Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 08.11.2009

Predigt zu Lukas 17:20-24, verfasst von Wolfgang Vögele

„Als Jesus aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein."

Liebe Gemeinde,

wenn die Tage kürzer und die Nächte dunkler und länger werden, dann fragen wir gerne nach der verrinnenden Zeit und nach der nicht zu stoppenden Gegenwart. Wir fragen nach Altern und Alltag, nach Zuhause und Zukunft. In der Herbstdunkelheit bekommen solche Fragen leicht etwas Vergrübeltes und Schwermütiges. Aber Grübelei entsteht vor allem daraus, daß Menschen von der Frage nie zu einer Antwort kommen. Im Zustand der Grübelei laufen die Gedanken in vielen Sackgassen leer.

Und eine Frage ohne Antwort ist sozusagen aus dem gedanklichen Gleichgewicht geraten. Es macht auch einen Unterschied, ob ich mir eine Frage selbst stelle und mich in Gedanken darüber verliere oder ob ich mit anderen Menschen spreche. Im Gespräch mit anderen könnte ich auf eine Frage sogar mehrere Antworten erhalten und das könnte mich vorteilhafterweise weiter voranbringen.

Werfen wir also einen Blick darauf, wie Jesus von Nazareth sich in das Spiel von Fragen und Antworten einbinden ließ. Der Prediger von Nazareth, der durch Galiläa zog, um seine Botschaft weiterzugeben, läßt sich nur gar zu gerne in Gespräche hineinziehen. Die Frager erwarten Antworten von ihm. Und er gibt Antworten, aber nicht immer so, daß sich die Hoffnungen der Frager auch erfüllen.

Jesus bleibt im Gespräch, mit den Jüngern und mit den Pharisäern, auf der einen Seite mit seinen Freunden und Anhängern, auf der anderen Seite mit seinen Gegnern und Konkurrenten. Er ist um keine Antwort verlegen, auch wenn manche Antwort die Paradoxien des Glaubens und des Lebens hervorhebt.

Der Predigttext macht zwei Gespräche sichtbar und gibt sie in äußerster Knappheit wieder. Zuerst antwortet Jesus auf eine Frage der Pharisäer, dann auf eine Frage der Jünger. Die erste Antwort zielt auf das Reich Gottes, die zweite auf das erwartete Kommen des Menschensohns. Beide Antworten Jesu fordern wiederum unsere Fragen und Antworten heraus.

Die Pharisäer wollen wissen, wie sie Gottes Reich erkennen können. Damals im Palästina des ersten Jahrhunderts war das eine verbreitete Vorstellung. Gottes Reich - das meinte den Raum seiner Herrschaft. Dieser göttliche König verfolgte nicht eigene Interessen, und er nutzte seine Herrschaft nicht, um eigene Reichtümer in den Schatzkammern seiner Festungen anzuhäufen. Dieser König respektierte die Würde und die Rechte der Menschen, die in seinem Reich leben. Dieser König erließ Gesetze, die den Menschen halfen, sich gegenseitig zu achten. Dieser König regierte im Frieden, er mußte nicht Kriege führen, um sein Reich zu vergrößern. Dieser König ließ sich nicht bestechen, er war nicht von den Einflüsterungen seiner Hofbeamten abhängig. Dieser König handelte vorausschauend, so daß Nahrung, Kleidung für alle im ausreichenden Maß vorhanden waren. Gottes Reich, das war in damaliger Vorstellung nicht von jener Welt, in der Könige, Statthalter, Pharaonen und Gouverneure sich selbst bereicherten, bestechlich waren, Eroberungskriege führten und ausschließlich die Interessen der Reichen und Günstlinge bedienten.

Die Pharisäer und die Jünger vermutlich auch dachten an Gottes Reich als ein Königtum, an die Herrschaft eines Monarchen. Dazu kamen die großen Friedensbilder der Propheten, der Ort, wo Löwe und Lamm friedlich beieinander wohnen und wo die Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden. Mit dieser Königsherrschaft Gottes verbanden sich Sehnsüchte und Hoffnungen, der Wunsch nach Frieden und Konfliktfreiheit, nach Überfluß und Gleichbehandlung aller Menschen.

