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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 20.09.2009

Predigt zu Matthäus 6:25-34 /Nach dem Anschlag in Ansbach, verfasst von Ulrich Nembach

Kontrastprogramm

 

Liebe Gemeinde,

 

I.

wie ist das möglich, dass ein Schüler in seine Schule geht, 2 Molotow-Cocktails wirft und anschließend mit einer Axt eine Schülerin schwer verletzt? Wie ist das möglich?!

Wie ist es möglich, dass zwei junge Männer einen Mann auf einem Bahnhof erschlagen?

So fragen wir uns entsetzt und wissen keine Antwort. Experten werden befragt und sagen dies oder das, aber befriedigende Antworten sind das nicht. Die Antworten mögen einiges Richtige enthalten, aber richtige Antworten sehen anders aus.

Wir sind ratlos. Noch ratloser werden wir, wenn wir uns weiter umschauen. Banker haben uns alle schwer geschädigt. Nun machen sie schon wieder weiter wie bisher. Ja, die englische Regierung bremst, wenn es darum geht, Banker zu kontrollieren, ihre Boni zu beschneiden - ihnen auch nur etwas wegzunehmen!

Was soll das? Wo leben wir?

 

II.

Da, in dieser Situation kommt unser Predigttext. Er ist ein Kontrastprogramm, ja, das Kontrastprogramm. Hören Sie selbst: Matthäus 6: Jesus sagt:

 

25. Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

 26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?

 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.

 29 Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.

 30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?

 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?

 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all dessen bedürft.

 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

 

Das ist ein, ja das Kontrastprogramm zu unserem Alltag. Dabei habe ich von Hartz IV, Arbeitslosigkeit usw. noch gar nicht gesprochen.

Ich gestehe, dass ich nicht gewagt hätte, diesen Text zu predigen, wenn er uns nicht für diesen Sonntag vorgeschlagen, schon seit Jahren vorgeschlagen wäre. Ich gestehe auch, dass ich mich fragte, ob ich wirklich diesen Text predigen darf. Wir brauchen Trost, Hilfe. Ist dieser Text eine Hilfe?! Im Alten Testament ruft Gott selbst auf, Jesaja 40:

 

Tröstet, tröstet mein Volk!

 

Das kann ich - und wohl auch Sie, liebe Gemeinde - verstehen. Dann entschloss ich mich doch beim vorgeschlagenen Text zu bleiben. Warum? Der Anfang der Bibel, des Alten Testaments fiel mir ein. Dort fragt Gott Kain, 1. Mose 4,9:

 

Wo ist dein Bruder Abel?

 

Kain hatte seinen Bruder erschlagen. Unsere Welt ist keine heile Welt. Wir hätten sie gern so. Wir arbeiten daran. Wir wollen Spaß haben. Später kommen dann die 10 Gebote im Alten Testament. Wir brauchen sie. Wir müssen hören:

Du sollst nicht töten. Du sollst nicht begehren....

Aber wir tun das nicht.

Wir haben die Polizei geschaffen. Sie griff schnell in Ansbach ein, sonst wäre noch mehr passiert. In München kam sie zu spät, aber noch früh genug, um die Täter zu verhaften.

Wir brauchen noch mehr Polizei. Aber löst sie das Problem in seinem Kern oder nur Symptome, einzelne Erscheinungen des Problems?

Mir fiel ein - entschuldigen Sie bitte, dass ich immer wieder von mir spreche, aber ich ringe auch mit dem Problem. Ferner will ich Ihnen nicht mein Ringen als der Weisheit letzten Schluss anbieten. Ich bitte Sie vielmehr, mit mir nachzudenken - die Frage: Wie war das früher? Generationen von Schülerinnen und Schüler gingen in die Schulen. Schülerinnen und Schüler hatten damals Probleme wie die Mädchen und Jungen heute. Es gab größere Schüler, die kleinere ärgerten. Es gab gute und weniger freundliche Lehrer. Warum schossen diese Schüler nicht? Hatten wir genug vom Krieg und seinen Folgen? 1945 lagen überall in Deutschland Gewehre, Maschinenpistolen, Handgranaten usw. usw. herum. Kinder spielten damit. Jungen schossen. Aber auf Menschen schossen wir nicht. Hatten wir genug vom Morden? Wir wussten alle, die Großen und die Kleinen, was es heißt, auf Menschen zu schießen.

