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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag im Kirchenjahr - Ewigkeitssonntag / Gedenktag der Entschlafenen, 22.11.2009

Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Uta Pohl-Patalong

Liebe Universitätskirchengemeinde!

I.

Da fällt eine Tür ins Schloss. Zu, aus, vorbei. Hinter der Tür, da tanzen und feiern sie. Da wird das große Fest gefeiert, auf das sie alle so lange gewartet haben. Und es findet ohne sie statt. Sie sind abgefertigt, abgewiesen worden. „Ich kenne euch nicht", hat er gesagt. ER, ausgerechnet ER, der Bräutigam, hat sie so schroff abgewiesen. Der, auf den sie so lange gewartet haben. So lange, dass sie eingeschlafen sind. So lange, dass die Lampen heruntergebrannt waren. Das kann ja wohl mal passieren! Und nur, weil sie kein zusätzliches Öl mitgenommen hatten und ihre Lampen nicht erneut zum Brennen bringen konnten, als der Bräutigam endlich kam, nur deshalb dürfen sie jetzt nicht mitfeiern. Sie haben es ja noch versucht, haben sogar den Rat der anderen, der Klugen, der Glücklichen, der Weitsichtigen befolgt und sind noch schnell zum Kaufmann gelaufen und haben sich Öl besorgt. Wenn Öl die Einlassbedingung zum Fest ist - das lässt sich doch noch hinkriegen. Dafür findet sich eine Lösung. Eine zweite Chance. Nein. Hier nicht. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, das wissen wir ja mittlerweile. Aber: Wer zu spät kommt, die bestraft Gott? Für die ist die Tür zum Fest, zur ewigen Festfreude geschlossen? Für immer? Welch eine Härte, die uns aus diesem Text entgegen kommt. Welch ein Gott, welch ein Gottessohn, der hier sagt: „Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht!" Und das alles wegen so ein bisschen Öl...

II.

Was ist das für eine Szene, die Matthäus vor Augen stellt? Da warten zehn junge Frauen gemeinsam auf einen Bräutigam, vermutlich, um ihn anschließend entweder zum Haus der Braut oder mit der Braut zum Haus seiner Eltern zu begleiten - je nachdem, welche Hochzeitsbräuche den Leserinnen und Lesern damals vor Augen standen. Wahrscheinlich haben sie nicht wirklich Lampen, sondern Fackeln bei sich, die mit Öl brennen. Mit diesen wollen sie den feierlichen Hochzeitszug begleiten, wenn der Bräutigam eintrifft. Wenn, ja wenn er endlich eintrifft. Denn der Bräutigam bleibt aus, er kommt nicht zur geplanten, erwarteten Zeit. Die jungen Frauen warten. Wir dürfen vermuten, dass sie das nicht stumm tun, sondern miteinander reden. Hören wir einmal in ihr Gespräch hinein:

„Nun warten wir schon so lange". „Der lässt sich aber wirklich Zeit." „Wann er wohl endlich kommt?" „Meine Fackel brennt nicht mehr lange. Hast du noch Öl dabei?" „Ja, sicher, ich habe welches mitgenommen." „Öl - nein, wieso, sollten wir das?" „So lange wird es doch wohl nicht dauern!" „Ach, er kommt bestimmt bald. Das Öl wird schon reichen."

III.

„Es wird schon reichen". Ach, es wird schon. Es wird schon gehen. Es wird schon nicht so ernst gemeint sein. Es wird schon in Ordnung sein. Es wird schon reichen, was ich tue.

„Es wird schon" - im Alltag sind das Worte hilfreicher Selbstentlastung. Gerade bei Menschen mit eher perfektionistischen Tendenzen können diese ganz wichtig sein. Die innere Haltung des „es wird schon werden" bewahrt davor, alles bis ins Detail planen und regeln zu wollen und dafür viel mehr Zeit und Energie aufzuwenden, als die Sache eigentlich wert ist. „Es wird schon" steht für eine Haltung, die einiges dafür tut, dass etwas gelingt - und auch einiges lässt. Sie lässt es ein wenig darauf ankommen, ob es genug sein wird, und gibt sich damit zufrieden. „Es wird schon" eignet sich für die Fragen und Dinge des Alltags, für die kleinen und größeren Organisationsnotwendigkeiten, das das, was nun einmal getan werden muss.