Aus dieser Sehnsucht speiste sich die Frage der Pharisäer: Wann kommt endlich dieses Reich? Nun hätte Jesus als Antwort ja einfach ein Datum nennen können: Gott wird seine Herrschaft am Freitag, den 17.November des Jahres 27, 12 Uhr mittags antreten. Statt dessen gibt er zwei Antworten: Gottes Reich kann man nicht sehen wie andere Reiche. Gott hält keine Paraden ab, und er gibt keine Audienzen, er reist nicht durch die Lande von Burg zu Burg, und er besitzt auch keinen Hofstaat, der ihm überallhin folgt.

Und die zweite Antwort: Gottes Reich ist unter euch. Luther hatte übersetzt: Gottes Reich ist inwendig in euch. Aber das gibt den griechischen Urtext nicht ganz richtig wieder. Dann wäre Gottes Reich eine Sache der Innerlichkeit, ja der Mystik, aber das ist es ganz und gar nicht. Unter euch ist Gottes Reich. Das bedeutet: Es geht stets um mehr als einen einzelnen Menschen, es geht um eine größere Gruppe, um eine Gemeinde. Gottes Reich ist zwischen den Menschen.

Und Gott ist kein König wie die Könige dieser Welt; seine Herrschaft ist nicht politisch, auch wenn ganz im Zentrum dieses Reiches die Gerechtigkeit Gottes steht. Gottes Reich ist sichtbar und unsichtbar zugleich. Mir kommt das wie ein ganz moderner Gedanke vor.

„Die Religiösen", sagt der Schriftsteller Botho Strauß in seinem neuen Buch „Vom Aufenthalt", „verstehen sich aufs Deuten. Die Ungläubigen benötigen Klartext." Wendet man diesen Satz auf die Frage der Pharisäer und Jesu Antwort an, so findet man Überraschendes: Der Ungläubige muß das Reich Gottes unbedingt sehen, er muß es  dingfest machen, anfassen können. Die Glaubenden dagegen, Strauß nennt sie die Religiösen, können das Unsichtbare des Reiches Gottes gelten lassen. Wenn Jesus mit den Pharisäern oder mit den Jüngern oder mit Kranken oder mit der Samaritanerin am Brunnen spricht, dann entwickelt er mit ihnen gemeinsam Lebensdeutungen und -orientierungen. Das läßt sich nicht in eindeutige Empfehlungen zwängen, das bringt auch keine letzte Sicherheit, sondern das zielt auf das Unscheinbare, Unsichtbare, das Verborgene, manchmal nicht in Worte zu Fassende.

Gottes Reich gehört zu den Geheimnissen des Glaubens. Der, der nach Sicherheit sucht, der Zweifelnde, muß zwanghaft jedes Geheimnis weg erklären. Der Glaubende dagegen kann ganz in Ruhe und mit Gewißheit die Gegenwart von Gottes Reich annehmen.

Das Reich Gottes - mitten unter euch. Das ist erstens Gemeinschaft von mehreren Personen, zweitens Unsichtbarkeit, ein Band, das wirkt, aber nicht zu sehen ist, drittens die Kraft des Glaubens.

Wenn ich in der Welt nur Tatsachen und Klartext sehe, dann werde ich der Gegenwart von Gottes Reich nicht begegnen. Und so kann man weder Gott noch sein Reich mit wissenschaftlichen Fakten und Experimenten beweisen. Wer Gottes Reich sehen und das Wirken seines Geistes spüren will, der darf nicht nur auf die Fakten und Tatsachen blicken.  Stattdessen richtet sich der Blick auf Zeichen. Und Zeichen wollen gedeutet werden. Wer Gottes Reich sehen will, der muß die Zeichen der Zeit und genauso die Zeichen Gottes richtig zu deuten wissen. Gott tritt mir nicht gegenüber wie der König mit Krone, Purpurmantel und goldenem Zepter oder wie der rauschebärtige Menschheitsvater überm Sternenzelt. Das alles sind Bilder, die ihre Zeit gehabt haben. Wann aber das nicht, wann begegne ich dann Gott? Wann spüre ich sein Reich oder mindestens den Anbruch seiner Herrschaft?

