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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr, 15.11.2009

Predigt zu Matthäus 25:31-46, verfasst von Christian-Erdmann Schott

31. „Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 32. und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33. und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. 36. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. 37. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38. Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet? 39. Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehn und sind zu dir gekommen?

40. Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

41. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43.  Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.
44. Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehn oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
45. Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben."

Liebe Gemeinde, diese Darstellung vom Jüngsten Gericht ist von Matthäus, und so nur von Matthäus, mit dem Blick auf die Situation der Christen in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts geschrieben. Das war eine Zeit, in der die christlichen Gemeinden buchstäblich zwischen allen Stühlen saßen: Die jüdischen Synagogenverbände machten unmissverständlich klar, dass sie mit den Anhängern des Jesus aus Nazareth nichts zu tun haben wollen, dass die Christen nicht zu ihnen gehören. Damit entfiel auch der religiöse Ausnahmeschutz, den die jüdischen Gemeinden besaßen. Das heißt, die Christen waren nicht mehr Teil einer religio licita,  einer von den staatlichen Behörden erlaubten oder anerkannten Religion, die von der Pflicht zur Anbetung des Kaisers befreit war. Vielmehr waren sie, wie alle anderen Bürger des Römischen Reiches auch, zur Teilnahme an den religiösen Staatsfeiern und -Opfern zu Ehren des gottgleichen Kaisers verpflichtet. Gleichzeitig wussten sie, dass sie diese Anbetung eines Menschen, und sei es der Kaiser selbst,  nicht mitmachen konnten und wollten, eben weil sie diese Ehre Gott allein zuteil werden lassen wollten; genauer dem Gott, den ihnen Jesus Christus verkündigt und vorgelebt hatte.

Diese Spannung hat zu Konflikten geführt - mit der Staatsgewalt, aber auch in den eigenen Reihen.  Nicht in allen Provinzen und zu allen Zeiten haben die Regierungen scharf durchgegriffen und den Christen ein besonderes Augenmerk zugewandt. Es gab Zeiten relativer Ruhe, bis es dann doch wieder zu Gefangennahmen, Verhören, Verurteilungen, auch Ermordungen von Christen kam. Insgesamt war die Situation gekennzeichnet durch  Willkür der Behörden,  Rechtsunsicherheit,  Angst in den Gemeinden.

In dieser Situation erfuhren viele Christen aber auch ganz unerwartete Hilfen aus der Bevölkerung. Mitleidige Menschen, keineswegs Christen, Menschen irgendeiner anderen Religion, vielleicht sogar auch Angehörige anderer Rassen, steckten ihnen heimlich oder offen etwas zu - hier ein Stück Brot, dort einen  Becher Wasser, da pflegte jemand aus reiner Barmherzigkeit einen kranken Christen, da besuchte jemand einen Christen im Gefängnis, da nahm man den einen oder anderen, der von den Behörden gesucht wurde, auf und sorgte still und heimlich für ihn. Das waren die Wohltäter der Christen. Leider gab es auch das Gegenteil: Gleichgültigkeit, Wegsehen, In-Ruhe-Gelassen-Werden-Wollen, Hände, die sich zugeschlossen hielten, die sich für die Not der Christen nicht öffneten.

Diese Situation hat Matthäus bereits im Blick, wenn er an die Worte Jesu erinnert: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.....Und wer einem einzigen dieser Kleinen auch nur einen kühlen Trunk reicht, weil er ein Jünger ist: Wahrlich, ich sage euch, er wird seinen Lohn bekommen" (Matth. 10, 40-42).

Um diesen Lohn geht es hier in diesem Gleichnis vom Jüngsten Gericht. Aber nicht allein darum. Wichtiger noch als der Lohn ist, dass der Richter, der Herr, vor dem „alle Völker" erscheinen müssen, sich mit diesen rechtlosen, schutzlosen, auf die Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen angewiesenen Christen identifiziert und erklärt, sie, diese geringsten Zeitgenossen, das sind meine Brüder und was ihr ihnen getan habt, das habt ihr mir persönlich angetan. Christus stellt sich vor seine Gemeinde - und so wie sie diese Gemeinde in der Welt behandelt haben, so wird er im Gericht die Menschen beurteilen und behandeln.

