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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr, 15.11.2009

Predigt zu Matthäus 25:31-46, verfasst von Rolf Wischnath

„Das große Weltgericht"

Manche Texte der Bibel braucht man nicht zu predigen. Man muss sie nur  hören. Und schon treffen sie. Wie ein abgeschossener Pfeil. Ins Schwarze!

Die Rede Jesu vom Menschensohn der in seiner Herrlichkeit kommt und das jüngste Gericht über die Völker hält, ist ein solcher Pfeil. Er kommt auf mich zu. Und ich sehe ihn. Noch versuche ich auszuweichen. Aber er trifft - unabwendbar. Die Eindringlichkeit dieses Textes kommt nicht von ungefähr. Denn das, was Jesus hier zu sagen hat, ist nicht irgendein beiläufiges, sondern sein letztes Wort, - und zwar im doppelten Sinne:

Es ist das letzte Wort des Gekommenen und es wird einmal das letzte Wort des Wiederkommenden sein. Nachdem der gekommene Herr das Weltgericht in dieser ultimativen Weise angekündigt hat, geht er nach dem Bericht des Evangelisten Matthäus selber ins Gericht: nach Bethanien zur Totensalbung, nach Gethsemane zur Gefangennahme und nach Golgatha zur Hinrichtung: in die Hölle: in die äußerste Gottverlassenheit. Und wenn der wiederkommende Herr einmal das Gericht über die vor ihm versammelten Völker hält, dann wird in dieser Gerichtsverhandlung eben dies sein letztes Wort sein: "Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan .... Was ihr einem von diesen Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan." Danach fällt das Urteil über uns und danach wird es vollzogen.

Für das Verstehen des Gleichnisses vom großen Weltgericht ist entscheidend, diesen doppelten Zusammenhang nicht zu vergessen: Derjenige, der einmal über alle Menschen das Urteil spricht, ist derselbe, der sich zuvor dem Gericht und Vernichtungsurteil aller Menschen ausgesetzt hat: "Sie schrien aber alle: Er soll gekreuzigt werden!"(Mt 27.22) Und das ist ein damals wie heute ungeheuerlicher Anspruch: Dieser Jesus, der wie ein Fremder auf dieser Erde leben musste und den man selbst aus seiner Vaterstadt hinausgeworfen hat, der in Gethsemane sich ohne Widerstand gefangen nehmen ließ, der nackt und durstig am Kreuz gehangen hat und schreiend in der „Gottverlassenheit" gestorben ist, - dieser und kein anderer ist der Menschheit aller Zeiten zu dem Stein gesetzt, an dem jedermann und jedefrau zu Fall kommen oder aufstehen. Er ist unausweichlich unser aller Schicksal. Er sagt das letzte Wort über eine jede, einen jeden von uns, er fällt das endgültige Urteil. Einmal werden die Masken fallen, die wir alle tragen, werden wir die Kostüme und Talare ablegen müssen, in denen wir auf der Bühne der Welt uns so meisterhaft dargestellt haben; einmal gerät ins Feuer des Gerichts, was wir einander angetan, worauf wir uns berufen und wohinter wir uns so oft versteckt haben; wir werden selber nackt dastehen und offenbar werden als die, die wir in Wahrheit waren und sind. Und jener in den Augen der Welt Gescheiterte wird dann jedem und jeder sagen, wer er oder sie ist und wohin sie gehören. Dieser zuvor von den Menschen zum Tode Verurteilte spricht das Urteil, dieser Hingerichtete ist der Richter.