„Es wird schon" eignet sich allerdings nicht für das, woran mein Herz hängt und nicht für das, was mich unbedingt angeht. „Es wird schon" drückt auch immer aus, dass es mir nicht ganz so wichtig ist, ob es nun wirklich reicht und gelingt. „Es wäre schön, wenn es klappt - aber wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm". Bei dem, woran mein Herz hängt, was mir ganz wichtig ist, kann ein „es wird schon" fatal sein. Es gibt Situationen, da möchte ich mich keinesfalls davon entlasten, alles, aber auch wirklich alles zu tun, was ich zum Gelingen einer Situation beitragen kann. Einen richtig guten Eindruck zu machen auf jemanden. Die Ankunft eines geliebten Menschen nach einem langen Auslandsaufenthalt vorbereiten. Eine berufliche Perspektive unbedingt verwirklichen. Da ist es keine Last, noch dreimal zu überlegen, ob ich wirklich an alles gedacht habe oder ob es noch etwas gibt, was in meinen Möglichkeiten steht. Ich kann gar nicht anders, weil mich die Situation sowieso intensiv beschäftigt und mein ganzes Herz daran hängt. Dass mir immer noch ein Detail einfällt, was ich zum Ersehnten noch beitragen könnte, entspricht der Bedeutung, die dieses für mich hat. Es ist Ausdruck meiner Wertschätzung für die Sache, ihrer Wichtigkeit für mich, mich nicht mit einem „es wird schon" zufrieden zu geben. Damit erfülle ich keinen moralischen Anspruch, keine ethische Pflicht, sondern es drängt mich dazu.

Die als „klug" und als „töricht" bezeichneten jungen Frauen unterscheiden sich durch eine solche innere Haltung dem Fest gegenüber. „Es wird schon" steht gegen „unbedingt wichtig". Unbedingt wichtig ist ihnen die Hochzeit, das Fest oder ihre Aufgabe, den Bräutigam zu begleiten. Eine solche Haltung lässt Öl mitnehmen, auch wo es nicht gefordert wurde und auch gar nicht nahe liegend scheint. Aber wenn es noch ein wenig mehr dazu beitragen kann, dass das ersehnte Wirklichkeit wird, dann kommt selbstverständlich auch das Öl mit.

IV.

Interessanterweise enthält das Gleichnis keinerlei Moral. Die klugen Frauen werden nicht deswegen zum Fest eingelassen oder kommen in das Himmelreich, weil sie so tugendhaft, so mildtätig, so demütig oder was auch immer gewesen sind. Dieses Missverständnis hat es in der Auslegungsgeschichte immer wieder gegeben, zudem noch in Geschlechtertypologien ausgedeutet: Manche Pforten gotischer Kathedralen zeigt fünf tugendhafte und fünf lasterhafte Frauen, die in die ewige Seligkeit bzw. die ewige Verdammnis eingehen. Die Galluspforte im Basler Münster beispielsweise bildet fünf nonnenhaft verhüllte Frauen und fünf mit wallendem Haar und engen Gewändern ab, allen jungen Frauen der Stadt zur Mahnung, wo es hinführt, nicht dem weiblichen Moralkodex der Gesellschaft zu entsprechen. Auf diese Traditionslinie, die die „klugen" jungen Frauen zu „braven" Jungfrauen werden lässt, antwortet der oft kolportierte Spruch: „Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse kommen überall hin" und entzieht sich damit der vermeintlich biblisch-christlichen geschlechtsspezifischen Verhaltensnormierung.

Im biblischen Text ist die moralische Dimension allerdings gerade nicht zu finden - was umso bemerkenswerter erscheint, als wir sie in anderen Texten gerade des Matthäusevangeliums ja durchaus haben. In diesem Gleichnis jedoch werden die Frauen als „klug" und „töricht" eingeführt, dann aber in ihrem Verhalten während des Wartens als absolut identisch beschrieben. Alle nehmen ihre Lampen und gehen dem Bräutigam entgegen. Als er lange ausbleibt, schlafen sie alle unterschiedslos ein. Und als der Bräutigam dann endlich kommt, werden sie alle wach, stehen auf und machen ihre Lampen fertig. Erst da, in diesem entscheidenden Moment, erst da gibt es einen markanten, den entscheidenden Unterschied: Die einen haben Öl dabei, mit denen sie ihre Fackeln jetzt für den Hochzeitszug entzünden können und die anderen nicht. Die einen sind bereit für das Fest und die anderen nicht. Hier wechselt interessanterweise auch die Bezeichnung im Text: Die bisher als „klug" bezeichneten jungen Frauen werden jetzt als „vorbereitet" bezeichnet, griechisch hetoimoi.

