Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank, 04.10.2009

Predigt zu Matthäus 6:25-35, verfasst von Eberhard Busch

Wir feiern heute den Erntedank-Gottesdienst. Wir haben guten Grund, Gott in dieser Stunde herzlich für all das zu danken, was er uns gibt, um uns zu ernähren und am Leben zu erhalten. Wir wissen wohl auch, dass das nicht selbstverständlich ist, ja, dass es so viele Menschen auf der Erde gibt, die da furchtbar zu kurz kommen. Unser Dank gegen Gott verbindet sich daher mit der ebenso herzlichen Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute." Lasst uns in der Predigt auf einen Bibeltext hören, der in der Bergpredigt Jesu steht. Wir mögen dabei genau hinhören, was dieser am heutigen Tag scheinbar unpassende Text gerade heute zu uns sagt.

Nach der verlorenen Schlacht von Jena im Jahr 1806 ließ der preußische König Plakate aufhängen, worauf zu lesen war: „Der König hat eine Bataille verloren. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht". Der Satz hat dann den üblen Sinn bekommen: wir sollten alles schlucken, und wenn es gröbstes Unrecht wäre. Demgegenüber ist vielmehr zu sagen: Wer nach dem Reich Gottes trachtet und nach seiner Gerechtigkeit, für den wird nicht Ruhe die erste Bürgerpflicht sein. Der wird oft sehr ungeduldig rufen nach einem Besseren, nach dem Besseren. Dem sind die Augen aufgegangen für etwas, was nötiger ist als alles, was wir selber können. Ja, das ist nicht nur besser. Das ist gut.

Wem die Augen dafür aufgegangen sind, dem sind die Augen auch dafür aufgegangen, dass es nicht gut steht mit der Welt und mit uns selber: nicht gut mit unseren Problemen und nicht gut mit unseren Lösungen. Der kann sich nicht mehr abfinden mit den Ungerechtigkeiten unter den Menschen, nicht mit dem Elend der Hungernden, auch nicht mit den Träumereien in den Kirchen. Der geht unruhig wie ein Tiger im Käfig hin und her und rüttelt an den Gitterstäben, weil er heraus möchte: heraus in die Freiheit, heraus in das Land der Gerechtigkeit, in dem ein Jeder und eine Jede bekommt, was er und sie braucht. Der hat von Ferne ein Besseres gewittert, das Gute, den Guten. Danach „trachtet er".   

Man kann den Spruch jenes Königs auch noch anders verstehen. Wenn ein wichtiger Kampf verloren ist, dann besteht Gefahr, dass die Leute nun die Kopf verlieren und dass sie so wie ein aufgewühlter Ameisenhaufen sinnlos durcheinander wuseln. In diesem Moment ist die Aufforderung hilfreich: Jetzt nur keine Kopflosigkeit! In diesem Sinn kann uns jener Satz ein Gleichnis sein für das höchst Tröstliche, das Jesus uns sagt: Jetzt hebt die Augen höher! „Hin zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?" So wie es in Psalm 121 heißt und wo dann geantwortet wird: „Meine Hilfe kommt von dem Herrn", von seinem  gerechten Regiment. Das macht nicht gleichgültig gegenüber all den Zuständen in uns und um uns herum. Aber das schafft es, dass wir inmitten von all dem Anstrengenden und Aufwühlenden nicht den Kopf verlieren, dass wir darin Ruhe bewahren. Ach, nicht „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht", aber. Gottvertrauen ist die erste Christenerlaubnis. Die Gemeinde Jesu darf in allem und trotz allem ein Ort der frohen Zuversicht sein, nicht der Vertröstung, aber auch nicht der Panikmache. Ich hörte von jemandem, der einmal in größte Schwierigkeiten geriet. Da sagte er zu seiner Familie: „Nun lasst uns zuerst einmal Gott sagen, wofür wir ihm zu danken haben, und dann werden wir weitersehen." Wie dürfen an diesem Erntedanktag eben auch danken, Gott danken, dafür danken, dass Er uns am Leben erhält, und dass er uns damit die Verheißung gibt, so möchte es allen auf der Erde ergehen.

*

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes" - das ist aber auch eine gebieterische Zumutung an uns. Gewiss, wir dürfen in allem aufschauen zu Gott hin und dürfen auf seine Gaben hoffen. Ja, wir  dürfen das. Aber wir sollen das auch tun. Wir sollen jeden Tag neu zuerst nach seinem Reich trachten und sollen alles Übrige dahinter zurückstellen. Das ist gar nicht so leicht. Denn das, was wir da hintanstellen sollen, ist ja allemal etwas, was uns beschäftigt. Jesus selber nennt in den Versen, die seinen Wort vorangehen, einiges von dem, was uns in irgendeiner Gestalt wichtig ist: „Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Wie werden wir uns kleiden?"

