Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank, 04.10.2009

Predigt zu Lukas 14:1-11, verfasst von Else Hviid

Es ist Freitag, Viertel vor zwölf. Das erste Kind kommt in die Schultagesstätte im Haus nebenan. Und wahrhaftig, dieser von den Herbstferien überwältigte Junge, nimmt den Asgard mit Gesang ein. Der er et yndigt land (dänische Nationalhymne) stimmt er an. Meine Fenster sind geschlossen wegen des Windes, aber die Stimme des Jungen dringt bis zu mir, durch Glas und Backstein.

Für Krone und das Vaterland!
Für jeden einzeln' Bürger,
|: Der arbeitet, was er kann!:|
|: Unser altes Dänemark für immer,
So lange die Buche spiegelt
Ihre Krone im blauen Wasser,
Ihre Krone im blauen Wasser.:|
[die 3. Strophe]

            Er hat die 5 oder 10 km Pflicht im traditionsreichen Herbstlauf der Volksschule überstanden, die Sonne scheint, und wenn er nach Hause kommt, hat er eine Woche Herbstferien. Was soll so ein Fußballfan in seiner Euphorie machen? Wie kann man seine Freude zeigen und seine besten Hoffnungen, dass jetzt etwas Gutes kommt, wenn nicht mit Gesang? Und das Lied, das in seinen Augen die Freude der Erwartung am besten zum Ausdruck bringt, kennt er aus Kopenhagens Fußballstadion "Parken", wo man seiner Vorfreude vor dem Länderspiel mit Dänemarks Nationalhymne Luft macht: "Es liegt ein lieblich Land..."

            Wir tun hier in der Kirche etwas Ähnliches. Bloß ist es bei uns etwas mehr organisiert und nicht so spontan. Aber wir beginnen eine neue Woche mit Lobgesang und sind voller guter Erwartungen.

            Der Sabbat, der siebte Tag, der Ruhetag ist für den Lobgesang gedacht, für den Lobpreis der Welt, wie Gott sie sich von Anfang an gedacht hat, als Gott sah, dass alles, was er geschaffen hatte, gut war. Deshalb stimmt das Lied Freude und Wundern über die Welt an, über ihre Fruchtbarkeit und Schönheit. Im Lobgesang stimmen wir Gottes Blick auf sein Schöpferwerk zu. Wir sagen Ja und Amen.

            In der guten und lichten Auffassung des Daseins hält uns das Lied fest. Die Ewigkeitsperspektive des Lobgesangs tritt an die Stelle unserer etwas dunkleren alltäglichen Auffassung vom Dasein. Und das mag nötig sein.

            Denn wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr genügt, wie der Dichter unserer Natinalhymne dichtete, "jedem einzeln' Bürger" zu huldigen, "der arbeitet, was er kann". Umgekehrt soll der Einzelne auch die Konsequenzen fühlen, wenn er seinen Pflichten nicht nachkommt. Jeder Einzelne muss erleben, dass der Grundsatz "quid pro quo" gilt", wie ein führender Politiker es formuliert hat, und er hat dabei seine Vision unserer gemeinsamen Zukunft - und seinen eigenen Willen und Tatkraft - mit einer vielsagenden Handbewegung nach vorn unterstrichen.

            Die Hand weist voraus, aber was für eine Zukunft zeichnet sich ab? Manche Menschen müssen etwas mehr leisten, erkennen wir, müssen etwas Besonderes leisten, wenn sie mit am Tisch sitzen wollen. Oder wir haben geradezu den Eindruck, wenn wir etwas mehr leisten, dann können wir einen der guten Plätze am Tisch der Gesellschaft einnehmen.

            Ausländer, die sich schon früher, noch in ihrem Herkunftsland, um eine höhere Berufsaufbildung bemüht haben und mit ihr zu uns kommen, oder die sich mit besonderem Nachdruck um ihre Integration bemühen, sollen dafür belohnt werden und schneller als andere eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung beantragen können. Sie können dann vielleicht später mit zu Tisch geladen werden.

            Es saßen ja auch keine faulen Gymnasiasten oder Studenten, Ausländer oder Kriminelle mit am Tisch, damals bei dem Oberen der Pharisäer. Oder war vielleicht doch eín Krimineller unter ihnen?

            Sie waren sich nicht ganz sicher, die führenden Mitglieder der Gesellschaft, diejenigen, die damals die Plätze anwiesen. D.h. nach und nach waren sie sich sicher, als er sich erlaubte, die meisten der Gesetze und Regeln, die für ihr Sabbatmahl galten, in Frage zu stellen und es damit obendrein nicht genug sein ließ, sondern einige von ihnen offen übertrat.

            Jesus - denn er ist es ja, der hier als Krimineller auftritt - spricht zu ihnen darüber, was das Gesetz ist und was ein Mensch ist. Nicht wie unsere einflussreichen Politiker mit geballter Faust, sondern mit offenen Händen. Mit Händen, die einen kranken Menschen berühren und ihm sein Leben zurückgeben, mit Händen, die hereinbitten. Hier, mein Freund, nimm Platz. Hier ist ein Platz, für den du dich nicht durch einen besonderen Einsatz verdient gemacht hast, den ich dir aber gebe.

            Jesu Hände sind offen, gegenwärtig, sie schenken Leben, aber sie sind auch streng, wenn er die alten, das Gefühl der Geborgenheit vermittelnden Regeln übertritt und eine völlig andere Weise der Einladung eröffnet.

            Und alles ist nach vorn und in die Zukunft gerichtet und visionär. So soll es hier sein, denn so ist es im Reich meines Vaters. Zu jeder Zeit. Jesu offenen, nach außen gerichteten Hände wollen segnen, wollen befreien zur Gemeinschaft mit denjenigen, denen die Kräfte fehlen.

            Eine Gemeinschaft, in der jeder einzelne Bürger arbeitet, was er kann - nicht nur im Länderspiel - sondern für den anderen Menschen. Auch dann, wenn er ein paar Gesetze übertreten muss, um das zu tun.

            Dieses nach vorn Gerichtetsein, diese Offenheit und dieses Visionäre, daran halten wir fest, wenn wir den Lobgesang singen. Wir übersehen nicht die Wirklichkeit, zu der wir uns realistisch, aber solidarisch verhalten müssen. Wir singen nicht, als gäbe es die Welt mit ihren Verdrießlichlkeiten nicht. Der Lobgesang nimmt die Wirklichkeit ernst, aber er hält uns fest in der Aussicht und in der Hoffnung, die uns Jesu offenen Hände geben.

            Dadurch werden wir erhoben, wir singen uns zu einer Ewigkeitsperspektive für unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Der Lobgesang verleiht uns Adlerflügel, wir steigen aufwärts, so dass wir einen Ausblick bekommen, der größer ist als unsere alltägliche Sicht des Daseins. Denn in der Perspektive gesehen, mit den Augen Gottes gesehen,  entspringst du aus seinem Himmel und wanderst du auf seinen Himmel hin. Hier gilt niemals das Prinzip des "Quid pro quo".

            "Von Ewigkeit zu Ewigkeit" - diese Worte sind mehrfach während des Gottesdienstes zu hören als die Zusage, dass Anfang und Ende deines Lebens in Gott ist. Amen .



Pastorin Else Hviid
London
E-Mail: ehviid(a)googlemail.com

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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