Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank, 04.10.2009

Predigt zu Lukas 12:16-21, verfasst von Jennifer Wasmuth

Liebe Gemeinde,

Erntedank - ein Fest, das Raum geben will, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Danken. Erntedank - ein Fest, das seine Wurzeln in einer landwirtschaftlichen geprägten Gesellschaft hat. Noch heute sind deshalb die Altäre in unseren Kirchen so herrlich mit Erntegaben geschmückt. Und auch die Lieder und Texte, die wir in diesem Gottesdienst hören, sind davon geprägt. Dazu gehört auch der Predigttext, der das Gleichnis vom »reichen Kornbauern« erzählt. Der Predigttext steht im Lukasevangelium im 12. Kapitel (Verse 16-21) und lautet folgendermaßen:     

Jesus sagte ihnen ein Gleichnis und sprach:

Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruh, iss, trink und habe guten Mut!

Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.  

 

Liebe Gemeinde, dieses Gleichnis am Erntedankfest - das wird manche von Ihnen vielleicht verwundern, vielleicht sogar ärgern. Ein Landwirt meinte einmal zu mir: Warum wird am Erntedankfest eigentlich immer dieses Gleichnis gelesen? Als Landwirt gehe ich Erntedank wirklich gerne in den Gottesdienst, in die Kirche, die auch mit meinen Erntegaben geschmückt ist. Aber dann muss ich mir dieses Gleichnis vom »reichen Kornbauern« anhören - das hätte doch nichts mit der Wirklichkeit heutiger Landwirte zu tun, welcher Landwirt würde denn heute schon sagen: »Nun liebe Seele, habe Ruhe, du hast Vorrat für viele Jahre«? Und am Ende des Gleichnisses auch noch geradezu eine Beschimpfung: »Du Narr!« Das würde er sich nicht gern gefallen lassen, das würde ihm immer etwas von der Festfreude nehmen.  

Liebe Gemeinde, den Ärger des Landwirtes kann ich nachvollziehen - ich denke nur, dass es Jesus völlig fern lag, mit seinem Gleichnis einen ganzen Berufsstand zu kritisieren. Auch ging es ihm wohl nicht um eine bestimmte Wirtschaftsweise, das Abreißen alter Scheunen, die neuen, größeren Platz machen müssen, auch nicht um die Kritik an einer Anhäufung von Besitz oder gar an einer sinnvollen Planung des Ruhestandes. Das Gleichnis ist immer wieder einmal so verstanden worden. Ich denke jedoch, dass Jesus damit auf etwas ganz anderes hinaus wollte. 

 

Worum aber geht es dann? 

Erzählt wird von einem Menschen, dessen Leben sich nur um seinen Besitz, nur um sich selbst dreht. Sechsmal sagt der Kornbauer in diesem doch sehr kurzen Gleichnis »Ich« und fünfmal »mein«: »meine Früchte«, »meine Scheunen«, »mein Korn«, »meine Vorräte«, »meine Seele«. Er führt ein reines Selbstgespräch, nur mit sich und seiner Seele, bis er von Gott aus diesem Gespräch herausgerissen und ihm aufgezeigt wird, dass seine Planungen ins Leere laufen: dass am Ende der Besitz nicht hilft, von dem er sich Sicherheit und Ruhe versprochen hatte.  

Ich denke deshalb, dass dieses Gleichnis zweierlei sagen will: es will uns einerseits daran erinnern, dass immer etwas Unerwartetes in unser Leben eintreten kann und wir das bei unserer Lebensplanung, im Bilde des Gleichnisses, beim Abreißen und Neubauen der Scheunen, im Blick behalten sollten. Es will uns andererseits und vor allem jedoch dahin führen, Reichtum nicht nur im materiellen Sinne zu verstehen, sondern viel weiter: als Reichtum bei Gott.  

Was nun das Erste betrifft, so habe ich mich gefragt, ob wir wirklich daran erinnert werden müssen - ob es für uns, die wir heute hier zum Gottesdienst versammelt sind, aber auch überhaupt für unsere Zeit, in der wir leben, charakteristisch ist, das Unerwartete auszublenden und zu leben, als könnten wir in aller Ruhe einen Vorrat für viele Jahre anlegen. Mir selbst scheint, dass sich angesichts der völlig unerwartbaren Todesfälle, die wir in den letzten Monaten allein in unserer Gemeinde erlebt haben, eine solche Ruhe doch sehr schnell verflüchtigt. Aber auch wenn ich auf jene höre, die die Entwicklungen in unserer Gesellschaft aufmerksam verfolgen, so scheint das allgemein bestimmende Gefühl gerade nicht Ruhe und Entspannung zu sein. Die Zeit scheint vielmehr immer knapper zu werden, das eigene Ich immer unsicherer und gehetzter. Oft gleicht das Leben einem Dauerlauf, dem ständigen Versuch, alles zu schaffen, dabei der rasenden Zeit und sich selbst jedoch hinterherzulaufen. Für manchen erscheint unser Leben deshalb wie ein Leben auf einem rutschenden Abhang: alles, was einmal Halt und Grund gegeben hat, löst sich auf, es gibt keine Orte mehr, die Zuflucht und Heimat sind, auch keine verlässlichen Zeitrhythmen mehr, die dem Leben Struktur geben.