Darum sind in diesem Gericht zwei Überraschungen beschrieben. Einmal die, dass diese Geringen die Freunde, ja der Augapfel des Weltenherren sind, und zum anderen, dass die, deren Hände sich geöffnet oder verschlossen haben, plötzlich merken müssen, dass vor diesem Richter nicht zählt, was sie sonst getan oder nicht getan haben, wie gut oder nicht gut, wie tüchtig oder faul, wie erfolgreich oder nicht erfolgreich sie waren, sondern einzig, ob sie zu denen gehören, die die Gemeinde gesegnet hat wegen ihrer Barmherzigkeit oder ob sie zu denen gehören, die die Gemeinde nicht segnen konnte, weil sie sich für sie und ihre Leiden nicht interessiert haben.

Für die Gemeinden in der Verfolgung muss diese Aussicht ein großer Trost gewesen sein. Sie konnten glauben und wissen: Es hat einen guten Sinn, durchzuhalten. Wir sind die Gemeinde des höchsten Herrn und stehen unter dem Schutz seines ewigen Rechtes. Haben wir jetzt auch nicht das politische, das öffentliche, das Römische Recht auf unserer Seite, so sind wir deshalb nicht rechtlos; denn auf unserer Seite ist das göttliche Recht, das einmal, am Jüngsten Tage, gesprochen werden wird. Darum wollen wir uns jetzt auch nicht rächen. Darum wollen wir jetzt auch die rechte Backe hinhalten, wenn wir auf die Linke geschlagen werden. Darum fluchen wir nicht. Die Rache, das Gericht, die Vergeltung ist nicht unser, sondern Gottes und seines Sohnes, unseres Herrn.

 

Das war damals. Wer sind diese geringsten Brüder heute? Wenn wir im Denkrahmen des Matthäus-Evangeliums bleiben, kann es nur eine Antwort geben: Diese geringsten Brüder sind heute die, von denen die Seligpreisungen sprechen. Es sind die, die es wagen, in einer unbarmherzigen Welt barmherzig zu sein; die die Schwächen und Fehler ihrer Mitmenschen nicht auszuposaunen oder ausnutzen, sondern in Liebe zudecken - und dadurch vielleicht sogar Nachteile haben. Es sind die Sanftmütigen, die nicht immer gleich zurückschlagen und sich dafür vielleicht sogar den Vorwurf der Halbherzigkeit und unangebrachten Weichheit machen lassen müssen. Es sind die Friedfertigen, die es wagen, dem Freund-Feind-Denken in den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung und der Völker entgegenzutreten und die darum als unzuverlässige Genossen angesehen werden. Es sind die, die es wagen, auf Gott zu setzen, seinen Namen hochzuhalten und sich dafür den Vorwurf der Spinnerei oder den Spott einhandeln, nicht mit der Zeit zu gehen und altmodisch zu sein. Es sind die Menschen, die mit Christus und um Christi willen in dieser Welt leiden, - denken wir an die Verfolgungen etwa in Nordkorea oder in zahlreichen islamischen Ländern. Es gibt diese Jünger des Herrn, die eher in der Stille wirken, auch heute. Und es gibt sie weltweit.

Und wo sind die, die ihnen helfen, heute? Könnten, sollten wir nicht auch zu ihnen gehören? Sie merken, die Fronten und die Unterscheidungslinien beginnen sich aufzulösen und zu verwischen. Im Unterschied zu Matthäus stehen wir heute  in einer anderen Weltsituation. Aber es ist deutlich: Bis zum Gericht bleibt alles offen. Es bleibt offen, wo wir hingehören und wer wir sind. Christus wird uns mit seinem Urteil überraschen. Das ist auch unheimlich: Da kann man ja nicht mehr sicher sein, ob man zu den Schafen gehört oder sich plötzlich bei den Böcken wieder findet. Da kann man ja nicht mehr so genau wissen, was der Herr sagen wird.

