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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 11.10.2009

Predigt zu Matthäus 22:34-46, verfasst von Peter Nejsum

Man machte vor einigen Jahren Experimente mit Affen, indem man versuchte, ihnen das Sprechen beizubringen. Nicht so, wie wir sprechen - das gab man schnell wieder auf, denn ihre Zunge und ihre Kehle waren dazu nicht geeignet. Nein, man brachte ihnen bei, durch Zeichensprache miteinander zu kommunizieren, d.h. mit einer Abart der Sprache, die auch Taube benutzen. Der Affe Lucy war besonders tüchtig, und sie war der Anlass zu bedenkenswerten Beobachtungen darüber, was Sprache eigentlich ist. Man machte u.a. folgende Beobachtung: Wenn Lucy aggressiv wurde, dann dämpfte es die Aggression, das auch zu sagen, Sprache für die eigene Unzufriedenheit zu gebrauchen, und das gefiel dem Tierwärter, denn er konnte vor Bissen sicher sein. Wenn man das Gefühl des Zorns oder dergleichen sprachlich ausdrückt, mildert das die Aggression, und ein eigentlicher Konflikt lässt sich möglicherweise umgehen. Wenn wir Menschen also mit Sprache geschaffen sind, dann ist das vielleicht einer der Gründe: Damit wir unsere Unzufriedenheit in Worte fassen können und uns so vielleicht einigen und damit Konflikten aus dem Weg gehen können. Wir haben sicher alle die Erfahrung gemacht, dass es hilft, wenn man seinem Ärger Luft macht. So hat uns der Schöpfer mit Sprache ausgerüstet, damit wir uns miteinander einigen können, anstatt uns gegenseitig totzuschlagen.

            Deshalb kommt man nicht umhin, daran zu denken, dass oft das Gegenteil der Fall ist: Dass man die Worte und die Sprache dazu benutzt, einander wehzutun. Allerdings nicht anstelle von mehr körperlichen Mitteln gebraucht - denn hier ist die Sprache ja immer noch nützlich - nein, sondern in solchen Diskussionen angewandt, in denen man seine Aggressionen unter einem Wortschwall versteckt, in Diskussionen, in denen es in Wirklichkeit gar nicht um das geht, wovon de facto gerade die Rede ist, sondern in denen man nur darauf ausist, einander zu zermürben oder den anderen in ein Wirrwar von versteckten Anklagen und Andeutungen zu verstricken oder den anderen fertig zu machen, indem man seine Unsicherheit und Widersprüchlichkeit ans Licht zerrt. Es gibt viele Möglichkeiten das zu tun, sie alle aber haben eines gemeinsam: Der Gegenstand der Diskussion ist gleichgültig, das eigentliche Ziel ist nicht die Erkenntnis von Wahrheit, sondern ein völlig anderes, versteckt unter zahllosen Worten und Argumenten: Das eigentliche Ziel ist, einander zu fassen zu kriegen. Es geht darum, Recht zu haben, zu gewinnen. Es geht nicht um die Sache, sondern um den, mit dem man diskutiert. Wie oft solche Diskussionen vorkommen, wie oft wir dieses wunderliche Gefühl haben, etwas zu diskutieren, obwohl es in Wirklichkeit um etwas ganz Anderes und sehr viel Ernsteres geht: nämlich sich gegenseitig zu bekriegen. Und dabei braucht es sich gar nicht einmal um Menschen zu handeln, denen gegenüber wir im Übrigen feindlich gesinnt sind, eigentlich können es auch Menschen sein, die uns am allernächsten stehen. Solche Diskussionen hinterlassen bei uns oft ein merkwürdiges Gefühl der Ohnmacht, der Leere, das dadurch hervorgerufen wird, dass wir den anderen Menschen nicht wirklich erreichen, sondern in einem Netz von Worten und Argumenten, das wir weben, wie in einem klebrigen Spinngewebe hängen bleiben, und  das gilt in Wirklichkeit ohne Rücksicht darauf, auf welcher Seite man sich in einer derartigen Diskussion befinden mag. Man kann die Leere genauso gut empfinden, wenn man das Wort führt und den anderen angreift, wie wenn man sich zu verteidigen hat.

