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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag im Kirchenjahr - Ewigkeitssonntag / Gedenktag der Entschlafenen, 22.11.2009

Predigt zu Matthäus 25:31-46, verfasst von Peter Nejsum

Die merkwürdigsten Bilder stellen sich ein, wenn man Begriffe wie Das jüngste Gericht nennt. Alte, spätmittelalterliche Fresken tauchen auf, mit ihren Szenen des Jüngsten Gerichts, in denen schöne Engel die Erlösten ins Himmelreich hinaufziehen, während böse Teufel die Verdammten zu allerlei phantasievollen Qualen hinabbefördern. Und ein Text wie der, den wir eben gehört haben, trägt auch zu phantasievollen Bildern bei, die nur nahelegen, alles Gerede vom Jüngsten Gericht abzulehnen.

            Aber das Jüngste Gericht ist zunächst einmal gar keine religiöse Vorstellung, an die zu glauben oder nicht zu glauben einem freistünde. Das zu sehen, ist natürlich gar nicht so leicht, wenn der Gedanke in dem Ausmaß in alle diese bunten Bilder verkleidet ist. Der "Jüngste Tag" ist im Grunde keine religiöse Vorstellung, sondern er ist eine Erfahrung, die wir machen. Der Jüngste Tag hat mit dem Erlebnis zu tun, dass die Zeit ihrem Ende entgegengeht. Dass die Zeit vergeht - und dass sie eines Tages ausläuft. Dass sie zu Ende geht. Endzeit heißt, zurückzuschauen und das zu sehen, was man nicht erreicht hat.  Endzeit heißt, das eigene Versagen zu sehen, weil man nicht begriff, wie wichtig die Sache in Wirklichkeit war. Endzeit bedeutet, dass etwas endgültig vorbei ist, und dass man jetzt nicht mehr"Entschuldigung" sagen kann oder "ich liebe dich" oder dergleichen. Endzeit sagt mir: Jetzt ist es zu spät. Die Möglichkeiten, die bestanden haben, kommen nicht wieder. Was du getan hast - oder nicht getan hast, ist nicht zu ändern. Das ist Endzeit oder Jüngstes Gericht.

            Es bedeutet auch, dass das Jüngste Gericht nicht nur der letzte Tag ist - das Gericht, das Urteil wird unausgesetzt gefällt, insofern es jeden Augenblick etwas gibt, wozu es zu spät ist, was unwiderruflich vorbei ist. Und das veranschaulicht doch ganz klar, dass das Jüngste Gericht in seinem Ursprung eine Erfahrung ist, die man macht - und zwar ohne Rücksicht darauf, woran man glaubt oder ob man überhaupt an etwas glaubt.

            Das Jüngste Gericht ist also - ganz wie eine Reihe anderer kirchlicher Begriffe - Ausdruck einer menschlichen Erfahrung, einer menschlichen Erfahrung, die dann in einen besonderen Zusammenhang gestellt wird. Einer Erfahrung, die nicht nur in der Form nackter und kalter Tatsachen dastehen kann, etwa wenn der Arzt Zuflucht zu seiner naturwissenschaftlichen Objektivität nimmt und sein Urteil über einen Menschen in Gestalt einer ernsten Krankheit fällt, über die aber der Glaube mehr sagen kann, was die Erfahrung in Vorstellungen kleidet, die die Wirklichkeit verändert, der sie entspringt.

            Wenn wir hier in der Kirche vom Jüngsten Gericht sprechen, dann ist also das Entscheidende nicht dies, dass wir gerichtet werden - das wissen wir nämlich sowieso, dieses Wissen schleppen wir mit uns hier in die Kirche, eine schmerzliche Erfahrung, die wir machen. Aber hier drinnen erfahren wir etwas mehr, etwas, was das Gericht umformt. Wir erfahren, wer richtet. Und wir erfahren einiges darüber, wovon das Urteil handelt, worauf es beruht. Und an dieser Stelle liegt das Evangelium verborgen.

            Es bedeutet doch eine unglaubliche Befreiung zu wissen, dass der, der uns richtet, nicht irgendein kleinmütiger und kleinlicher Buchhaltertyp ist - sondern dass es Jesus ist. Niemand sonst wird mich richten. Auch ich selbst oder mein eigenes Gewissen wird mich nicht richten, sondern Jesus.

 

Wenn wir, so wie wir es vorhin getan haben, unseren Glauben bekennen, dass er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten, so gilt dieser Glaube nicht der Aussage, dass es ein Gericht gibt - sondern dass er es ist, der richten wird. Wie großes Glück kann man haben - ich weiß ja, wie er richtet. Ich weiß es durch alle Erzählungen des Evangeliums über ihn, dass er das Beste in mir sieht, ja, dass er mich als denjenigen sieht, der zu sein ich geschaffen bin, der ich sein sollte. Und ich weiß, dass das Einzige, womit er sich nicht abfinden kann, die Heuchelei und Selbstgerechtigkeit ist, auf die er bei den Pharisäern stößt; ich brauche also nicht vor mir selbst und anderen zu lügen.

            Das verändert natürlich völlig das Gericht, - das Gericht, das wir jeden Tag erfahren. Das Urteil, das ich über mich selbst fälle, wird beiseite geschoben, denn es ist nicht wichtig. Das Urteil kann hart sein, und oft ist man ja ein harter Richter über sich selbst. Oder es kann milde sein, es kann vom Versuch gekennzeichnet sein, sich selbst zu rechtfertigen, und von dem Versuch, sicher hinter fadenscheinigen Entschuldigungen zu verstecken. Es wird beiseite geschoben, es ist ohne Bedeutung, denn ich bin nicht Richter, sondern der HERR. Und es ist auch nicht das Urteil anderer, welches gilt, was ja sicherlich sehr angenehm sein kann - was aber auch bedeutet, dass wir selbst auch nicht zum Richter anderer bestellt sind. Denn es gibt nur eínen, der richtet.