Das ist alles. Nicht einmal das Einschlafen ist das Problem wie in anderen neutestamentlichen Texten, auch wenn der letzte, redaktionell deutende Satz dies nahe zu legen scheint: „Darum wachet! Denn ihr wisst weder Zeit noch Stunde". „Gregoreo" bedeutet jedoch nicht Wachen im Gegensatz zu Schlafen, sondern „wachsam sein" im Sinne von „bereit sein". Das Gleichnis bietet also nicht eine biblische Variante von „Goldmarie und „Pechmarie", die sich durch Fleiß bzw. Faulheit ihr Schicksal verdienen. Die Logik ist eine andere. Nicht durch besondere Verdienste, nicht durch Tugenden, nicht einmal durch Wachbleiben kommt man in das Himmelreich, nur durch die Tatsache, dass man Öl für die Lampe mitgenommen hat.

V

Was also ist dann die Torheit der fünf als töricht beschriebenen Frauen? Sie ist noch mehr und anderes, als dass sie sich dem verheißenen Fest in der Haltung des „ach, es wird schon" statt in der Haltung unbedingter Wichtigkeit nähern.

Die fünf Frauen sind „töricht", weil sie so kurzsichtig sind. Sie sehen auf das, was wahrscheinlich und nach ihren Maßstäben erwartbar ist. Sie blicken auf das Vordergründige, nicht auf das Verheißene. Sie gehen davon aus, dass es auch diesmal so sein wird, wie es bei Hochzeiten immer ist: Der Bräutigam kommt, wenn man ihn erwartet und dann geht alles seinen gewohnten Gang. Es erscheint ihnen machbar, planbar - und sie vergessen, dass sie das Entscheidende nicht in der Hand haben. Insofern ist auch der - ein wenig sozialpädagogisch anmutende - Versuch, die Klugheit und das Törichtsein zu nivellieren, indem das vorhandene Öl einfach geteilt wird, zum Scheitern verurteilt. Dann reicht es für alle nicht, heißt es. Die Haltung der Klugheit erweist sich als unteilbar - entweder weiter gedacht oder kurz gedacht, tertium non datur. Denn es geht offensichtlich nicht darum, zum Fest irgendwie dann doch mit Öl zu erscheinen - sonst wäre der Gang zum Kaufmann ja auch eine gute Lösung gewesen -, sondern darum, über das Erwartbare hinaus zu denken und nicht erst dann für das, was gebraucht wird, zu sorgen, wenn die Notwendigkeit einem direkt vor Augen steht.

Diese Haltung erweist sich schon im persönlichen und vor allem im gesellschaftlichen Bereich immer wieder als ein entscheidender Unterschied. Wir haben es in diesem Jahr ökonomisch besonders deutlich erlebt: Wenn die in diesem Text als Torheit bezeichnete Haltung nicht überlegt, welche Folgen es hat, wenn etwas nicht so läuft, wie es normalerweise läuft oder wie man es gerne hätte oder worauf man optimistisch setzt, dann kann es verheerende Folgen haben. Der Zusammenbruch von Märkten mit seinen furchtbaren Folgen für Menschen schon in unserem Land und erst recht in armen Ländern wäre in einer Haltung von vorausschauender Klugheit, die weiter blickt als das, wie es bisher immer gelaufen ist und damit rechnet, dass alles auch einmal ganz anders sein kann, so nicht geschehen. Da haben sich in der Tat plötzlich Türen verschlossen, durch die man zuvor bedenkenlos geschritten ist.

Erst recht, darauf macht uns das Gleichnis nachdrücklich aufmerksam, erst recht ist die Haltung, nur bis zum Erwartbaren zu blicken, im Blick auf das Gottesreich völlig unangemessen. Den törichten Frauen fehlt die Perspektive, dass bei diesem Fest, bei diesem Bräutigam auch alles ganz anders sein könnte. Sie rechnen nicht damit, dass dieser sich den menschlichen Erwartungen entzieht und sie geradezu durch-kreuzt. Dass sich sein Erscheinen viel länger hinzieht als erwartet - aber dass er dennoch kommt.

