Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 18.11.2009

Predigt zu Lukas 13:6-9, verfasst von Tobias Geiger

Ein Mann sitzt zusammen mit anderen Reisenden in einem Zugabteil. Jedes Mal, wenn der Zug in einen Bahnhof einfährt, stöhnt er auf und jammert vor sich hin. Schließlich gerät er fast in Panik. Die anderen fragen ihn: »Was ist denn los? Warum jammern und stöhnen Sie dauernd?« Der Mann antwortet: »Ich muss doch jammern, wenn ich bei jedem Bahnhof merke, dass ich in die falsche Richtung fahre!«

 

Mit dieser Geschichte sind wir mitten drin im Thema des Buß- und Bettags. Buße heißt Umkehr, Richtungsänderung. Nicht nur jammern über das, was falsch läuft. Nicht immer weiterfahren in den alten Gleisen. Warum steigt der Mann in unserer kleinen Geschichte nicht einfach aus? Warum fährt er weiter in der falschen Richtung? Warum hat er nicht den Mut, umzukehren? Dieser Tag heute ist ein Signal, ein Ausrufezeichen. Er will uns zu neuer Orientierung helfen. Und so hat es seinen guten Grund, dass der Buß- und Bettag nicht auf einen Sonntag, sondern auf einen Werktag fällt. Die alltäglichen Geschäfte und Besorgungen sollen unterbrochen und einer Prüfung unterzogen werden. Doch lassen wir uns unterbrechen? Haben wir den Mut, unser Leben in Frage zu stellen? Was tun wir eigentlich Tag für Tag, Woche für Woche? Wofür leben wir und auf wessen Kosten? Geht es uns vielleicht wie jenem Mann im Zug, der mit Volldampf in die falsche Richtung fährt? Der Predigttext spricht diese Fragen aus, die zum Buß- und Bettag dazugehören. Ich lese aus Lukas 13 Vers 6 bis 9:

 

Jesus erzählte seinen Zuhörern das folgende Gleichnis:

Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt. Er kam und suchte Früchte an ihm und fand keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: »Hör zu: Drei Jahre sind es nun schon, dass ich herkomme und an diesem Feigenbaum nach Früchten suche und keine finde. Also hau ihn um, was soll er hier im Weinberg für nichts und wieder nichts dem Boden die Nährstoffe nehmen.« Aber der Weingärtner sagte: »Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen! Ich will den Boden rundherum gut auflockern und düngen. Vielleicht bringt er doch noch Frucht. Wenn nicht, dann lass ihn umhauen!«

 

Ein Gleichnis, das nach Israel passt. Seit alter Zeit wurden dort Feigenbäume in Weinberge gepflanzt. Die Weinstöcke  ranken sich am Stamm des Baumes empor und finden dort Halt und Stütze. Doch nun steht da ein Feigenbaum, der im dritten Jahr hintereinander keine Frucht trägt. Die Entscheidung des Besitzers ist verständlich: Der muss umgehackt werden. Ein Obstbaum ohne Früchte ist sinnlos. Die Axt ist dem Feigenbaum bereits an die Wurzel gelegt.

 

Was Jesus hier als Gleichnis erzählt, erleben wir tagtäglich. Denn in unserer Gesellschaft gilt dasselbe Prinzip wie bei dem Feigenbaum: »Wer nichts bringt, wird abgesägt«. Die Konkurrenz ist hart, ständig wird an der Leistungsschraube gedreht. Ein Ingenieur bei Daimler  sagte mir: »Heute bauen wir mit weniger Leuten mehr Autos als vor fünfzehn Jahren.« Wer das Tempo und den Stress nicht aushält, der wird aussortiert und abgeschoben. Die Zahl derer wächst, die nicht mehr gebraucht werden, die man sich angeblich nicht mehr leisten kann, weil sie nicht genug Leistung bringen. Das fängt bereits in der Grundschule an. Wer nichts bringt, der bringt es auch zu nichts. Und so geht es ein Leben lang weiter: Auf der einen Seite stehen Millionen von Kurzarbeitern und Arbeitslosen - auf der anderen Seite gibt es in Deutschland so viele Millionäre wie nie zuvor.

 

»Wer nichts bringt, wird abgesägt« - so geht es zu in unserer Gesellschaft. Und im Gleichnis vom Feigenbaum drängt sich die Frage auf: Handelt auch Gott nach diesem »Hau weg«-Prinzip? Jesus spricht hier von Menschen in ihrem Verhältnis zu Gott. Wir sind dieser Feigenbaum, und Gott fragt nach den Früchten in unserem Leben. An unser Christsein wird die Meßlatte angelegt. Sind wir gewachsen im Glauben? Ist etwas zu spüren vom Geist der Liebe und Barmherzigkeit? Sind Gottes Gebote der Maßstab für unser Handeln? Der Predigttext fällt ein hartes Urteil: Keine Frucht. Vergeblich gelebt. Es war umsonst.