Was wird dann gelten? Und was ist das Kriterium, nach dem der wiederkommende Menschensohn urteilt? Das Gleichnis vom großen Weltgericht lässt keinen Zweifel: "Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.... Was ihr einem von diesen Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan." Es sollte uns wohl zu denken geben, dass es nicht heißt: Ihr habt zur christlichen Gemeinde gehört, und ihr anderen nicht. Die Scheidelinie verläuft nach diesen Wort Jesu quer durch die Christen und Nichtchristen, quer durch Kirche und Welt. Es wird auch nicht gefragt: Hast du dich bekehrt? Hast du dich für Jesus entschieden? Bist du fromm genug gewesen? Es heißt nicht: Habt ihr in Familie und Gesellschaft auch immer schön auf die christlichen Grundwerte geachtet und allerlei weltliche Organisationen und politischen Schliche und Ränke als "christlich" bezeichnet? Man mag hier auf Erden noch so inbrünstig "Herr, Herr" gesagt haben, man mag noch so packend und hinreißend gepredigt oder geschwiegen haben - das alles kann täuschen und blenden, dort kommt es ans Licht. Die entscheidende Stichprobe ist das Verhalten zum Nächsten in seiner Not. Was wir an den Ärmsten getan oder nicht getan haben, das wird zählen. Denn in ihnen begegnet uns der „Menschensohn", der Weltenrichter, und dort sehen wir den, der selber einer der ärmsten Menschen geworden ist, der nirgendwo anders als in der Armut gesucht und gefunden werden will, der aber einmal wiederkommt als der Menschensohn in seiner wahren verborgenen Herrlichkeit als der Richter der Welt.

"Ich bin hungrig, durstig, fremd, nackt, krank und gefangen gewesen, und so stand ich in der Gestalt dieser geringsten Brüder und Schwestern vor dir!" Wir werden also einmal nicht erinnert werden an Begegnungen mit Menschen, die uns bedeutsam vorgekommen sind und mit denen zusammenzutreffen uns als Ehre galt, sondern an die, denen wir lieber ausgewichen wären: an die Zeitgenossen, deren Gegenwart uns mühsam, lästig oder gar peinlich gewesen ist. Und die Hungernden, die Durstigen, die Fremdlinge, die Nackten, Kranken und Gefangenen, - sie alle werden im Gericht des Menschensohns vor unseren Augen und Ohren mit ihrem Namen genannt und so herausgeholt aus der ehrlosen Anonymität, in die sie unser Übersehen, Abwenden und Vergessen hineingestoßen hat. Die Hungernden? - nicht irgendwelche von den Unzähligen werden uns da begegnen, sondern genau die, die jetzt in diesem Augenblick an meinem und unser aller Geiz, an meiner und unser aller Gleichgültigkeit z.B. in ..... - ja, was weiß ich denn, wo sie denn gerade an meinem Geiz - verenden. Da und dann weiß ich es. Das war ich, sagt der Weltenrichter, da bin ich noch einmal gestorben. Oder: die Fremden? - nicht irgendwelche sondern genau die, deren billige Arbeitskraft wir in Anspruch nehmen und auspowern und von denen dann einer an meiner Tür steht - gebrochenes Deutsch, schwarze Haare, dunkle Haut - und dem ich auf seine Wohnungsfrage hin achselzuckend die Tür wieder weise oder eine Auskunft gebe, die ihn für die nächste halbe Stunde vertröstet. Das war ich, sagt der Menschensohn-Weltenrichter, da hast du mich hinausgeworfen, mich vertröstet. Oder: die Nackten, die Kranken und Gefangenen - vor 64 Jahren war der letzte Krieg in Deutschland zu Ende und doch nicht zu Ende und heute ist (kalendarisch abgerufen) der Volkstrauertag. Was wäre da alles zu sagen? Und an was alles wird der Richter über die Völker da noch einmal erinnern? "Ich hatte dies Land in mein Herz genommen" lässt der Dichter Werner Bergengruen 1944 den Menschensohn sagen:

"Ich hatte dies Land in mein Herz genommen.
Ich habe ihm Boten um Boten gesandt.
In vielen Gestalten bin ich gekommen.
Ihr habt mich in keiner erkannt.
Ich klopfte bei Nacht ein bleicher Hebräer,
ein Flüchtling, gejagt, mit zerrissenen Schuhn. 
Ihr riefet dem Schergen, ihr winktet dem Späher
und meintet noch Gott einen Dienst zu tun.
Ich kam als zitternde geistgeschwächte Greisin
mit stummem Angstgeschrei.
Ihr aber spracht von Zukunftsgeschlechte
und nur meine Asche gabt ihr frei.
Verwaister Knabe auf östlichen Flächen
ich fiel euch zu Füßen und flehte um Brot. 
Ihr aber scheutet ein künftiges Rächen
ihr zucktet die Achseln und gabt mir den Tod.
Ich kam als Gefangner, als Tagelöhner"
verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt. 
Ihr wandtet den Blick von dem struppigen Fröhner. 
Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?"