            In genau diese Situation ist Jesus im heutigen Evangelientext geraten. Mit anderen Worten: wir kennen die Situation sehr gut. Dem Anschein nach geht es in dem Wortwechsel mit den Pharisäern um das höchste Gebot im Gesetz und darum, inwiefern Christus Sohn Davids oder Herr Davids ist. Aber so ist es nur scheinbar. In Wirklichkeit geht es um die Art und Weise, wie man diskutiert.

            Im 22. Kapitel des Matthäusevangeliums, aus dem dieser Text genommen ist, ist die Situation die, dass Jesus ein Gleichnis erzählt von dem Königssohn, dessen Hochzeit gefeiert werden sollte. Die feinen geladenen Gäste kommen nicht, sie haben alle etwas anderes vor, was ihnen offenbar wichtiger ist. Schließlich lädt der König alle möglichen Leute ein, Gute und Böse. Unter den Zuhörern befanden sich einige Pharisäer, und ihnen ist die Pointe sofort klar, nämlich dass das Reich Gottes überhaupt nicht für Leute ihrer Art ist, die sich für gerecht und fromm halten, sondern dass Jesus zu behaupten wagt, dass die Tore zum Reich Gottes vielmehr für allen möglichen Abschaum offenstehen. Deshalb beschließen die Pharisäer in ihrem Ärger, ihn in seinen Worten zu fangen. D.h., sie wollen mit ihm diskutieren, so dass jedermann sehen kann, was er für einer ist, sie wollen ihn in Widersprüche verwickeln und so lächerlich machen. Selbstverständlich wird die Diskussion nicht zu einer interessanten theologischen Debatte, sondern sie artet in Haarspaltereien und Spitzfindigkeiten aus, denn die Diskussion hat eine versteckte Tagesordnung.

            Und in diesem Zusammenhang hören wir die Diskussion, ob es zulässig ist, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht. Und wir hören die völlig groteske und unwahrscheinliche Beispielerzählung von der Frau, deren Mann starb und die, wie es das Gesetz Moses vorschreibt, den Bruder des Mannes heiratete, der auch starb, - und dann heiratete sie den nächsten Bruder - der starb, und so weiter, insgesamt heiratete sie siebenmal. Wessen Frau wird sie dann in der Auferstehung sein?

            Aber am absurdesten ist in Wirklichkeit der Wortwechsel über das höchste Gebot im Gesetz. Er steckt so voller Widersprüche, dass er sich nahezu selbst widerlegt. Der Gesetzeskundige, der die Frage stellt, weiß natürlich ganz genau, dass das Gebot, das das Fundament des Gesetzes ausmacht, das Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten ist. Aber er verleugnet selbst das Gebot, wenn er Jesus nach dem höchsten Gebot im Gesetz fragt, um ihm eine Falle zu stellen und ihn zu fällen. Es kann keinen größeren Abstand geben zwischen dem, worüber man spricht, und der Art und Weise, wie man darüber spricht. Man spricht von der Liebe zu Gott und zum Nächsten, aber man tut es im Zeichen des Hasses und der Aggression. Hass und Aggression liegen unausgesprochen der Frage zugrunde. Auf diese Weise spitzt dieser Wortwechsel das Thema des gesamten Kapitels zu und führt ihn ins Absurde und Satanische.

            Nach dieser Frage nach dem höchsten Gebot im Gesetz spielt Jesus selbst mit der kniffligen Frage aus, wer ihrer Meinung nach der Messias sei, wessen Sohn er sei. Er greift damit auf ihre eigene Form der Argumentation zurück und parodiert sie. Denn wie kann der Messias, Christus, Davids Sohn sein, wenn David selbst ihn in einem seiner Psalmen Herr nennt? Wie kann er zugleich Sohn Davids und Herr Davids sein? Es ist eine dieser törichten Spitzfindigkeiten, die wir so gut kennen: Wenn Gott allmächtig ist, kann er dann einen Stein schaffen, der so groß ist, dass er ihn nicht hochheben kann? Seine Absicht ist klar: er will den Sadduzäern und den Pharisäern mit Hilfe einer Frage den Mund stopfen, die sie nicht beantworten können. Aber er verfolgt auch eine andere Absicht, die mindestens ebenso wichtig ist: Er will ihre Diskussionsform entlarven, indem er ihre Kehrseite aufzeigt. Seither hat es keiner von ihnen mehr gewagt, ihm noch Fragen zu stellen.