 

Vielleicht erschrecken wir über diesen Gott, der so unerbittlich Plus und Minus zusammenzählt und die Rechnung präsentiert. Das »Hau ihn um« passt nicht zum  Bild eines gütigen alten Mann, von dem der Philosoph Voltaire spöttisch sagte: »Pardonner c'est son metier« - Vergebung ist sein Geschäft. Nein, die Bibel ist kein harmloses Buch mit Friede, Freude, Eierkuchen. Wir spüren den tödlichen Ernst, der mit dem Wort »Buße« verbunden ist. Die Umkehr ist lebensnotwendig. Ohne Frucht ist ein Baum nicht lebendig, er stirbt ab. Ein »Weiter-so-wie-bisher« darf um Gottes Willen und um meiner selbst willen nicht sein. Die Axt ist dem Feigenbaum schon an die Wurzel gelegt.

 

Doch in den Gleichnissen, die Jesus erzählt hat, steckt immer auch eine Überraschung drin. Wir hören, wie der Weingärtner seinem Arbeitgeber widerspricht. Anstatt die Axt zu schwingen, ist er bereit, mehr zu tun als von ihm verlangt wird. Er bietet an, den Boden um den unfruchtbaren Baum herum aufzulockern und zu düngen. Eine Arbeit, die nicht sehr erfolgversprechend ist. Waren die äußeren Bedingungen im Weinberg nicht schon die letzten drei Jahre über mehr als gut? Doch der Weingärtner ist also bereit, sich über das normale Maß hinaus einzusetzen. »Vielleicht bringt er noch Frucht« - das ist seine Hoffnung. Und wenn der Baum dann doch gefällt werden muss - er jedenfalls hat sein Möglichstes getan.

 

Mit diesem Weingärtner zeichnet Jesus ein Bild von sich selbst. Er ist es, der sich für den unfruchtbaren Feigenbaum einsetzt. Er ist es, der um einen Aufschub, um eine Gnadenfrist bittet. Er ist bereit, Schweiß und Mühe aufzuwenden. So wie dieser Weingärtner handelt Jesus an uns. Menschen, die nichts bringen, werden bei ihm nicht einfach abgeschrieben. Wer mit leeren Händen kommt und keine Frucht vorweisen kann, über den wird nicht sofort das Urteil gefällt. Und Jesus setzt mehr für uns ein als Schweiß und Mühe: Er gibt seinen Leib und sein Blut. Dort am Kreuz stirbt er, damit neues Leben entsteht. Für dieses neue Leben bittet Jesus: »Herr, lass ihn noch dieses eine Jahr!« Das ist die Chance zur Umkehr, zum neuen Anfang. Weil der Weingärtner sein Leben gibt, kann der unfruchtbare Feigenbaum lebendig werden und Frucht bringen.

 

Wie sieht nun die Frucht aus, die von uns erwartet wird? Frucht ist etwas anderes als Erfolg. Erfolg ist mit meinem Namen verbunden, hier stehe ich im Mittelpunkt, Erfolg zahlt sich für mich aus. Frucht dagegen ist für andere da. Ein Baum bringt Frucht nicht für sich selbst. Von seinen Früchten können andere leben. Ein Mensch, der Frucht bringt, in dessen Gegenwart leiden andere keinen Mangel. Wir bringen Frucht, wo das, was wir sagen und tun, anderen nützt und sie voranbringt. Und wer Frucht bringt, der kapselt sich auch nicht ab von der Quelle des Lebens, von Gott. Sondern er ist um eine lebendige Verbindung mit ihm bemüht. In einem Gesangbuchlied heißt es: »wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft« (EG 406). Wo diese Verbindung hergestellt ist, da werden Früchte nicht ausbleiben.

 

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal zusammenfassen. Dieses Gleichnis enthält eine doppelte Botschaft: Warnung und Mahnung, aber auch freundliche Einladung und Hoffnung. Was von beiden brauchen wir mehr? Das wird bei jedem von uns anders aussehen. Der eine wird mehr eine Mahnung nötig haben: So geht es nicht weiter. Steig aus aus dem Karussell, in dem du dich um dich selber drehst. Du bist nicht nur für dich da, du kannst nicht alles für dich behalten. Ein anderer leidet vielleicht darunter, dass es in seinem Leben so wenig oder gar keine Früchte gibt. Er braucht den Zuspruch Jesu: Gott ist noch nicht am Ende mit dir. Es gibt noch Zeit für dich. Du darfst dich der Pflege des Weingärtners anvertrauen.

 

Und dass der Weingärtner für uns sorgt, dass soll uns alle miteinander froh machen. Der Weingärtner Jesus lädt uns im Abendmahl zu sich ein. Er gibt uns Anteil an der Frucht seines Lebens und Sterben. Er will uns stärken durch Brot und Wein. Er nimmt uns auf in die Tischgemeinschaft des himmlischen Vaters. Er spricht selbst für uns die Bitte: »Kyrie eleison - Herr, erbarme dich!« Amen.



Pfarrer Tobias Geiger
Filderstadt-Sielmingen
E-Mail: pfarramt.sielmingen@elk-wue.de

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