 

Was habt ihr diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern gegenüber getan - damals? Und was tut ihr, die ihr - damals noch nicht geboren - das alles wisst und euch warnen lassen könntet, was tut ihr mit den Geringsten eurer Tage - heute? So fragt uns Christus - heute schon, und dann erst recht. Wir müssen sehen, dass es in diesem Text nicht nur heißt: Was habt ihr getan?. sondern auch: Was habt ihr nicht getan? Und diese Frage konkretisiert sich für uns so, dass sie uns dabei behaftet, ob uns die geringsten Schwestern und Brüder unseres Herrn überhaupt interessieren, ob wir über ihr Geschick Bescheid wissen, ob wir es an uns herankommen lassen wollen oder ob wir die Gestalten des Elends in nah und fern nur als eine unangenehme Störung unserer Lebenskreise empfinden, sie daher aus dem Gesichtsfeld unserer heilen privaten Welt verbannen und uns abschirmen gegen ihre Bilder? Die Missachtung jener Geringsten beginnt mit dem Nicht-Hinsehen. Schon dieses Nicht-Hinsehen ist die Verfehlung. So wie es vor einundsiebzig Jahren unverantwortlich war - es war das Jahr der sog. „Reichskristallnacht" -, die offenkundige Verfolgung von Juden oder politisch Andersdenkenden einfach nicht wahrhaben zu wollen und die Ohren zu verstopfen gegen die heimlichen Nachrichten über die KZ's, so heißt heutige Verantwortungslosigkeit - zum Beispiel: Nicht-informiert sein über die Zustände, in die Asylanten aus Afrika bei ihrem verzweifelten Übersetzen über das Mittelmeer nach Europa geraten in die Auffang- und Abschiebelager, nichts-wissen-wollen von den Ursachen des Todes von täglich 30.000 Kinder, die nach jüngster Auskunft von Unicef den Hungertod sterben müssen, sich gelangweilt und interesselos abzuwenden, wenn die Stichworte ‘Palästinenser' und „Israel", 'Dritte Welt', 'Afrika', ‘Lateinamerika', „Indien" oder „Rüstung" und ‘Abrüstung' fallen.

Wohl wahr, niemand von uns kann alles wissen, und niemand kann jedes irgendwo in der Welt geschehende Unglück sich zu Herzen gehen lassen, ohne nicht in Kürze physisch und psychisch völlig überfordert zu werden. Aber ein jeder, jeder Mann und jede Frau könnten sich wenigstens eins der Probleme der geringsten Schwestern und Brüder in der Nähe oder Ferne angelegen sein lassen. Es gibt in der Kirche und in unserer Gesellschaft zahllose Möglichkeiten sich ehrenamtlich zu engagieren und zu beteiligen: - Regionale Beispiele nennen -.

Worum es im Kern geht, ist dies: Wer dieses letzte Wort Jesu ernst nimmt, der wird sich nicht lediglich zu ein paar Almosen oder freundlichen Gesten individueller Barmherzigkeit verleiten lassen, der wird nicht nur ein paar selbstverständliche Dinge tun um sein Gewissen zu beruhigen, sondern der wird versuchen, in seinem Leben - wenigstens an einer Stelle - selber mit Jesus Christus auf die Seiten der Armen und Elenden zu treten. Die Armen sind der Schatz der Kirche, nicht ihre Last.[1] Wir können Christus nicht haben ohne sie. An unserem Verhältnis zu ihnen werden wir einmal gemessen werden. Wie wir mit den geringsten seiner Schwestern und Brüder umgegangen sind, danach wird er uns als der wiederkommende Menschensohn fragen. Daran entscheidet sich, was über uns gesagt wird. -

Es kann nun allerdings sein, dass uns beim Hören dieses Textes und dieser Predigt darüber - so eindringlich und einleuchtend es uns auch erscheinen mag - dennoch eine tiefe Ratlosigkeit befällt. Ist das noch „Evangelium", gute Botschaft? Verträgt sich das mit dem Herzstück unseres evangelischen Glaubensbekenntnisses: mit der Erkenntnis Martin Luthers, dass der Mensch vor Gott gerecht wird allein aus Gnade, mit der Rechtfertigungslehre, wenn hier solcher Nachdruck aufs Tun gelegt wird? Möchte man nicht mit den Jüngern fragen: Wer kann dann gerettet werden? Was soll denn nun gelten: dass ich rackern und schaffen muss, um einmal vor dem Weltenrichter zu bestehen oder dass ich allein aus Gnade und umsonst gerettet worden bin?

