so mag die Vertreibung aus dem Paradies Gn.3 hier in Mt.6 einen biblischen frohen Gegenpol haben. Jesu Wort von der Geborgenheit unter Gottes Fürsorge hebt gleichsam ein Stück der Vertreibung aus Gottes Garten auf. Sorge und Überfluss, Sattheit und Mangel können allesamt hysterisch machen. Die Übergänge sind fein, kurz und fließend: Von der Fürsorge, die ja ein Ausdruck von engagierter Liebe ist, hin zur Angstsorge, zu diesem Sich- Zersorgen. Die Angst frisst die Seele auf.

In diesem Abschnitt steckt auch die fröhliche Zumutung des 1. Gebotes drin.

Woran bist du gebunden? Und was kettet dich sogar? Welche Ideen, Prinzipien, Aufgaben beherrschen dich? Woran bindest du dich? Wann wird aus den guten Gaben ein Götze? Wann kommen mit der Sorge auch die Gespenster, die Schlaflosigkeit, die Alpträume, die bösen Geister? Und schließlich können wir uns auch mit der Sorge um alles Mögliche ablenken. So gesehen wäre das Gegenteil dieses Sorgengeistes die Konzentration. Lenken wir uns als Kirche Jesu Christi gerade ab? Womit? Wir machen viel, sehr viel. Tun wir, was wir sollen? Sind wir noch am Reich Gottes dran? Die Worte Jesu scheinen in ihrer Art so undifferenziert, geradezu schwarz und weiß, so schroff und naiv, fordern Widerspruch und machen uns alsbald etwas stiller zum Hinhören. „Gott über alle Dinge" wie es bei Martin Luther zum 1. Gebot heißt. Manchem ist das zu fromm und zu unaufgeklärt. Wir müssen unser Leben planen und in die Hand nehmen. Das Leben sei hart, nichts bekomme man geschenkt, alles habe man sich hart zu erarbeiten. Allein, es stimmt nicht, Gott sei` s gedankt, bekommen wir alles Entscheidende geschenkt. Es ist und bleibt entscheidend, wer die Worte von dem Nichtsorgen zu uns sagt. Das kann und darf nur Jesus Christus selbst. Allein in seiner Person besteht Recht und Vollmacht, dies zu sagen.

Trachtet zuerst...! Was ist wichtig? Was ist weniger wichtig und was ganz und gar nichtig und sinnlos? Nicht ob Bindungen oder nicht Bindung sein soll, sondern Freiheit in Bindung ist der Zielpunkt. Bindung an das Reich Gottes, dessen Ziele und seine Gerechtigkeit. Von da aus ordnen sich die oft verdrehten Wichtigkeiten neu. Letztlich meint Jesus einen Herrschaftswechsel. Geld ist ein guter Diener, aber nur ein schlechter Herr. Viele Sorgen gibt es und keiner soll sagen, sie hätten keinen Grund. Der ständige Kampf um die Planstellen und dann deren Besetzung, die Sorge um Geld und Gebäude, die schwächer gewordene Verbindung von Gemeinde und Diakonie. Oder: Strukturen und Strukturreformen sind nötig, seit 1989 scheinen wir vorrangig mit unserer kirchlichen Selbstorganisation beschäftigt zu sein.

Die besonnene, gelassene Aktivität und Sorge für das Reich Gottes befreit von Angst, aber nicht vom Sorgen um die Sache. Sie ändert die Blickrichtung. Sie macht gelassener. An die Stelle der Sorge um mich tritt die Sorge um das andere, das größer ist als ich selbst. Reich Gottes. Im Loslassen werden neue Gewichtungen festgelegt. Diese Selbstlosigkeit ist keine entfremdende Macht, weil nun neue und ganz andere besorgniserregende Dinge in meinem Leben wichtig und werden, aufrüttelnd, den Blick auf aktuelle heillosen Zuständen lenkend, mit denen wir uns nicht zufrieden geben können. Wohlfahrt, so ein nicht ganz gebräuchliches Wort, unsere Wohlfahrt hat Christus im Blick, nicht den Mangel und die Angst.

Wir sind frei zu neuen Aufgaben. Lasst uns von Herzen neue Fehler machen. Dabei gilt gelassen zu hören und zu ordnen, was nach Meinung mancher Zeitgenossen „die Kirche alles mal machen sollte". Bei weitem nicht alles, aber eine Menge davon bleibt berechtigte Anfrage. Die Wohlfahrt aller im Lande. Die soziale und geistliche Not ist in den vergangenen Jahren größer geworden.

Predigtlied EG 254 ( 2.Melodie ist leichter singbar und deshalb auch bekannter



Pastor Jörg Coburger
Freiberg
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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