            Aber warum dieser Widerstand und diese Aggressionen gegen Jesus auf Seiten der Pharisäer? Ja, hier gibt es die bekannten Erklärungen, die darauf hinauslaufen, dass sie seine Verkündigung vom Reich Gottes nicht akzeptieren können, weil sie allen ihren Vorstellungen widerspricht, und dass sie ihre eigene Macht bedroht sehen, weil sich die Menschen um ihn scharen. Aber im Grunde geht es sicher darum, dass er nicht so ist, wie sie erwarten, um ihren Ärger, dass er nicht ist wie sie. Sie können ja doch die Vollmacht erkennen, mit der er spricht, und sie können die Wunder sehen, die er tut, und so manches deutet darauf hin, dass er ein Mann Gottes ist. Aber er gibt sich dennoch völlig anders, als sie erwarteten. Und dass er nicht so war, wie sie glaubten, nicht war wie sie, das wurde ihm letzen Endes zum Verhängnis. Ihre Aggression wurzelt also im Grunde in ihrer eigenen Auffassung von ihm. Darum liegt eine tiefe Ironie darin, dass er die Frage an sie richtet: Was denkt ihr von dem Christus?

            Ich habe vorhin gesagt, dass auch wir hin und wieder in derartigen zermürbenden Diskussionen oder Auseinandersetzungen sogar mit unseren nächsten Angehörigen landen, bei denen es nicht um die Sache geht - denn die ist gleichgültig - sondern bei denen es darum geht, den anderen zu fassen zu kriegen, und bei denen sich hinter jedem Wort die Aggressionen verbergen. Aber man sollte daran denken, dass wir es oft aus demselbsen Grund tun, der letzen Endes die Pharisäer bewegt: nämlich dass es uns schwer fällt, anzuerkennen, dass der andere nicht wir wir ist, dass der andere einfach anders ist, andere Wertvorstellungen hat, anders handelt und andere Erwartungen an das Leben stellt.

            Wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst, heißt es. Aber das bedeutet oft, dass wir den anderen nur lieben wollen, wenn er oder sie ist wie wir selbst. Nur das, was ich liebe, das, was ich von mir selbst kenne, kann ich bei dem anderen lieben. Unsere Erwartungen und Vorstellungen von dem, was der andere sein soll oder sein sollte, bestimmen unablässig unsere Auffassung von ihm. Eigentlich kann es sogar in der besten Absicht geschehen, dass man versucht, dem anderen seine eigenen Meinungen aufzuzwingen.

            Und dann ist es oft die Enttäuschung oder Irritation, die die Form der Diskussion bestimmt. Was man diskutiert, kann dann ganz unwesentlich sein, denn es geht darum, dass der andere eigentlich sein sollte wie ich. Man kann es nicht verlangen, das ist uns klar, und deshalb kleiden wir es in viele Worte.

            Bei der Liebe zu Gott und zum Nächsten, auf der im Grunde unser ganzes Leben ruht, geht es nicht um irgendeine seelische Kraftanstrengung. In Wirklichkeit geht es darum, den anderen auf eine neue Weise zu sehen. So wie Christus die Menschen ansah, denen er begegnete, als er auf  Erden wandelte, und so wie er dich und mich ansieht. Er sieht, dass wir gleich sind, dass wir von Gott geschaffen und von Gott geliebt sind. Aber er sieht uns auch als einzigartige Menschsen, d.h. als verschiedene Menschen, jeden mit seinem Leben und mit seinen Aufgaben: Er sieht uns so, wie wir sind, mit all dem, was uns zu denjenigen macht, die wir sind, eine Mischung aus Gutem und Schlechtem, aus Siegen und Niederlagen, Enttäuschungen und Hoffnungen. Bestimmt nicht alles gefällt ihm, aber seine Liebe gilt dennoch, uneingeschränkt.

            Siehe, ich mache alles neu! sagt er. Das tut diese Liebe. Und ist es nicht so, dass wir etwas von der Liebe weitergeben können. Den anderen Menschen als einen Menschen zu sehen, der ist wie du selbst, als einen Menschen, der auch von Gott geliebt ist, mit demselben Streben, derselben Sehnsucht. Und dann das Wunderbare zu sehen, das daraus folgt, dass der andere nicht wie du ist, sondern anders ist, und dies als ein Geschenk zu erleben, das dein Leben reich macht. Wenn wir so zu sehen vermögen, dann kann die Sprache wieder zu dem gebraucht werden, wozu sie geschaffen ist.

Amen



Pastor Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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