Mir sind Beispiele eingefallen, aus Gesprächen, aber auch aus der Gemeinde und aus der politischen Geschichte:

Wenn ich einen sterbenden Menschen besuche, dann bete ich oft mit diesem Sterbenden langsam und laut einen bekannten Psalm, den 23. oder den 121.Psalm, und manchmal, nicht immer stellt sich danach eine Ruhe und Stille ein, so daß ich sicher bin: Gott hat diesen sterbenden Menschen angenommen. Er wird ihn durch den Tod in sein Reich hinüberleiten. Das braucht dann keine Worte mehr, der Psalm hat  genügt.

Viele Christen sehen in der friedlichen Revolution des Jahres 1989, im Fall der Mauer, der sich morgen zum zwanzigsten Mal jährt, ein Beispiel, hinter dem das sich ausbreitende Reich Gottes sichtbar wird. Einbetonierte Verhältnisse, für die die Mauer als Symbol steht, sind in Bewegung geraten, die Menschen haben mit der Kerze in der Hand die Mauer im wahren Sinn des Wortes zuerst zum Wackeln und dann zum Einsturz gebracht.

Ein drittes Beispiel sehe ich in allen Geschehnissen der Vergebung, der Schlichtung, der Kompromißbildung, wenn alter Familienstreit oder ein Gruppenkonflikt in einer friedlichen Weise beigelegt wird, so daß plötzlich Neues entstehen kann.

Sicher ist: Niemand sollte die berechtigte Gewißheit der Nähe von Gottes Reich vorschnell in Tatsachen umdeuten. Auch die Wiedervereinigung brachte nicht das Paradies, sondern Ost- und Westdeutsche mußten und müssen sich in einem langen Prozeß, dessen Ende nach 20 Jahren nicht absehbar ist, neu auf gemeinsame Lebensbedingungen einstellen und daran orientieren. Und auch ein beigelegter Konflikt in einer Familie oder Gruppe muß nicht dauerhaften Frieden bedeuten. Neue Entwicklungen können ohne weiteres neue Konflikte nach sich ziehen, von denen vorher niemand etwas ahnte.

Es ist ganz entscheidend, die eigene oder die politische Lebenssituation nicht als Verhängnis anzusehen und darüber in Verbitterung oder doch mindestens in menschenfeindlichen Pessimismus zu fallen. Der Pessimist und der Zweifler verschließen ihre Augen vor den Möglichkeiten und Kräften, Konflikte, Auseinandersetzungen und Schicksalschläge aufzubrechen, zu verändern und aus Vergebung, Aufeinanderzugehen und Dankbarkeit etwas Neues, vorher nicht Bedachtes zu schaffen. Wer glauben kann und sich der Nähe des Gottesreiches gewiß ist, den wird das Neue, Unvorhergesehene, Plötzliche nicht allzusehr überraschen. Gleichwohl wird es ihn trotzdem in dankbares Erstaunen versetzen.

Die Pharisäer haben ja nach Gottes Reich gefragt. Die zweite Frage stellen die Jünger, und sie fragen nun nach dem Tag des Menschensohns. Den Pharisäern ging es um die Gegenwart von Gottes Reich, den Jüngern geht es um das apokalyptische Ende der Zeit und der Welt. Auch dieses läßt sich nicht vorherberechnen. Dieses Ende kommt plötzlich und unerwartet. Darüber wäre nun vieles zu sagen. Ich beschränke mich auf einen einzigen Gedanken.

Für die Zeit, für Alltag und Zukunft gilt dasselbe wie für das Sehen von Gottes Reich. Wer nur ungläubig auf die Tatsachen schaut, kann für Gottes Reich nicht sensibel werden. Wer die Alltagszeit, die Gegenwart so auffaßt, als würde sie immer und ohne Ende so weitergehen, der übersieht, daß Gott auch der Zeit Grenzen gesetzt hat. Wer weiß, daß seine Zeit einmal zu Ende geht, der lebt im Alltag anders als jemand, der von der unendlichen Verlängerung der Zeit ausgeht.

Beide Male kommt man in Frage und Antwort zum selben Ergebnis, egal ob man aus der Sicht der Jünger oder der Pharisäer fragt. Wer glaubt, der rechnet mit der Gegenwart von Gottes Reich, mit dem Wirken seines Geistes und mit seiner Herrschaft über die Welt und die Zeit. Wer glaubt, der hat Mut, sich an jedem Tag neu von Gott überraschen zu lassen. Amen.



PD Dr. Wolfgang Vögele
www.Christuskirche-Karlsruhe.de
E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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