 

Kain, wo ist dein Bruder Abel?

 

Ja, wir leben in keiner heilen Welt, aber wir können lernen. Gott hilft uns dabei, indem er kritisch fragt, indem er uns Gebote gibt.

Dieser Lernvorgang ist nicht immer leicht. Wir vergessen auch immer wieder das Gelernte. Als der Tsunami so viele Menschen ins Meer riss, begriffen wir, dass wir auf einer dünnen Erdkruste schwimmen. Unser Land ist nicht fest. Es schwimmt. Inzwischen haben wir das weitgehend vergessen. Der Krieg ist vergessen. Nur wir Älteren erinnern uns daran.

Wir brauchen Lernhilfen, Nachhilfeunterricht. Eine solche Nachhilfestunde ist unser Text. Er erinnert uns an unsere Sorgen und sagt uns, wie wir mit unseren Sorgen umgehen sollen. Sorgt euch nicht! Und gleich wird der Text sehr konkret: „Sorgt nicht um euer Leben."

Sorgt euch nicht um euer Leben!  Es sollen sich Eltern keine Sorgen um ihre Kinder machen beispielsweise, wenn sie in die Schule gehen. Wirklich, sollen sie sich keine Sorgen machen? Das haben die Eltern in Ansbach getan. Das haben auch die Eltern jenes kleinen Mädchens getan, das dann in einen Gully geworfen wurde. Das haben auch die Sicherheitsbehörden getan. Und sie taten mehr. Die ersten Polizisten waren schnell vor Ort und stoppten den Täter, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte.

Macht es sich Jesus nicht zu leicht und mit ihm die Kirche, wenn sie aufrufen:

„Sorgt nicht um euer Leben."

Ich komme noch einmal auf Kain und Gottes Frage an ihn zurück:

„Kain, wo ist dein Bruder Abel?"

Also, wie schon gesagt, wir leben in keiner heilen Welt. Wir sollen und können Gott vertrauen. Er kennt unsere Nöte. Er ist aber keine Versicherung für eine Spaßgesellschaft. Gleich auf den ersten Seiten der Bibel steht die Frage Gottes an Kain. Die Bibel lässt uns nicht im Unklaren über unsere Situation. Und die Bibel hilft uns, nicht an dieser, unserer Situation zu verzweifeln.

 „Sorgt nicht um euer Leben," meint: vertraut Gott. Allerdings ist Gott keine Versicherung für eine Spaßgesellschaft. Gott lässt Menschen handeln. Er macht Menschen nicht zu Puppen, die er an Strippen wie ein Puppenspieler zieht. Aber diese Freiheit verlangt Verantwortung. Gott fragt kritisch nach:

 „Kain, wo ist dein Bruder Abel", und Kain versteht Gott so. Er versucht eine Ausrede. Er gebraucht eine „Schutzbehauptung", wie Strafrechtler sagen. Eltern geben Kindern den Autoschlüssel, lassen sie mit dem Familienauto fahren, wenn die Kinder volljährig sind und den Führerschein haben. Und Eltern fragen nach, wenn die Tochter, der Sohn mit einem eingebeulten Kotflügel nach Hause kommt. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen.

III.

Gott geht hier allerdings einen Schritt weiter als Eltern, die ihre Kinder das Familienauto fahren lassen. Er sagt:

„Sorgt nicht um euer Leben." Das geht weiter, erheblich weiter. Er macht sich nämlich Sorgen um uns. Er nimmt uns unsere Sorgen, auch unsere berechtigten Sorgen ab. Er will nicht, dass wir unter unseren Sorgen - einschließlich der berechtigten Sorgen der Eltern um ihre Kinder - zusammenbrechen. Unser himmlischer Vater, Gott weiß um unsere Sorgen, fügt Jesus in Vers 32 ausdrücklich hinzu.

Was das heißt und warum Gott das tut, darüber werden wir in 3 Wochen nachdenken. Der vorgeschlagene Predigttext für diesen Sonntag gibt die Antwort.

Für heute ist genug (Vers 34 b).

 

Amen

 

Lied: 395 oder 361.



Prof.Dr.Dr. Ulrich Nembach
Göttingen
E-Mail: ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

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