            Und schließlich - und darum geht es im Evangelium von heute - fallen Bemerkungen darüber, wovon das Urteil handelt, wonach wir gerichtet werden. Es sind unsere Taten, aber welche Taten! Das ist das Großartige. Es sind doch in Wirklichkeit sehr geringe Forderungen, die da gestellt werden, Forderungen, die jedes Kind erfüllen kann. Er verlangt nicht, dass man den Kranken heilen soll. Man soll nur nach dem Kranken sehen. Er verlangt nicht, dass man den Gefangenen befreit. Man soll ihn besuchen. Man soll den Durstigen ein Glas Wasser geben. Man soll den dem Hungrigen zu Essen geben. Ja, das ist nicht alle Welt! Nein, eben darum. Und die Erlösten betrachten es denn auch nicht als etwas Großes, sie haben gar nicht bemerkt, dass sie gut gehandelt haben, sie haben es nur getan, weil sie nicht anders konnten.

            Darum geht es auch nicht um eine Investition: also, ich handle so und so, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; z.B. dass andere mich schätzen, dass andere mich respektieren, ja vielleicht geradezu bewundern wegen meiner Ausdauer, meiner Energie, meiner Großzügigkeit oder dergleichen. Sondern was gepriesen wird, sind die Taten, die man gar nicht mitrechnet, die guten Taten, von denen man gar nicht weiß, dass sie mitgerechnet werden. Darum ist hier auch nicht von Werkgerechtigkeit die Rede.

            Aber damit ist es auch etwas anderes: Nämlich eine Abrechnung mit einer bestimmten Denkweise, die das, was man tun muss, zu etwas ganz Großem machen will, nämlich mit dem Denken, das besagt, man soll sich opfern. Sich für seine Kinder opfern. Sich für eine Sache opfern. Sich einem bestimmten Idealbild opfern, wer man sein soll und wie man sein Leben leben soll. Das ist eigentlich eine Überraschung: Es wird kein Martyrium verlangt, sondern nur, dass man nach dem Kranken sieht, dem Durstigen ein Glas Wasser gibt, den Hungrigen zu Essen gibt. Es stellt auf den Kopf, was verdienstvoll ist.

            Wir wissen eigentlich sehr gut, dass die Vorstellung vom Sich-opfern nicht immer Gutes mit sich bringt. Stellt euch eine Frau vor, die sich opfert und in einer lieblosen Ehe ausharrt - mit einem Mann, der sie demütigt, der brüsk und lieblos ist zu seiner Frau und den Kindern, was einer jeden Mutter das Herz zerreißt. Sie hält sich selbst zurück, unterdrückt ihre Bedürfnisse und harrt in der Ehe aus, "um der Kinder willen", wie man sagt. Sie hat eine Vorstellung davon, was eine "richtige" Familie ist, und dafür opfert sie alles, denn sie meint, so handeln zu müssen.

            Und der Ehemann, er opfert vielleicht alles für seinen Chef. Opfert alles für die Anerkennung, die er in greifbarer Nähe wähnt, opfert alles für das Gefühl  der Unentbehrlichkeit, das ihn lockt. Deshalb nimmt er auch die Frustrationen hin, die Verzweiflung, dass seine Arbeit - im gleichen Maße, wie er die Forderungen erfüllt - langsam aber sicher immer umfangreicher wird. Er opfert seine freie Zeit, das Familienleben, den Nachtschlaf, seine gute Laune. Und er tut es, weil er meint, er müsse es tun, denn was sonst könnte seine Selbstachtung aufrecht erhalten? Er hat kein andere Möglichkeit.

            Es gibt Unheil, das aus der Vorstellung erwächst, es sei verdienstvoll, sich zu opfern. Aber auch hier hat man zu bedenken, was in dem Bild vom Gericht, das Jesus zeichnet, gesagt wird: Darum geht es gar nicht. Es ist nicht so, dass derjenige, der sich opfert, verurteilt würde, sondern er oder sie bekommt nur zu wissen, dass es also nicht darum geht. Wenn du dich opfern willst, dann bitte, tu es. Tu es um deiner selbst willen, wenn du denn der Meinung bist, dass es gut für dich ist. Aber da ist niemand, der dir Beifall spendet, denn das Urteil über dein Leben liegt ganz woanders - in den kleinen Dingen, die jeder tun kann: Sich des Kranken annehmen, dem Hungrigen zu Essen geben usw. Oder anders ausgedrückt: Christus in dem Menschen sehen, dem du begegnest. Dann folgen die guten Taten von selbst.

            Nachfolge, wie es heißt, besteht nicht darin, Christus in dir selbst zu sehen - und zu glauben, du müsstest das Opfer bringen, das er brachte - sondern Nachfolge ist, Christus in anderen zu sehen. Denn: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan, sagt er. Es sind also nicht die Taten an sich - denn die kommen ja ohne unser Wissen - sondern das, was sie hervorruft. Und deshalb ist alles, was du zu tun hast, dich darauf zu verlassen, dass er dich als einen dieser Kleinen sieht, mit all der Liebe, die er hat, im Vertrauen darauf, dass du andere mit denselben Augen siehst. Amen.



Pastor Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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