Ich denke, dass das auch eine Absicht dieser Darstellung vom Jüngsten Gericht ist. Sie will deutlich machen, dass Jesus Christus wirklich der Richter ist; wirklich, das meint, er bestätigt nicht einfach unsere Vorurteile oder Selbstbeurteilungen. Er gibt uns nicht einfach schlicht Recht. Es ist alles offen. Es gibt niemanden, der sich nicht zu fürchten hätte, der sicher sein könnte.  

Diesen Gedanken - „Des muss dich fürchten jedermann" (EG 299,2) - haben die Menschen besonders im Mittelalter aus dieser Darstellung herausgehört. Sie haben sich die Qualen der Verurteilten in der Hölle vielleicht allzu realistisch ausgemalt und sich zu sehr geängstet. Aber sie haben immerhin das eine richtig erkannt: Das Gericht Gottes ist wirklich ein Gericht und es bleibt bis zum Gerichtstag völlig offen, wer auf die Rechte und wer auf die Linke Seite gestellt werden wird. Denn der Richter sind nicht wir. Der Richter ist Er.

 

In früheren Jahren und Jahrzehnten wurde heute, am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, auch der Volkstrauertag begangen. Allmählich gerät diese Tradition in Vergessenheit. Kinder können mit diesem Tag schon nichts mehr anfangen. Man muss ihnen in den Schulen oder im Konfirmandenunterricht erst erklären, dass wir an diesem Tag an die Toten der letzten beiden Weltkriege gedacht haben, an die Soldaten, aber auch an die Opfer in der Zivilbevölkerung, etwa in den Bombenkellern, bei Flucht und Vertreibung, aber auch in den Gaskammern der Konzentrationslager. An dem Nichtwissen der Kinder ist nichts Ungewöhnliches. Es ist normal, dass Geschichte absinkt, dass die Zeit weitergeht und vieles nach und nach vergessen wird. Das ist so. Darin liegt aber auch etwas Unbarmherziges, etwas Trostloses. Soll das alles, was an Verbrechen und Gemeinheit, an Leid und Schmerzen, aber auch an stillem Heldentum und an selbstloser Hilfe gewesen ist, nicht doch auch bewahrt oder sagen wir besser: aufgehoben sein? Soll das einfach ins Nichts, ins tote Vergessen einmünden? Dagegen steht diese Darstellung vom Weltgericht. Wir Menschen können uns gegen das Vergessen nur sehr unvollkommen schützen. Aber wir können aus der Bibel lernen, - bei Gott sind alle Dinge aufgehoben. Sie werden noch einmal offenbar werden und zur Sprache kommen,  wenn sein Tag kommt und alle Völker, nicht nur die Christen, vor ihm erscheinen müssen, um seinen Spruch zu hören.

Damit kommen wir zum Letzten und Tiefsten Anliegen dieser Darstellung des Matthäus: Das Letzte, was uns bewegen soll, ist nicht die Angst vor der Hölle, auch nicht die Sorge, ob wir vor dem Richter bestehen werden. Das Letzte ist die Ermutigung, es lohnt sich, es wird bei Gott bemerkt, bewahrt, es ist bei Gott aufgehoben, was wir hier Gutes getan haben und sei es auch noch so unscheinbar. Es hat einen Sinn, den Becher zu reichen, den Gefangenen zu besuchen, den Nackten zu kleiden. Es hat einen guten Sinn auch dann, wenn es sich in dieser unserer Lebenszeit nicht weiter auswirkt, scheinbar unbemerkt untergegangen ist und erkennbar nichts verändert hat. Bei Gott ist es nicht vergessen, bei ihm zählt es. Darum sollen wir uns nicht nur auf den Rahmen unseres Zeit- und Welterlebens einschränken lassen. Gott ist viel größer. Sein ist die Ewigkeit und es lohnt sich, ein Stück von diesem Wissen um die Ewigkeit in unser Leben hinein zu nehmen. Dazu will uns der Gedanke an das Jüngste Gericht schließlich und endlich ermuntern. Er will uns Mut machen, noch in der Welt über die Welt hinaus mit dem Herrn der Welt zu rechnen und ihm unsere Werke anzuvertrauen. Amen.



Pfarrer Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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