Darin liegt der Unterschied zu den klugen, den vorbereiteten Frauen. Diese wissen, dass sie weder Zeit noch Stunde des Bräutigams kennen und richten sich über das menschlich Erwartbare hinaus aus. Ihre Hoffnung auf das verheißene Fest ist stärker als die Orientierung an dem Lauf der Welt. Sie haben Öl mit, das ihre Fackel in der Dunkelheit immer wieder entzündet. Das Öl ist der Stoff, der Hoffnung und Sehnsucht weiter brennen lässt, auch wenn es dauert und wenn es viel länger dauert als gedacht. In dieser Zeit braucht es die Sehnsucht, eine immer noch oder immer wieder brennende Sehnsicht. Diese wach zu halten, oder vielleicht besser: sie immer wieder zu entfachen, das ist das Entscheidende. Es ist die Chance des Ewigkeitssonntags und des Gleichnisses, uns daran zu erinnern.

VI.

Noch einmal zum Skandalon zurück, dass uns eine solche Härte gegenüber den törichten Frauen in der Bibel begegnet. Das Gleichnis rüttelt in der Tat auf und rüttelt wach. Es erzählt uns allerdings nicht, was einmal gewesen ist, und berichtet nicht von Menschen, denen die Tür zum Fest endgültig verschlossen wurde. Es stellt uns vielmehr vor Augen, was sein wird. Es eröffnet zwei Möglichkeiten, zwei Wege, auf das Reich Gottes zuzugehen. Wir können  hören: Entscheide dich, du hast die Wahl. Nimm Öl mit, wenn du klug bist. Geh nicht davon aus, dass es so kommt, wie du es dir nach deinen Vorstellungen eigentlich kommen müsste. Habe einen weiteren Horizont als das, was dir vor Augen steht. Halte deine Sehnsucht wach. Und: Nimm es wichtig. Es lohnt sich unbedingt. Es geht um alles.

Machen wir einmal die Gegenprobe und stellen wir uns vor, es wäre anders ausgegangen, wie es Nikos Kazantzakis in seinem Roman „Die letzte Versuchung" löst: Dort wird den Törichten zum Schluss doch noch aufgemacht und in einem großen Happy End feiern alle am Ende fröhlich gemeinsam. Eine solche große Allversöhnung ist theologisch ja nicht undenkbar. Aber ein solcher Schluss des Gleichnisses würde zu ganz anderen Entdeckungen führen, als wir es in der jetzigen Form haben. Schon die Anlage des Gleichnisses mit der Einführung von fünf Klugen und fünf Törichten wäre nicht sinnvoll - es sei denn, die fünf klugen wären überheblich oder hätten andere negative Eigenschaften. Auch diese Aussage kennen wir aus der Bibel, dass es im Angesicht des Reiches Gottes nicht geraten ist, andere abzuwerten oder auch nur mit dem Finger auf sie zu zeigen. Auch dies wäre ein anderer Text mit anderen Erkenntnisvarianten.

Die Chance dieses Gleichnisses liegt gerade darin, zwei mögliche Haltungen gegenüber dem Reich Gottes dem großen Fest am Ende der Zeiten zu identifizieren - und die eine anzustreben. Nicht, um nicht eine Bestrafung oder Verdammnis zu entgehen, sondern um die Haltung zu entdecken, die der Existenz in der Zeit zwischen den Zeiten - im Bewusstsein der nahenden Ankunft des Bräutigams und dem oft viel zu langen, anstrengenden und durchaus auch ermüdeten Warten darauf - entspricht. Diese Haltung erleichtert im Übrigen auch das Warten, das Leben „dazwischen". Sie hält die Hoffnung und die Sehnsucht wach und nimmt das, was in dieser Welt passiert, so ernst, wie es dem angemessen ist, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Sie hält das Bewusstsein lebendig, dass das, was wir hier erleben, das Vorletzte ist und nicht das letzte Wort haben wird. In dieser Zeit ist barmherziges Schlafen durchaus einmal erlaubt - niemand muss unermüdlich auf dem Weg zu sein und schon gar nicht wird jemand aufgefordert, etwas dafür zu tun, damit der Bräutigam ein wenig schneller kommt. Es genügt, die Fackeln der Sehnsucht und der Hoffnung nach dem Kommenden am Brennen zu halten und sie immer wieder zu entfachen, wenn sie einmal ausgehen. Eine solche Haltung ist die der Wachheit im Sinne des Gleichnisses, weil es nicht um Schlaflosigkeit geht, sondern um eine Wachheit dem gegenüber, was uns erwartet.

Insofern kann das Gleichnis uns tatsächlich klug machen. Im Sinne eines memento mori - lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen. Oder vielleicht besser im Sinne eines memento vivere: Lehre uns bedenken, wie wir leben können in dieser Welt und in dieser Zeit in der Erwartung des Reiches Gottes.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 



Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong
Hamburg
E-Mail: uta.pohl-patalong@hamburg.de

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