Oder in der Sprache von heute: Wie können wir leben? Menschenwürdig leben, so dass unsere Landwirtschaft genug gute Erträge hat und so dass wir genug Arbeit haben und doch nicht aufgefressen werden von der Arbeit? Und so, dass wir dabei recht verdienen? Und wie können wir zusammenleben, ohne Streit, ohne dass ich dabei zu kurz komme, ohne dass Andere dabei niedergetreten werden? Und wie können wir wahrhaftig leben, so dass wir nicht getäuscht werden durch Mogelpackungen? So dass wir uns selber nicht irritieren lassen von falschen Bildern und Parolen, die uns ablenken von den echten Problemen und Aufgeboten in unserer Zeit? Und wie können wir glaubwürdig leben - als Kirche, in der Konkurrenz der Religionen und bei dem Schwund der Kirchgänger? Und im tätigen Beistand für die Bedrängten? Und wie können wir überleben als Menschheit in der schier grenzenlosen ökologischen Versauung unserer Mitwelt. Hier haben wir alle doch - hoffentlich - ernstliche Sorgen. Das alles sind doch, weiß Gott, wichtige Dinge!

Welch eine unerhörte Zumutung, dass Jesus uns jetzt sagt: Es gibt noch etwas Wichtigeres: Gott, seine Wirklichkeit, sein Wille, sein Reich! Trachtet zuerst danach! Aber wie groß diese Zumutung auch ist, die Gemeinde Jesu Christi muss sich unter allen Umständen diese Zumutung gefallen lassen. Sie muss ein Ort sein, wo man sich stören lässt durch den Zwischenruf Jesu: Es gibt Wichtigeres als das, was euch so wichtig ist. „Allein Gott in der Höh' sei Ehr." Das hat immer an der ersten Stelle zu stehen - Sein Wille und nicht unsere Wollen! Keine Unordnung ist der Welt ist so schlimm wie die Unordnung, die herrscht, wenn in der Gemeinde Jesu das nicht mehr klar ist: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes!" Nicht so, dass wir uns mit unseren Wünschen und Unternehmungen vordrängen; und nachträglich nimmt man dann noch den lieben Gott dafür in Anspruch. Man redet gar nicht von Gott und seiner Herrschaft, wenn er nicht an der ersten Stelle steht.

Aber wohlgemerkt, wenn alles Andere dann eben nicht an der ersten Stelle steht, so wird es darum nicht gleichgültig und nicht überflüssig. All das ist darum nicht nichtig, was nun uns wichtig ist in dem ganzen Bereich: Was werden wir essen und trinken? Und wie können wir leben und zusammenleben und überleben? Es heißt in unserem Text: „Darum sollt ihr nicht sorgen!" Aber warum nicht? Der Text fährt fort: „Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht." Was euch beschäftigt und bemüht, das alles ist also nicht unwichtig. Das ist in seiner Weise sogar so wichtig, dass Gott, der Herr, sich damit beschäftigen und davon bemühen lassen will. Wir dürfen, wir sollen Ihn darum bitten: „Unser tägliches Brot gibt uns heute", und er ist offenbar bereit, diese Bitte zu erhören. In seinem Sohn, unserem Heiland Jesus Christus hat Gott den Beweis geführt, dass er an unserem Ergehen lebhaft interessiert ist. In Ihm hat er sich geradezu in den dunkelsten Abgrund aufgemacht, nur damit er jeden darin Verlorenen daraus heraushole. Weil dieser Gott nicht etwa gestorben ist, wie die Toren meinen, weil Er vielmehr lebt, darum dürfen wir hoffen: Dieser Gott will unser Leben und das der von uns fast Vergessenen in den Hungerländern nicht dem Teufel überlassen. Er will sie alle in seiner Hand behalten. Gewiss, wie Jesus sagt: „Wer sein Leben will erhalten (d.h. in seiner eigenen Hand behalten), der wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert (d.h. in Gottes Hand findet), der wird es erhalten."

Dabei sollten wir uns klarmachen: Gott gibt uns wohl das, was wir brauchen. Aber er pflegt nicht allen dasselbe zu geben und pflegt zuweilen uns auch anderes zu geben, als wir gewünscht haben. Den allzu Zufriedenen nimmt er ihre Ruhe und gibt ihnen dafür eine heilsame Unruhe. Und den allzu Ungeduldigen nimmt er ihr Drängeln und gibt ihnen statt dessen einen gesunden Frieden. Den allzu Behutsamen verleiht er Kraft, gegen den Strom zu schwimmen. Und dann allzu Stürmischen gibt er den Mut, freundlich zu sein gegen jedermann. Denn allzu Weichen schenkt er ein aufrechtes Rückgrat, und die allzu Starken lenkt er zur Bescheidenheit. Denn allzu Satten verschreibt er eine Diät, und den allzu Hungrigen will er durch uns den Tisch decken lassen. Seine Gaben sind das, was uns Not tut und was uns gut tut: Wegzehr auf dem Weg zu Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit. Ja, „Allein Gott in der Höh sei Ehr - und Dank für seine Gnade." Amen.    



Prof. Dr. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de

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