Was also das erste Ziel des Gleichnisses betrifft, das Unerwartbare und die Flüchtigkeit unseres Leben in Erinnerung zu rufen, so scheint es mir auf das zu treffen, was sowieso das Bewusstsein von vielen von uns ausmacht. Das Gleichnis bestätigt hier also nur, was das heutige Lebensgefühl ausmacht. 

Wie sieht es aber mit dem anderen aus - dem Reichtum bei Gott? Was bedeutet überhaupt »Reichtum bei Gott«? Das Gleichnis sagt hierüber ja weiter nichts aus. Es wird eben nur klar, dass nicht materieller Reichtum gemeint ist.

Sicher ohne es zu beabsichtigen, hat der Vater einer kleinen Tochter mich neulich auf die Spur gebracht, was das bedeuten kann: Reichtum bei Gott. Er hat mir erzählt, dass er beruflich sehr eingespannt sei und deshalb nur wenig Zeit für seine Familie, insbesondere auch für seine kleine Tochter habe. Er lasse es sich aber nicht nehmen, seine Tochter ins Bett zu bringen. Es müsse schon eine Dienstreise oder einer dieser unverschiebbaren Diensttermine am Abend dazwischenkommen. Während er anfangs nur so am Bett seiner Tochter gesessen, ihre Hand gehalten und gewartet habe, bis sie eingeschlafen sei, habe er sich später an seine Mutter erinnert, die nicht nur für ihn und seine Geschwister Lieder gesungen und Geschichten erzählt, sondern immer auch ein Gebet gesprochen habe. Ihn selbst habe das immer sehr beruhigt, und so wollte er auch mit seiner Tochter beten. Da ihm aber kein Gebet mehr eingefallen sei, er auch für seine Tochter ein Gebet wollte, das sie sich leicht merken kann, habe er sich selbst folgendes kleines Gebet ausgedacht: »Lieber Gott, vielen Dank für diesen schönen Tag! Amen.«

Im Laufe der Jahre, seine Tochter würde nun bald schon in die Grundschule kommen, habe er mit diesem kleinen Gebet verblüffende Erfahrungen gemacht. Nicht nur, dass seine Tochter ihn daran erinnern würde, wenn er es einmal im Trubel seines Alltages vergäße. Sie bräuchte nicht unbedingt eine Gute-Nacht-Geschichte, aber auf dem Gebet würde sie bestehen: »Papa, wir müssen noch beten«, sage sie dann, und ohne seine Antwort abzuwarten, käme dann von ihr: »Lieber Gott, vielen Dank für diesen schönen Tag! Amen.«

Auch für ihn selbst sei dieses Gebet inzwischen wichtig geworden. Nicht, dass er es immer aus voller Überzeugung beten könne. Es gebe manche Tage, die seien alles andere als schön, da fühle er sich völlig ausgelaugt, da laufe aber auch wirklich alles schief, mit den Kollegen gebe es Streit, mit seiner Frau. Wenn dann seine kleine Tochter so selbstverständlich bete: »Lieber Gott, vielen Dank für diesen schönen Tag!«, dann müsse er innerlich schon manches Mal tief Luft holen und sich überlegen, wofür er selbst denn an diesem Tag eigentlich danken könne. Während seine Tochter immer ruhiger werde und schließlich einschlafe, habe er ja aber immer Zeit zum Überlegen und meist falle ihm dann doch etwas ein: eine Email, die er ganz überraschend von einem alten Bekannten erhalten hat; der triumphale Sieg seiner Fußballmannschaft; ein guter Song, den er auf der Rückfahrt nach Hause zufällig im Auto gehört hat. Das seien natürlich nur Kleinigkeiten, aber sie ließen ihn am Ende des Tages doch versöhnt sein, mit sich und der Welt, und so könne auch er schließlich ohne Vorbehalte in das Gebet mit einstimmen: »Lieber Gott, vielen Dank für diesen schönen Tag! Amen.«

Reichtum bei Gott - liebe Gemeinde, dieser Vater ist für mich ein Beispiel, wie man Reichtum bei Gott sammeln kann: jeden Abend, mit jedem Gebet sammelt er gewissermaßen mehr an.

Denn Reichtum bei Gott - das ist ein Leben, das auf Gemeinschaft zielt, ein Leben, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen, ein Leben im Wissen darum, dass uns - bei allen Zumutungen, denen wir auch ausgesetzt sind - immer wieder etwas geschenkt wird, ein Leben, für das wir immer wieder sagen können: »Lieber Gott, vielen Dank für diesen schönen Tag! Amen.«  

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 



Jennifer Wasmuth

E-Mail: wasmuthj@cms.hu-berlin.de

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