Lasst uns darauf achten, dass hier im Gleichnis vom Großen Weltgericht nicht von Verdiensten die Rede ist, mit denen man Gott gnädig stimmen und sich das Himmelreich erkaufen kann. Die hier zur Rechten gestellt werden, fragen doch selber ganz überrascht: Wann hätten wir dich so gesehen und dir also getan?, so dass jeder Gedanke an eigennützige Spekulationen fern lag, als sie sich um die Kranken oder Gefangenen gekümmert haben. Gerade die zur Rechten des Menschensohns wissen, wieviel sie schuldig geblieben und wie sehr sie auf die Gnade Gottes angewiesen sind. Und daran werden sie als Jüngerinnen und Jünger erkannt, dass sie sich nicht selbst rechtfertigen und bestätigen, während die zur Linken es nur als Litanei der Selbstrechtfertigung zu sagen wissen: Wann hätten wir dich denn so gesehen und uns schuldig gemacht? -

Liebe Gemeinde, dieser eindrückliche Predigttext stellt uns letztlich die Frage: Können wir das überhaupt schaffen? Können sich Menschen überhaupt noch ändern? Kann ich mein Leben noch so ändern, dass ich vor diesem Richter einmal bestehen werde?

Hier - in solchen Fragen - gilt wirklich: Bei den Menschen ist's unmöglich - aber alle Dinge sind möglich bei Gott. Wenn es uns geschenkt wird zu erkennen, dass Jesus, der Gekreuzigte als Herr aller Herren, auf der Seite der Ärmsten und Geringsten steht, dann ist auch das Wunder möglich, dass wir selbst von unserer eingebildeten Höhe herabsteigen, dass wir uns selbst als vor Gott Hungrige, Durstige und Nackte erkennen - als solche, die dann doch erfahren dürfen, dass der Menschensohn-Weltenrichter kein anderer ist als der, der für unsere Sünden zuvor am Kreuz hingerichtet worden ist, und dass wir darum von Gott angenommene und bejahte Menschen sind. Und nur als solche, die wissen, dass sie sich vor Gott in nichts wirklich rühmen können, die jeden Tag nur aus der Vergebung ihrer Sünden leben, gehen uns dann auch die Augen auf für genau den Mitmenschen, der heute auf unser Erbarmen angewiesen ist.

Und so geschieht schon jetzt ein Wunder, nämlich dass aus einem biblischen Text, der wie kaum ein anderer uns alle in äußerste Bestürzung führen kann, dennoch Trost entsteht. Es ist der Trost, der uns weiterlesen lässt, nämlich dass der, der uns dieses letzte Wort sagt und sich darin selber als den letzten Richter ankündigt, dass er, nachdem er das gesagt hat, weitergeht und sich selber in die Hände der Ungerechten begibt und für unser aller Schuld stirbt. Und so kann es in einer Bekenntnisschrift der evangelischen Kirche, kann es im Heidelberger Katechismus heißen: Was tröstet dich die Wiederkunft Christi zu richten die Lebendigen und die Toten?

Dass ich in aller Trübsal und Verfolgung / mit aufgerichtetem Haupt / eben des Richters, der sich zuvor / dem Gericht Gottes für mich dargestellt / und alle Verfluchung von mir hinweggenommen hat, / aus dem Himmel gewärtig bin ..........

    Amen.

Verwendete Literatur:

Ø  Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. I/3 (Mt 18 - 25), Neukirchen 1997, S. 515 .  561

Ø  Walter Kreck, Predigthilfe zu Matthäus 25, 31 - 46 (o.J. maschinenschriftlich)


[1] Hans-Joachim Iwand



Prof. Dr. Rolf Wischnath
Gütersloh in Westfalen
E-Mail: rolf.wischnath@t-online.de

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